Alle Zeit der Welt

Jisungs Pov:

„Jisung! Aufwachen, Jisung!"

Jemand rüttelte mich sanft an der Schulter, aber ich kuschelte mich nur fester in die dünne Decke, die erstaunlich gut gegen die Kälte der Nacht geholfen hatte und noch immer warm und anschmiegsam meinen Körper ummantelte.

„Jisung, steh auf, der Tag ist angebrochen und alle versammeln sich zum Essen."

Niki war offenbar sehr hartnäckig, wenn es um das Aufwecken ging und schließlich schlug ich nach einem verstimmten Brummen die Augen auf und blinzelte gegen die Helligkeit an. Mit dem einfallenden Tageslicht kamen auch die Erinnerungen zurück. Die Erinnerungen an gestern Abend, an die Geschehnisse im Gemach des Pharaos – was ich getan hatte, nachdem ich erfolglos versucht hatte, ihn zu überlisten.

Danach war ich von einem der wachhabenden Soldaten zurück zu den Räumen des Harems begleitet worden, nur um dort erleichtert festzustellen, dass keiner der anderen noch wach war. Ich hatte mich so leise wie möglich zu meinem Bett geschlichen und meine Kleidung abgestreift. Daraufhin hatte ich ebenso unauffällig nach einem Stück Stoff gesucht und mit diesem so lange meine Haut abgewischt und notfalls geschrubbt, bis sie gerötet war und leicht kribbelte. Ich hatte den Gedanken nicht ertragen, dass noch etwas von Minhos Sperma irgendwo an meinem Körper haftete.

Schließlich war ich auf das Bett geklettert, hatte mich hingesetzt, die Beine angezogen und diese mit den Armen umschlungen. An Schlaf war für mich zunächst nicht zu denken gewesen, da mein Herz noch immer raste und mein Kopf einfach keine Ruhe gehen wollte. Vehement versuchte er die Geschehnisse zu verdrängen und stattdessen absurde Fluchtmöglichkeiten durchzuspielen.

Beispielsweise dass ich am Mauerwerk des Palastes hinabklettern könnte, dabei die möglichen Vorsprünge im Gestein nutzen würde und im Schutz der Nacht verschwinden konnte... Aber ich wusste ja noch nicht einmal, wann die Wachen wo patrouillierten.

Also hatte ich resigniert mein Kinn erneut auf meine Knie gebettet und vor mich hingestarrt.

Es ist unmöglich zu fliehen, ohne die Menschen hier zu kennen... ohne diesen Ort zu kennen.

Irgendwann, kurz bevor mir die Augen zugefallen waren, hatte ich mich in meine Decke gewickelt und mich auf die Seite gedreht. Eine Weile lang fragte ich mich noch, was mich wohl am nächsten Tag erwartete, wie die anderen auf mich reagieren, und welche Fragen sie stellen würden. Denn vor ihren neugierigen Erkundigungen graute es mir wirklich, da ich absolut keine Ahnung hatte, wie ich sie beantworten sollte.

„Jisung, du solltest jetzt aufstehen, damit dir die Bediensteten beim Ankleiden helfen können." Diesmal klang sogar Nikis Stimme fordernd und ich tat ihm den Gefallen und setzte mich im Bett auf. Noch während ich meine Augen rieb, beäugte ich die beiden Sklaven, die bereits mit einem sauberen Gewand in der Hand auf mich warteten. Ich ließ meine Hand langsam sinken, sah an mir herab und konnte mich noch immer nicht mit dem Gedanken anfreunden, jemand anderem zu erlauben, mich anzukleiden. Niki hatte sich mittlerweile auch von meiner Bettstatt erhoben und machte den beiden Dienern Platz, die sogleich pflichtbewusst zu mir eilten. Allerdings stoppte ich sie.

„Gebt mir mein Gewand. Ich kann es mir selbst anziehen."

„Aber junger Herr, sie müssen das nicht tun. Wir sind-" „Ich weiß, aber ich möchte es selbst anziehen."

Nach kurzem Zögern reichte mir der Sklave das luftige Kleidungsstück und ich streifte es mir über, bevor ich hastig meine Haare mit den Fingern durchkämmte.

„Junger Herr, wir begleiten euch gern zu Tisch. Wir sind für euer Wohlergehen verantwortlich."

Erneut zeigte sich der deutliche Unterschied zu meinen sonstigen Lebensgewohnheiten und resigniert zupfte ich an meinem Gewand herum, bevor ich in Richtung der Tür schlurfte und anschließend den großen Saal betrat, in dem schon die anderen an ihren Tischen saßen und sich Essen auftragen ließen.

Alles blieb erstaunlich ruhig, während ich mich an dem kleinen Tisch zwischen Seungmin und Niki niederließ und betont unbeteiligt nach dem Sauerteigbrot griff, das mir einer der Bediensteten auf einer Platte anreichte. Eher appetitlos biss ein Stück von dem Brot ab, um es dann mit ein wenig Milch herunterzuspülen. Ich bemühte mich, nicht auf die fragenden Blicke der anderen zu achten und ganz in Ruhe zu essen, so als wäre gestern Abend rein gar nichts Ungewöhnliches geschehen.

Doch mir hätte klar sein müssen, dass ich nicht so leicht davonkommen würde.

„Wie war dein Abend mit Minho?", fragte Seungmin vorsichtig und auf einmal war es so leise im Raum, dass man selbst eine Maus gehört hätte, die über den Boden lief.

Ich ließ das Stück Brot sinken, das ich gerade zum Mund führen wollte und schluckte trocken. Alles in mir sträubte sich dagegen, über die Vorkommnisse der letzten Nacht zu sprechen und mein Magen wurde flau, als ich versuchte, mir eine halbwegs zufriedenstellende Antwort auszudenken.

„Er war annehmbar, würde ich meinen", entgegnete ich mit rauer Stimme und nahm rasch noch einen Schluck Milch. Von Hyunjin hörte ich daraufhin ein ungläubiges Schnauben, Niki seufzte und Seungmin sah mich weiterhin aufmerksam an. Seinen Blick hätte ich selbst ungesehen gespürt und mir war bewusst, dass ihm meine vage Aussage nicht reichte.

„Seungmin wollte vielmehr wissen, ob es zwischen unserem König und dir zu bestimmten Handlungen kam", präzisierte Yeji überflüssigerweise die Frage und am liebsten wäre ich im Erdboden versunken, als sie so direkt darauf zu sprechen kam. Jedenfalls blinzelte ich mehrmals und wusste nicht genau, wie viel ich von dem preisgeben sollte, was passiert war.

„Wir haben uns unterhalten... seine Majestät wollte sichergehen, dass es mir hier an nichts mangelt. Er hat mir Kleidung und Schmuck angeboten, um mich an meine jetzige Situation zu gewöhnen." Ich grinste freudlos in mich hinein und dachte darüber nach, wie taktlos es war, dies nach so kurzer Zeit und unter diesen Bedingungen von einem Menschen zu erwarten.

„Und das ist alles?", fragte Hyunjin scharf und starrte mich quer über die Tische hinweg aus seinen funkelnden Augen an. Gerade erkannte ich deutlich, wie viel ihm Minho bedeutete, wie sehr er wünschte, dass kein anderer ihm so nahe kam. Unter anderen Umständen hätte ich ihn sicher damit geneckt, dass er sich so verliebt hatte, aber stattdessen blickte ich nur ernst zurück und beschloss, ihm die Wahrheit zu sagen.

„Nein, ich habe ihm einen runtergeholt."

Verständnislos starrte mich Hyunjin an und auch auf Yejis und Sunoos Gesicht konnte ich das fragende Stirnrunzeln erkennen. Nur Niki hakte ganz direkt nach. „Was hast du ihm heruntergeholt? Kam er an irgendetwas nicht heran? Das ist komisch, immerhin ist Minho größer als du."

Ich gratulierte mir selbst zu meiner grenzenlosen Dummheit und kramte in meinem Gehirn nach einer Möglichkeit, meinen mehr als modernen Ausdruck für einen Handjob noch irgendwie zu korrigieren und meine Glaubwürdigkeit zu retten.

Ich sollte wirklich auf meinen Sprachgebrauch achten. Was zum Teufel habe ich mir nur dabei gedacht, das so zu sagen? Wenn ich nicht auffallen will, muss ich mir angewöhnen, bestimmte Begriffe vollkommen aus meinem Wortschatz zu streichen. Worte wie Waschmaschine, Auto oder Defibrillator sind jetzt tabu für mich. Auch mit bestimmtem Slang und Anglizismen sollte ich wirklich vorsichtig umgehen. Selbst alltägliche Begriffe wie okay und nice sollte ich wohl am besten nicht einmal mehr denken, um auch nicht Gefahr zu laufen, sie irgendwann auszusprechen und damit unnötige Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.

„Bitte entschuldigt, ich habe mich etwas salopp ausgedrückt... Ich meinte, ich habe dem Pharao Befriedigung mit der Hand verschafft." Innerlich starb ich selbst bei dieser Formulierung der Tatsachen, aber die Reaktion der anderen machte meine Scham beinahe wieder wett.

Sunoo verschluckte sich an seinem Getränk und Yeji musste ihm mehrmals kräftig auf den Rücken klopfen, während Hyunjins Miene für wenige Sekunden vollkommen entglitt, bevor er wieder diese unleserliche, gleichgültige Maske aufsetzte. Seungmin lief erst etwas rot an, dann wirkte er ausgesprochen verlegen.

Dabei habe doch ich die Worte ausgesprochen... wenn schon sollte ich es peinlich finden. Aber meine Empfindungen zu diesem Abend sind nochmal ganz anders als alles, was ich nun sagen könnte.

Einzig und allein Niki wirkte weder verlegen noch wütend noch anders berührt von dieser Offenbarung. Er betrachtete mich vielmehr nachdenklich, bevor er lächelte und dann ganz ehrlich aussprach, was er dachte: „Du bist gerade zur echten Konkurrenz für alle in diesem Raum geworden, Jisung."

Dann wandte er sich erneut seinem Essen zu und machte auf mich absolut nicht den Eindruck, als sei ich tatsächlich eine Bedrohung für irgendjemanden. Aber schon plapperte der Jüngere weiter, während er nebenbei auf einem Fruchtstückchen kaute. „Ich sage die Wahrheit, nicht einmal bei Hyunjin hat er so schnell körperliche Nähe gesucht. Du scheinst echt etwas Besonderes zu sein."

Ein Privileg, das ich nicht gern besitze und das es mir kein Stück leichter macht.

Flüchtig warf ich einen Blick zu Hyunjin, der so aussah, als wolle er gleich jemanden massakrieren, wahlweise auch das unschuldige Essen vor sich auf dem Teller.

„Tsss~ als ob das etwas zu bedeuten hätte", knurrte er nun und warf mir einen Blick aus seinen stechenden Augen zu. Selbst ich bemerkte, dass es ihn ehrlich störte, dass Minho nicht allein ihn bevorzugte und am liebsten hätte ich Hyunjin direkt ins Gesicht gesagt, dass er den Pharao gern für sich behalten konnte und ich nichts mit einem kontrollsüchtigen Bastard zu tun haben wollte, der obendrein seine eigenen Eltern umgebracht hatte.

Ich bin immerhin nicht so lebensmüde wie er.

Stattdessen lächelte ich ihn mitleidig an, obwohl mir kaum danach zumute war und bestätigte seine Worte. „Ich stimme dir vollkommen zu, nichts an mir ist besonders. Sicherlich wollte seine Majestät nur seine Bedürfnisse befriedigen."

Diese Worte schienen Hyunjin nur noch mehr aufzuwühlen, denn seine Wangen wurden rot und ich fragte mich, ob er mich missverstanden hatte.

Verdammt, eigentlich will ich doch gar nicht so zynisch sein. Und ganz sicher möchte ich mich nicht mit einem der anderen anlegen.

Jedenfalls war mir der Appetit nun endgültig vergangen und ich legte den Rest des Brotes zurück auf die Platte, wischte meine Finger ab und erhob mich dann.

„Entschuldigt mich, ich würde mich jetzt gern etwas an der frischen Luft bewegen."

Eigentlich hoffte ich nur auf Ruhe und eine Pause von noch mehr unangebrachten Fragen.

Ohne zurückzusehen lief ich hinaus in den ummauerten Innenhof, der traumhaft schön und friedlich vor mir lag. Als ich am gestrigen Nachmittag mit Seungmin hier gewesen war, hatte ich nicht alles bewundern können, weil ich zu nervös und aufgeregt gewesen war, aber nun hatte ich Zeit.

Ironisch lächelte ich und trat unter den Säulen hervor ins helle Tageslicht. Mein Blick schweifte zu den hohen Bäumen mit den dunkelgrünen Blättern, bis hinüber zu dem See mit der spiegelnden Oberfläche. Mein Herz wurde schwerer und meine Finger krallten sich in den Stoff meines Gewandes.

Wenn ich keinen Weg zurück in die Zukunft finde, habe ich hier alle Zeit der Welt. 



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Sorry, heute bin ich etwas spät dran. Ich erkläre euch unter dem zweiten Kapitel weshalb... dann kann ich mal wieder richtig bei euch auskotzen. ^^


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