Genau hier

Jisungs Pov:

Offenbar war Minho mit der großen Neuigkeit unserer bevorstehenden Vermählung weitaus weniger diskret umgegangen als ich. Was bei seiner Freude über meine Zusage auch durchaus verständlich für mich war. Dennoch hatte ich nicht damit gerechnet, dass es plötzlich so gut wie jeder wusste. Nicht nur die Bediensteten tuschelten hinter vorgehaltener Hand, sondern auch die wachhabenden Soldaten waren aufmerksamer und freundlicher als zuvor. Laut Yeji hatte jeder – auch die Küchenmägde, die Sklaven und mindestens die halbe Bevölkerung Thebens – die große Neuigkeit erfahren. Und Minhos Spionin hatte mir ebenfalls versichert, dass spätestens, nachdem die Boten alle wichtigen Mitglieder der Oberschicht benachrichtigt hatten, ich und meine Vermählung mit dem Pharao das Gesprächsthema Nummer eins wären und damit von nun an alle Augen auf mich gerichtet sein würden. Schließlich ehelichte der Pharao nicht jeden Tag seinen Königsgemahl, schon gar nicht, wenn dieser als Fremder in den Palast gekommen war und weder einer adligen noch einer wohlhabenden Familie entsprang. Allerdings wäre dies nicht mehr von Bedeutung, sobald ich in die königliche Familie einheiratete.

Vor allem an diesen Aspekt würde ich mich noch gewöhnen müssen: Ich würde nicht länger nur ein Mitglied von Minhos Harem sein – was mir eigentlich schon genug Aufmerksamkeit und Privilegien verschafft hatte – sondern als Minhos rechtmäßiger Hauptgemahl ebenso repräsentative Pflichten übernehmen. Das bedeutete im Klartext, ich würde bei öffentlichen Anlässen immer neben Minho stehen, ihn unterstützen, mich dem Volk präsentieren und, wenn es nötig war, sogar politische Entscheidungen treffen. Letzteres war zwar eher unwahrscheinlich, da Minho als Pharao darüber entschied, welche Verpflichtungen er mir übertrug, aber für den Fall, dass Minho nicht herrschen konnte, wäre ich derjenige, an den man sich wenden würde.

Diese immense Verantwortung machte mir durchaus Angst, aber mir war klar, dass es da Personen gab, die mir in einem solchen Fall helfen könnten. Zum Beispiel Felix, der seit jeher Minhos engster Vertrauter und Berater war. Seinem Urteil maß nicht nur der Pharao Bedeutung bei. Ich würde mich ebenso an ihn wenden können, wenn es Probleme gab. Jeongin oder Chan um Hilfe zu bitten, erschien mir ebenso sinnvoll, sollte es je zu Spannungen oder Extremsituationen kommen. Bis dahin sollte ich einfach entspannt meine Vermählung planen.

Was mich gleich zu meinem derzeitigen Problem brachte...

Um den vielen neugierigen Fragen und widersprüchlichen Planungsansätzen der anderen aus dem Weg zu gehen, hatte ich mich für heute in den Garten zurückgezogen. Ich wollte nicht noch eine weitere Stunde damit zubringen, darüber zu diskutieren, welche Kleidung ich an meinem großen Tag tragen sollte, welche Speisen ich am liebsten essen wollte, welche Gäste wir einluden oder wo diese genau im Saal sitzen sollten. Alles schien einer strengen Ordnung zu folgen, die ich jedoch nicht ganz durchschaute und deshalb als äußerst lästig empfand. Vor gut fünfzehn Minuten war mir all das schließlich über den Kopf gewachsen und ich hatte mich mehr oder wenig heimlich aus dem Staub gemacht, indem ich behauptet hatte, nur einmal kurz an die frische Luft zu müssen.

Ich schloss die Augen und genoss die Ruhe, die mich hier umgab.

Habe ich doch zu schnell zugestimmt, ihn zu heiraten? Nein, das ist es nicht. Ich weiß, dass es in meiner Zeit unkonventionell wäre, einen Partner so rasch zu ehelichen. Aber hier verläuft das Leben anders und immerhin kann ich Minho so besser unterstützen. Ich kann ihn beschützen und möglicherweise auf eigene Verantwortung Maßnahmen ergreifen, um seine Sicherheit zu gewährleisten. Außerdem möchte ich all meine Zeit mit ihm verbringen.

Ein glückliches Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als ich daran dachte, wie erleichtert und freudig Minho mich umarmt hatte, nachdem ich seinem eher unkonventionellen Antrag zugestimmt hatte. Er war danach so sanft und liebevoll gewesen und war mir den restlichen Tag nicht mehr von der Seite gewichen.

Ich möchte jede Sekunde genießen und wenn diese Sekunden zu Minuten, Stunden, Tagen und irgendwann zu Jahren werden, wäre ich mehr als dankbar. Aber das kann ich nur erreichen, wenn ich Minho nahe bin – so nahe wie nur möglich.

Es war ein unvergleichliches Gefühl gewesen, als er mich gefragt hatte. Unter meiner Angst und dem Unglauben hatte ich die tiefe Verbundenheit und Erleichterung gespürt, die uns noch enger aneinanderband. Wir waren uns in so vielen Dingen einig. Unsere Seelen waren im Einklang, also konnten wir zusammen alles schaffen. Und allmählich glaubte ich sogar daran, dass ich wissen würde, wann der Augenblick gekommen war. Alles würde sich in die richtigen Bahnen lenken, weil ich hier war und Einfluss darauf nahm.

Wesentlich entspannter als zuvor sog ich die Luft in meine Lungen und atmete bewusst langsam aus.

Wenn ich eines hier gelernt habe, dann dass ich nicht immer die Kontrolle haben kann. Ich kann nicht jeden Aspekt meines Lebens vorherbestimmen und ihn dazu zwingen, so abzulaufen, wie ich es mir wünsche oder mir vorstelle. Manchmal muss ich darauf vertrauen, dass ich bereit dazu bin, auch ohne Kontrolle die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich werde selbst die Hürden meistern, die ich nicht einkalkuliert habe, weil ich mich davon nicht mehr aus der Fassung bringen lasse. Ich schaffe das – zusammen mit Minho.

„Wusste ich doch, dass du nicht gleich zurückkommst. Schon dein eingeschüchterter Blick hat verraten, dass du dich wie ein Tier im Käfig fühlst." Ein glockenhelles Lachen folgte. „Und ich sage es dir: Ich bin froh, dass um meine Vermählung kein so übermäßiger Aufwand betrieben wurde."

Etwas perplex blinzelte ich und erkannte Hyunjin, der gerade im Begriff war, sich zu mir zu setzen. Seine Augen funkelten vergnügt und auf seinen vollen Lippen lag noch das Lächeln, was ihn so unwiderstehlich aussehen ließ.

„Ich beneide dich nicht um deine zukünftige Stellung. Ich genieße es zwar, die Aufmerksamkeit der anderen zu erhalten, doch sie ist mitunter ermüdend. All die Forderungen, die sie an dich stellen werden, hätte ich nie erfüllen wollen."

Ich runzelte die Stirn, setzte mich gerade hin und fragte vorsichtig nach. „Meinst du das ernst oder verspottest du mich, Hwang Hyunjin?" Tatsächlich konnte ich nicht erkennen, ob der junge Mann mit den schwarzen Haaren sich über mich lustig machte oder er diese Worte ehrlich meinte.

Hyunjin legte den Kopf schief, aber das Lächeln blieb auf seinen Lippen. „Würde ich dich verspotten, hätte ich sicher einen anderen wunden Punkt gefunden und dir nicht mit meinen Worten indirekt eine Schwäche von mir gestanden, oder?" Seine spitzzüngige Antwort und die durchaus schlau gewählten Worte stimmten mich nachdenklich und ich benötigte noch einige Sekunden, bevor ich etwas erwiderte.

„Also hast du es gesagt, um mir Mut zuzusprechen oder mich wissen zu lassen, dass du ein Gespräch mit mir suchst?"

Ich konnte mir weder das eine noch das andere bei Hyunjin richtig vorstellen, aber immerhin hatten wir in letzter Zeit damit begonnen, uns anzunähern. Er hatte selbst zugegeben, dass er mir misstraute, weil er dachte, ich wäre nicht ehrlich zu Minho und würde ihm dadurch schaden. Er hatte mich für hinterhältig und unaufrichtig gehalten, weil ich bei unserem ersten Gespräch so schlecht über Minho gesprochen hatte. Und nun, wo dieser Aspekt aus der Welt geschafft war, scheinen wir besser miteinander auszukommen. Wenn er jetzt also wirklich reden wollte, sollte ich möglicherweise ebenso einen Schritt auf ihn zugehen.

„Beides, Jisung. Und vielleicht möchte ich dir auch meine Hilfe in einigen dieser lästigen Entscheidungsfragen anbieten. Ich bin recht gut im Organisieren und Verhandeln... selbst wenn es um eine königliche Vermählung geht."

Er will wissen, ob ich ihm genug vertraue. Wenn ich ihm also diese Chance gebe, könnte ich ihn womöglich als einen Verbündeten dazugewinnen.

Gründlich musterte ich Hyunjin und versuchte zu ergründen, ob er auch einen nicht so ehrenhaften Grund hätte, mir seine Hilfe anzubieten. Natürlich hätte er jederzeit die Gelegenheit, etwas an meiner Hochzeit zu ruinieren, wenn er sie mitplante, aber wenn ich seine Aufgaben genauer prüfte, könnte ich das erkennen. Aber eigentlich wollte ich ihm diesen Vertrauensvorschuss gewähren.

„In Ordnung. Wenn du mir sagst, was du gerne übernehmen willst, kann ich das sicher arrangieren." Dann fügte ich rasch an. „Danke, Hyunjin."

Dessen Augen leuchteten nun auf und ein selten so intensiv gesehener Tatendrang stand in seinem Blick. „Ich würde mich gern um die Blumenwahl kümmern und das knifflige Arrangement der Gäste kann ich sicher auch lösen. Wir sollten uns zwar gemeinsam darüber unterhalten, wen du einlädst, aber ich kann dir sagen, wo sie am besten sitzen und wer wirklich würdig ist, diesem einmaligen Fest beizuwohnen."

Die Aussicht, so viel Hilfe von dem Schwarzhaarigen zu bekommen, machte mich fast schon verlegen. Er war am Anfang derjenige von allen hier gewesen, dem ich am wenigsten vertraut hatte. Zeitweise hätte ich vermutlich sogar geglaubt, dass er mich am liebsten hinauswerfen lassen würde oder eine Intrige gegen mich erfinden würde, nur um mich nicht länger ertragen zu müssen. Aber so war Hyunjin nicht – nicht in seinem tiefsten Inneren. Das erkannte ich in diesem Augenblick, als ich in seine vor Freude blitzenden Augen sah. Er freute sich für mich und über meine bevorstehende Vermählung.

Und deshalb zögerte ich nicht länger. „Wenn dir das dennoch zu mühsam wird, sag es mir. Ich helfe dir oder übernehme auch wieder, wenn du denkst, dass du es nicht schaffst. Fühl dich nicht dazu verpflichtet."

Der Schwarzhaarige lachte. „Oh, da braucht es schon mehr als dich, um mich zu irgendetwas zu verpflichten. Keine Sorge, ich halte meine Versprechen und es wird mir guttun, mich einmal auf etwas zu konzentrieren, das einer anderen Person hilft. Aber es ist gut zu wissen, dass ich es nicht alleine schaffen muss."

Interessiert beugte ich mich nach vorn, musterte ihn gründlich und fragte dann: „Aber du bist doch nie allein hier. Du musst nichts allein schaffen, du hast uns."

Hyunjin nickte und zupfte einige lose Fäden aus einem leuchtend gelben Kissenbezug. „Da magst du recht haben, Jisung. Aber es fühlt sich manchmal für mich so an, als müsste mir alles selbst gelingen. Ich bin ehrgeizig und damit stehe ich mir selbst im Weg."

Ich hob eine Augenbraue.

Seine anfängliche Eifersucht auf mich, weil ich so plötzlich Minhos Favorit wurde. Er hat zuvor immer aus eigenem Antrieb gehandelt und in diesem Augenblick erkannte er, dass es nicht immer so läuft, wie man es sich selbst wünscht. Die Kontrolle über sein Leben, das er vermutlich bereits minutiös durchgeplant hatte, ist ihm entglitten und dann hat er nach etwas gesucht, was er allein tun kann. Etwas für sich. Dabei wäre es so einfach gewesen, die anderen um Hilfe zu bitten. Er hat es nur nicht getan, weil er es zuvor vermutlich auch nie getan hat.

„Ich denke, ich weiß, was du meinst. Und ich verstehe es. Aber du musst dich nicht dafür schämen, wenn dir etwas nicht auf Anhieb gelingt." Ich grinste und deutete auf mich. „Sieh nur mich an, ich bin auch einfach abgehauen, weil ich diese Vorbereitungen und alles, was dabei zu beachten ist, sehr anstrengend finde."

Hyunjin kicherte und seine Haltung entspannte sich. „Gut, dann lass uns beide unser Bestes geben und wenn wir einmal fliehen müssen, dann treffen wir uns hier." Er legte demonstrativ eine Hand auf die Decke, auf der er saß und ich nickte feierlich.

„Genau hier", versprach ich ihm.


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Und wie ist euer Vertrauensstand bei Hyunjin jetzt? 😄


I love you Stay. 💖

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