Freund des Pharao
Jisungs Pov:
Behutsam tupfte ich mit dem borstigen Pinsel eine dünne, grüne Farbschicht über meine Augenlider und griff dann nach dem Kohlestift, der meinen dezent geschminkten Look für den bevorstehenden, festlichen Anlass passend unterstreichen würde. Zwar hatten Seungmin und Niki mir versichert, man solle zu einem Fest, wie die Rückkehr des zweiten Prinzen genannt wurde, ruhig zeigen, wie viel Reichtum und Schmuck man besaß, aber trotzdem hatte ich mich für ein schlichtes Make-up entschieden, das mein Gesicht nicht vollkommen unkenntlich machte. Außerdem kontrastierte das kräftige Grün des Lidschattens hervorragend meine sonst so helle Kleidung und ich war äußerst zufrieden mit mir selbst.
Ich saß vor einer glatt polierten Metalloberfläche, beugte mich über diese und betrachtete mein etwas unscharfes Spiegelbild, bevor ich den Kohlestift mit ruhiger Hand ansetzte und eine einigermaßen saubere Linie von meinem Augeninnenwinkel nach außen zog und diese kurz vor meiner Schläfe enden ließ. Ich wiederholte die Prozedur auf der anderen Seite und stieß beruhigt die Luft aus, als ich erkannte, dass meine Bemühungen sich ausgezahlt hatten und es nicht krumm und schief geworden war. Ich legte die Schminkutensilien zur Seite, strich durch mein Haar und suchte dann den kleinen chaotischen Platz neben mir nach meinem liebgewonnenen Lilienöl ab, das mir Sunoo geschenkt hatte. Nach einem tiefen Atemzug träufelte ich mir einige Tropfen aufs Handgelenk, verteilte das Öl von dort auch am Hals und auf meiner Brust und atmete nochmal tief den verführerischen Duft ein.
Seit meinem gestrigen Gespräch mit Seungmin verstand ich auch, warum wir uns heute alle so überaus schick präsentieren mussten: Der Sieg über Nubien hatte Minho großes Ansehen und noch mehr Macht verliehen. Die Ankunft seines Bruders und des obersten Generals seiner Truppen würde von allen Menschen neugierig beobachtet werden und die Schreiber würden die frohe Kunde und die Herrlichkeit des Festes für die Nachwelt beschreiben. Außerdem würden viele hohe Beamte und sogar Würdenträger anderer Länder an dem Fest teilnehmen. Minho stand also einmal mehr im Mittelpunkt und musste glänzen, um sich all der Hoffnungen seines Volkes würdig zu erweisen.
Auch ich würde meinen Teil dazu beitragen, indem ich selbstbewusst und strahlend schön neben den anderen Mitgliedern des Harems stand, lächelte, mein neuestes Kleidungsstück präsentierte und später beim Essen nette Konversationen mit den richtigen Leuten führte.
Besonders gespannt war ich auf Prinz Jeongin, den zweitgeborenen Sohn der Herrscherfamilie. Ihn hatten die Quellen in der Universität immer als zuvorkommenden und besonders liebenswürdigen Pharao beschrieben. Auch der Vermerk zu dem Sieg über Nubien und die Rückkehr in sein Heimatland deckten sich mit den realen Geschehnissen, und ich war neugierig, inwiefern sie sich weiterhin bestätigen würden.
Sollte Jeongin tatsächlich so sympathisch und freundlich sein, dann muss ich mich erneut fragen, ob ich dem trauen soll, was ich hier erlebe, oder was die Überlieferungen mir erzählen. Wieso kann ich mir nicht nur einmal sicher sein?
Beinahe ebenso interessiert war ich an Bang Chan, dem obersten General der ägyptischen Truppen. Den Schriften zufolge soll er durchaus fähig und geschickt gewesen sein. Einige seiner Angriffs- und Belagerungstaktiken waren sogar recht ausführlich beschrieben worden, was von dem hohen Ansehen seiner Zeitgenossen zeugte. Ihn also heute persönlich kennenzulernen oder auch nur aus der Nähe sehen zu können, war schon sehr aufregend.
Ich wüsste zu gern, ob er wirklich den Beschreibungen entspricht. Wenn er mit der Kraft eines Stiers gesegnet ist, möchte ich ihm aber lieber nicht in die Quere kommen.
Mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen und großer Liebe zum Detail legte ich einen der hübschen und sehr teuren Gürtel an und streifte mir einige der aus Gold gefertigten Armreifen und Ringe über. Schließlich fühlte ich mich genügend herausgeputzt und verließ meinen Platz vor der spiegelartig polierten Oberfläche.
Stattdessen trat ich zu den anderen hinaus in die gemeinschaftlichen Aufenthaltsräume und wartete mit ihnen darauf, dass der Pharao seine Gäste empfangen würde.
Es dauerte nicht lange, bis die hohe Holztür geöffnet wurde und sich mehrere gut bewaffnete Wachen zu beiden Seiten der Tür aufstellten. Sie warteten geduldig, bis sich alle Mitglieder des Harems in Paaren zwischen sie gestellt hatten, bevor wir uns alle in Bewegung setzten und in Richtung Thronsaal schritten. Zwischen den glänzenden Brustharnischen und Helmen der Wachen fühlte ich mich tatsächlich gut behütet und gleichzeitig etwas abgekapselt von der Welt.
Während des kurzen Marsches bemühte ich mich, meine Schritte sicher zu setzen und nicht zu viel über die folgenden Stunden nachzudenken. Die vielen geladenen Gäste und der darüber liegende Fluch von Perfektion und Authentizität machten mir dennoch Sorgen. So viele Menschen würden mich heute sehen können. Sie würden jeden Schritt begutachten, jeden Makel an mir finden und zum Gespräch machen, und wenn ich sie nicht von mir überzeugen könnte, würden sie mich ab heute immer hinter vorgehaltener Hand über mich herziehen. Diese ganze öffentliche Aufmerksamkeit war nichts für mich – zumindest nicht unter den gegebenen Umständen. Aber leider konnte ich mich nicht einfach vor diesen Verpflichtungen drücken – nicht, wenn ich ernstgenommen werden wollte und den anderen zeigen wollte, dass ich dazugehörte. Also musste ich für heute all die angesehenen Beamten, heiligen Priester und ehrenhaften Würdenträger dulden und ihnen meine allerbeste Schokoladenseite zeigen.
Also hob ich automatisch mein Kinn noch etwas höher, sobald die vordersten Wachen die Türflügel des riesigen Thronsaals öffneten und uns eintreten ließen. Nur ganz flüchtig warf ich Blicke zu meinen beiden Seiten und konnte die vielen, wartenden Menschen erkennen, die uns nun mit unverhohlener Neugier beobachteten. In meinem Zeitalter mochte es seltsam sein, anderen Leuten solche Bedeutung zuzumessen, nur weil wir in einem Palast lebten, aber für all die Menschen hier waren Seungmin, Hyunjin, Yeji, Niki, Sunoo und auch ich etwas Besonderes. Wir genossen Privilegien und Reichtum, waren dem Pharao abgesehen von Felix und seinen Ratgebern am nächsten und hatten selbst einen gewissen Einfluss auf seine Person – zumindest glaubten diese Menschen das.
Eilig richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den Hinterkopf meines Vordermannes und musste zugeben, dass Hyunjins schulterlanges, schwarzes Haar makellos aussah und glänzte. Dann blieb der junge Mann vor mir stehen und hastig tat ich es ihm gleich. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir direkt vor den vielen langen Stufen zum Thron standen, und als sich meine Begleiter alle auf die Knie sinken ließen und dann die Stirn auf den kalten Marmorboden drückten, tat ich es ihnen anmutig gleich. Das Gemurmelt der bereits Anwesenden wurde für einen Augenblick leiser und dann hörte ich Minhos Stimme: „Es erfüllt mich mit Freude, euch alle an meiner Seite zu wissen. Dieses glückliche Fest sollte jeder mit den Menschen besuchen, die er selbst am meisten schätzt. Ihr dürft euch erheben."
Erleichtert richtete ich mich wieder auf, zupfte verstohlen meine Kleidung zurecht und folgte Seungmin zu einem separaten Platz auf der linken Seite neben den Treppen. Dort stellten wir uns alle in einer Reihe auf und warteten ebenso wie alle anderen auf das Eintreffen von Prinz Jeongin und General Chan.
Diesmal hielt ich mich mit Blicken zu Minho wirklich zurück. Stattdessen nutzte ich die Gelegenheit, um all die Anwesenden zu betrachten und mir darüber Gedanken zu machen, welche Rolle sie in dem großen Staatsgefüge einnahmen. Einige waren ganz eindeutig Priester der Göttertempel. Allein ihre prachtvolle Kleidung und der Schmuck verrieten sich sofort. Als Mittler zwischen den Göttern und Menschen hatten sie im alten Ägypten einen hohen Einfluss und konnten sogar dem Pharao selbst mit Rat zur Seite stehen. Andere Anwesende hielt ich für Gaufürsten einzelner Gebiete Ägyptens oder für einflussreiche Adelige, da sie nicht nur mit teurem Schmuck und ausgefallener Kleidung aufwarten konnten, sondern auch Waffen bei sich hatten oder die Nasen so hoch trugen, dass diese beinahe gen Himmel zeigten.
Aber dann schwang plötzlich das Tor erneut auf und der Diener, der die Eintreffenden ankündigte, verneigte sich tief.
„Oh erhabener Pharao, euer Bruder und euer oberster General der ägyptischen Truppen bitten um diese Audienz, um euch die Herrschaft über Nubien zu übergeben und euch Glückwünsche zu eurem Sieg zu überbringen."
Ich musste ein kurzes Schmunzeln unterdrücken, da ich die Formulierung etwas zu blumig fand. Immerhin hatte Minho nicht selbst für diesen Sieg gekämpft, aber da er der Pharao war, wurde ihm dieser „Sieg" angerechnet.
„Die Audienz sei Ihnen gewährt. Lasst Sie eintreten und von ihren Taten berichten", antwortete Felix mit fester Stimme, nachdem ihm Minho zugenickt hatte.
Sogleich öffnete sich das Tor weiter und ein junger Mann mit dunklem Haar und majestätischer Haltung trat ein. Er trat mit langen Schritten in die Halle, hatte das Kinn stolz erhoben und lief zielstrebig auf die Treppe zu, ohne auch nur einmal nach rechts oder links zu blicken.
Das musste offenbar Jeongin sein, denn als er dem Thron näherkam und schließlich sogar die Stufen erklomm, erhob sich Minho und erwartete den jungen Mann mit offenen Armen. Die Brüder schlossen sich in die Arme und tauschten leise Worte aus, die ich von meiner Position aus nicht verstand. Also richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den zweiten Mann, der ein Stück hinter Jeongin in den Thronsaal getreten war. Auch er trat nun mit angemessenen Schritten bis zur Treppe und wartete dort geduldig.
Bis zu diesem Moment hatte ich mir den Befehlshaber des Heeres nur schwer vorstellen können. Insgesamt hätte ich mir den Mann sicher größer vorgestellt, vor allem nach der Anspielung auf seine Stärke, aber als ich nun die breiten, athletischen Schultern und die wachen Augen betrachtete, konnte ich mir denken, weshalb er einen solch bleibenden Eindruck hinterließ.
Das ist also Bang Chan.
Seine Kleidung war ebenso prächtig wie die meine und auch seine Augen waren dunkel gerahmt, während seine Haare jedoch streng zurückgebunden waren. Ebenso auffällig fand ich das kunstvoll gearbeitete Bronzeschwert, das um seine Hüfte gegürtet war und dennoch jederzeit griffbereit schien.
Nun wandte sich Minhos Aufmerksamkeit auf seinen General am Fuß der Treppe.
„Chan, dein Sieg über Nubien war beeindruckend. Selbst ich bin von den Berichten deiner Taten überrascht und würde gern mehr darüber hören."
Ehrerbietig verneigte sich der gelobte Krieger und sprach dann mit angenehm volltönender Stimme.
„Es ist mir meine Ehre und meine Pflicht, für euer Reich zu kämpfen. Mit dem Segen eurer göttlichen Gnade konnte ich unsere Feinde bezwingen und darf euch nun die Herrschaft Nubiens übertragen."
Ich war weiterhin damit beschäftigt, die beiden Neuankömmlinge zu mustern und einzuschätzen, wie ich ihr Auftreten fand und wie vertrauenswürdig sie schienen. Gestern hatte ich von Seungmin gehört, dass er Jeongin als herzlichen und verlässlichen Menschen beschrieb, der ab und an gerne Zeit mit Hyunjin und ihm verbachte. Allerdings befand Seungmin ebenso Minho für vertrauenswürdig und freundlich, und da spalteten sich unsere Einschätzungen dann doch ein wenig.
Nun gab Minho einem Bediensteten einen Wink, der sofort mit einer hölzernen Schatulle herbeieilte, die er Felix reichte. Dieser öffnete sie und präsentierte Minho den Inhalt. Dieser wiederum nahm jetzt ein wirklich schönes, goldenes Schmuckstück aus dem Kästchen und wandte sich Jeongin zu.
„Mein Bruder, für deine Tapferkeit und deine Treue möchte ich dir ein besonderes Schmuckstück schenken." Mit einem warmherzigen Blick legte er dem Jüngeren die Kette um und ich sah die Dankbarkeit und Freude in Jeongins Augen glitzern, bevor er sich vor seinem Bruder ehrerbietig verneigte und ihm dankte.
Dann beugte sich Minho erneut zu der Schatulle und blickte dann ebenso stolz zu Chan. „Diese Ehre ist längst überfällig, Bang Chan, aber hiermit ernenne ich dich für deine Treue, deine Aufopferungsbereitschaft und dein mutiges Handeln zu einem Freund des Pharaos."
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Zur Erklärung: „Freund des Pharao" war damals ein Titel, den man erhielt, wenn man sich des Pharaos besonderes Vertrauen oder Wohlwollen erarbeitet/ verdient hatte. Allein das Wort Freund sagt ja bereits, dass man demjenigen sehr nahe steht und damit mehr Einfluss erhält.
I love you Stay. 💕
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