Im Dienst der Dunkelheit

Triggerwarnung für dieses Kapitel: Erwähnung von Blut, Gewalt und Tod

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Jisungs Pov:

Als ich wieder zu mir kam, fühlte sich mein Kopf schwer an und ein brennender Schmerz fuhr durch meine Glieder, als ich versuchte, mich zu bewegen und zu verstehen, wo ich mich befand. Ich hörte immer noch den Regen und für einen Moment glaubte ich, ich würde mich im nassen Matsch wiederfinden, sobald ich die Augen öffnete. Doch weder spürte ich Kälte noch den Regen selbst. Also entschied ich mich dafür, einen Blick auf mein Umfeld zu riskieren und schlug die Augen auf.

Eine Decke schränkte mein Sichtfeld teilweise ein. Als ich mich nun umständlich drehte, erfasste ich, dass der Untergrund, auf dem ich lag, sehr angenehm und weich war. Schließlich sah ich, dass ich auf einem Divan gebettet dalag. Dann bemerkte ich zwei weitere Dinge, die mir klar machten, dass meine Ohnmacht nicht lange angedauert haben konnte. Mein Haar war noch feucht und auch der Lendenschurz zwischen meinen Beinen, der mich momentan als einziges Kleidungsstück schützte – abgesehen von der Decke – war nicht richtig trocken. Ich schloss daraus, dass man mir zwar mein klatschnasses Gewand ausgezogen hatte, aber nicht meine gesamte Kleidung, was mich sehr erleichterte.

Gleichzeitig krampfte sich mein Herz kurz zusammen, als ich die Räumlichkeiten nun überdeutlich erkannte, in denen ich mich befand. Sie waren durch die großen Kohlebecken beheizt, exorbitant groß und viel zu prunkvoll gestaltet, um einem Bürger zu gehören.

Die Erkenntnis, dass ich mich erneut in Minhos Gemächern befand, schüchterte mich ein und hastig sah ich mich nach ihm um.

Umso erstaunter war ich, als ich nicht nur ihn erblickte, sondern auch Jeongin und Chan. Während das nun offiziell vor dem Pharao geoutete Paar auf dem zweiten Divan Platz genommen hatte, stand Minho vor dem Tischchen mit den schweren Weinkrügen. Alle drei waren ungewöhnlich still und ich vermutete, dass sie mich nicht hatten aufschrecken wollen. Minho war schließlich der Erste, der bemerkte, dass ich nicht mehr ohnmächtig war. Er nahm seinen gefüllten Becher vom Tisch auf und bewegte sich dann geschmeidig wie eine große Raubkatze auf mich zu. Erst kurz vor meinem Divan blieb er stehen und räusperte sich.

„Du bist wach", stellte er daraufhin treffend fest und ich wickelte mich fester in die Decke und starrte ihn an, als würde ich ihn gerade zum ersten Mal sehen. Er trug andere Kleidung. Ein lockerer Leinenstoff lag um seine Schultern und sein Lendenschurz war trocken. Nur seine Haare waren wie die meinen etwas feucht, was mir ins Gedächtnis rief, weshalb ich mich nun in dieser Situation befand.

„Möchtest du etwas trinken?"

Zu meiner Verblüffung streckte Minho mir nun den Becher entgegen, den er zuvor mit Wein gefüllt hatte. Mühevoll zog ich meine Hand unter der Decke hervor, griff nach dem Becher und setzte ihn langsam an meine Lippen. Erst da begann mein Kopf wieder mitzuarbeiten und ein wahnwitziger Gedanke überkam mich.

Was ist, wenn er mich jetzt vergiften will? Weiß ich zu viel über ihn? Bin ich zu gefährlich?

Minho schien irgendwie meine Gedanken erraten zu haben, denn er ließ ein leises, ungläubiges Schnauben hören, nahm mir dann den Becher ab und setzte ihn an seine eigenen Lippen. Er nahm einen großen Schluck und reichte ihn mir dann erneut.

„Ich würde dich nie vergiften." Fügte er mit ernster Miene hinzu und trat zurück. „Nach deiner Ansicht ist ja Gewalt meine bevorzugte Methode." Er klang so resigniert und verletzt, dass ich ihn am liebsten umarmt hätte und ihm gesagt hätte, dass ich das nicht hatte heraufbeschwören wollen. Dass ich schon längst nicht mehr an seine Schuld glaubte.

Ich bin ein Narr. Wie kann ich nur glauben, er würde so niederträchtig handeln? Das hat er nicht nötig.

Betreten schwieg ich und verfolgte, wie sich Minho nun den Stuhl von seinem ausladenden Studiertisch holte und ihn zwischen den beiden Divanen platzierte, um sowohl Chan und Jeongin als auch mich im Blick zu haben.

„Wir sind alle erleichtert, dass du so schnell wieder erwacht bist. Einer der königlichen Leibärzte hat dir die durchnässte und dreckige Kleidung ausgezogen und dir gleich eine wärmende Paste auf die Brust und den Rücken aufgetragen", erklärte Jeongin, bevor er forschend zu Minho blickte. „Wir haben uns Sorgen gemacht, als du ohnmächtig wurdest."

Heißt das, sie haben mich nur aus Mitleid wieder hierhergebracht? Werde ich wieder verstoßen, sobald ich wieder aufrecht gehen kann?

Aber meine düsteren Sorgen wurden von Minho unterbrochen. „Ich denke, es gibt da einiges zu klären. Zwar habe ich in der Zwischenzeit mit Chan und Jeongin sprechen können und ich glaube ihnen, dass du kein Verhältnis mit meinem Bruder hast." Seine Augen verrieten mir, dass da noch mehr sein musste, denn sie huschten flüchtig hinüber zu Jeongin, bevor sie zu mir zurückkehrten. „Was allerdings deine Empfindungen und Absichten mir gegenüber betrifft, sollte ich dir wohl die wahre Geschichte meiner Thronbesteigung erzählen... Es ist fast schon bedauerlich, dass sogar du an diesen oberflächlichen Bericht glaubst. Aber es ist auch mein eigener Verdienst."

Ich erschauderte bei diesen verwirrenden Worten und versuchte, mich etwas aufzusetzen, um alle im Raum befindlichen Personen besser im Blick zu haben. Schließlich räusperte ich mich und fragte beklommen: „Kann ich mir etwas anziehen, bevor wir darüber sprechen?" Es war vielmehr ein eigener Schutzmechanismus. Mein Verstand rechnete immer noch damit, irgendwann fliehen zu müssen oder sogar erneut aus dem Palast gezerrt zu werden, wenn diese Unterhaltung ihr Ende fand. Aber meine Frage schien die allgemein angespannte Situation etwas zu lockern. Minho nickte sogleich und stand auf, um dann einen Stapel Kleidung zu ergreifen, die ich unschwer als meine eigene erkannte.

Irgendjemand muss sie hergebracht haben, während ich noch ohnmächtig war.

Minho legte sie neben mir ab und drehte sich anschließend zu Jeongin, so als würde er mich nicht weiter beachten. Es wunderte mich, dass er nun dieses Maß an Anstand besaß und mich nicht wie sonst immer mit seinen Blicken förmlich auszog. Aber vielleicht wollte er mich nun nicht mehr auf diese Art. Sicherlich war es ihm jetzt gleichgültig, da er bereits entschieden hatte, was mit mir passieren sollte.

Ein wenig umständlich streifte ich mir das Gewand über, ohne dabei die um mich gewickelte Decke abzulegen. Rasch zupfte ich den langen Stoff über meine Beine, bis alles möglichst ordentlich lag. Dann entfernte ich die Decke, faltete sie säuberlich und legte sie neben mich. Dann saß ich ganz still da und wartete, da Minho sich gerade im Flüsterton mit Jeongin unterhielt, der nun sehr nervös wirkte. Chan hatte mittlerweile einen Arm um den Jüngsten gelegt und schien sich vor Minho nicht länger mit Zuneigungsbekundungen zurückzuhalten. Als er aber bemerkte, dass ich mich nun halbwegs ordentlich angekleidet hatte, wies er Minho mit einem Kopfnicken darauf hin und dieser wandte mir seine ganze Aufmerksamkeit zu.

„Bist du so weit?", fragte er und musterte mich dabei eindringlich, während er selbst nicht sicher schien, wie er nun weitersprechen sollte.

Er erhielt von mir nur ein knappes Nicken, da ich ihn nicht unterbrechen wollte.

„Gut, dann werde ich dir davon erzählen, wie ich tatsächlich Pharao wurde... Ich bin mir nicht sicher, wie vertraut du mit meiner Ahnenreihe bist, also werde ich etwas weiter ausholen. Meine Eltern stammten bereits aus einer Dynastie von Königen und Königinnen. Jeongin und ich trugen unser Recht der Herrschaft wie seit jeher seit unserer Geburt. Sofern ich es nach ihren Aufzeichnungen und eigenen Beobachtungen beurteilen kann, waren meine Eltern ein gutes Regentenpaar, nicht immer milde, aber immer gerecht zu ihren Untertanen. Sie haben fünfzehn Jahre lang gemeinsam auf dem Thron Thebens gesessen und dieses Land maßgeblich zu Wohlstand und Würde geführt. Unter ihrer Herrschaft gab es kaum kriegerische Auseinandersetzungen und die Handelsbeziehungen zu unseren Nachbarstaaten erblühten."

Ich lauschte gespannt Minhos Stimme, auch wenn ich nicht ganz verstand, warum er für seine Erzählung gerade an diesem Punkt ansetzte. Aber ich bemerkte, wie seine Stimme bei den letzten Worten tiefer sank und ein kühler Schauer rann meinen Nacken herab.

Bisher decken sich die Aufzeichnungen mit seiner Geschichte.

„Das einzige Problem war, dass sie dem Kronrat und den Hohepriestern der Tempel, die bis heute ein wichtiges Gleichgewicht zwischen Staatsherrschaft und den völkischen Belangen herstellen sollen, zu wenig Bedeutung beimaßen. Seit Jahrhunderten besteht dieses fragile Gleichgewicht zwischen der Königsfamilie und den Hohepriestern. Die überaus wichtige Position, die Nähe zu den Göttern, soll maßgeblich durch Zurückgezogenheit und reine Lebensweise der obersten Geistlichen in der Waage gehalten werden. Es ist ihnen nicht gestattet, wie die Adeligen und Beamten, Besitztümer außerhalb des Tempels anzuhäufen. Dennoch finden die Menschen immer einen Weg, sich am Wohlstand der anderen zu bereichern."

Ein trauriges Lächeln huschte über seine Lippen und ich bemerkte, wie Jeongins Hand sich fast eisern um die von Chan schloss. „Unsere Eltern haben ihr Land streng regiert und gaben den machthungrigen Ratsmitgliedern keine Gelegenheit, die Kontrolle über die Gesellschaft der Stadt oder das Land selbst an sich zu reißen. Dank unserer Eltern herrschte Frieden, aber den Vorgängen im Schatten der Palastmauern und der Tempel haben sie nicht genug Bedeutung beigemessen. Schließlich verschworen sich die meisten Beamten des Rates gegen unsere Eltern. Sie wollten eine neue Maat erschaffen, also entschieden sie sich für Mord... Sie wussten, dass sie ein unbeherrschbares Chaos auslösen würden, sollte die ganze Königsfamilie sterben. Denn dann wären andere Prinzen und entfernte Verwandte in einen Krieg gegeneinander verfallen, um die Herrschaft dieses Landes an sich zu reißen. Also wählten sie eine schlauere und schrecklichere Variante, bei der sie schlussendlich die Begünstigten sein und bleiben würden."

Der Rat wollte Minhos Eltern ermorden? Nicht er selbst?

Nicht nur ich spürte die Anspannung im Raum, auch die anderen mussten sie förmlich mit Händen greifen können, und langsam verstand ich, dass ich mich gewaltig getäuscht haben musste – genauso wie die Bücher, die von Minhos Vergangenheit berichteten.

„Eines Nachts versammelte sich der Rat heimlich und drang in die königlichen Gemächer ein. Sie nahmen mich zuerst gefangen. Da mein Raum direkt vor dem meiner Eltern lag. Ich war damals gerade elf Jahre alt geworden und durfte allein in einem Gemach schlafen, während Jeongin noch bei unserer Mutter schlafen durfte. Zwei der Ratsmitglieder brachten mich also in ihre Gewalt und schleppten mich mit in das Zimmer meiner Eltern, wo man ihnen sogleich Jeongin entriss, unter der Drohung, man würde mich töten, sollten sie ihn nicht hergeben... Ich weiß noch, was es für ein schreckliches Durcheinander war, als man ihn von meiner Mutter losriss und neben mir auf den Boden warf. Mir war damals nicht bewusst, was geschehen würde." Minho holte tief Luft und ich sah die Anstrengung, die es ihn kostete, weiterzusprechen. „Zuerst dachte ich, es wäre ein Streit, bei dem Jeongin und ich die Druckmittel wären – ihre Garantie, dass unsere Eltern ihnen Gehör schenken würden und Privilegien gewähren. Aber so war es nicht. Wir waren nichts als Geiseln, lenkbare Figuren für ihren eigenen grausamen Plan."

Jeongin schluchzte plötzlich auf und mein Blick, der so angestrengt und schockiert auf Minho geruht hatte, huschte zu dem Jüngeren. Ich verstand seinen Schmerz und er tat mir schrecklich leid, selbst als ich erkannte, wie Chan ihn umarmte und sanft an seine breite Brust zog. Und noch schlimmer war es, zurück in Minhos Augen zu sehen und dieselbe Hoffnungslosigkeit zu erblicken. Er wirkte so verwundbar und ich sah sekundenlang den kleinen Jungen in ihm, der damals dieses Szenario direkt vor sich miterlebt hatte. Es erschreckte mich, als er unvermittelt mit tonloser Stimme weitersprach und kaum noch eine Regung an Menschlichkeit aus ihm sprach, als er das Folgende schilderte.

„Zuerst haben sie meinen Vater umgebracht. Sie haben ihm mit einem stumpfen Gegenstand den Schädel zertrümmert, bis sich das Blut auf dem Boden des Schlafgemachs verteilt hatte. Ich weiß noch, wie ich Jeongin an mich gepresst und gefürchtet habe, wir wären die nächsten. Ich konnte einfach nur zusehen, wie diese Männer immer wieder auf meinen Vater einschlugen und meine Mutter schrie, weil sie nicht zu ihm konnte. Es ist, als würde ich sie heute noch schreien hören, wenn irgendwer nur zu laut ruft. Dann haben sie ihr die Kehle aufgeschnitten und sie auf das Bett geworfen." Minhos Hände waren fest zu Fäusten geballt und seine Stimme kam gepresst über seine Lippen. „Ich erinnere mich noch, dass Jeongin irgendwann nur noch in meinen Armen lag, weil er bereits ohnmächtig geworden war, und ich habe zu all den Göttern gefleht, dass er nicht mehr aufwacht, bevor es vorbei ist."

Er war erst elf Jahre alt und hat zusehen müssen, wie seine Eltern vor seinen Augen ermordet werden. Wie hoffnungslos muss ihm dieser Moment erschienen sein?

Minho unterbrach meine Gedanken wieder, bevor sie zu viel Raum einnehmen konnten. „Dann kamen die Mitglieder des Rates auf mich zu. Ich dachte, sie würden mit mir ähnlich verfahren, stattdessen haben sie verkündet, dass ich nun der neue König sei und sie mir zu Macht und Ansehen verhelfen würden, solange ich das tun würde, was sie von mir verlangten."

Er strich sich fahrig mit der Hand durch das dunkelbraune Haar und ich wäre in diesem Augenblick am liebsten zu ihm gegangen, um ihn in den Arm zu nehmen, so wie es Chan noch immer mit Jeongin tat, der weiterhin leise schluchzte.

„Ich hatte keine Wahl, als ihnen die Treue zu schwören und zu versprechen, dass ich alles tun würde, was sie erwarteten... in einem Zimmer, das nach Blut roch und in dem meine toten Eltern lagen – in meinem Zuhause, das für mich sicher sein sollte. Ab dem Augenblick gab es nur noch Jeongin und mich und ich musste ihn beschützen. Sie hätten ihn mir jederzeit ebenso wegnehmen können, hätte ich etwas falsch gemacht. Sie- ich hatte keine Wahl-"

All die Pein und der unausgesprochene Schmerz in Minhos dunklen Augen überwältigten mich beinahe und da ich das Gefühl kannte, seine Familie zu verlieren, wusste ich, wie sehr es erst wehtun musste, diese Tortur zu überleben und danach den Mördern dienen zu müssen. Deshalb stand ich etwas wackelig auf, ging die wenigen Schritte zu Minho hinüber und kniete mich vor ihn, um dann ganz behutsam nach seinen Händen zu greifen und so federleicht wie nur möglich über seine Finger zu streicheln. Mir kam dieser Moment so zerbrechlich und gleichzeitig kostbar vor. Minho hatte gerade eines seiner wichtigsten und gleichzeitig schlimmsten Erlebnisse mit mir geteilt und er schien die Stärke zu finden, noch mehr zu sagen.

Seine Finger fanden die meinen und drückten meine Hände leicht, wie um sich zu versichern, dass sie wirklich da waren, bevor er mit schwerer Stimme sprach. „Ich habe ihnen mehr als sieben Jahre gedient. Ich habe ihre Befehle befolgt und ihnen gestattet, ihre Privilegien auszuweiten, fast schon mächtiger zu werden als ich. Es hat mich krank gemacht. Die Sorge um mein Volk, um das ganze Land, das auf mich vertraute, um meinen Bruder, der auf mich hoffte und mich so sehr brauchte... Irgendwann musste ich handeln. Es war kurz nach meinem achtzehnten Namenstag und ich ritt mit meinen Wachen durch einen der Stadtteile Thebens, in denen viele der abtrünnigen Ratsmitglieder lebten. Ich sah, wie sie ihre Untergebenen behandelten und ich beschloss, dass ich so nicht weiterleben konnte. Ich musste ihnen Einhalt gebieten."

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