Die Umarmung von Tag und Nacht
Jisungs Pov:
Das Unrecht, das ich durch die Diagnose einer Zwillingsschwangerschaft und die blasphemischen Worte der Ärzte zu erleiden glaubte, ließ sich jedoch nicht so leicht als Solches demaskieren. Vielmehr kamen in den folgenden zwei Wochen immer mehr Zweifel hinzu und ich hatte zunehmend das Gefühl, gar nicht mehr zu wissen, was eigentlich mit mir los war: Im einen Augenblick lag ich friedlich und ruhig neben Minho, im nächsten heulte ich Rotz und Wasser und ängstigte meinen Gemahl halb zu Tode, weil er zunächst annahm, ich hätte Schmerzen. Dabei war mir nur bewusst geworden, wie glücklich ich mich mit Minho schätzen konnte und wie toll er doch auf mich achtete.
In einer anderen Situation hatte ich schon beinahe einen Nervenzusammenbruch erlitten, weil ich meinen Lidstrich nicht ordentlich ziehen konnte und mir der schwarze Strich ständig verwackelte. Erst als Hyunjin mir den Kohlestift aus der Hand genommen und die Tätigkeit für mich übernommen hatte, konnte ich mich beruhigen und schämte mich im nächsten Moment fürchterlich, wegen einer solchen Kleinigkeit einen Aufstand geprobt zu haben.
Außerdem musste ich mir tatsächlich eingestehen, dass ich zugenommen hatte. Meine sonst so schmale Taille zeigte erste kleine Speckpölsterchen und mein Bauch schien sich dem wohlwollend anzuschließen. Als mich Minho vor drei Tagen liebevoll mit Streicheleinheiten und zarten Küssen auf die betroffenen Körperstellen aufmerksam gemacht hatte, war ich eine Viertelstunde lang so beleidigt gewesen, dass ich nicht mehr mit ihm gesprochen hatte. Erst mit in Honig getauchten Dumpalmnüssen konnte mich mein Gemahl wieder beschwichtigen und ich hatte ihm danach versprochen, ihn nicht nochmal auf diese Art zu ignorieren.
Diese ständigen Gefühlsschwankungen belasteten meine Nerven, und auch Minho schien nicht genau zu wissen, wie er in einigen Situationen am besten mit mir umgehen sollte, obwohl er sich die größte Mühe gab und mir all meine Wünsche quasi von den Lippen las. Trotzdem spürte ich, dass er sich ebenso zurückhielt, mit mir über die mögliche Ursache für mein komisches Verhalten zu sprechen. Denn sobald von den möglichen Kindern die Rede war, wurde nicht nur ich hochsensibel, sondern auch seine Laune schwankte stark, je nachdem, wie abweisend ich auf seine meistens sanftmütigen und freudigen Worte reagierte.
Ich merkte dies natürlich und bemühte mich über alle Maßen, nie wirklich abfällig oder verstockt zu antworten, wenn er das Thema anschnitt, aber ab und an waren auch meine Geduld und mein guter Wille am Ende. Vor allem an Tagen, an denen mein Körper sich besonders schlapp oder seltsam anfühlte, verlor ich schneller die Fassung, und so gern ich auch meinen Zustand leugnen wollte, so deutlich wiesen die Zeichen darauf hin, dass etwas ganz und gar nicht normal war.
Heute schien jedoch ein guter Tag zu werden. Zumindest hatte ich zum ersten Mal seit Längerem das Gefühl, etwas Normalität in mein alltägliches Chaos an Emotionen bringen zu können. Ich war weder mit Gliederschmerzen noch mit Kopfschmerzen erwacht, ich fühlte mich munter und voller Tatendrang, und sogar ein ausgiebiges Bad und eine gemeinsame Plauderstunde mit Hyunjin gaben mir nicht das Gefühl, mich zu überanstrengen.
Mindestens eine Stunde lang lag ich bereits in der Wanne neben Hyunjin und tauschte mich mit ihm über die beste Malfarbe und seine neueste Komposition aus. Selbst die simpelsten Themen konnten sich zwischen uns zu einer zeitfüllenden Konversation entwickeln, und ich genoss es, dass ich somit von sämtlichen anderen Gedanken abgelenkt war, die in meinem Kopf nisteten wie lästige Parasiten.
„Ich sage es dir, diese Zeichnung lässt mich nicht los. Der Kohlestift hat wunderbar die Schatten eingefangen, die ich für die Szenerie benötige, und das alles in Harmonie mit dem gemahlenen Lapislazuliblau, das du mir geschenkt hast... Es ist ein wahrgewordener Traum", schwärmte Hyunjin und lehnte sich in seiner Kupferwanne zurück, während er seine Fingerkuppen mit einem groben Schwämmchen von den verbliebenen Resten der Kohlefarbe säuberte, die er gestern offensichtlich exzessiv verwendet hatte. Ich kicherte leise und sah zu ihm hinüber.
„Ich bin froh, dass dir das Zeichnen solche Freude bereitet und dass du mit der Farbe etwas anzufangen weißt", gestand ich ihm. Dass dieses wunderschöne Blau, das ich in einer kleinen Schachtel auf dem Basar erworben hatte, perfekt in Hyunjins beständig anwachsende Farbsammlung passen würde, hatte ich natürlich gewusst und es deshalb sogleich mitgenommen.
„Hast du denn auch einen Titel für die Zeichnung?", fragte ich dann neugierig, woraufhin Hyunjin im Bürsten seiner Finger innehielt und stirnrunzelnd und mit leicht schiefgelegtem Kopf zu mir sah.
„Einen Titel... du meinst, wie bei einem wichtigen Dokument?", wollte er wissen, und ich erinnerte mich, dass es vermutlich noch nicht üblich war, seinen künstlerischen Arbeiten durch einen Namen größere Bedeutung beizumessen.
Deshalb nickte ich langsam und legte mir meine nächsten Worte sorgsam zurecht. „So in etwa. Die Werke einiger sehr guter Maler oder auch Schreiber haben einprägsame Namen, oder eine Wortgruppe beschreibt ihren Inhalt. Ich dachte, du könntest das auch versuchen. Ich finde nämlich, dass du großartige Zeichnungen und Malereien erschaffst. Und wenn du einen Namen oder Titel für bestimmte Werke hast, dann kannst du leichter darüber sprechen oder noch mehr Menschen neugierig darauf machen."
Nachdenklich strich sich Hyunjin die feuchten Haarsträhnen zurück und suchte augenscheinlich fieberhaft nach einem passenden Titel für seine neueste Zeichnung. Seine Finger tippten dabei rhythmisch auf die Umrandung der Wanne und die letzten, kleinen Kohleablagerungen unter seinen Fingernägeln schienen für den Augenblick vergessen zu sein.
„Wie findet man einen guten Titel?", fragte er mich eifrig und seine hellbraunen Augen betrachteten mich erwartungsvoll, so als hätte ich dafür ganz sicher eine Antwort.
Etwas unschlüssig zuckte ich hingegen mit den Schultern. „Das ist sicherlich auch vom jeweiligen Maler oder Schreiber abhängig. Je nachdem, was sich für dich passend anfühlt, Hyunjin. Du kannst bestimmte Elemente, Gegenstände oder Figuren aus deinem Werk wählen und sie zum Titel machen oder du kombinierst sie miteinander. Oder dir kommt ganz spontan ein Gedanke, der für dich eine Bedeutung hat."
„Das klingt nicht unbedingt einfach", seufzte Hyunjin verzweifelt und nahm dann das Schwämmchen erneut auf, um mit der Reinigung seiner Haut fortzufahren. „Bevor ich mich endgültig entscheide, werde ich vieles bedenken müssen... Denn diese Malerei ist etwas Besonderes. Sie vereint gleichzeitig Tag und Nacht: Das Blau und das Schwarz sind wie die zwei gegensätzliche Komponenten, doch wenn sie kombiniert werden, ergeben sie auf einmal ein Ganzes. Sie sind in einem Zyklus und so zuverlässig aufeinanderfolgend, wie sonst nichts im Leben. Als sei es ihre Bestimmung, sich abzuwechseln und immer wieder von vorn zu beginnen. Doch dann, wenn sich die beiden am Morgen und Abend berühren und ineinander verschmelzen, sind Tag und Nacht am Schönsten. Sie erzeugen noch viel mehr Farben. Sie erschaffen sie aus der Vereinigung heraus und lassen zu, dass etwas Wunderbares entsteht."
Verblüfft von dieser poetischen Zusammenfassung schwieg ich einige Sekunden und dachte darüber nach, was Hyunjin da gesagt hatte. Immerhin kannte ich sein neuestes Werk bereits, da ich ihn heute Morgen in den Gemächern aufgesucht hatte, um ihm eine gemeinsame Entspannungszeit vorzuschlagen. Und auch wenn ich seine künstlerische Arbeit liebte und sein Talent einzigartig fand, so hätte ich aus seinen gezogenen Kohlestrichen und den blauen, anmutigen Farbmustern keine so bewegende und tiefgreifende Geschichte lesen können. Aber jetzt, nachdem ich die Malerei gesehen und die Erklärung gehört hatte, erschien mir alles ganz logisch und vollkommen.
„Vielleicht solltest du es dann Tag und-"
Ich wurde mitten im Satz unterbrochen, da die Stimme eines Bediensteten ertönte, der uns unerwarteten Besuch ankündigte.
„Seine Majestät, der Pharao, wünscht Zutritt zum Bad." Und so wie Minho nun einmal war, und wie es auch sein Status ihm erlaubte, öffnete sich die Tür zum Baderaum bereits, ohne dass Hyunjin oder ich etwas hatten erwidern können.
So saßen wir also aufrecht in unseren Wannen und blickten neugierig in Richtung des Eingangsbereiches, um herauszufinden, weshalb Minho uns unbedingt sofort sprechen wollte.
Wie immer trat der Dunkelhaarige mit selbstsicheren, raumgreifenden Schritten ein und ich musste mich kurz am Wannenrand festhalten, als meine Augen sogleich von der wohlgeformten Muskulatur seiner Arme und seines Bauches magisch angezogen wurden. Sogar mein Mund wurde etwas trocken und ich schluckte rasch, um die unzüchtigen Vorstellungen, die in mir aufkeimten, zu verdrängen.
Meine Güte, was ist nur mit mir los? Ich sollte doch zuerst darüber nachdenken, was Minho wohl hier will und nicht, ob er mich jetzt gleich über den Wannenrand beugt und von hinten nimmt... Ich bin wirklich ein toller Ehemann, all meine Gedanken kreisen nur um Sex. Statt ihm seine Arbeit zu erleichtern und ihm beim Regieren eines Landes zu helfen, halte ich ihn viel lieber davon ab.
Mittlerweile hatte zumindest Hyunjin seine Sprache wiedergefunden, auch wenn ich erkannte, dass er seinen anerkennenden Blick genauso über Minhos tadellose und strahlend schöne Erscheinung gleiten ließ.
Immerhin bin ich nicht der Einzige.
„Eure Majestät, was führt euch hierher?", wollte nun Hyunjin wissen, während er bereits nach einem Leinentuch griff und sich anschließend aus dem Wasser erhob, um sich abzutrocknen und aus der Wanne zu steigen. Ich hingegen saß noch immer ganz versonnen im warmen Wasser und beobachtete Minho.
Dieser drehte sich nun so, dass er uns beide beobachten konnte, und auch seine dunklen Augen huschten flüchtig über unsere doch sehr spärlich bis gar nicht bedeckten Körper, bevor er sich erklärte: „Ihr natürlich. Ich wollte euch sehen und euch mitteilen, dass heute in einer Woche das Fest des Nehebkau stattfinden wird."
Nun sah Minho mich direkt an und er lächelte, als ich mich ebenfalls aus dem Wasser erhob und dann mit einem Leinentuch trockenrieb. Trotz des dunklen Funkelns seiner Augen machte er keine Anstalten, näherzukommen. Ich nutzte diesen Moment und fragte etwas verwundert: „Bist du nur hierher gekommen, um uns über ein Fest zu unterrichten?"
Jetzt blitzte der Schalk in seinen schokoladenbraunen Iriden auf und ich musste automatisch schmunzeln, als ich seine Antwort vernahm.
„Ich hatte Lust dazu und ich bin der Pharao und kann frei entscheiden, was ich tue."
Hyunjin musste bei dieser Erwiderung ebenso lächeln. „Eure Majestät ist heute offenbar zu Scherzen aufgelegt", meinte er und streifte sich dann sein eigentliches Gewand über und warf mir meines zu. „Wir sollten uns in Acht nehmen, Jisung. Sonst entscheidet sich der Pharao, noch ganz andere Räume mit uns zu betreten."
Nun konnte ich ein fröhliches Kichern nicht mehr zurückhalten und schaffte es nur mit Mühe, meine Kleidung aufzufangen und sie anschließend anzulegen. Dennoch hatte ich irgendwann den Stoff fest genug um meinen Körper gewickelt, um den Gürtel umbinden zu können.
„Das befürchte ich auch", entgegnete ich und trat zu meinem Gemahl, um nach seiner Hand zu greifen. „Aber lass uns zunächst über dieses Fest sprechen, bevor wir unserem Pharao die Sinne rauben, Hyunjin." Ich erinnerte mich an Minhos Worte und das Nehebkau-Fest, das zu Ehren des gleichnamigen Totengottes gefeiert wurde. Es war eine Art göttliches und königliches Erneuerungsfest, bei dem der Totengott dem jeweiligen Gottkönig symbolisch die Krone der Herrschaft überreichte. Manche Menschen nannten dieses Ereignis auch das Neujahrsfest des Horus. Und aus diesen Fakten heraus erschloss sich mir auch, weshalb Minho dieses Fest so unbedingt feiern wollte.
Mein Gemahl blickte mit einem liebevollen Lächeln zu mir herab und sagte: „Dieses Fest ist für uns alle bedeutsam. Es erzählt die Geschichte einer Weiterentwicklung und eines neuen Beginns. Ich würde es gern mit euch beiden feiern, und natürlich werden auch Jeongin, Chan und Yeji dabei sein. Wir werden den festlichen Spielen beiwohnen und die Bevölkerung Thebens mit Speisen und Wein beschenken."
Zustimmend nickte ich und auch Hyunjin schien von der Aussicht auf eine Feierlichkeit angetan zu sein, denn er klatschte in die Hände und rief: „Dann benötige ich definitiv ein neues Gewand und den schönsten Schmuck. Jisung, wir sollten gleich morgen etwas auswählen."
Ich mochte diesen wiedererwachten Enthusiasmus und stimmte Hyunjin sogleich zu. Schon wollte ich mich nochmal an Minho wenden, als die Stimme des wachhabenden Bediensteten erneut ertönte: „Eure Majestät, euer Großwesir ersucht dringend um eine Unterredung."
Auch diesmal wurde die Tür aufgestoßen, bevor einer der Anwesenden etwas antworten konnte. Und exakt dieses Verhalten, das sich weder für einen Untertanen, Boten noch für den Wesir gehörte, ließ mich frösteln. Auch Felix versteinerte Miene und die hastigen Schritte, mit denen er zu uns eilte, waren kein gutes Zeichen.
„Minho, wir müssen jetzt sofort eine Ratssitzung abhalten. Ich habe bereits veranlasst, dass Jeongin und Chan anwesend sein werden." Kurz huschten seine grünen Augen zu Hyunjin hinüber. „Und auch die Übrigen werden kommen. Aber vor allem brauchen wir dich – dich und Jisung."
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