Hathors Segen

Jisungs Pov:

Warum immer mir dieses Glück zuteilwurde, fragte ich mich auch wenig später noch, als sich Minho von der Tafel erhob und mir einen Blick schenkte, der nur heißen konnte, dass er jetzt gehen wollte und ich ihn begleiten sollte. Zwar stieg mein Puls an, aber diesmal schaffte ich es immerhin, äußerlich ruhig zu bleiben. Ich fühlte mich nicht mehr so eingeschüchtert und insgeheim hoffte ich wohl, dass all das Erlebte in Memphis etwas zwischen uns geändert hatte, dass ich ihm nun vertrauen konnte und er nichts von mir fordern würde, was ich nicht bereit war zu geben.

Aber verdammt, was sollte ich überhaupt erwarten? Was ist, wenn wir uns annähern und ich feststelle, dass da doch mehr ist? Will ich überhaupt, dass sich alles ändert, dass es noch komplizierter wird? Noch eine Inkonstante in meinem Leben kann ich momentan nicht gebrauchen.

Allerdings vergas ich die Etikette diesmal nicht, erhob mich, trat dann zu Minho hinüber und neigte ehrerbietig mein Haupt. Zwar hielt ich immer noch einen gebührenden Abstand, aber dieser war nicht mehr so schrecklich leer und klaffend wie zu Beginn unserer Kennenlernphase.

Als ich einen letzten Blick auf die versammelte Gesellschaft warf, erkannte ich Hyunjins finstere Miene und den aufmerksamen Blick von Yeji, der wie immer einiges an Kalkulation und Klugheit barg.

„Komm Jisung."

Eilig schenkte ich dem Pharao meine volle Aufmerksamkeit und ergriff verblüfft seine Hand, als er mir diese entgegenstreckte. Seine sehnigen Finger umschlossen meine fest, aber nicht unangenehm fest. Und schon trat ich hinaus auf den Gang, verengte die Augen, um nicht vom Sonnenlicht geblendet zu werden, und folgte dem Pharao, der nun zielstrebig zwischen den hoch aufragenden Säulen auf seine Gemächer zusteuerte.

Ich versuchte mir probehalber schon einmal Ausreden einfallen zu lassen, sollte die Situation sich nicht so positiv entwickeln. Die beste Ausflucht war wohl immer noch meine Verletzung am Rücken, die zwar gut verheilte und kaum Probleme bereitete, dennoch könnte sie ein nützliches Schutzschild sein.

Nach einem kurzen Seitenblick auf Minhos entspanntes Gesicht wünschte ich mir beinahe, ich müsste mir nicht solche Gedanken machen und könnte einfach dem Moment vertrauen, aber meine Vorsicht riet mir, stets einen Ausweg offen zu halten.

Minhos Anblick allein, der mit erhobenem Haupt und raumgreifenden Schritten den Gang entlanglief, ließ mir einen kleinen Schauer der Bewunderung und Verzückung den Rücken hinablaufen. Er wirkte so souverän, zielstrebig und anziehend. Seine Wachen in ihren bronzenen Harnischen und Helmen komplettierten dieses Bild der Macht und Würde nur, während ich eher mühsam schritthielt und kaum wusste, wie mir geschah.

Nach nur zwei weiteren, langen Gängen standen wir vor dem allzeit bewachten Königsgemach und es lag eine seltsame Atmosphäre zwischen Anspannung und Neugier in der Luft, als wir gemeinsam durch die Tür in Minhos private Räume traten. Hinter uns schlossen sich die Türflügel wieder und schon war ich allein mit dem mächtigsten Mann dieses Landes. Minhos Hand löste sich von meinen Fingern und das wärmende Gefühl, das mich unterbewusst wohl beruhigt hatte, verschwand langsam.

„Kannst du lesen, Jisung?" Überrascht blinzelte ich und wollte im ersten Moment schon ja sagen, bis mir einfiel, dass ich die Hieroglyphen zwar entziffern, aber bei Weitem nicht fließend lesen konnte... oder doch?

„Ein wenig, mein König." Gestand ich und wunderte mich über diese Frage. Doch der Dunkelhaarige nickte verstehend und reichte mir dann ungefragt eine Schriftrolle. Zögernd nahm ich sie entgegen und wusste nicht so recht, was ich damit tun sollte.

„Setz dich, mach es dir gemütlich und dann lies mir den Bericht vor, der dort abgefasst ist. Ich möchte noch einige taktische Vorgehensweisen für die Stationierung meiner Kämpfer überdenken und nebenbei kann ich über die vorgetragenen Klagen und Bitten entscheiden."

Ich war beeindruckt, dass er beides gleichzeitig tun wollte, aber nahm sein Angebot an und begab mich zu einem der weichen Divane. Zu meiner Freude fand ich dort bereits zwei eingerollte Katzen, die mein Auftauchen mit einem trägen Blinzeln zur Kenntnis nahmen und sich dann erneut ihrem Mittagsschlaf widmeten. Also setzte ich mich umsichtig auf die andere der gemütlichen Sitzgelegenheiten im Raum und beobachtete, wie Minho nicht weit von mir an einen Tisch trat, sich aufmerksam über diesen beugte und eine Art Karte studierte. Auf dem Tisch stand ebenfalls eine kleine Schatulle, die einen zarten Duft nach getrockneten Kräutern verströmte.

Allerdings fiel mir schnell meine eigentliche Aufgabe wieder ein und mit etwas zittrigen Fingern entknotete ich das Lederband um die Papyrusrolle. In recht sauberer Handschrift waren jede Menge Hieroglyphen darauf abgebildet und erleichtert stellte ich fest, dass ich sie durchaus lesen konnte.

Ich nahm mir noch einen Moment Zeit, überflog die ersten Zeilen, um einen groben Eindruck von dem Inhalt zu bekommen und begann dann langsam den ersten Satz.

„Euer ergebener Diener und Kommandant der Stadtwache Thebens, Changbin, lässt euch die besten Wünsche übersenden und schlägt vor, zur Sicherung der Stadt vor dem Eintreffen eures Bruders noch weitere zwanzig Mann als Wachen anstellen zu lassen. Ebenso empfiehlt er, den Ankommenden eine Garde von zehn vertrauenswürdigen Kämpfern als Eskorte entgegenzuschicken, sodass man sie gleich zum Palast geleiten kann."

Ich hielt kurz inne, um den nächsten Satz möglichst sinngemäß übersetzen zu können, als Minho ein zustimmendes Summen ausstieß. „Das sind wohldurchdachte Maßnahmen, ich werde sie berücksichtigen. Die zusätzlichen Wachen und ihren Unterhalt soll er bekommen. Was den Empfang meines Bruders betrifft, werde ich Felix bitten, die richtigen Männer für diese Aufgabe zu erwählen. War das bereits alles, was Changbin mitteilen wollte?"

Einige Sekunden benötigte ich noch, um mich an die exakte Übersetzung einer Hieroglyphe zu erinnern.

„Nein, er verweist weiterhin auf den Neubau eines Teils der Stadtmauer und die Erinnerung an sein letztes Gesuch an euch."

Ich runzelte die Stirn, da mir der letzte Satzteil sehr kryptisch erschien. Diesmal gluckste Minho vergnügt und ich sah fragend auf, in der Erwartung, irgendwas Komisches gesagt oder die Nachricht falsch übersetzt zu haben.

„Das sieht Changbin ähnlich, gleich nach dem Anfangsgeplänkel zum Kern seiner Bitte zu kommen. So viel Unverfrorenheit, obwohl er genau weiß, dass er sich nach seinen Eskapaden mit Felix zurückhalten sollte."

Neugierig geworden durch die Worte, legte ich den Kopf schief und fragte nach. „Was ist da passiert? Ich habe sie beide einmal darüber sprechen hören, aber nichts Genaues erfahren können." Besser war, ich hielt mich bedeckt und plauderte nicht gleich aus, dass ich glaubte, dass viel aufgestaute Frustration und unausgesprochene Gefühle im Spiel waren.

Diesmal sah Minho von der Karte vor sich auf und stellte eine kleine Holzfigur zurück auf ihren Platz. „Ist mein Kätzchen etwa neugierig?", fragte er mit rauer Stimme, die mir eine Gänsehaut bescherte, und dann hob er auch noch herausfordernd eine Augenbraue, so als wüsste er bereits, an was ich denke. Rasch senkte ich den Blick und versuchte so zu tun, als hätte mich seine Entdeckung meines Wissensdurstes tatsächlich beschämt. „Niemals, eure Majestät."

Nun war Minhos Lachen lauter und er betrachtete mich weiterhin mit einem schelmischen Funkeln in den braunen Augen, bis er freimütig sein Wissen preisgab. „Changbin hatte gleichzeitig ein Verhältnis mit Olivia und Rachel, das sind die Schwestern von Felix. Sagen wir es so: Mein Wesir war nicht gerade erfreut, als er dies herausfand und ich zugegeben auch nicht, denn ich bezweifle die ernsthaften Absichten meines sonst so zuverlässigen Kommandanten." Dann schwieg er einen Augenblick, bevor er nachdenklich hinzufügte." Als Felix ihn mit Rachel erwischte, hat Changbin mich kurz darauf um ihre Hand gebeten... ich habe ihm bisher keine Einwilligung erteilt. Hauptsächlich, weil ich fürchte, dass Felix selbst Gefallen an Changbin gefunden hat."

Positiv überrascht und ebenso verblüfft von dem Scharfsinn und der raschen Kombinationsgabe des jungen Pharao musterte ich diesen.

Er macht sich also tatsächlich Gedanken um seine Untertanen. Er hat gesehen, wie Felix fühlt und er ist zu denselben Schlussfolgerungen gekommen wie ich.

„Das denke ich auch", hörte ich mich da schon sagen und Minho legte leicht den Kopf schief und forderte mich somit stumm auf, ihm zu erzählen, was ich wusste.

„Ich- ich habe Changbin und Felix am ersten Tag unserer Reise nach Memphis streiten hören. Es ging um Changbins Ersuch an euch. Felix hat ihm gesagt, dass er ihm niemals seine Schwester geben würde und- und nachdem Changbin ihm vorgehalten hat, Felix habe sich seit ihrer gemeinsamen Kindheit stark verändert und dann wütend davongegangen ist, hat Felix sich selbst eingestanden, dass er mehr in Changbin sieht, aber ihn seine Pflicht von einer Offenlegung seiner Gefühle abhält."

Für einen Moment wirkte Minho abwesend und seine Haltung spannte sich an. Der Glanz verschwand aus seinen Augen. „Das ist meine Schuld", wisperte er so leise, dass ich ihn kaum verstand und es erschreckte mich, wie ernst diese Worte klangen.

„Wie-wie meinst du das?", hakte ich nach und fühlte mich fast wie ein Verbrecher, der zu tief in fremden Angelegenheiten wühlte.

Ob das etwas mit seiner Machtergreifung zu tun hat? Ob Felix ihm freiwillig dabei geholfen hat?

Meine Frage schien Minho aus seinem Zustand der Lethargie zu holen, denn sein Kopf ruckte nach oben und er blickte mich intensiv an, bevor er langsam sprach. „Felix hat viel für mich geopfert – so wie viele Menschen." Erneut teilten sich die zartgeschwungenen Lippen, aber keine weiteren Worte drangen hervor. Als ich erkannte, wie schwer es ihm fiel, darüber zu sprechen und ich auch bei mir eine gewisse Anspannung spürte, entschied ich, das Thema in eine andere Richtung zu lenken.

„Denkst du, es gibt etwas, das Felix und Changbin einander wieder annähert?"

Allmählich klärten sich die dunklen Schatten in den sonst so schokoladenfarbigen Augen.

„Das möchte ich doch hoffen. Möglicherweise sollte ich noch einmal mit Changbin sprechen und ihm die Augen für das öffnen, was er wirklich will."

Ein sanftes Lächeln erschien auf meinen Lippen. „Eine ausgezeichnete Idee. Ich habe bereits versucht, ihn dahingehend zu lenken, aber auf euren Rat hört er sicher mehr."

Nun war es an Minho, erstaunt dreinzublicken. „Du hast bereits mit ihm gesprochen?"

Eifrig nickte ich und fand das folgende amüsierte Hochziehen des Mundwinkels sehr niedlich an Minho.

„Dann haben wir uns wohl beide verschworen, um zwei verlorenen Seelen zu helfen. Vielleicht ist es klüger, auch Felix ins Gewissen zu reden. Er mag durchtrieben und impulsiv sein, aber ich werde ihm klarmachen, dass es hier um sein Glück geht.

Zufrieden nickte ich und fragte mich, ob man das, was Minho und ich planten, schon als Hofintrige bezeichnen konnte. Allerdings hatten wir ja nur beste Absichten für die beiden zerstrittenen Personen.

Jedenfalls wandte sich Minho jetzt erneut der Karte zu und ich deutete dies als Zeichen, weiter vorzulesen.

„Ein gewisser Ausar Bakir entrichtet euch seine ehrerbietigsten Grüße und trägt euch seine Dienste an. Er spricht davon, dass er eure Rinderherden in diesem Jahr sogar noch vergrößern konnte und ihm vor wenigen Monaten ein besonderes Kalb geboren wurde." Kurz stockte ich, da mir eine der Hieroglyphen nicht geläufig war, aber aus dem Zusammenhang konnte ich sie schlussendlich erschließen. „Ein weißes Kälbchen, das er euch als Geschenk anbieten will. Er schlägt vor, es bei einem der nächsten Götterrituale zu opfern."

Den letzten Satz sprach ich nur ungern aus und Minho hörte wohl den unterschwelligen Tadel in meiner Stimme, denn sein Blick lag erneut auf mir.

„Ist es nicht unterhaltsam, wie eilfertig und ehrerbietig Menschen werden, wenn sie für sich selbst eine Möglichkeit erahnen, aus der Masse hervorzutreten?"

Ich seufzte und ließ die Schriftrolle sinken. „Meistens tun sie dies aus den falschen Beweggründen."

Zustimmung und Verbundenheit leuchteten in den braunen Augen auf, dennoch fragte Minho spitzzüngig; „Du findest es also falsch, dieses Kälbchen zu schlachten, was mir so untertänigst angeboten wird? Wie würdest du vorgehen?"

Kurz weiteten sich meine Augen unsicher, aber als mich Minho weiterhin erwartungsvoll betrachtete, wusste ich, dass er ehrlich an meiner Meinung interessiert war. Schnell versuchte ich eine halbwegs schlüssige Antwort zu geben, ungeachtet des guten Gefühls der Wertschätzung durch Minhos Frage.

„Ihr könntet dem Mann mitteilen, dass dieses besondere Kalb ein Symbol des Glücks für eure gesamte Herde ist. Eure Herrschaft wurde durch dieses weiße Kalb von der Göttin Hathor höchstselbst gesegnet und ein solches Tier sollte man ehren und zur Zucht verwenden und es nicht opfern."

Intensiv starrte mich der Pharao einige Sekunden lang an und blinzelte dann niedlich. „Das ist wahrlich eine gute Antwort. Ich finde, so sollten wir es in dem Antwortschreiben formulieren."

Ein komisch warmes Gefühl rann durch meine Adern, also er wir sagte.

Minho positionierte sich nun so hinter dem Tisch, dass er mich im Auge behalten konnte, was mir zugegebenermaßen gar nicht so unangenehm war. Dennoch senkte ich den Kopf und nahm wieder die Schriftrolle zur Hand.

„Nagib Yehia berichtet, dass der Bau eures Grabmals gut voranschreitet. Die beiden Blöcke aus rotem Granit sind eingetroffen und haben die gewünschte Form eurer beiden Katzen."

Verwirrt runzelte ich die Stirn und als ich die nächste Zeile las, wuchs meine Ratlosigkeit noch weiter. „Er lässt euch fragen, ob ihr euch nun dafür entschieden habt, aus welchem Material die Augen der beiden Statuen gefertigt werden sollen."

Der junge Pharao sah von seiner Arbeit auf. „Ich dachte an Lapislazuli oder vielleicht auch pures Gold."

Ich biss mir kurz auf die Unterlippe, bevor ich etwas sagen konnte, und versuchte mir gleichzeitig vorzustellen, welchen Einfluss meine Einmischung haben konnte. Immerhin wusste ich, welche Edelsteine ich gesehen hatte, als ich mit Yeosang die Grabkammer betreten hatte.

Soll ich den Lauf der Dinge herausfordern und dieses Detail ändern oder es besser dabei belassen?


„Wie wäre es stattdessen mit Edelsteinen... vielleicht Smaragde oder Rubine?", hörte ich da schon meine eigene Stimme. 

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