(K)einer geht!

Jisungs Pov:

Noch immer fühlte sich meine Haut viel zu warm an und prickelte an den Stellen angenehm, an denen mich Minho berührt hatte. Bis gerade eben hatte ich nackt auf dem großen Bett gelegen, doch die kühle Nachtluft, die durch die nun geöffnete Tür zu dem Balkon strömte, ließ mich frösteln. Da ich die frische Luft, die den Geruch nach Sex und Lust aufklaren ließ, noch etwas länger genießen wollte, griff ich nach meinem Gewand. Ich schlang es mir nur lose um den Körper und ließ mich dann wieder zwischen Minho und Seungmin sinken.

Es war weit nach Mitternacht, vermutlich irgendwann in den frühen Morgenstunden, denn ich konnte bereits einige Vögel rufen hören. Doch noch hatte die Sonne den Horizont nicht erreicht – nicht einmal der kleinste Silberstreif zog am Horizont auf. Aber an Schlaf war momentan ebenso wenig zu denken. Seungmin erhob sich ebenfalls kurz und streifte sich das Gewand locker über, das ich ihm vor mehreren Stunden ausgezogen hatte. Er strich sich durch das braun gewellte Haar und drehte sich schwungvoll zu uns um.

„Was haltet ihr von einem Schlaftrunk? So ein Becher Wein sollte uns doch dabei helfen, müde zu werden."

Ich summte zustimmend und auch Hyunjin schien Seungmins Ansicht zu teilen. Allerdings war es Minho, der antwortete:

„Ein kluger Gedanke." „Allerdings werden wir nach dem besagten Wein vermutlich noch einmal übereinander herfallen und erst danach schlafen", konterte Hyunjin schamlos und blinzelte vielsagend zu mir herüber. Ich schmiegte mich demonstrativ enger an Minho und gähnte herzhaft.

Naja, ich komme möglicherweise ohne eine weitere Runde aus.

Seungmin lief bereits beschwingt hinüber zu dem Tisch mit den Weinkaraffen und griff zielsicher nach einer besonders edel scheinenden Karaffe. Er entkorkte sie geschickt und füllte dann vier Becher mit der tiefroten Flüssigkeit. Anschließend hob er einen der goldenen Becher an und trank durstig einen großen Schluck. Auch meine Kehle fühlte sich nach den Anstrengungen der letzten Stunden ziemlich trocken an und ich hoffte, dass mir der Alkohol helfen würde, einzuschlafen.

„Ist nicht für die folgende Woche ein Fest im Tempel vorgesehen?", fragte Hyunjin unvermittelt und drehte sich ganz in Minhos und meine Richtung, wobei sein nackter Körper Minhos locker an seiner Seite liegendem Arm sehr nahekam. Dem Pharao schien diese Tatsache auch aufzufallen, denn er betrachtete den schönen jungen Mann einige Sekunden lang wie seine nächste Beute, bevor er zustimmend nickte.

„Und wir ehren gleichzeitig Isis, die Frau des Osiris und die Mutter des Horus. Es wird ein fröhliches Fest, das ihre Hingabe für ihr Volk und ihren Sohn widerspiegelt", erklärte Seungmin mir und kam dabei, zwei der Becher in den Händen tragend, zu uns und reichte sie Minho und mir. Um nichts von dem Getränk zu verschütten, setzten wir uns auf.

„Bei diesen Feierlichkeiten sind alle willkommen. Der Tempelbezirk ist an diesem Tag für jeden betretbar, sogar die Sklaven dürfen neben dem ihrem Pharao beten und den Göttern ebenso ihren Respekt erweisen." Ein vorfreudiges Lächeln huschte über seine Lippen, bevor er zu den Weinkaraffen zurückkehrte und seinen eigenen Becher sowie den von Hyunjin aufnahm. Ich sah hinab zu meinem gut gefüllten Trinkgefäß, sog den schweren, süßlichen Duft der Trauben ein und erinnerte mich an das erste Mal, als ich dieses heimtückische Gebräu gekostet hatte. Damals hatte der starke Wein schnell meine Sinne vernebelt und meine Zunge gelockert.

Also wenn das nicht beim Einschlafen hilft, weiß ich auch nicht.

„An diesem Tag werde ich alle Männer meiner Leibgarde mitnehmen müssen, um jeden einzelnen von euch schützen zu können. Mir ist bewusst, dass sich die Bevölkerung Thebens sehr respektvoll und gesittet verhält, aber ich möchte nicht eure Sicherheit gefährden." Ergänzte Minho und schenkte mir ein sanftes Lächeln, bei dem nur ich verstand, welche Sorgen er sich dennoch um uns – trotz der guten Sicherheitsmaßnahmen – machte.

Hyunjin summte leise und rutschte ein Stück, um Seungmin genug Platz zu verschaffen, damit er sich wieder neben ihn auf das Bett setzen konnte. „Ihr müsst mir bei der Auswahl der Kleidung helfen", verpflichtete er Seungmin und mich und runzelte die Stirn, als dieser erneut aufstand und rasch zu der Weinkaraffe trat. Ich sah auch kurz hin, aber erkannte, dass Seungmin sich noch einen Becher Wasser eingoss – aus einem Krug, der dicht neben den übrigen Karaffen stand.

„Dabei werden dir Seungmin und Jisung sicher gern behilflich sein, Hyunjin", fügte Minho liebevoll an den Schwarzhaarigen gewandt hinzu und strich diesem über den Arm, bevor er in Gedanken weiter den Tag des Festes plante. „Viel wichtiger sind die Opfergaben, die wir für dieses Fest benötigen. Ich werde die Bediensteten beauftragen, ihre schönsten Backwaren herzustellen. Außerdem möchte ich, dass ihr mich an diesem Tag alle begleitet." Aufmerksam betrachtete ich den jungen Pharao und sicherte ihm mit einem simplen Nicken meine Unterstützung zu. Minho lächelte und führte den goldenen Becher an die Lippen, was ich ihm daraufhin gleichtat.

„Natürlich werden wir an deiner Seite sein", plapperte Hyunjin fröhlich und hob selbst seinen Becher. „Wir werden-"

Ein lautes Scheppern unterbrach seinen Redefluss und alarmiert schnellte mein Kopf herum. Dabei verschüttete ich den Wein, den ich gerade hatte trinken wollen, über die Bettdecke und das Laken. Allerdings kam ich nicht dazu, mich über dieses Missgeschick zu ärgern.

Denn der Anblick, der sich mir bot, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, ebenso der Schrei, den Hyunjin ausstieß.

„SEUNGMIN!"

Schneller ich es in diesem Augenblick gekonnt hätte, war der Schwarzhaarige aufgesprungen und rannte hinüber zu dem jungen Mann, der nun am Boden lag. „Minnie, was ist geschehen!? Sag etwas!" Er kniete sich neben ihn, zog dessen Kopf auf seinen Schoß und versuchte, den bebenden und seltsam zuckenden Körper stillzuhalten.

Ich registrierte benommen, dass Minho neben mir nach einigen Sekunden des Schocks in Bewegung kam, und endlich fand auch ich aus meiner Starre heraus. Ohne darüber nachzudenken, sprang ich auf und wollte schon zu Hyunjin und Seungmin laufen, als Seungmins Körper plötzlich stärker krampfte und gräulicher Schaum über seine Lippen quoll.

(Triggerwarnung: Blut, Tod, detaillierte Beschreibung negativer Emotionen – entscheidet ab hier selbst, ob ihr weiterlesen wollt)

„Oh mein Gott", wisperte ich, als ich, ähnlich wie der Rest in diesem Zimmer, verstand, was hier gerade passierte. Zunächst hatte ich an einen Krampfanfall gedacht, einen epileptischen Anfall – irgendwas Natürliches, was sich behandeln ließ. Aber der verfärbte Speichel und die hervortretenden Venen, die sich blau von der kalkweißen Haut abhoben, sagten mir etwas anderes.

„Seungmin! Bleib bei mir! Hör auf meine Stimme, bleib bei mir!" Hyunjins Stimme klang mittlerweile hysterisch und er schlug mehrmals fest gegen Seungmins Wange, um ihn wach zu halten. Seungmin hingegen stieß nur abgehakte, röchelnde Atemlaute aus und schaffte es nicht, auch nur ein klares Wort zu formulieren. Ich war erneut mitten in der Bewegung erstarrt und bemerkte deshalb gar nicht, wie Minho zur Tür rannte und eine der Wachen anbrüllte, den königlichen Leibarzt zu holen. Dann trat er dicht neben mich. Ich hörte seine gestellte Frage gar nicht. Erst als er mich zu sich umdrehte und mich kräftig schüttelte, konnte ich mich von dem quälenden Anblick vor mir lösen.

„Hast du von dem Wein getrunken, Jisung?!", schrie mich Minho beinahe panisch an und suchte an meinem Körper nach ersten Anzeichen der Krämpfe, bis ich abwesend den Kopf schüttelte.

„N-nein", flüsterte ich und zuckte zusammen, als ich Hyunjins herzzerreißendes Schluchzen hörte.

„Nein! Nicht das, nein, nein."

Als ich mich dem Horrorszenario erneut zuwandte, musste ich mit Schrecken erkennen, dass sich der Schaum vor Seungmins Mund mittlerweile rötlich verfärbt hatte und seine Haut unnatürlich bleich wirkte. Es wurde immer offensichtlicher, dass seine Überlebenschancen mit jeder verstreichenden Sekunde schwanden, und Minho schien dies ebenfalls zu erkennen, denn nun erstarrte er neben mir vollkommen. Seine Hand, die noch meinen Unterarm hielt, packte beinahe eisern zu und seine Augen spiegelten denselben Schock, den ich gerade selbst durchlebt hatte. Ich kannte diesen Ausdruck. Ich verstand, was in ihm vorgehen musste, und eilig stellte ich mich direkt vor ihn – sodass er nicht zu Seungmin sehen konnte –, nahm sein Gesicht zwischen meine Hände und sprach möglichst ruhig auf ihn ein.

„Sieh mich an, Minho." Seine glasigen Augen fokussierten sich nur mühsam auf mich und der verzweifelte Glanz in ihnen riss mir beinahe selbst den Boden unter den Füßen weg. Dennoch sprach ich weiter: „Du musst jetzt etwas für mich tun, Minho. Atme tief durch. Zuerst einatmen." Ich machte es ihm vor und glücklicherweise reagierte er etwas zeitverzögert und tat es mir dann nach. „Und jetzt langsam ausatmen. Sehr gut und gleich nochmal." Noch zweimal atmete ich gemeinsam mit ihm bewusst durch und war dem Internet und Yeosang fast dankbar, dass sie mir gezeigt hatten, wie man einer nahenden Panikattacke Einhalt gebieten konnte. Gleichzeitig verstand ich vollends, wie schrecklich dieser Augenblick für ihn sein musste. Vermutlich erinnerten ihn so viele Aspekte dieser Situation an den Tod seiner Eltern – die nervenaufreibende Hektik, der verbissene Kampf ums Überleben, seine eigene Machtlosigkeit. Momentan war er ähnlich hilflos wie damals als kleiner Junge. Er konnte nur zusehen – zusehen, wie jemand, der ihm wichtig war, starb.

Eilig lotste ich ihn zum Bett, drückte ihn sanft darauf nieder und streichelte über sein zerzaustes Haar.

„Warte hier auf mich, ja?", flüsterte ich möglichst gefasst, um ihm nicht preiszugeben, wie viel Angst in mir selbst wütete. Nach einem knappen Nicken seinerseits drehte ich mich zu Hyunjin und Seungmin um.

Ich eilte mit wild klopfendem Herzen zu dem Schwarzhaarigen, fasste ihn fest bei den Schultern und stützte ihn, als er erneut aufschluchzte. Kurz wappnete ich mich gegen Seungmins Anblick, dann richtete ich meine Augen auf ihn. Seine Haut wirkte noch blasser, beinahe durchscheinend, und sein Körper zuckte weiterhin hilflos und unkontrolliert, während dünne, rote Rinnsale von Mund und Nase zu Boden tropften.

Verzweifelt versuchte ich mir ins Gedächtnis zu rufen, ob ich etwas über Gifte wusste, was nun helfen konnte. Aber da war nichts Nützliches. Weder wusste ich, um welches Gift es sich handelte, noch wie man es wirksam bekämpfte. Also sank ich entmutigt neben Hyunjin nieder, griff fest nach der kalten, schwitzigen Hand von Seungmin und strich ihm zittrig über die nasse Stirn. Mir war nach Weinen zumute, aber ich musste stark bleiben – für Minho, für Hyunjin und auch für Seungmin.

„Minnie, wenn du mich hörst... kämpf dagegen an. Du kannst das durchstehen", hauchte ich tonlos. „Ich verspreche dir, ich bleibe die ganze Zeit an deiner Seite. Ich werde dich beschützen, für dich da sein... so wie du es für mich getan hast." Ich blinzelte heftig, weil meine Emotionen nun doch die Oberhand zu gewinnen drohten. Allein die Erinnerung an all die Herzenswärme und das Vertrauen, das Seungmin mir entgegengebraucht hatte, raubten mir nun den Atem. Tröstend kämmte ich mit den Fingern durch die zerzausten, braunen Haare, während ich bang auf den röchelnden Atem lauschte.

Dann plötzlich wurde Seungmins Körper ruhiger und ein tiefes Keuchen entfloh ihm. Zunächst glaubte ich, dass das Schlimmste überstanden war, doch als ich in das fahle Gesicht des sonst so lebenslustigen jungen Mannes blickte, verstand ich, dass es für ihn das letzte Aufatmen gewesen war. Seine Augen waren stumpf und er blinzelte angestrengt zwischen Hyunjin und mir hin und her, als würde er uns schon gar nicht mehr erkennen.

Ich packte seine Hand fester, als ein breites, dunkelrotes Blutrinnsal aus seinem geöffneten Mund rann und erschauderte, als sein Körper verkrampfte und dann einfach schlaff zurücksank.

Hyunjin schrie, als er zusah, wie der letzte Glanz aus den treuherzigen braunen Augen wich, und ich weinte stumm.

Ich wusste nicht, wie lange ich auf dem Boden neben den beiden ausharrte oder wie lang Hyunjins heftiges Weinen und Flehen anhielt, aber schließlich betrat der Leibarzt mit einem Gehilfen das Gemach und schob sowohl Hyunjin als auch mich bestimmt zur Seite. Wie von selbst rutschte ich hinüber zu dem Schwarzhaarigen und umarmte ihn fest, während sich die beiden Mediziner über Seungmins leblosen Körper beugten. Erst jetzt fiel mir auf, dass Hyunjin lediglich seinen Lendenschurz trug und noch immer kalte Nachtluft um uns herumstrich. Ihm musste schrecklich kalt sein, aber in seinem Zustand bemerkte er es vermutlich nicht einmal.

Suchend sah ich mich nach seinem Gewand um und fand es halb auf dem Bett liegend. Behutsam half ich Hyunjin, aufzustehen und schwankend zum Bett zu gehen. Ich platzierte ihn neben Minho, der noch immer reglos dasaß und vollkommen entrückt wirkte. Seine Augen schienen sich auf nichts fokussieren zu können und seine Finger zitterten, obwohl er sie die ganze Zeit knetete. Erneut traf mich eine Welle des Schmerzes – scharf und schneidend wie eine gut geschliffene Klinge. Da wollte ich mir nicht ausmalen, wie schrecklich die Pein erst für die beiden vor mir Sitzenden sein musste. Sie hatten Seungmin viel länger gekannt als ich. Minho hatte gerade einen Ehemann verloren – den freundlichsten und liebenswertesten Mann des ganzen Palastes.

Ich biss mir kräftig auf die Unterlippe und fragte mich, ob ich Yeji irgendwie Bescheid geben sollte, um sie wissen zu lassen, wie es um ihren Cousin stand. Sicherlich wüsste sie, wie ihm zu helfen wäre. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich eine der Wachen damit betrauen konnte, sie herzubringen. Diese waren nicht mit dem Medikus in den Raum getreten.

In dem Moment, in dem ich entschied, Yeji über eine der Wachen vor der Tür zu benachrichtigen, trat der Leibarzt vor Minho. Der ältere Mann warf sich vor seinem Pharao nieder, presste die Stirn fest auf den Boden und sprach in dieser unterwürfigen Haltung und mit Bedauern in der Stimme:

„Majestät, ich konnte nichts mehr für euren Gemahl tun. Das Gift war stark und hat schnell gewirkt." Bei diesen Worten schluchzte Hyunjin erneut herzzerreißend und auch in mir brach etwas, bei dieser Bestätigung der doch so offensichtlichen Tatsachen.

Er ist tot.

„Majestät, wenn ihr gestattet, nehme ich seinen Körper sogleich mit und untersuche ihn eingehend. Danach können wir ihn den Priestern übergeben."

Mit einem Mal kam Bewegung in Minho. Er sprang so hastig vom Bett auf, dass wir alle zusammenzuckten und ihn ansahen – sogar Hyunjin war plötzlich außergewöhnlich still.

„Keiner verlässt dieses Zimmer", presste Minho hervor und seine dunklen Augen funkelten voller Schmerz und Wut.

„Ich lasse keinen gehen, bis ich nicht weiß, wer Seungmin getötet hat."

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