Im Angesicht der Wahrheit

Triggerwarnungen für dieses Kapitel: Beschreibungen von körperlicher Gewalt, viel Blut, offenen Wunden, abgetrennten Gliedmaßen, Tod, Angst und Schmerz (In diesem Kapitel ist der Aspekt auch teilweise auf den seelischen Schmerz gerichtet, also bitte passt auf euch auf.)

Und falls euch das nicht zu viel wird, empfehle ich auch den oben verlinkten Song anzuhören. Er ist unglaublich gut und spiegelt die Stimmung dieses Kapitels ziemlich akkurat.  

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Jisungs Pov:

Mein Magen begann zu rebellieren und ich würgte, als ich die große Blutlache sah, in der der Kommandant der Stadtwache breitbeinig stand. Seine Augen waren schwarze Seen des Hasses und frisches Blut tropfte von seiner gebogenen Klinge. Er wirkte nicht länger wie der stille Beschützer, für den ich ihn immer gehalten hatte. Denn jetzt, in diesem Moment, zeigte er sein wahres Gesicht, das er bisher immer hinter einer unsichtbaren Maske verborgen hatte. Hyunjins schwarzes Haar glitt zwischen seinen Fingern hindurch, als er dessen leblosen Körper einfach in die Blutlache fallen ließ.


Ich zwang mich, den leeren, aber panisch aufgerissenen Augen von Hyunjin zu begegnen, die mich allzu schmerzlich an Seungmins gebrochene Iriden erinnerten. Und in dieser Sekunde wurde mir unmissverständlich bewusst, dass nach diesem Abend nichts mehr sein würde wie zuvor. Dass dies der Augenblick war, vor dem ich so lange Angst gehabt hatte und der über mein Glück und das vieler anderer entscheiden würde.

Doch warum fühlt es sich dann so an, als wäre bereits alles verloren? Und warum musste es auch noch Hyunjin treffen? Warum?

Dieser Frage schien Changbin ganz besonders aus dem Weg gehen zu wollen, denn er agierte unglaublich schnell, während alle um ihn herum noch immer fassungslos auf sein blutbespritztes Schwert und seine finstere Miene starrten. Der Kommandant der Stadtwache erkannte, dass Felix – der ihm am nächsten stand – seinen eigenen Schutz kläglich vernachlässigte, vermutlich, weil er nicht glauben konnte, dass sein eigener Geliebter gerade im Begriff war, ihn vollkommen zu hintergehen. Der Schwarzhaarige machte jedenfalls einen gekonnten Ausfallschritt und riss seine Waffe nach oben, um nun Felix zu attackieren. Dessen Augen weiteten sich in Erkenntnis und Schmerz, als ihm bewusst wurde, dass der Mann, den er aufrichtig liebte, seine Schwäche ausnutzte und im Begriff war, ihn als Nächstes umzubringen. Nur Minhos beherzte Reaktion rettete den erstarrten Großwesir vor dem Verlust seines Lebens. In letzter Sekunde stieß Minho Felix in einer Verzweiflungstat grob zur Seite, sodass die herabsausende Klinge nur eine lange, oberflächliche Wunde in den Oberarm des Braunhaarigen schnitt. Doch dieser schien den körperlichen Schmerz kaum wahrzunehmen, zu betäubt war er von dem Grauen, das ihm weiterhin direkt in die Augen sah.

Eine bedrückende Stille legte sich über die Szenerie und sogar der Kampfeslärm ebbte ein wenig ab, als sich plötzlich Changbin und Minho als Kontrahenten gegenüberstanden. Minho mit wut- und schmerzverzerrtem Gesicht und Changbin mit einem Antlitz aus überlegener Ruhe, die so unnahbar wirkte wie bei unserer ersten Begegnung.

Mich fröstelte es unweigerlich, als ich mich an all die Situationen erinnerte, in denen ich mit ihm gesprochen hatte. Und noch kälter wurde mir, als mir bewusst wurde, wie blind und vor allem wie taub ich gewesen war.

Er war schon immer unnahbar, abweisend, reserviert... Und seine Drohung an Felix gleich an meinem ersten Tag in Theben – war sie ebenfalls echt?

Mit einem Erschaudern rief ich mir die Worte des Kommandanten in den Sinn, als er Felix damals so kalt angesehen hatte.

„Ich sage dir eins, Lee Felix, wenn du mich weiterhin überwachen lässt, werde ich dich einfach verschwinden lassen und niemand wird dich je wiedersehen."

Damals habe ich geglaubt, er scherzt. Aber heute... heute würde ich es ihm zutrauen. Ob er genau das mit Nafi getan hat, nachdem er gehört hat, dass er mit Minho und mir gesprochen hat?

Die Erkenntnis traf mich hart und fast so schmerzhaft wie ein physischer Schlag ins Gesicht.

Nafi hat mir gesagt, dass Changbin öfter im Tempel bei Senmut war. Er hätte verraten können, dass Changbin nicht nur für ein oder zwei Befragungen der Priester dort war, sondern dass er sich mit Senmut austauschte. Deshalb musste er ihn zum Schweigen bringen.

„Felix! Konzentrier dich!", herrschte Minho seinen Freund an und behielt Changbin dennoch fest im Blick. Ihm war bewusst, dass er keinen falschen Schritt tun oder sich abwenden durfte, aber ebenso wenig wollte er riskieren, dass Felix starb, weil sich dieser in seiner Gemütslage nicht vor den Maskierten schützen konnte.

Diesmal reagierte der Braunhaarige glücklicherweise, er straffte seine Haltung und hob seine Waffe an, um sich dann unerschrocken den verbleibenden Attentätern entgegenzuwerfen. Er konzentrierte sich verbissen auf sein Ziel: Minho vor den übrigen Angreifern zu schützen, während dieser nun begann, Changbins Bewegungen zu folgen, die aussahen, als wollte dieser sich wie eine Raubkatze anschleichen.

„Warum?", zischte Minho durch seine zusammengebissenen Zähne und ich erzitterte, weil ich ihn selbst über diese Distanz hörte und er die Frage stellte, die mich ebenfalls brennend interessierte.

„Du hast damals auch einen großen Teil meiner Familie ausgelöscht. Erinnerst du dich?", knurrte Changbin eisig und ich benötigte nur wenige Sekunden, um zu verstehen, von welchem Ereignis hier gesprochen wurde: Die Hinrichtung der für den Tod seiner Eltern verantwortlichen Ratsmitglieder. „Hast du je daran gedacht, dass die Mächtigsten im Rat ebenso die anderen Familienoberhäupter gezwungen hatten, dieser Tat zuzustimmen und sie auszuführen?", fügte Changbin hinzu, als er in Minhos Augen die Erkenntnis und danach den Wunsch nach Vergeltung aufblitzen sah.

Bevor der Pharao etwas erwidern konnte, sprang Changbin unvermittelt vor, riss das Schwert hoch über seinen Kopf und ließ es mit schrecklicher Wucht auf Minhos blutverschmierte Klinge krachen. Es tat selbst beim Zusehen weh, als die Klingen voneinander abfederten und die Kraft des Aufpralls die Kontrahenten auseinanderriss. Gleichzeitig war ich ein wenig erleichtert, dass Minho den Schlag so leicht hatte abwehren können. Er schien zwar angespannt und wütend, aber nicht unterlegen zu sein.

Erneut umkreisten sich die beiden und nun kam auch Minhos Antwort – dunkel und voller Verachtung für das, was Changbin heute getan hatte. „Dann waren sie trotzdem nicht weniger schuldig. Sie hätten die Tat verhindern können, indem sie meine Eltern vor ihr gewarnt hätten. Aber statt diese alte, längst gesühnte Schuld ruhen zu lassen, verschwörst du dich mit Senmut und willst nun mich umbringen?"

Changbins Miene regte sich noch immer nicht, als er Minhos Worte aufnahm und eine Entgegnung hervorbrachte: „So scheint es. Zunächst wollte ich mit Senmuts Hilfe nur meine Rache an dir üben. Aber er brachte mich dazu, größer zu denken... für das Wohl und die Sicherheit ganz Ägyptens zu sorgen. Einen Pharao und seine nächsten Angehörigen zu töten, ist der einzige Weg, um selbst seinen Platz einnehmen zu können. Ich habe mir dein Vertrauen und meine Stellung nicht umsonst erarbeitet."

Diese Worte ließen nun auch in mir eine flammende Wut erwachen und ich umschloss die geschärfte Gewandnadel in meiner Hand fester.

Seine Wut über den Tod seiner Familie kann ich verstehen. Darin sind sich Minho und er sehr ähnlich. Doch dass er in diesem brodelnden Zorn Minhos gute Taten nicht von diesem einen Fehler unterscheiden kann, ist tragisch. Er hat sich von Senmut einwickeln lassen. Durch den unverarbeiteten Schmerz war er ein leichtes Opfer für diesen durchtriebenen Priester... dieser wartet doch nur auf eine fügsame Puppe auf dem Thron, die er nach seinen Vorstellungen lenken kann.

Mein Ziel war es nun, Minho, so gut es möglich war, beizustehen. Dazu musste ich aber irgendwie näher an ihn und Changbin heran.

Wenn ich ihn aufhalte, wird Minho nichts geschehen.

Gerade als ich genügend Mut gefasst hatte, gelang es einem Attentäter, an den übrigen Palastwachen und Felix vorbeizuschlüpfen. Er stürzte sich sogleich auf Minho, der geistesgegenwärtig reagierte und den Schlag seitlich parierte. Gleichzeitig hechtete Changbin auf ihn zu, um ihn in einem unaufmerksamen Moment zu verletzen. Ich schrie seinen Namen und schob mich verzweifelt an der Wand entlang in seine Richtung. Dann verharrte ich wieder, weil ich Chans herumwirbelndem Speer beinahe in die Quere gekommen wäre.

Minho hatte es glücklicherweise geschafft, den Maskierten rechtzeitig zu überwältigen, indem er seinen Bauch einmal quer aufgeschlitzt hatte. In der nächsten Sekunde stieß er Changbin mit einem Tritt grob von sich, dem es dadurch nur gelang, einen langen Schnitt an Minhos Wade zu hinterlassen.

Mit rasendem Herzen beobachtete ich die zwei Kämpfenden, bevor eine weitere Erinnerung an ein Gespräch mit Changbin meinen Verstand überflutete.

„Nein, es war keine Ungerechtigkeit, die mir widerfahren ist. Vielmehr gibt es in diesem Leben Hindernisse, die sich nicht so leicht überwinden lassen..."

Ob er damit sagen wollte, dass es nicht ihm widerfahren ist, sondern seinen Eltern? Hatte er schon damals Pläne, wie er Minho und mich am besten loswird? Und woher weiß er jetzt von unseren Kindern? Ob er einen der Ärzte bestochen hat?

„Du wolltest durch eine Heirat mit Rachel oder Olivia also lediglich Zugang zum Thron erhalten, da sie genau wie Felix einen Anspruch hätten, sollten Jeongin und ich sterben", mutmaßte Minho nun und spie die Worte wie tödliches Gift aus.

Kurz erhaschte ich einen Blick auf Felix, der dem Gespräch offenbar neben den Kämpfen lauschte, denn sein Kiefer spannte sich an und der nächste Schwerthieb trennte seinem derzeitigen Gegner den Kopf sauber von den Schultern.

Changbin nickte. „Zuerst war das meine Absicht. Dann habe ich gehofft, ich könnte mich mit Jisung verbünden. Er wirkte am Anfang nicht gerade angetan von dir und er war dir gleichzeitig so nahe... aber leider stellte sich heraus, dass er ebenso loyal ist. Also musste ich anders in den Kreis deiner engsten Vertrauten kommen." Sein Blick zuckte sekundenlang zu Felix, der daraufhin voller Abscheu die Zähne bleckte, und doch erkannte ich den Verrat und den Schmerz in seinen Augen flackern. Sofort taxierte Changbin wieder Minho und sagte so ruhig, als würde er über das Wetter sprechen: „Du hättest schon viel früher durch das Gift in deinem Wein sterben sollen. Senmut hat es mir gegeben und ich habe wiederum deinen Diener bestochen... dass dann ausgerechnet Seungmin deinen Wein trinkt, habe ich nicht gewollt."

Ich beschloss, dass ich mittlerweile genug gehört hatte, um sicher zu sein, dass ich Changbin nicht mit Worten zum Aufgeben bewegen konnte. Deshalb umfasste ich meine Waffe fester und wischte mit dem Handrücken der anderen Hand den Tränenschleier vor meinen Augen fort.

So viel unnötiger Hass. So viel berechtigter Schmerz, der dennoch keinen Sinn erhält, wenn man jemand anderem dafür noch schlimmere Schmerzen zufügt. Ich muss Minho erreichen, bevor ihm auch etwas passiert.

Erneut ging Changbin mit brutaler Gewalt auf meinen Gemahl los, vermutlich in der Hoffnung, seine Wut und Trauer um Hyunjins und Seungmins Tod würden sein Geschick im Kampf beeinflussen – auch wenn ich das bezweifelte.

Um zu Minho zu gelangen, musste ich auch an Hyunjins Leiche vorbei, die nun beinahe vergessen neben all den anderen Toten am Boden lag. Ein dumpfes Pochen in meiner Brust verriet meinen Schmerz über diesen weiteren unnötig grausamen Verlust. Yeji hockte dicht neben ihrem Cousin auf dem kalten Granit und zum ersten Mal seit ich diese starke Frau kennengelernt hatte, sah ich Tränen wie Sturzbäche über ihre Wangen fließen, während sie Hyunjins schlaffe Hand hielt und nichts anderes um sich herum wahrzunehmen schien. Allein dieser Anblick ließ mein Herz noch weiter brechen und trotzdem wandte ich meine Augen zurück zu der Person, die ich unbedingt beschützen musste.

Minho kämpfte verbissen und mit voller Kraft, auch wenn ich inzwischen einige kleinere Verletzungen an seinen Armen und Beinen erkannte. Besonders die Wunde an seiner Wade verlor bei jedem Schritt, jedem Gewichtsverlagern mehr Blut. Aber eigentlich war so gut wie keiner der Anwesenden unverletzt. Sogar Jeongins Wange zierte ein Schnitt und aus Chans linkem Oberschenkel ragte ein abgebrochener Pfeil oder zumindest ein spitzes Stück Holz. Womöglich stammte es auch von einer gesplitterten Lanze.

Nur ich war bis auf kleinere Prellungen unversehrt, und mit dem sehnlichen Wunsch, es dabei bewenden zu lassen, bewegte ich mich weiter auf Changbin zu, der gerade nur auf Minho fokussiert schien.

„Pass auf, Jisung!", rief mir Chan plötzlich zu, der einem unserer Soldaten zu Hilfe eilte, aber dabei nicht verhindern konnte, dass gleich zwei weitere Maskierte an ihm vorbei und damit zu mir in den Gang gelangten. Nur einer wandte sich in meine Richtung, der andere hatte es offenbar auf meinen in den Kampf mit Changbin versunkenen Gemahl abgesehen.

Rasch schätzte ich meine Chancen ab, Minho eher zu erreichen, aber entschied mich lieber dazu, ihn verbal vorzuwarnen. Allerdings erkannte mein Gegner meine Absicht ebenso schnell und er sprang in dem Moment vor, in dem ich den Mund öffnete. Mehr aus purem Selbstschutz duckte ich mich, stolperte dabei zurück und entging der heransausenden Klinge.

Der maskierte Attentäter hatte ebenfalls zu viel Wucht in seinen Schlag gelegt und strauchelte nach vorn, was ich geistesgegenwärtig ausnutzte und ihm meine spitze Klinge wahllos in Schulter und Hals stach. Beim ersten Stich fühlte es sich seltsam an, als die leicht gebogene Gewandnadel nach kurzem Widerstand durch Haut und Fleisch glitt. Aber ich verdrängte jegliche Zweifel, die mich zögern lassen würden, und stach wieder und wieder zu, bis der Mann vor mir zusammensackte und am Boden liegenblieb. Ein Klirren ertönte und erst wenige Sekunden später merkte ich, dass ich meine eigene Waffe hatte fallenlassen, nachdem meine blutverschmierten und zitternden Finger sie nicht mehr hatten halten können. Die gesamte Länge der Nadel und sogar das Griffstück waren blutig, und erst als ich meine rot verfärbte Handfläche zu mir drehte, erkannte ich, dass mir die scharfen Kanten der Verzierungen Verletzungen zugefügt hatten.

Hastig riss ich mich von dem Anblick wieder los und sah gerade noch, wie der zweite Maskierte hinter Minho trat, der sich verbittert gegen Changbins Schwerhiebe wehrte.

„NEIN!"

Mein gellender Schrei verhinderte leider nicht, dass die aufblitzende, scharfe Klinge durch Minhos Brustharnisch und die Kleidung drang und sich tief in seinen Rücken bohrte.

Ohne noch auf meine Umgebung zu achten, stolperte ich los. „Nein!"

Minhos Körper erstarrte mitten in der Bewegung und dann hörte ich ein beklemmendes Geräusch, das sich halb nach einem schmerzerfüllten Schrei, halb nach einem wütenden Kampfgebrüll anhörte. Changbin nutzte diese Gelegenheit auf seine Weise und zog Minho zu sich herab.

Aus meiner Position konnte ich nicht erkennen, was genau passierte, aber an Felix fassungsloser Mimik – als dieser sich panisch zu Minho und Changbin umwandte – erahnte ich, dass es schrecklich war. Schrecklicher als die Klinge in seinem Rücken, denn diese schien der Großwesir noch nicht bemerkt zu haben.

Dafür keimte eine stählerne Entschlossenheit in Felix Augen auf. Er umklammerte seine Waffe so fest, dass seine Knöchel weiß wurden, und als Changbin dem nächsten verzweifelten Hieb von Minhos Schwert entging und ihn dafür verspottete, schien der letzte Funken Liebe in seinem Herzen zu verglühen. Als hätte man ein aufloderndes Feuer mit einer Decke erstickt.

„Das ist alles, was du noch kannst, großer Pharao?"

„Nein", knurrte Felix stattdessen, als er mit einer geschmeidigen Bewegung seine Klinge nach oben riss und sie dann gerade nach vorn stieß. Da er seitlich von Minho und Changbin gestanden hatte, durchbohrte er zielgenau Changbins Schädel, zog die Klinge dann ruckartig zurück und stützte Minhos Körper ab, als Changbin leblos zu Boden stürzte.

„Minho!", rief ich voller Schmerz und Verzweiflung, überwältigte dann den Attentäter, der noch immer kampfbereit mit seiner blutbefleckten Waffe hinter meinem Pharao stand, und schlug so fest ich es vermochte, gegen seine Schläfe. Mehrmals prallte meine Faust gegen seinen ungeschützten Schädel, bis der Kopf des Mannes bewusstlos zurücksackte und ich ihn einfach fallenließ. Stattdessen suchte mein Blick sogleich Minho, der sich nun anschickte, sich zu mir umzudrehen. Allerdings waren seine Bewegungen bereits schwankend und unsicher. Rasch lief ich zu ihm, zog ihn an mich und taumelte nach hinten, als ich kurzzeitig unser beider Gewicht halten musste. Felix baute sich pflichtbewusst vor uns auf und schirmte uns somit von dem restlichen Kampfgeschehen ab.

„Jisung~"

Mein Name kam leise und gepresst über Minhos Lippen und sein rasselnder Atemzug danach verriet mir, dass der Schwertstich mit großer Wahrscheinlichkeit die Lunge getroffen hatte. Meine Unterlippe begann zu beben und mein ganzer Körper fühlte sich taub an. Trotzdem streckte ich meine Hand nach Minhos Wange aus, denn bisher hatte er den Kopf gesenkt gehalten, sodass seine dunklen Strähnen sein Gesicht größtenteils verdeckten. Dennoch spürte ich das warme, feuchte Blut unter meinen Fingern sofort und ich wollte weinen, als ich meinen Geliebten so verwundet vorfand.

„Es tut mir so leid, Minho. Ich hätte besser-"

Aber da hob er endlich den Kopf und ich zuckte zusammen. Mein Körper fühlte sich plötzlich nicht mehr nach meinem eigenen an und meine Welt hörte auf, sich zu drehen. Minhos dunkelbraune Strähnen rahmten sein Gesicht, klebten teilweise aber auch durch das Blut an seiner Haut. Seine gesamte linke Gesichtshälfte war mit Blut bedeckt und doch war die rote Flüssigkeit nicht das, was mich erstarren ließ. Meine Augen brannten und ein Schluchzer entrang sich mühsam meiner Kehle, sodass es sogar schmerzte, den Laut hervorzubringen, als ich in das verbleibende rechte Auge starrte, das verzweifelt versuchte, meinen Anblick in sich aufzunehmen.

Dort, wo zuvor das linke Auge gesessen hatte, klaffte eine tiefe, dunkle Höhle. Das sonst so makellose Gesicht meines geliebten Pharaos war entstellt und verschmiert von Blut – seinem eigenen Blut. Dunkel und zähflüssig rann es wie ungeweinte Tränen die linke Wange hinab und ich zuckte erneut zusammen, als eine der roten Tränen meine Finger berührte.

„Flieh, Jisung~ Du musst zurück in deine Zeit", keuchte Minho, und ich bemühte mich, seine Worte überhaupt deutlich zu verstehen, doch als ich deren Sinn erfasste, schüttelte ich hektisch den Kopf und protestierte.

„Ich bleibe bei dir. Ich werde dich nicht verlassen. Ich liebe dich."

Ein gequältes Lächeln zuckte über Minhos Lippen und sein verbleibendes Auge versprühte so viel Liebe, dass es für beide auszureichen schien. „Du musst gehen. Geh zu meinem Grab."

Dann sank er kraftlos gegen mich und da ich sein Gewicht so nicht länger halten konnte, ließ ich mich zu Boden sinken, bettete seinen Kopf behutsam auf meinem Schoß und strich ihm einzelne Haarsträhnen aus der Stirn.

„Ich habe dir versprochen, dich nicht zu verlassen", gab ich trotzig und doch vom Weinen geschüttelt zurück. „Niemals." Bei einem weiteren, scheuen Blick in Minhos Gesicht wich mein Kampfgeist allmählich und machte einer lähmenden Angst Platz. Minhos Atem wurde rasch flacher und ich konnte das Blut erkennen, das nun aus seinem Mund quoll. Dennoch schaffte er es irgendwie, die Kraft zu finden, nach meiner Hand zu fassen und sie fest in seine zu nehmen.

„Geh, Jisung. Es ist nicht deine Bestimmung, heute zu sterben, sondern meine", wisperte Minho und sein rechtes Auge bohrte sich förmlich in meinen von Tränen getrübten Blick. „Du bist der Gemahl eines Pharaos. Wir sind von den Göttern für die Ewigkeit verbunden worden. Auch wenn du mich nicht sehen kannst, bin ich immer an deiner Seite. Und ich verspreche dir, dass ich dich in der Duat finden werde."

Gepeinigt schluchzte ich auf und presste seine Hand an meine Wange.

„Nein, nicht so. Es darf nicht so enden."

Ein scharfer Schmerz durchzuckte meinen Unterleib, als eines der Babys mich trat, und ich weinte heftiger, weil mir bewusst wurde, dass die beiden Kleinen meine seelische Qual ebenso spürten. Sicher nahmen sie meine Angst und die innere Zerrissenheit ebenfalls wahr.

Ich presste Minhos Hand gegen meinen Bauch.

„Du darfst uns nicht verlassen."

Aber ich wusste, dass es zu spät war, als das entschuldigende Funkeln in Minhos rechtem Auge brach und einem glasigen Nichts wich. Einfach so. Kein letzter tiefer Atemzug, kein weiteres Wort. Nichts.

Ich schrie. Ich schrie, sodass es in meiner Kehle schmerzte und es von den Wänden widerhallte.

Urplötzlich war Felix direkt neben mir und umfasste eisern meinen Oberarm. Er zog mich auf die Beine und weg von Minho. Ich wollte schon protestieren, aber dann blickte ich in Jeongins tränennasses Gesicht und anschließend in das von Chan, als sie sich knapp zu mir umwandten. Jeongin kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, als er Minho tot am Boden erkannte, dann sah er zu mir. „Tu, was Minho dir aufgetragen hat, Jisung. Dein Schutz war ihm am wichtigsten. Wir werden sie aufhalten."

Noch nie hatte ich Jeongin so verbissen kämpfen sehen, als er sich diesmal umwandte und mit einem Hieb gleich zwei Gegner traf. Aber ich hatte nicht die Gelegenheit, ihm noch irgendetwas zu sagen oder ihm auch nur zu erklären, dass er nun Pharao werden würde. Stattdessen wurde ich von Felix mitgerissen, der trotz seiner Verletzungen jedem Angreifer die Stirn bot und es somit schaffte, uns durch eine Lücke in den Seitengang zu schieben und die wenigen verbleibenden Verfolger abzuschütteln.

Erst zwei Quergänge weiter hielt er kurz inne, drehte mich zu sich und presste voller Trauer und Schmerz hervor. „Minhos Anweisungen für diesen Fall waren eindeutig. Meine Aufgabe ist jetzt, dich zu schützen. Ich werde dich aus der Stadt hinausbringen, so wie- wie er es gewollt hat. Dorthin wo du seiner Meinung nach am sichersten bist."


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Ich glaube, für heute habe ich euch genug gequält. Das zweite Kapitel bekommt ihr morgen. Und natürlich quäle ich euch nicht gern, aber für meine erdachte Handlung, muss nun einmal alles so passieren...

I love you Stay. 💕

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