Das Eichhörnchen und der Wüstenfuchs

Jisungs Pov:

„Das machst du sehr gut, Jisung. Siehst du, sie geht ganz ruhig am Zügel, wenn du ihr klare Signale sendest", lobte mich Jeongin, der entspannt neben mir trabte und ab und an einen prüfenden Blick zu mir warf, um sicherzugehen, dass ich nicht doch die Kontrolle über mein Pferd verlor. Die weiße Stute lief mit langen, weichen Schritten neben Jeongins braunem Hengst und schien sich nicht daran zu stören, dass ich kaum nennenswerte Erfahrung als Reiter besaß. Sie gehorchte selbst dem sanftesten Ziehen an den Lederzügeln und blieb stets in der Nähe der anderen Pferde.

Hätte ich früher davon erfahren, dass das Reiten so viel Freude bereitet, hätte ich es definitiv eher ausprobiert. Außerdem war es noch lustiger, wenn man neben Jeongin ritt. Denn dieser erzählte mir von all seinem Wissen über Pferde und seinen Erkenntnissen im Umgang mit diesen. So kam mir auch die ein oder andere spannende Anekdote über Minhos und Jeongins Kindheit zu Ohren, die meistens schon gar nichts mehr mit dem Reiten zu tun hatte.

Wie zum Beispiel, dass Minho seinen kleinen, damals vierjährigen Bruder immer zum Spielen an den See im Palastgarten mitgenommen hatte. Dort waren sie gemeinsam mit den Kindern der Adeligen und denen der Bediensteten am Uferbereich ins Wasser gewatet und hatten versucht, Fische zu fangen. Einmal jedoch war Jeongin zu weit ins Wasser gewatet, und als er den Fisch gerade zu fassen bekommen hatte, war er auf einem glitschigen Stein ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Und Minho hatte später dafür eine Standpauke und zwei Monate Reitverbot von ihrem Vater bekommen, weil Jeongin völlig durchnässt und etwas verstört in den Palast zurückgerannt war, um sich von seiner Mutter trösten zu lassen.

Kichernd richtete ich meinen Blick auf Minhos Rücken, da er mit Chan gerade ein kleines Stück vor uns ritt. Doch als hätte er jedes einzelne Wort genau gehört, drehte er sich nun um und schenkte seinem Bruder und mir einen verdrossenen Blick. „Redet ihr nun über meine Verfehlungen? Glaub ihm bloß nicht, Kätzchen. Er würde alles sagen, um mich vor dir bloßzustellen." Ich grinste jedoch nur und konterte frech: „Dabei habe ich in den letzten Monaten vielmehr den Eindruck gewonnen, er könnte mir deine Gefühle besser erklären als du selbst."

Minho schnaubte nur erbost, wandte uns wieder den Rücken zu und streckte diesen kerzengerade durch, bevor er seine Schenkel enger gegen die Flanken seines Pferdes presste, damit es schneller vorantrabte. Mit einem leichten Augenverdrehen ließ ich auch meiner schneeweißen Stute mehr Zügel und lächelte Jeongin zu, der äußerst zufrieden mit sich aussah.

Geschwisterliebe. Sie kann Fluch und Segen zugleich sein.

Für einen kurzen Augenblick erinnerte ich mich an meinen älteren Bruder und wie wir uns damals als junge Teenager gestritten hatten. Meistens waren es Nichtigkeiten wie die Filmauswahl oder das letzte Eis in der Tiefkühltruhe gewesen, ganz banale Dinge eben. Richtig gestritten hatten wir selten und so schien es auch bei Minho und Jeongin zu sein. Die beiden stichelten eher liebevoll gegeneinander und schmollten mehr symbolisch miteinander, statt sich tatsächlich etwas nachzutragen. Ich mochte diese Dynamik und irgendwie wünschte ich, dass es zwischen mir und meinem Bruder ähnlich gewesen wäre, hätten wir die Chance gehabt, zusammen erwachsen zu werden.

„Wie entwickelt sich deine Beziehung zu Chan?", fragte ich Jeongin, um mich von den ernüchternden Gedanken abzulenken. „Ihr wart immerhin gemeinsam auf Minhos und meiner Hochzeit. Nun sollten alle wissen, dass ihr einander mehr bedeutet. Verändert das etwas?"

Jeongin schien einen Moment nachzudenken, wobei sein Blick ebenso auf dem breiten Rücken seines Geliebten ruhte. Dann nickte er langsam. „Es hat sich etwas verändert. Seit wir uns in der Gesellschaft offen zusammen zeigen können, ist unsere Verbindung noch tiefer und ernsthafter geworden." Der Prinz warf mir einen flüchtigen Blick zu, so als wolle er prüfen, ob ich ihn verstand. „Zuvor hatte ich immer die Sorge, Chan könnte die Aufmerksamkeit vor dem Volk zu viel werden oder meine Ansprüche an unser Leben im Palast könnten ihn überfordern, doch er ist stets an meiner Seite geblieben." Ein vertrauensvolles Lächeln trat auf Jeongins Gesicht. „Wir sprechen nun offener und entschlossener von einem gemeinsamen Leben und ich fühle mich angekommen." Nun funkelten seine Augen voller Stolz und zärtlicher Liebe, als er Chans Rücken betrachtete. „Er ist mein Licht, meine stärkste Liebe."

Mir wärmte es bei diesem Bekenntnis das Herz, selbst wenn die Sonne bereits unbarmherzig warm auf uns herabschien. „Das klingt ganz nach einer erfüllten Beziehung, Jeongin. Ich bin sehr froh, dass du dieses Glück für dich gefunden hast. Chan ist ein wundervoller Mensch und ich bin mir sicher, er würde dir nie von der Seite weichen, egal wie schwierig es wird."

Jeongin summte zustimmend, dann trieb er sein Pferd etwas an und schloss zu Minho und Chan auf, was ich ihm wenige Sekunden später gleichtat. Nun ritten wir einträchtig alle nebeneinander am breiten Grünstreifen des Nils entlang und unterhielten uns. Auf unserem Weg kamen wir an angelegten Feldern und künstlich geschaffenen Wasserkanälen vorbei, wobei ich zum ersten Mal die Bauern bei der Feldarbeit beobachten konnte. Es war mittlerweile November in Ägypten, was bedeutete, die Nilschwemme war nun vorüber und die Bauern begannen mit der Aussaat. Etwas rechts von uns zog gerade ein Ochse einen Pflug über das Feld, während ein Mann hinter ihm herlief und das Tier gewissenhaft lenkte. Vermutlich würde auf diesem Acker Getreide angebaut werden. Getreide wie Gerste, Emmer und auch Weizen bildete die wichtige Grundlage für die Brot- und Bierherstellung und war somit weit verbreitet.

Aber lange konnte ich mich der Landwirtschaft Ägyptens nicht widmen, denn Jeongin ließ seinem Hengst nun die Zügel locker. Dieser verstand die Aufforderung sofort und fiel in einen schnellen Galopp, sodass sich Jeongin von unserer kleinen Gruppe absetzte. Chans Pferd tänzelte ungeduldig und schien es kaum erwarten zu können, ebenso frei laufen zu dürfen. Also warf Chan Minho einen kurzen Blick zu und als dieser ihm zunickte, gab auch Chan seinem Pferd die Erlaubnis, vorranzupreschen.

Meine schneeweiße Stute hob zwar interessiert den Kopf und sah den beiden davonstürmenden Pferden nach, doch sie blieb vollkommen ruhig und schnaubte, so als würde sie dieses Spektakel amüsieren. Ich grinste und streichelte ihr wohlwollend über den weichen Hals, um ihr meine Dankbarkeit für ihre Geduld zu signalisieren.

Minho hingegen hatte es mit seinem Pferd nicht ganz so leicht. Sein immer noch viel zu ungeduldiger Hengst versuchte tatsächlich, ebenfalls loszupreschen, indem er einen Sprung nach vorn machte. Doch Minho ließ sich das nicht bieten, fasste die Lederriemen fester und kürzer, bevor er auf das Tier einredete und es mit dem festen Druck seiner Schenkel schließlich wieder neben mein Pferd lenkte. Daraufhin stupste die weiße Stute dem aufgeregten Hengst gegen die Flanke, was diesen irgendwie zur Vernunft zu bringen schien, und gleich darauf befand ich mich auf Augenhöhe mit Minho.

„Ich sollte Akay meinen Dank aussprechen, dass er dir ein so geduldiges und ruhiges Pferd geschenkt hat", murmelte Minho, während er noch immer die Bewegungen seines Pferdes genau beobachtete und nicht zuließ, dass es erneut ausbrach. Ich summte zustimmend. „Darüber bin ich auch ausgesprochen froh. Mich hätte dein Pferd sicherlich schon mehrmals abgeworfen."

Minho seufzte. „Deshalb reitest du ihn auch nicht. Ehrlich gesagt, lasse ich ohnehin sonst niemanden auf ihm reiten... Sein vorheriger Besitzer war ein rauer Pferdehändler. Nach dem, was ich gesehen habe, hat er ihn alles andere als sanft behandelt." Mit einem bedauernden Blick rieb Minho nun ebenfalls über den Halsansatz seines Hengstes. „Er ist also nicht bösartig, sondern lediglich ängstlich und unsicher. Ich habe ihn erworben, weil mir sein Kampfgeist und seine Ausdauer imponiert haben, und möglicherweise hatte ich gehofft, ihn zu einem weniger schreckhaften Tier erziehen zu können." Dann deutete Minho ein leichtes Schulterzucken an und ich lächelte, als ich den Gesprächsfaden aufnahm.

„Mir scheint, dieses Unterfangen ist schwieriger, als du es dir vorgestellt hast", gab ich zu und der Pharao brummte leicht verdrossen: „Scharfsinnig erkannt, mein Liebster."

Ich kicherte, vermutlich weil ich die mitschwingende Unzufriedenheit meines Gemahls verstehen konnte. Aber rasch wurde ich wieder ernst und ergänzte versöhnlich: „Ich bin mir sicher, du tust alles, was dir möglich ist und mit aller Wahrscheinlichkeit hat er es bei dir viel besser. Womöglich braucht es noch etwas mehr Geduld und du wirst ebenso erfolgreich sein wie in unserer Beziehung."

Nun war Minho derjenige, der laut lachte und sich zu mir umwandte. „Du willst mir also sagen, ich könnte die Verbindung zu meinem Pferd so verbessern, wie ich es bei dir getan habe? Ich fürchte nur, er wird mich nicht so verstehen wie du, wenn ich mit ihm spreche." Er deutete auf seinen Hengst, der mittlerweile etwas entspannter neben meinem Pferd trabte.

Nachdenklich biss ich auf meine Unterlippe und formulierte meinen Gedanken dann präziser. „Zwar versteht er dich nicht genau, aber er wird vielleicht deine Aufrichtigkeit erkennen und instinktiv wissen, dass von dir keine Gefahr ausgeht und du ihn auch keiner Gefahr aussetzt."

Nun war mein Gemahl derjenige, der kurz schwieg und meine Worte durchdachte, dann jedoch nickte er. „Da magst du Recht haben, Jisung." Dann lag sein Blick fragend auf mir. „Traust du dir einen kurzen Galopp zu? Dann holen wir Jeongin und Chan vielleicht noch ein, bevor wir an der Flussbiegung rasten."

Eifrig griff ich fester nach den Zügeln, setzte mich auf dem Pferderücken zurecht und lächelte Minho zu. „Natürlich, lass es uns versuchen." Und schon beschleunigten sich die Schritte der Pferde und bald musste ich sogar die Augen ein wenig zusammenkneifen und mich tiefer über den Hals meiner Stute beugen, um dem entgegenpeitschenden Wind nicht so viel Angriffsfläche zu bieten.

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Wir holten Jeongin und Chan nicht mehr vor der besagten Flussbiegung ein.

Vielmehr erwischten wir die beiden dabei, wie sie sich heftig küssten, wobei Chan den Prinzen gegen eine der Palmen gedrückt hatte, während Jeongin beide Hände fest in den dunklen Haaren des Generals vergrub. Ich musste ein breites Grinsen unterdrücken, als ich Minhos leicht pikierten Blick bemerkte.

Bisher hatte er die Beziehung der beiden nie mit einem negativen Wort kommentiert, aber ich konnte nachvollziehen, dass es etwas anderes war, seinem Bruder dabei zusehen zu müssen, wie er jemanden ziemlich offenherzig küsste.

Rasch stieg ich vom Pferd, lief auf den Pharao zu und schob meine Hand in seine, sodass sich Minho auf etwas anderes fokussieren konnte.

„Lass den beiden noch etwas ihre Zweisamkeit", hauchte ich, als ich seinen dunklen Blick auffing. Und bevor er etwas sagen oder tun konnte, beugte ich mich vor und drückte meine Lippen in allerbester Manier gegen seine. Glücklicherweise schien die Ablenkung zu funktionieren, denn Minho erwiderte den Kuss sofort liebevoll, zumindest so lange, bis ein Schnauben uns aus dem vertrauten Moment riss. Meine Stute stand immer noch direkt hinter mir und der Lederriemen der Zügel lag ebenfalls noch in meiner Hand, da ich noch keine Zeit gefunden hatte, sie anzubinden.

„Da seid ihr endlich", rief Jeongin und löste sich mit tiefroten Wangen von Chan, während ich ebenfalls etwas Abstand von Minho nahm und stattdessen mein Pferd hinüber zu den anderen führte und es dort anband. Selbst von hier konnte ich Minhos Antwort hören, die er seinem jüngeren Bruder gab.

„Wärt ihr nicht so beschäftigt gewesen, hättet ihr uns schon viel früher bemerkt."

Irgendwie waren seine kleinen Seitenhiebe fast liebenswert und schnell gesellte ich mich wieder zu ihm, hakte mich bei ihm unter und schritt gemeinsam mit ihm hinüber zu den Palmen, unter denen Chan bereits eine große Decke ausgebreitet hatte und von dort nun entspannt die Umgebung betrachtete.

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In den nächsten Stunden redeten wir viel, aßen kleine mitgebrachte Gebäckstücke und tranken aus den Wasserschläuchen. Zwischendurch betrachteten wir auch still den Weg der Sonne am Himmel, blickten in die Ferne der Wüste oder bewunderten den glitzernden Fluss und die Strömung, die heute besonders sanft zu sein schien. Ich machte sogar ein kurzes Nickerchen, bevor mich eine fröhliche Melodie weckte, die Jeongin vor sich hin summte.

Chan war irgendwann dazu übergegangen, etwas aus einem Stück Elfenbein zu schnitzen, das er wohl für genau diesen Zweck in einem Lederbeutel verstaut hatte. Minho war zunächst etwas umhergegangen, hatte sich die Umgebung genau angesehen und schließlich die Pferde zum Fluss geführt, damit sie trinken konnten. Später hatte er sich neben mich gesetzt, meine Hand genommen und mir über das Haar gestreichelt, woraufhin ich meinen Kopf in seinen Schoß gelegt hatte.

Wir alle schienen uns zu entspannen und in der Natur eine Art der Ruhe zu finden, die ich so rein schon lange nicht mehr verspürt hatte.

Gerade nach der schnellen Vermählung und den ausschweifenden Feierlichkeiten der letzten Woche war das hier so wunderbar entschleunigend, dass ich rasch selbst merkte, welche enorme Anspannung nun langsam von mir abfiel und sich in Minhos Gegenwart gänzlich verflüchtigte.

„Was ist das Chan?", fragte Jeongin neugierig und ich blinzelte, um auf das Stück Elfenbein sehen zu können, das der General noch immer bearbeitete. Mittlerweile hatte es deutliche Formen angenommen und ich öffnete auch das zweite Auge, um das Geschnitzte näher zu betrachten.

Chan hingegen murmelte etwas vor sich hin und wirkte unzufrieden mit seiner Arbeit. „Ich weiß es selbst nicht genau. Erst wollte ich ein Fabelwesen schnitzen und dann eine Katze, aber jetzt gefallen mir die Proportionen nicht richtig." Unschlüssig drehte er das weißliche Elfenbein zwischen seinen Fingern. „Vermutlich lasse ich es hier, es ist keine gute Arbeit."

„Ich finde, es sieht wie ein Eichhörnchen aus", platzte es da aus mir hervor und Jeongin und Chan blickten überrascht zu mir, bevor ich mich aufsetzte und auf das geschnitzte Wesen deutete. „Ja, die Schnauze ist etwas klein für eine Katze und auch der Körper zu schlank, wohingegen der Schwanz deutlich zu fluffig ist, aber das alles passt wunderbar zu einem Eichhörnchen."

„Ein Eichhörnchen", wiederholte Jeongin und erst als er das Wort so deutlich betonte, wurde mir klar, warum mich alle so überrascht betrachteten.

„Ich- also ja- Eichhörnchen sind Nagetiere, die hauptsächlich auf Bäumen leben", versuchte ich zu erklären und sah zu Minho, der mich ebenso neugierig beobachtete. „Sie sind sehr niedlich und mögen Nüsse." Dann drehte ich mich zu Chan. „Also bitte lass es nicht hier. Ich finde es sehr schön und wenn du es nicht magst, nehme ich es gern."

Kurz war es ganz still, dann blickte Chan von seinem Geschnitzten zu mir und wieder zurück, dann reichte er es mir. „Solange es dir wirklich gefällt, freut es mich. Vielleicht schnitze ich als Nächstes ein Tier, dessen Gestalt mir vertrauter ist, dann bleibt das Eichhörnchen nicht so allein." Nach einem kurzen Seitenblick zu Jeongin fügte er hinzu: „Wie wäre es mit einem Wüstenfuchs?"

Mit einem warmen Lächeln nahm ich die elfenbeinerne Figur entgegen und nickte bekräftigend.

„Das scheint mir eine großartige Idee zu sein."

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Diesmal muss ich euch leider ein wenig vertrösten mit dem zweiten Kapitel... 🥺👉👈 Ich musste diese Woche einiges vorbereiten und heute ist mein Geburtstag... deshalb werde ich das zweite Kapitel, das übrigens das Interview sein wird, erst am Samstag oder Sonntag hochladen. Ich hoffe, ihr seid dennoch gespannt darauf, denn vielleicht wird es die ein oder andere kleine Enthüllung geben. ✨

I love you Stay. 💖

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