Die Katzengöttin
Jisungs Pov:
Glücklicherweise war an diesem Tag wenig los im gesamten Gebäude der Fakultät und ich schlüpfte unbemerkt zurück in den Raum, den ich schon vorhin für meine Recherche genutzt hatte. Diesmal ging alles wesentlich schneller und schon nach ein paar Minuten hatte ich wieder den ausgerollten Schriftsatz vor mir auf dem hell beleuchteten Tisch liegen.
Ich rückte meine Brille zurecht, die ich mehr aus ästhetischen Gründen trug als aus wirklichem Nutzen für meine Sehkraft. Dann beugte ich mich weiter über das an den Rändern leicht rissige Leder und versuchte zu erkennen, ob die Oberfläche bereits einmal abgetragen worden war. Ein Palimpsest konnte man gut daran erkennen, dass die Oberseite, auf der man üblicherweise schrieb, abgeschabt oder abgerieben worden war. So hatte man früher Schreibmaterial wie Pergament, Papyrus oder eben Leder mehrmals verwenden können und Material gespart.
Zwar klammerte ich mich mit der Aussage des dunkelhaarigen Jungen eher an einen Strohhalm, aber womöglich konnte ich dem Schriftstück doch mehr Informationen entlocken als erwartet. Ganz genau suchte ich die oberste Schicht des Leders nach Unebenheiten und dunkleren Verfärbungen ab.
Ein wenig ärgerte es mich schon, dass ich erst durch einen Hinweis auf diesen Umstand aufmerksam geworden war, aber besser spät als nie.
Mein Untersuchungsergebnis war ebenfalls ernüchternd. Die Oberfläche wirkte sehr weich und es gab kaum verräterisch raue Stellen oder Farbunterschiede. Nur bei ein oder zwei Hieroglyphen war der Hintergrund etwas dunkler, was aber auch daran liegen konnte, dass die Schreibfarbe zu dick aufgetragen wurde. Dennoch sah ich mir die Symbole genauer an und zog eine der beweglichen Lampen noch weiter zu mir herab.
Bei dem Namen der Göttin war die Tinte merklich dunkler und auch eine Hieroglyphe am Ende der Botschaft, die ich mit Bann übersetzt hatte, wirkte durch die dunklen Schatten leicht verschwommen. Womöglich hatte sich der Schreibende auch nur verschrieben und musste die Symbole ausbessern, um nicht von vorne zu beginnen.
Jedenfalls weckten die Indizien nicht so viel Neugier, dass ich mich eingehender mit ihnen befassen musste. Schnell fotografierte ich das Schriftstück ab und beschloss, den Spuren des Textes erst auf den Grund zu gehen, wenn ich zurück in meiner Wohnung war.
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Sobald ich in meinem Zimmer ankam, legte ich meine Tasche behutsam aufs Bett, platzierte den Beutel mit der Schriftrolle auf meinen Schreibtisch, der kaum noch unter dem Durcheinander von Büchern, kleineren Artefakten und schlampig zurückgelassener Kleidung zu erahnen war und packte dann so schnell wie möglich die geliehenen Bücher und meinen Laptop aus. Beides legte ich auf mein Bett, um dort gemütlich arbeiten zu können.
Aber bevor ich mit der gründlichen Recherche beginnen konnte, schälte ich mich zunächst aus dem schicken Hemd und der engen Hose, die eindeutig zu unbequem für das folgende Herumsitzen wären. Stattdessen streifte ich mir eine kurze Trainingshose und ein ärmelloses Shirt über. Beide Kleidungsstücken machten die stickige Wärme in der gesamten Wohnung erträglicher und so zupfte ich nochmal kurz an dem weiten Ausschnitt des Oberteils und legte den kleinen Anhänger, den ich an einem ledernen Band trug, nach oben über das schwarze Shirt.
Dann wandte ich mich meinem gemütlichen Arbeitsplatz zu und ließ mich mit einem leisen Seufzen auf die weiche Matratze sinken, während ich nach den beiden Büchern angelte. Zunächst würde ich einen Blick in das Buch für die Göttermythen zu werfen, da mich dies am meisten interessierte. Vielleicht konnte ich auch gleich noch einige wichtige Erkenntnisse für das Tutorium am Donnerstag aufgreifen.
Eifrig blätterte ich zur richtigen Seite und strich einmal sanft über das dünne Papier und den abgedruckten Namen der Göttin. Der Absatz zu ihr war nicht ellenlang, aber immerhin gab es zwei Abbildungen und einige wertvolle Informationen.
Bastet wurde in den Quelltexten der Ägypter als sanftmütige Göttin beschrieben, hauptsächlich besaß sie positive Eigenschaften. Sie schätzte Musik und Tanz, was sie auch zur Göttin der Freude erhob; sogar ein Fest wurde ihr zu Ehren jährlich gefeiert. Das Schöne Fest der Trunkenheit soll von Ausschweifung und Ausgelassenheit geprägt gewesen sein und spiegelte die fröhliche und wilde Seite der Göttin wider.
Aber damit nicht genug, die altägyptische Gottheit soll auch ein Symbol der Fruchtbarkeit und Sexualität gewesen sein, deshalb schützte sie vor allem die Schwangeren, nahm eine Mutterrolle für diese an und beschützte sie vor bösen Mächten.
Aufmerksam betrachtete ich die beiden Abbildungen, in der die Göttin einmal in Form einer Katze dargestellt wurde und in der zweiten lediglich mit einem Katzenkopf.
Es ergab irgendwie Sinn, einer Beschützerin und Mutter dieses Aussehen zu geben. Katzen waren sehr fürsorglich mit ihrem Nachwuchs und dennoch sehr stolze Tiere.
Ich las den Absatz unter der zweiten Abbildung.
Im Alten Reich wurde Bastet als Frau mit mähnenlosem Löwenkopf dargestellt, einer wilden und ursprünglichen Tierart. Ab dem Mittleren Reich waren sowohl die Darstellung in Katzengestalt oder als Frau mit Katzen- oder Löwenkopf üblich. Erst ab dem Neuen Reich herrschte die Darstellung nur mit Katzenkopf vor. Die häufig gefundenen Katzenamulette bezeugen die Beliebtheit der Göttin beim gesamten Volk.
Aber sie wurde nicht ausschließlich sanftmütig und liebevoll dargestellt: Als „Sonnenkatze" vernichtete sie den erbittertsten Feind des Sonnengottes Res, Apophis. In diesem Fall wird sie als die „zürnende Tochter des Re" beschrieben und mit der strafenden Göttin Sachmet in Beziehung gesetzt.
Überlegend kaute ich auf meiner Unterlippe und fragte mich, ob mir dieses Wissen weiterhelfen würde, um das Rätsel zu lösen. Ich schlug mein Notizheft auf und überflog die betreffende Zeile.
Scheue dich nicht vor dem starren Blick der Bastet und vereine die blauen Tränen zum zweiten Mal.
Seufzend angelte ich nun nach dem anderen Buch und sah ins Inhaltsverzeichnis. Es gab eine kurze Einleitung zu den altägyptischen Märchen, aber ich beschloss, diese später zu lesen und überflog nur einige Seiten, um einen Eindruck von dem zu bekommen, was möglicherweise nützlich wäre. Als ich das Buch anhob, um die dünnen Seiten schnell durchzublättern, segelte plötzlich ein kleines, gefaltetes Papierstück in meinen Schoß und verwundert hob ich es auf und entfaltete es.
Auf dem karierten Papier stand:
An Mr. Han,
Dann folgte eine in sauberer, blauer Tinte geschriebene Handynummer, ein Zwinkersmiley und eine ebenso wenig aufschlussreiche Unterschrift.
mystic boy
Ich blinzelte verwirrt und erst nach einem kurzen Moment erinnerte ich mich, dass der dunkelhaarige Junge aus meinem Kurs ja heute in diesem Buch geblättert hatte und ganz offensichtlich hatte er mir dabei seine Handynummer zwischen die Seiten gemogelt. Mit einem belustigten Schnauben legte ich den Zettel zur Seite und entschied, mir später Gedanken darüber zu machen, ob und wie ich dem „mystic boy" antworten würde.
Zunächst wandte ich mich wieder dem Buch zu. Interessant waren für mich die häufigen Erwähnungen von Tieren oder deren helfende, beziehungsweise schützende Rolle in den Erzählungen. Auch die Abbildungen belegten einige durchaus humorvolle Vorstellungen dieser Zeit. Zum Beispiel zeigte eine Abbildung mehrere Mäuse und Katzen gemeinsam tanzend auf einem Fest oder Katzen trugen hochherrschaftliche Kleidung und befahlen den Mäusen ihnen Speisen und Getränke zu servieren. Es waren wirklich unterhaltsame Fabeln, die über die Hieroglyphen ihren Weg in unsere Zeit gefunden hatten.
Dennoch brachte auch das mich nicht unbedingt weiter in meiner Recherche und ich hoffte beinahe auf den Fennek oder einen eindeutig beschriebenen Stier zu treffen, aber diese kamen in den Erzählungen nur selten vor. Deshalb überlegte ich selbst und versuchte mich zu entsinnen, wie man diese beiden Tiere in Fabeln darstellte. Ein Fennek war nichts anderes als ein kleiner Wüstenfuchs und Füchse wurden ja bekanntlich als schlau oder hinterhältig beschrieben. Dem Stier hingegen kamen wahrscheinlich eher Eigenschaften wie Stärke und Temperament zu, da er ein großes Tier war.
Ich versah beide Worte in meinen Notizen mit den Eigenheiten, die mir in den Sinn kamen und seufzte dann, weil sich nicht auf magische Weise plötzlich alle Unklarheiten von selbst lösten. Immerhin konnte ich eines mit Sicherheit sagen: Dieses Rätsel war eine verschlüsselte Wegbeschreibung zu einer weiteren Grabkammer, denn der erste Teil der Nachricht sprach von dem Aufenthaltsort eines Königs.
Allerdings wurde alles so vage beschrieben, dass ich mich fragte, ob ich mich nicht sogar da täuschte.
Inzwischen starrte ich entmutigt auf die wenigen Zeilen, die vor mir lagen und dennoch keinen Zusammenhang bildeten.
Sollte das nur ein perfider Scherz der alten Ägypter sein, um uns moderne Grabforscher zum Narren zu halten? Womöglich saßen diese Fieslinge gerade am paradiesisch grünen Nilufer im VIP-Bereich des Jenseits und lachten sich über meine Dummheit kaputt.
Ich knurrte frustriert und ließ das Notizbuch sinken.
Noch nie hatte ich ein Schriftstück der alten Hochkultur gefunden, der in einem so verquerten und vor allem poetischen Maß daherkam. Normalerweise waren die Texte leicht zu verstehen. Sie erzählten vom Leben des Toten, von seiner Familie und seinen Eltern. Sie gaben Auskunft über sein Lebenswerk, seinen Status und über das Leben, dass er nach dem Tod führen wollte. Es gab Lobsprüche auf die Götter, um sie gnädig zu stimmen und denjenigen im Reich der Toten willkommen zu heißen, aber das hier war blanker Unsinn.
Der König ist dort, wo alle ihre letzte Ruhe finden. An der Seite des Stiers, Auge in Auge mit dem wachenden Fennek. Scheue dich nicht vor dem starren Blick der Bastet und vereine die blauen Tränen zum zweiten Mal. Doch sei gewarnt, denn es führt kein Weg zum Tor der Welt. Das Grab verschließt die Zeit, die nur einer zu besiegen weiß, und besiegelt den Bann der Liebenden.
Je länger ich über diese Sätze nachgrübelte, desto mehr hatte ich das Gefühl, meine Gedanken würden sich zu einem festen Knoten zusammenziehen, den ich nicht allein lösen konnte. Also rief ich lautstark nach meinem Mitbewohner und besten Freund. „Yeosang! Antanzen!"
Der Gerufene erschien wenig später mit einer eiskalten Flasche Wasser in der Hand und tapste zu meinem Bett. Er nahm ein wenig Schwung und ließ sich neben mir auf die weiche Matratze fallen. „Was gibt's du Schreihals?", nuschelte er in meine Bettdecke und sah so aus, als würde er gleich einschlafen.
„Ich hab heute die Schriftrolle untersucht... naja und ich werde einfach nicht schlau aus dem Geschriebenen." Mit einer auffordernden Geste reichte ich ihm mein Notizheft und öffnete auch nochmal das Foto von den Hieroglyphen auf meinem Handy und zeigte es meinem besten Freund. Nun schwieg Yeosang und verglich aufmerksam den Text auf dem Blatt mit dem Original.
„Beim besten Willen... das klingt eher nach einem schlechten Scherz", murmelte Yeosang und deutete dann auf den letzten Teil meiner Übersetzung. „Ich habe keine Ahnung, ob es einen großen Unterschied macht, aber kann man das verschließen nicht auch mit bewahren übersetzen?"
Ich beugte mich zu ihm und summte zustimmend. „Dann würde da stehen: Das Grab bewahrt die Zeit... und irgendwie würde es auch Sinn ergeben, immerhin verschließt und bewahrt sie den Körper gleichermaßen."
Yeosang nickte. „Also ist der letzte Abschnitt wohl auf das Innere eines Sarkophags bezogen, denn er schließt die Zeit ein und kann gleichzeitig die Liebenden trennen, weil man sie nicht direkt zusammen in einem Grab bestattete. Der Anfang ist auch etwas rätselhaft, aber du meintest vorhin in der Pause, es könnte eine Wegbeschreibung sein. Aber wie passt das dann mit den Worten zusammen, dass es keinen Weg zum Tor der Welt gibt? Und wie soll man bitte die blauen Tränen vereinen?"
Ratlos zuckte ich die Schultern. „Womöglich offenbart sich die Lösung erst, wenn man zuvor die richtigen Schritte gegangen ist und den Anfang des Rätsels gelöst hat." Gedankenverloren griff ich nach dem Lederband mit dem kleinen Anhänger, den ich eigentlich immer um meinen Hals trug. Ich ließ das weiche Material durch meine Finger gleiten und schob den etwa bohnengroßen Stein, der das einzige Schmuckstück war, das ich überhaupt besaß, als eine Art Beruhigungstaktik von einer Seite zur anderen.
„Ich werde vielleicht übermorgen nochmal ins Labor gehen oder mir mehr Literatur besorgen. Vielleicht finde ich ja noch Aufzeichnungen zu möglichen Grabanlagen, die bisher nicht entdeckt wurden, aber zu den hier beschriebenen Details passen."
„Wir könnten auch unseren Forschungsleiter und den Professor fragen. Die wissen vielleicht mehr damit anzufangen."
Ich schenkte Yeosang einen mahnenden Blick. „Das können wir nicht. Dann müssten wir auch zugeben, dass wir uns ohne ausdrückliche Erlaubnis vom Staat oder dem Forschungsteam auf eine Mission begeben haben und allen wichtige Informationen vorenthalten haben."
„Da hast du auch wieder recht", murmelte der Ältere und zuckte dann mit den Schultern. „Also wird sich die Recherche wirklich nur auf die Literatur beziehen. Wenn das wieder so mühselig wird, wie deine Suche nach dieser Grabanlage, dann sollten wir vermutlich gleich aufgeben. Fokussieren wir uns doch lieber auf die offiziellen Grabungen und schreiben unsere Abschlussarbeit. Wir haben ja nur noch diese Saison und dann können wir zurück in die Heimat."
Ein kleiner Stich fuhr bei diesen Worten durch meine Brust und ich nickte langsam, während ich meine Faust um den Stein an meinem Hals schloss.
Noch hatte ich Zeit, um das Rätsel zu lösen und so schnell würde ich nicht aufgeben.
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Ich wünsche euch einen wundervollen 2. Advent und hoffe, ich kann euch mit dem Kapitel ein wenig den Sonntag versüßen.
Es war letzte Woche echt schön, wie ihr mir von eurem 1. Weihnachstmarktbesuch erzählt habt. Ich hatte auch eine richtig tolle Zeit und konnte endlich mal wieder etwas Weihnachtsfeeling aufbauen... vielleicht war es auch den warmen Quarkbällchen und dem heiße Caipirinha zu verdanken^^ Jedenfalls könnt ihr mir gern auch von eurem zweiten Adventwochenende berichten. Bei mir war es diesmal weniger spannend, war nur gestern Abend mit meiner Familie bei meinem Onkel zum Glühweintrinken, aber da waren mir zu viele Menschen, deren Meinung nicht mit meiner eigenen übereinstimmt 🙃
I love you Stay ❤️
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