Der Lotos und das Äffchen
Jisungs Pov:
Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf den sanft geschwungenen Lippen vor mir ab. Dann blickte mein Gemahl mit seinen dunklen Augen bis tief in meine Seele und flüsterte leise: „Komm mit, Jisung."
Verwundert und gleichzeitig beschwingt folgte ich ihm durch den Palastgarten, der zu dieser Jahreszeit etwas weniger blüten- und blumenreich war. Dennoch waren die meisten Bäume und Sträucher bereits grün und hoben sich von der sonst so sandgelben Umgebung deutlich ab.
„Wohin führst du mich, Minho?", fragte ich ihn dann doch, weil ich zu neugierig war.
Mit einem schelmischen Glanz in den Augen wandte er sich zu mir um und ich fühlte die Erleichterung in jeder Zelle meines Körpers darüber, dass sie nicht länger diesen gehetzten und besorgten Ausdruck in sich bargen. „Vor zwei Tagen ist der erste Lotos erblüht und ich wollte ihn dir unbedingt zeigen."
Überrascht folgte ich ihm und war insgeheim froh, dass wir nun das Thema gewechselt hatten. Vorerst wollte ich einfach nicht an die Möglichkeit denken, dass ich ernsthaft erkrankt war oder etwas wirklich grundlegend mit meinem Körper nicht stimmte.
Und da kam die filigrane, weiße Blüte mitten auf dem künstlich angelegten Wasserbassin im Garten des Pharaos sehr gelegen. Bewundernd trat ich ganz nahe an den Rand des Wasserbeckens, sodass ich die einzelne Lotosblume ausgiebig betrachten konnte. Ich wusste, dass die Lotosblumen der Ägypter vielmehr den Seerosen glichen und sich deutlich von dem asiatischen Pendant unterschieden. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb bewunderte ich die Blüte noch etwas länger und erfasste das strahlende Weiß und das Sonnengelb der zentralen Blätter.
„Das ist eine sehr schöne Blüte", murmelte ich in Richtung des stillen Wassers, das ab und an von den grünen, tellerförmigen Blättern der Wasserpflanze unterbrochen wurde.
Gleich darauf legten sich Minhos Arme wieder schützend um meinen Körper. Genießend lehnte ich mich an ihn. In stiller Zweisamkeit betrachteten wir die Blume und schienen nur darauf zu warten, dass sie ihre Blütenblätter noch weiter für uns öffnete. Sie war noch nicht vollständig erblüht, soviel konnte ich erkennen. Doch sicher würde es nicht mehr lange dauern.
Plötzlich erinnerte ich mich an einen Text, den ich einmal für ein Seminar hatte lesen müssen, und ich wandte den Kopf leicht zur Seite, um Minho ansehen zu können. „Ist diese Blume für euch nicht eng mit der Sonne und dem Sonnengott selbst verbunden?" fragte ich neugierig, und mein Gemahl stieß ein belustigtes Schnauben aus.
„Was glaubst du, weshalb sie in diesem Garten blüht, Jisung?" Seine wunderschön funkelnden Augen begegneten meinen und auch ich musste lächeln, als ich den Stolz aus seiner Aussage heraushörte. Ich legte meine Hand auf seine, die immer noch um meine Taille geschlungen war, und erwiderte ebenso hochmütig: „Ich hätte es beinahe vergessen, Liebster... Alles in diesem strahlenden, unglaublichen Palast soll dich daran erinnern, dass deine Vorfahren wahre Götter sind. Du sollst nie daran zweifeln, dass sie dir ihr Licht schenken, all deine Entscheidungen überwachen und dein Leben lenken."
Der Griff um meinen Körper verstärkte sich merklich und die tiefbraunen Augen meines Pharaos verströmten schelmische Freude. „Genauso ist es, Jisung. Und du, als mein königlicher Gemahl, erhältst ebenso Vorteile von dieser göttlichen Schöpfung. Dein Name wird in der Unterwelt ebenso bekannt sein und man wird dich dort ebenfalls als Gott anerkennen." Ein belustigtes Zucken spielte um seine Mundwinkel und ließ mich wissen, dass er selbst nicht zu hundert Prozent an das glaubte, was er mir gerade erzählte. Aber auf einmal wurde seine Miene wieder ernster und nur die Weisheit spiegelte sich noch in seinen Iriden. „Die Lotosblüte schließt sich jede Nacht. Sie verschwindet im Wasser, sobald der Sonnengott in die Unterwelt reist und das letzte Tageslicht mitnimmt. Erst am folgenden Morgen taucht sie ebenso wieder auf wie Ra am Himmel, und deshalb ist der Lotos für mein Volk ein Ebenbild der Wiederbelebung und Auferstehung."
Diese letzten Worte erinnerten mich stark an das, was der wissenschaftliche Text mir damals über den Lotos als Symbol der Sonne und Statuszeichen des Pharaos vermittelt hatte. Verstehend summte ich und schmiegte mich noch etwas enger an Minho, während ich zusah, wie sich das Wasser leicht kräuselte, als eine sanfte Brise die spiegelglatte Oberfläche traf. Der dabei aufgewirbelte Staub und die Sandkörner setzten sich schnell wieder ab oder sanken zum Boden des Wasserbeckens. Nur die Blüte schien vollkommen unbeeindruckt von dem kleinen Aufruhr. Sie trieb gemächlich über das Wasser, stieß dabei mit einem der tellerförmigen Blätter zusammen und kam knapp neben dem Beckenrand und somit neben mir zum Stillstand.
„Es ist wunderbar, dass sie jetzt schon erblüht ist. So können wir uns an ihr erfreuen und ihr die aberwitzigsten Bedeutungen beimessen", sagte ich im Scherz und Minho brummte zustimmend. Dann löste er seinen Körper von meinem und trat stattdessen neben mich, um mir anschließend seinen Arm anzubieten und mich auffordernd anzusehen. „Lass uns eine kleine Runde durch den Garten gehen." Vor dem nächsten Satz zögerte er kurz, doch er wäre nicht der Pharao über Ägypten, hätte er nicht ausgesprochen, was er tatsächlich dachte. „Und wenn du das auch willst, könnten wir danach zurück in unsere Gemächer. Ich vermisse deine Anwesenheit dort. Und auch Soonie, Doongie und Dori wollen dich zurück. Sie verlangen nach mehr Streicheleinheiten, als ich ihnen gleichzeitig geben kann. Sie belagern mich regelrecht."
Diesmal konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Ich lachte sogar laut, weil das Bild von einem verzweifelt dreinblickenden Minho mit drei Katzen auf dem Schoß vor meinem inneren Auge auftauchte. Deshalb ergriff ich seinen dargebotenen Arm und strahlte ihn an. „Ich werde mit dir in unsere Gemächer zurückkehren. Ich habe es ebenfalls vermisst. Aber möglicherweise war der Abstand auch nötig, um uns bewusst zu werden, dass wir beide einander wichtiger sind als eine Uneinigkeit. Und ich helfe dir gern, deine Katzen zu streicheln und ihnen die nötige Liebe zu schenken."
Minho wirkte erleichtert, als er mich den sandigen Pfad zwischen den Palmen entlangführte, und seine Stimme erinnerte mich sanft daran, wie sehr er sich mittlerweile an ein Denken, in dem wir als Einheit funktionierten, gewöhnt hatte. „Es sind jetzt unsere Katzen, Liebster. Du hast mich geehelicht. Du hast nicht nur einen Titel und die Mitherrschaft über ein Land erhalten, sondern auch mich und alles, was mich ausmacht. Es ist ebenso dein."
Mein Herz wollte in diesem Moment, bei exakt diesen Worten, seinen Dienst quittieren. Das spürte ich deutlich. Die Gefühle, die sich in meiner Brust zu einem festen, flammenden Ball der Liebe und Einigkeit formten, machten es meinem Herzen wirklich schwer, wie gewohnt zu funktionieren. Doch es war wie so häufig Minho, der mich in diesem Augenblick vor dem Schmelzen, Implodieren oder vor einem Tränenausbruch bewahrte. Seine Schritte wurden etwas schneller und er deutete vor uns, wo zwischen den grünen Büschen und den Palmen nun der angelegte Kanal zum Nil sichtbar wurde.
„Sieh nur, ein Äffchen." Rasch folgte ich seinem ausgestreckten Finger und war dem kleinen pelzigen Tierchen, das sich munter von Palme zu Palme schwang, dankbar für die Unterbrechung meiner rasenden Gedanken. Ich hatte nicht gewusst, was ich auf Minhos Worte erwidern sollte. Aber es schien so, als würde er gar keine Antwort verlangen – als wüsste er längst, dass ich viel mehr für ihn empfand, als ich in Worte fassen konnte.
„Glaubt ihr in der Zukunft noch an Vorhersagen oder die Bestimmung?", fragte mein Gemahl vollkommen unvermittelt, obwohl er damit sicher einen Gedanken von unserer Unterhaltung vorhin am Lotosblumenbecken aufgriff. Er wusste, dass ich vorsichtig mit meinem Wissen aus der Zukunft umging und ihm nur Aspekte erzählte, die keinen direkten Einfluss auf bestimmte Erfindungen oder Glaubensrichtungen nahmen – zumindest bemühte ich mich sehr darum.
„Nun, soweit mir bekannt ist, gibt es Menschen, die stark an eine Art von Bestimmung glauben oder einen höheren Sinn im Leben für wahrscheinlich halten. Aber es gibt auch Menschen, die diesem Glauben vollkommen aus dem Weg gehen. Und es gibt – genau wie in deiner Zeit – Menschen, die es zumindest teilweise für plausibel halten."
Ich hoffte, dass diese Antwort vage genug war und dennoch die ursprüngliche Frage hinreichend beantwortete. Jedenfalls blieb es mehrere Sekunden lang still, bevor Minho seine Schritte etwas verlangsamte und mich von der Seite her ansah. „Glaubst du, dass du deine Welt in der Zukunft je wiedersehen wirst?"
Nachdenklich, aber weniger resigniert als sonst, wenn ich über mein unerreichbares Leben in der Zukunft sprach, zuckte ich die Schultern und gestand dann: „Keine Ahnung. Ehrlich gesagt habe ich wenig Hoffnung. Irgendwie denke ich, dass meine Lapislazulikette zusammen mit der zweiten Kette aus deinem Sarkophag dafür verantwortlich war, dass ich durch die Zeit reisen konnte. Wenn das der Fall war, dann habe ich keine Möglichkeit mehr, zurückzukommen, da ich die Ketten und die ihnen innewohnende Magie nicht mehr besitze."
„Was wäre, wenn du sie hättest? Würdest du dann zurückwollen?"
Diesmal spürte ich deutlich, welche unausgesprochene Angst hinter Minhos Worten stand, und ich streichelte zärtlich über seinen Handrücken. „Eine schwierige Frage. Vermutlich würde ich gern einen Blick auf mein früheres Leben werfen und einigen Menschen sagen, dass es mir gut geht. Aber zurückkehren und dort leben will ich, glaube ich, nicht – nicht ohne dich."
Das war ein Eingeständnis, das mich selbst überraschte, aber dennoch wahr erschien. Ich hatte in den vergangenen Monaten nicht nur gelernt, ein Gemahl des Königs zu sein, sondern auch wirklich Teil dieser Gesellschaft zu werden. Auch wenn ich bestimmte Praktiken noch immer verabscheute und als zu grausam erachtete, so konnte ich dem Leben, das ich führte, immer mehr abgewinnen. Nicht unbedingt die Privilegien und der Reichtum überzeugten mich, sondern die Bedeutung, die mein Leben durch meine Taten hier bekam. All die Personen, die ich in dieser Zeit zu meinen Freunden und Bekannten zählte und die mich für meinen Charakter und meine Loyalität mochten.
Beinahe erleichtert atmete Minho aus und bei seiner nächsten neugierigen Frage musste ich ein Kichern zurückhalten. „Das heißt, du würdest mich mitnehmen?"
Nun war es an mir, ihn von der Seite aufmerksam anzusehen und meine nächsten Worte weise zu wählen, sodass sie Minhos Gefühle nicht verletzten. „Das würde ich wohl nur in äußerster Not tun, Minho. Ein Leben in meiner Welt würde für dich eine wahre Herausforderung sein." Ich seufzte. „Es gebe so vieles zu lernen und zu erklären... Es würde dir schwerfallen, dies alles zu begreifen. Du wärst aus deiner natürlichen Lebenszeit herausgerissen, fernab aller erlernten Strukturen. So ein Leben möchte ich nicht für dich."
Behutsam umgriff ich seine Hand, nahm sie in meine und beobachtete, wie Minhos Stirn sich kurz in Falten legte, während er offensichtlich über meinen Worten brütete. Doch dann glätteten sich die sanften Falten wieder und er nickte. „Das verstehe ich. Du hattest zu Beginn hier auch Schwierigkeiten, dabei wusstest du deutlich mehr über mich und diese Zeit, als ich es im Gegensatz dazu von deiner tue. Also ist es wohl das Beste, wenn wir beide hierbleiben."
Ich nickte zustimmend und schlenderte mit ihm weiter, wobei mir auffiel, dass er noch immer über etwas nachzugrübeln schien. Allerdings wusste ich, dass er manchmal seine Zeit brauchte, um seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen.
„Was wäre mit unserem Kind? Würdest du ihm oder ihr deine Welt zeigen wollen, wenn du könntest?"
Leise schnaufend blickte ich auf den Pfad vor mir und schluckte die bissige Antwort hinunter, dass diese Frage vollkommen irrelevant war. Stattdessen kramte ich nach der besten Erwiderung, die ich finden konnte.
„Wenn es so leicht wäre, meine Welt zu besuchen, würde ich unsere Kinder wählen lassen, ob sie sie sehen wollen oder nicht."
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Und wie findet ihr das neue Stray Kids Album so? 👀 ✨Ich glaube, ich habe Railway heute einmal zu oft angehört und jetzt juckt es mir in den Fingern, etwas dazu zu schreiben. 😄
I love you Stay. 💖
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