10- Sicherheitsabstand und Hitzschlag
Meine Augenlieder sind schwer wie Blei, als ich sie am nächsten Morgen öffne und ich sofort einen dröhnenden Schmerz in der Nähe meiner Schläfe bemerke. Alles, nur keine Kopfschmerzen, bitte!
Ich richte mich auf und lasse meinen Blick durch den Schlafsaal gleiten. Die anderen pennen noch; Alice ist zusammengerollt unter der Decke, Marlene liegt wie eine tote Königin da und Mary hat die Decke weggestrampelt und schnarcht leise vor sich hin. Süß.
Jetzt beginnt der Kampf zwischen weiterschlafen und duschen. Aber falls ich duschen gehe, wecke ich die anderen. Und die werden mich umbringen, wenn ich sie an einem Samstagmorgen um halb neun durch das Rauschen der Dusche wecke.
Doch schlafen ist keine Option mehr, da ich jetzt wach bin und im Leben nicht mehr einpennen kann.
Leise seufzend steige ich aus dem Bett und schleiche zur Kommode, wo ich eine luftige Bluse und eine normale Jeans herausfische.
So laufe ich eigentlich nur selten rum, aber hey- Sonntagskleidung!
Nachdem ich mich im Bad auch ohne Dusche frisch gemacht habe, kehre ich in den Schlafssaal zurück und schnappe mir den noch gestern Abend geschriebenen Brief.
Dann mache ich mich auf den Weg zur Eulerei.
Die Kopfschmerzen haben nachgelassen.
Der Wind ist frisch und mild, den Himmel zieren ein paar Schäfchenwolken und hier und da spitzt die bereits wärmende Sonne hervor.
Während ich die Stufen zur Eulerei hochsteige, recke ich die Nase gen Himmel und atme die Morgenluft ein, als gäbe es nichts besseres auf dieser Welt.
Oben angekommen halte ich Ausschau nach Wanda, meiner gepunkteten Eule, die ich schließlich zwischen zwei Waldkäuzen auf einer der untersten Stangen entdecke.
Sie kommt sofort angeflogen und ich halte ihr einen Eulenkeks hin, den sie natürlich gerne nimmt.
Während Wanda den Keks verspeist, binde ich ihr den Brief ans Bein, der für meine Eltern bestimmt ist.
Sie sind beide Laboranten und interessieren sich für mein Schulfach Zaubertränke, weshalb ich ihnen mitgeteilt habe, dass ich einen Liebestrank gemischt habe und am Freitag dafür ein Ohnegleichen kassiert habe.
*Klopfer auf die linke Schulter*
Ich trage Wanda zum Fenster und sie flattert los. Ich schaue ihr nach, bis sie verschwunden ist. Ich habe Wanda erst seit der dritten Klasse.
Vorher hatte ich einen Kater namens Louis, welcher allerdings, als ich ihn gekauft hatte, schon alt war und Ende zweiter Klasse leider Gottes gestorben ist.
Ich habe selten so geheult, glaubt mir.
Ich drehe mich vom Fenster weg, als ich Schritte und Stimmen vor der Tür höre. Wenn das Slytherins sind, bin ich ein toter Mann.
Doch das erste Mal in meinem Leben bin ich froh, Potter zu sehen.
"Oh hi", sagt er und grinst verlegen.
"Hey", murmele ich und bringe ein etwas gezwungenes Lächeln zustande.
James hat eine weiße Schleiereule auf dem Arm, die erschöpft wirkt und leise vor sich hin krächzt.
Hat er mit seiner Eule geredet?
"Das ist, äh- Emily. Sie gehört meiner Mum, jedoch ist sie nicht mehr die Jüngste und muss sich vor dem Rückflug mal ordentlich erholen", erklärt James und hockt Emily liebevoll auf den Platz, auf dem vorher Wanda gesessen hatte.
Dann wandte er sich mir zu, seine Stirn in Falten gelegt und einen fragenden Blick aufgesetzt.
Was sollte das werden?
"Hast du- also was war denn gestern? Du hast doch geweint, oder?"
Oh, schön, dass du das gemerkt hast, Freundchen.
"Ja", antworte ich knapp und lehne mich an die kühle Mauer.
"Warum?"
"Öhm, also- das ist nicht wichtig", sage ich rasch und fange seinen Blick auf.
"Echt nicht?" James macht einen Schritt auf mich zu. "Du kannst mir sagen, wenn was ist, ja? Zum Beispiel wegen den Slytherins."
Aha, soll ich dir also sagen, dass ich enttäuscht war, weil du sowenig Hirn hattest und diese Schlampe geknutscht hast? Wohl eher nicht.
"Es war nichts mit denen", murmele ich.
Es war was mit dir. Und ihr.
James macht noch einen Schritt auf mich zu.
Der Sicherheitsabstand, auf den ich immer heimlich zwischen mir und ihm achte, geht gleich flöten, soviel ist sicher.
Was soll'n das werden, bei Merlins Bart?
"Mit wem dann?", hakt er nach und lächelt.
Mir wird heiß.
Reiß dich zusammen, Lily!
"Mit-" Ich stocke. James steht ungefähr zehn Zentimeter von mir entfernt und mein Blutdruck wird stetig höher. Das gefällt mir nicht.
Der einzige Fluchtweg ist das Fenster, durch das ich springen könnte.
Das ist zu viel Körperkontakt, eindeutig.
Statt Selbstmord zu begehen, pikse ich ihm nur mit meinem Finger in die Brust und schiebe ihn sanft von mir weg.
"I-ich hab Hunger", stottere ich und rausche aus der Eulerei.
Als ich vor der Tür stehe, bekomme ich beinahe einen Hitzschlag. Mein Herz klopft wie verrückt und mein Atem geht schneller als gewöhnlich.
Was sollte das da drin werden? Noch so ein Knutschangriff wie letztens oder wie?!
Vor lauter Verwirrung sehe ich die Vogelscheiße auf der obersten Stufe der Treppe nicht und rutsche aus. Jeden Moment werde ich hinfallen und bereite mich bereits auf den schmerzhaften Aufprall vor, doch der kommt nicht.
Stattdessen spüre ich zwei starke Arme, die mich von hinten auffangen und ich frage mich, wen Merlin hier gerade total verarscht.
"Aufpassen, Lily", säuselt James und ich mache mich geschwind von ihm los.
Ich krächze ihm ein "Danke" entgegen.
"Kein Thema", erwidert er lässig und zwinkert mir verführerisch zu.
Ein Stromschlag zuckt durch meinen Körper. What the-?
"Du, ich will jetzt echt frühstücken-" Ich gestikuliere wild in Richtung Schloss.
"Kein Problem, ich komm mit", antwortet James und stapft schließlich mit mir die Stufen herunter.
Ach du Schande, was geht hier vor?
"Wann wollen wir so n' Schülervertretertreffen machen?", will James wissen und hüpft die letzte Stufe mit Leichtigkeit herunter.
"Nächstes Wochenende. Dann können wir fragen, wie es bis jetzt bei den Vertrauensschülern gelaufen ist", erkläre ich und streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht.
"Alles klar", trällert er und beginnt zu pfeifen. Warum hat er so gut Laune?
"Wir müssen auch noch die zwei Bälle planen und organisieren", gebe ich zu Bedenken.
So wie ich vermute, wird James erst auf den letzten Drücker anfangen zu planen.
"Jaja, ich weiß", antwortet er. "Damit können wir uns auch bis einen Monat vorher Zeit lassen."
Ich nicke. Er hat Recht.
Trotzdem wollte er mich eben schon wieder küssen, glaube ich. Meine Fresse, Merlin hilf mir! Wenn solche Attacken zum Normalfall werden, wandere ich aus.
Wir laufen schweigend weiter. Es ist komisch hier neben James zu gehen, ohne ihm den Hals rumzudrehen oder ihn zu beleidigen.
Hätte mir vor einer Woche jemand erzählt, dass ich mich mit ihm einigermaßen gut verstehe, hätte ich demjenigen eine gescheuert und ihn für verrückt erklärt.
Aber jetzt weiß ich es besser, haha.
Als wir das Eichenportal erreichen und die Eingangshalle betreten, strömen bereits Schülermassen in die Große Halle zum Frühstück.
Mein Magen knurrt.
Gemeinsam folgen wir den anderen Schülern, von denen wir viele überraschte Blicke zugeworfen bekommen.
Ich meine, was würdest du denken, wenn Lily Evans mit James Potter rumspaziert, den sie all die Jahre bis zum Gehtnichtmehr gehasst hat?!
Am Gryffindortisch angekommen, lasse ich mich neben die schon anwesende Alice fallen, die mich ebenfalls unglaubwürdig mustert.
James geht zu den Rumtreibern, die ihn lautstark begrüßen.
"Wo wart ihr und was habt ihr gemacht?!", zischt sie mir ins Ohr, während ich hungrig nach etwas Müsli greife.
"Ich war ganz alleine in der Eulerei, als James-"
"Oho, sind wir jetzt schon beim Vornamen?", grinst Alice und zwinkert. "Erzähl weiter."
"...mit seiner Eule reingekommen ist und deshalb sind wir zusammen wieder zurück zum Schloss", beende ich meinen Satz.
Von dem nicht viel vorhandenen Sicherheitsabstand erzähle ich lieber nichts, sonst kreischt Alice gleich die ganze Halle zusammen.
"Wo sind die anderen?", frage ich stattdessen und stelle die Müslipackung zurück auf ihren Platz.
"Kommen gleich", nuschelt Alice zwischen zwei Bissen Toast und schluckt. "Wollen sich noch duschen- eh, da hinten sind sie!"
Alice und ich winken, worauf Marlene und Mary auf der Stelle zu uns getrabt kommen; mit nach Erdbeere duftenden Haaren.
"Hey, ihr habt mein Shampoo benutzt!", bemerkt Alice und beschnüffelt eine von Marlenes Haarsträhnen.
"Ja, danke. Riecht mega gut", feixt Marlene und zieht Alice die Strähne aus den Händen.
"Und wo warst du?"
Marlene wendet das Wort an mich, doch bevor ich den Mund öffnen kann, um zu erklären, dass ich in der Eulerei war, kommt mir Alice zuvor.
"Ratet mal, mit wem sie unterwegs war", wispert sie und grinst böse. Ich rolle nur die Augen.
Als die beiden anderen nichts sagen, ergreife ich die Initiative und rette die garantiert eskalierende Situation.
"Ich war alleine in der Eulerei und habe dann James getroffen. Schließlich sind wir halt zusammen hierher gelatscht", erzähle ich und setze noch ein "Und es ist nichts passiert, was Alice gerne gehabt hätte!"
Marlene lässt ihr Toast fallen und Marys Kopf schnellt zu mir herüber.
"Alles klar bei dir oder warum bist du freiwillig in der Nähe von James?", will sie wissen und zieht die Augenbrauen gespannt hoch.
"Es war Zufall", presse ich hervor und fühle mich in der Zwickmühle.
"Wohl eher Schicksal", gackert Alice und die anderen zwei stimmen in ihr Gekicher mit ein.
***
"Du bist echt der Wahnsinn."
Erschrocken wirbele ich herum und unterdrücke einen kurzen Seufzer. Muss er ausgerechnet jetzt auftauchen?!
"Du bist sogar sonntags in der Bibliothek", lacht James, hockt sich neben mich und wirft einen Blick in das aufgeschlagene Buch, welches vor mir liegt.
"Ja, ich weiß", entgegne ich. "Ich suche nach einer Hintergrundlektüre für die Elfberger-Verwandlung. McGonagall hat am Freitag gesagt, dass wir das Thema länger behandeln werden. "
James nickt. "Brauch man denn unbedingt eine Hintergrundlektüre?"
Ich schüttele den Kopf. "Nö, nicht bedingt. Es stehen nur ein paar Tipps zur Ausführung und zur Nutzung des Zaubers drin, die wir irgendwann wissen sollten", erkläre ich und schlage das Buch mit einem Knall zu; James zuckt zusammen.
"Wir haben heute Rundgang", berichtet er und schaut mir in die Augen. Das rehbraune darin ist- wunderschön.
Ist das dein Ernst?!
"Echt? Ich blicke schon gar nicht mehr durch", sage ich und wende meinen Blick von seinen Augen ab.
"Meine Berechnungen zufolge schon", murmelt James. "Ach nee, sonntags haben die Vertrauensschüler von Gryffindor."
"Na dann ist ja alles klar", grinse ich und erhebe mich vom Stuhl. "Ich sage Madam Pince mal eben Bescheid, dass ich das Buch ausleihen will. Bis gleich!"
Ich winke und verschwinde in den Vorderteil der Bibliothek.
Während ich der Bibliothekarin das Buch unter die Nase halte, sehe ich aus dem Augenwinkel, dass James vor der Tür zur Bibliothek steht und auf mich wartet.
Mit 'Bis später' meinte ich eigentlich 'Bis später im Gemeinschaftsraum'. Hm, super.
Madam Pince reicht mir das Buch und ich eile zur Tür, wo mich James breit grinsend erwartet. Uff.
Für mich ist das heute zuviel 'Potter'. Aber er scheint sich förmlich nach meiner Anwesenheit zu sehnen.
Ich will gar nicht wissen, wie das weiter gehen soll. Merlin, help me!
Hallöchen!🌙
Da Wattpad ja jetzt diese neue coole Funktion hat, die einem ermöglicht, Bilder und Videos einzufügen, habe ich mal ein GIF dazugepackt.
GIF: Aaron Johnson als James Potter
OMG danke für über 270 Reads! Das ist so unglaublich! Ich bin allen so dankbar, dass sie meine Story lesen, für sie voten und kommentieren!❤️
-Rel🔥
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