46- Rivalenkampf
Ich habe beschlossen, James nicht auf sein Buch und dessen Inhalt anzusprechen. Ich komme mir irgendwie vor wie eine Schnüfflerin, auch wenn Remus meint, dass es James' Absicht war, dass ich das Buch finde.
Seitdem ich das Buch dann auch tatsächlich gefunden habe, gehen mir sehr viele Gedanken durch den Kopf.
Eigentlich war Snape immer ein guter Freund gewesen. Mit ihm konnte man über alles reden. Über seine Familie wusste ich jedoch wenig. Er hatte mir nur erzählt, dass er seinen Vater hasst. Mr Snape schikaniert seine Frau und den eigenen Sohn, weshalb Severus auch nie gern zu Hause war. Trotz seiner Abscheu seinem Elternhaus gegenüber, war er immer nett zu mir gewesen.
Ich dachte, er würde so bleiben, wie er bis zur dritten Klasse gewesen ist. Anfang der Vierten sah ich ihm die Veränderung an: er redete kaum noch mit mir und verbrachte viel Zeit mit Mulciber, Dolohov und dem restlichen Klüngel. Wir sahen uns kaum noch. Ende der Vierten Klasse beschloss ich für mich, dass wir keine Freunde mehr sind.
Was er für sich beschlossen hat, habe ich nie erfahren. Und ich glaube, ich werde und will es nie.
Ein lauter Schnarcher aus Alices Bett unterbricht meine Gedanken über Snape. Der Vollmond scheint durch die nur halbzugezogenen Vorhänge vorm Fenster und erleuchtet Marlenes Gesicht, welches völlig unzerknautscht und perfekt auf dem Kissen ruht. Bei Merlins Bart, wie kann man nur so toll beim Schlafen aussehen? Sie liegt kerzengerade im Bett, die Hände auf dem Bauch zusammengefaltet und die Nase eingebildet in die Höhe gerückt. Mary dagegen liegt nicht allzu elegant auf ihrer Matratze, von Alice wollen wir gar nicht erst anfangen.
Immerhin können die schlafen. Ich liege seit Ewigkeiten wach. Auf meinem Nachttisch befindet sich mein angefangener Aufsatz in Verwandlung, der bis übermorgen fertig sein muss. Unter diesem liegt der, den ich bei James gesucht hatte und eben vor dem Schlafengehen noch mal überlesen habe. Ich betrachte die Pergamente lange, dann greife ich nach meinem Zauberstab und dem Aufsatz in Verwandlung und verlasse den Schlafsaal.
Ich weiß, dass ich nachts auf keinen Fall alleine im Schloss umher laufen sollte. Doch das ist mir im Moment egal. Den Tarnumhang oder die Karte der Rumtreiber kann ich mir auch nicht holen, da Vollmond ist und die Jungs in der Heulenden Hütte sind.
Aber hey, ich bin Lily Evans. Ich beherrsche alle Zaubersprüche, die wir je behandelt haben und auch noch viel mehr aus Büchern, die ich tagtäglich wälze. Ich werde denjenigen schon fertig machen, der mir etwas antun will. Und ich glaube außerdem kaum, dass die Slytherins jede Nacht durchs Schloss schleichen und darauf hoffen, mich anzutreffen. Auch wenn ich mir geschworen habe, nachts nie wieder die Bibliothek zu betreten, tue ich es eine Viertelstunde später trotzdem.
Ich setze mich an den ersten Tisch, auf dem ein einsames Buch liegt. Ich erleuchte es mit meinem Zauberstab und erkenne, dass es das Zaubertrankbuch von letztem und diesem Jahr ist (das Teil ist wirklich dick, so viel Stoff bekommt man nicht in einem Jahr durch, also benutzen wir es dieses Jahr einfach weiter).
Bevor ich es aufschlage, halte ich inne. Das letzte Mal wo ich ein Buch geöffnet habe, dass mir eindeutig nicht gehört, habe ich die traurigen Gedanken meines Freundes niedergeschrieben vorgefunden und ich verspüre nicht die geringste Lust wieder sehr intime Dinge zu lesen. Im nächsten Moment könnte ich mir die Hand gegen die Stirn schlagen. Es ist ein Schulbuch. Da wird wohl niemand hineinschreiben, wie scheiße er den besten Freund des eigenen Schwarms findet, schließlich kann jeder Otto das lesen, so wie ich gerade. Also, wo liegt das Problem?
Dieses Buch gehört dem Halbblutprinzen.
Das ist der Satz, der mir entgegenspringt, als ich das Buch öffne. Was bei Merlins Bart ist das denn? Überall in dem Buch sind Notizen vorzufinden, die neben die Zubereitungsanleitungen und Zutatenangaben der einzelnen Zaubertränke geschrieben wurde. Ab und an erkenne ich einen Zauberspruch, der in Eile an den Buchrand gekritzelt wurde. Diese Flüche sind grausam und sollten eigentlich nicht in dem Schulbuch eines Sechst- oder Siebtklässlers vorzufinden sein...
Ich erkenne die Handschrift nach einiger Zeit. Es ist Severus'. Warum nennt er sich Halbblutprinz? Das klingt ziemlich albern, meiner Meinung nach. Dass ausgerechnet solche Flüche in seinem Buch stehen, passt haargenau. Aber warum liegt dieses schon sehr abgegriffen aussehende Buch hier rum? Snape war noch nie jemand gewesen, der seine Sachen vergisst oder verlegt.
"Du hast es also gefunden, ja?" Eine kalt klingende Stimme hinter mir ertönt.
Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Das Buch fällt aus meinen Händen und knallt auf den Tisch. Ich werde so erledigt sein. Doch dann erinnere ich mich an meine Gedanken von eben: ich werde jeden fertig machen, der mir etwas antun will.
Ich drehe mich blitzschnell herum und will schon den Zauberstab heben, als Snape "Expelliarmus!" ruft und mir der Zauberstab aus der Hand fliegt. Scheiße.
"Gib ihn mir zurück!", zische ich und ich muss mich wie ein Kleinkind anhören, das sein Spielzeug abgenommen bekommen hat.
"Es gibt keinen Grund dazu, mich anzugreifen, Lily." Snape kommt langsam auf mich zu und setzt sich doch tatsächlich auf die Bank hinter mir. Dann streckt er mir meinen Zauberstab entgegen und klopft neben sich auf die Bank.
"Was soll das denn hier werden? Ein nettes Gespräch unter 'Freunden'?", frage ich und weiche einen Schritt von ihm weg. "Warum stehe ich eigentlich noch hier? Gleich werden deine tollen Freunde hinter den Regalen hervor gesprungen kommen und mir dem Gar ausmachen, hab ich Recht?" Meine Stimme beginnt zu zittern.
Auch Severus' Stimme veränderte sich. "Bitte bleib hier. Wir müssen reden. Bitte, Lily!" Er flehte förmlich.
"Ich wüsste nicht warum", erwiderte ich kalt.
"Wir waren beste Freunde früher." Severus' Blick wurde flehender.
"Ich weiß", sagte ich. "Früher. Als ich noch nicht wusste, was für ein dreckiges Stück Drachenmist du eigentlich bist!" Ich griff rasch nach meinem Aufsatz und lief davon.
Doch ich hatte nicht mit Snapes schneller Auffassungsgabe gerechnet, die ich in manchen Situationen schon oft bewundert hatte. Die Türen der Bibliothek verriegelten sich augenblicklich. Auch ein Alohomora brachte da nichts mehr. Das wusste ich, ohne es auszuprobieren.
Verbissen dreinblickend wandte ich mich wieder zu ihm um. Er saß immer noch auf der Bank vor dem Tisch.
Ich könnte jetzt laut um Hilfe schreien und die halbe Bibliothek in die Luft sprengen, damit man mich bemerkt (und enttäusche damit Dumbledore, dem ich versprochen habe, mich an die Regeln zu halten) oder ich setze mich neben ihn und höre mir an was er zu sagen hat. Danach kann ich immer noch die erste Überlegung in Erwägung ziehen.
Wie als hätte ich einen Stock im Po bewegte ich mich in seine Richtung und setzte mich mit so viel Abstand wie möglich zu ihm auf die Bank.
Er lächelte und zeigte dabei seinen gelben Zähne. Aber das Lächeln war ehrlich.
Er zeigte auf sein Zaubertrankbuch. "Ich hab das extra hier gelassen. Ich hab gewusst, dass du nachts hier oft herkommst. Egal ob du es nicht darfst. Deine neuen Freunde färben auf dich ab. Früher hast du nie die Regeln gebrochen."
"Früher ist lange her, wie du siehst. Mittlerweile bricht die brave Lily Evans auch mal Regeln, hört, hört. Aber ich glaube kaum, dass du nur hier bist, um mich beim Regelbrechen zu erwischen", antworte ich und halte meinen Zauberstab fest umklammert. Sicher ist sicher.
"Nein, bin ich nicht. Es gibt Klärungsbedarf, meiner Meinung nach. Du hast ein völlig falsches Bild von mir. Ich bin-"
"Du bist genauso wie du seit drei Jahren bist! Nämlich gemein, fies und vernarrt in die Dunklen Künste. Ich habe ein sehr klares Bild von dir, Severus Snape. Ich kenne dich ziemlich gut, zumindest kannte ich dich. Und du bist heute immer noch so, nur sehe ich die ganze Sache jetzt anders", erkläre ich ihm mit fester Stimme.
"Ja und weißt du auch warum? Weil Potter und seine unmöglichen Freunde dir das eingeredet haben. Sie hassen mich ohne Grund und geben das alles an dich weiter. Früher mochtest du mich auch und hast dich nicht darum geschert, was Potter gesagt hat. Jetzt wo du mit ihm zusammen bist, hat sich das Blatt gewendet und du verachtest mich!" Er spricht fast so, als würde er sehr darunter leiden. Doch mittlerweile glaube ich schon fast, dass er gefühlskalt ist.
"Sie hassen dich nicht ohne Grund! Du kennst die Gründe, du kennst sie ganz genau. James und Sirius haben zwar im Zug nach Hogwarts in der ersten Klasse komplett am Rad gedreht, doch dass du James vergiften wolltest, verzeihe ich dir nicht. Du hättest darüber stehen können und die beiden links liegen lassen können. Außerdem hast du mich vor der ganzen Schule Schlammblut genannt, als ich dir helfen wollte. Ich habe James damals genauso gehasst wie du es jetzt immer noch tust. Ende der vierten Klasse, habe ich für mich selbst entschlossen, dass unsere Freundschaft zu Ende ist, weil du dich einfach abartig verhalten hast. Ständig warst du bei diesen grässlichen Todesser-Kindern und hast dich von mir abgewandt! Ich habe schon oft genug Bücher hier in der Hand gehabt, die ich niemals lesen würde und in dessen Ausleihliste dein Name steht. Die schrecklichsten Zauber haben dich fasziniert und ich sehe es ja jetzt noch: man muss nur sehen, was du in dieses Schulbuch geschrieben hast."
Mein Herz pocht vor Wut. Das alles wollte ich ihm schon so lange sagen.
"Potter war und ist ein Idiot. Denkst du etwa, ich lasse mir von so einem auf der Nase herum tanzen?! Dass ich ihn nicht gewinnen lassen will, ist doch klar. Er war viel grässlicher zu mir, als ich zu ihm!", verteidigt sich Severus schwach. "Und dass die Dunklen Künste nicht in deinem Bereich der Interesse liegen - tut mir leid, aber dafür kann ich nichts. Aber dass du trotz allem so abgeneigt mir gegenüber bist, ist immer noch Potters Schuld!"
"Ich bitte dich, du hast mich Schlammblut genannt! Warum würde ich dich noch mögen wollen? Ich habe mir meine eigene Meinung über dich gebildet, auch wenn James da eine große Rolle gespielt hat. Trotzdem hat er mich da nicht manipuliert. Er versucht mir ja auch weiß zu machen, dass Hausaufgaben unnötig sind und ich teile seine Meinung nicht. Du hast dich so oft falsch verhalten, auch wenn ich James' Verhalten nicht gut heißen will. Ich verstehe einfach nicht, warum du ihn so hasst. Wegen einer dämlichen Sache in der ersten Klasse? Ihr seid alt genug, um über das Ganze hinweg zu sein!", rufe ich aufgebracht. "Ich weiß, was James gegen dich hat. Doch was du gegen James hast, weiß ich nicht. Sag es mir. Jetzt. Jetzt bin ich hier, so eine Gelegenheit bekommst du sicherlich nicht noch einmal, glaube mir."
Draußen vor der Tür hörte ich ein Geräusch. Doch die Tatsache, dass ich vielleicht endlich erfahren könnte, was Severus' persönliches Problem James gegenüber ist, interessierte mich gerade mir.
"Das habe ich dir schon oft genug gesagt, Lily. Er ist eingebildet, stolziert hier herum und tut so, als würde ihm die ganze Schule gehören."
"Stimmt, das hast du mir früher jeden Tag gesagt. Aber das ist Jahre her und zudem kindisch. Es gibt noch einen anderen Grund. Raus damit!"
Severus schwieg kurz. Dann holte er Luft.
"Er liebte dich. Von Anfang an. Und ich wusste von Anfang an, dass du ihn auch irgendwann lieben wirst. Ich wollte das nicht." Er wurde rot. Ich erkannte es trotz der Dunkelheit. "Weil- weil ich dich-"
BUMM!
Die Tür der Bibliothek barst aus den Angeln und landete krachend auf dem Steinboden. Es staubte wie verrückt. Ich kreischte vor Schreck.
"Lily!", rief eine meiner Lieblingsstimmen.
"James!", brachte ich hüstelnd hervor.
"Du mieser Sack, lass die Finger von meiner Freundin!" Ich erkannte James' Silhouette neben mir, die mit dem Zauberstab auf Severus zielte und einen Fluch aussprach. Ich schrie, doch jemand packte mich um die Hüfte, hob mich hoch und rannte mit mir aus der Bibliothek. Es war Sirius. Ich rief die ganze Zeit nach James.
"Keine Angst, Lily. James regelt das mit Schnieflus. Wir müssen dich hier rausbringen. Die Lehrer tauchen gleich auf und wir sollten schleunigst zum Gemeinschaftsraum!", versuchte Sirius mich zu beruhigen. "Hat er dich da drin festgehalten?"
"Er hat die Türen zugesperrt", sagte ich bloß. Ich war verwirrt. Was genau hatte Severus eben sagen wollen?
Zehn Sekunden später waren wir im Gemeinschaftsraum angekommen, wo einzelne Schüler verängstigt dreinblickten auf Grund des Lärms bei der Bibliothek.
"Ihr könnt zurück ins Bettchen!", rief Sirius und setzte mich ab. "Wir haben alles im Griff!"
"Ist ja klar, dass die da alle drin verwickelt sind", murmelte ein Viertklässler, bevor er mit zehn anderen Gryffindors zu den Schlafsälen ging.
Mary, Marlene und Alice standen völlig geschockt zwischen den Sofas. Mary fiel uns um den Hals.
"Was ist passiert?", "Wo sind James, Remus und Peter?", "Wo hast du gesteckt, Lily?"
All die Fragen prasselten auf uns ein.
"Remus und Peter sind noch in der Heulenden Hütte, Peter wollte noch kurz bei ihm bleiben, bevor Remus so langsam wieder zum Mensch wird", raunte Sirius. "James legt sich mit Schnieflus in der Bibliothek an." Das letzte sagte er, als wäre James mal eben zur Toilette gegangen.
"Er tut was?! Lily, warst du etwa in der Bibliothek mit Snape?" Alice schien nah einem Herzinfarkt zu sein.
Doch ich sank nur aufs Sofa.
"Hat er dir was getan?!" Mary wuselte um mich herum.
"Er liebt mich!", brachte ich mühselig hervor.
"Wer?", wollte alle sofort wissen.
"Severus Snape", lautete meine leise Antwort.
Alles ergab Sinn. Alles. Er liebte mich und wusste schon damals, dass James es auch tut. Severus hatte Angst, dass ich mich für James entscheide und wollte ihn mehr oder weniger aus dem Weg schaffen. Er sah und sieht ihn als Konkurrent, genauso wie James Severus sah. Es war schlicht und einfach ein Rivalenkampf.
Bei Merlins Bart...
"Äh, wie bitte?" Sirius schaute mich verwirrt an. "Hat er dich verhext?"
"Nein, hat er nicht!", rufe ich aufgebracht. Ich erzähle den Anwesenden von unserem Gespräch und was passiert ist.
"Er hat dir also ein Liebesgeständnis gemacht?", fragte Marlene und Sirius griff sich bloß an den Kopf.
"Mehr oder weniger", murmelte ich und legte die Hände auf meine Augen. "Das ist einfach nur komisch."
Im nächsten Moment schwang das Porträt auf. Die lauten Stimmen, die uns entgegen wehten, verhießen nichts gutes...
Hello!
Ich hoffe, das neue Kapitel hat euch gefallen!
Tut mir leid für den Schnitt hier, aber das Kapitel wäre sonst wirklich sehr lange geworden... In den nächsten Kapiteln wird es hauptsächlich um Snape/Lily/Rumtreiber-Sachen gehen.
Bis bald,
-Rel✨
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