„Ich bin nicht sauer."

Feli ist nicht aufzuhalten. Sie gibt eine Runde aus und drückt uns wortlos die vollen Becher in die Hand. Darin schwappt eine bernsteinfarbene Flüssigkeit, die verführerisch duftet.

Ich trinke nicht oft, deshalb nippe ich zunächst vorsichtig an dem Gebräu. Dabei tauchen die Bilder meines ersten Rausches aus meinem Unterbewusstsein auf. Am Silvesterabend meinte jemand aus meinem Freundeskreis wir dürften endlich Bier und Wein trinken. Also tranken wir Bier und Wein und ein bisschen Sekt gehört an Silvester schließlich auch dazu. Mitten in der Nacht kotzte ich dann zwei Mal mein ganzes Bett voll. Am nächsten Morgen durfte ich mir mit hämmernden Kopfschmerzen einen Vortrag von Lara über die Gefahren von Alkoholvergiftung anhören. So viel zum Spaß des Betrunkenseins. Das muss ich nicht unbedingt wiederholen.

Der Met schmeckt wie ein Bonbon. Ich nippe nicht mehr ganz so vorsichtig und kaum trinke ich ein paar Schluck mehr ist der Becher leer. Die düstere Leere starrt mir traurig entgegen und ich starre unbefriedigt zurück.

„Das schmeckt eindeutig nach mehr. Das war ne gute Idee. Feli.", meint Kathrin.

Sie lächelt Feli vorsichtig an, die weicht ihrem Blick aus und leert den restlichen Met auf einen Zug. Mai hat den Arm um sie gelegt und streichelt ihre Seite.

Feli knallt den Becher auf den Tisch.

„Also ich könnte noch nen zweiten. Was meint ihr?"

Ich nicke, Kathrin brüllt ein begeistertes „ja", nur Mai runzelt die Stirn. Sicher denkt sie, Feli versucht ihre Sorgen wegzutrinken und sollte besser drüber reden. Also ich denke es zumindest, aber das Gespräch könnten wir mit einem zweiten Glas Bonbon-Wein noch interessanter machen.

„Ist das nicht teuer?", wendet Mai ein. Das ist bestimmt nicht ihr Grund. Als sie mir das Crêpe gekauft hat, habe ich noch zwei 50 Euro Scheine in ihrem Geldbeutel gesehen.

„Wir könnten den Krug nehmen. Da kommen wir vermutlich günstiger hin, als nochmal vier Becher zu holen."

Kathrins Logik ist gerade fehl am Platz. Mai wirft ihr einen genervten Blick zu. Aber Kathrin versteht nichts und gibt fröhlich einen Daumen nach oben.

„Super. Wenn ihr mir alle euren Teil des Geldes gibt, dann hol ich den Krug."

Schon hält Feli die offene Hand über den Tisch und Kathrin und ich geben ohne zu zögern unseren Anteil. Mai schneidet eine tiefe Falten zwischen die Augenbrauen und sie zieht quälend langsam den Reißverschluss ihres Geldbeutels auf.

„Mai. Was ist? Willst du nichts mehr?"

Der Ton, den Feli wählt, ist besonders fies. Während ihrer Streitereien haben die Beiden nur so miteinander gesprochen.

„Ich weiß nicht. Solltest du denn?"

Mutig. Meine beste Freundin sticht direkt ins Wespennest.

„Natürlich sollte ich. Ist nicht zum ersten Mal, dass ich ein bisschen Alkohol trinke. Wenn du nicht mittrinken willst, dann müssen die Anderen ein paar Euro mehr geben."

Mai beißt sich auf die Unterlippe. Schließlich seufzt sie und legt einen Schein in Felis Hand.

„Einer mehr tut wohl nichts."

Sie wirkt geschlagen. Hier, umgeben von hunderten Leuten, ist der Moment für eine Aussprache schlecht gewählt. Das sollen die Zwei allein machen. Ohne Met.

Der Krug ist riesig und als wir unsere Becher gefüllt haben, ist er immer noch fast voll. Wir blicken uns gegenseitig an. Unsicher. Entsetzt. Verlegen. Aufgeregt. Wir müssen ihn ja nicht unbedingt leertrinken.

Während ich genüsslich mein Getränk schlürfe, kommt mir der Rausch an Silvester nur noch wie ein böser Traum vor. Der Alkohol, den wir damals hatten, war eklig. Nicht zu vergleichen mit der Geschmacksexplosion, die der Met in meinen Mund hochjagt.

Feli sorgt dafür, dass unsere Becher nie leer werden. Ich komm nicht mal dazu, ganz auszutrinken, bevor ein goldener Strom sich ergießt, bis dicke, pappige Tropfen den Rand herunterrinnen.

Meine Finger kleben, meine Lippen kleben, meine Handflächen kleben, alles klebt. Und trotzdem trinke ich weiter und philosophieren vor mich hin, ob so das Ambrosia der Götter schmeckt, über das wir im Geschichtsunterricht gelernt haben.

„Das schmeckt eher wie ein Rosenbusch.", mischt sich Kathrin in mein Selbstgespräch ein. Ihre Stimme schwankt komisch und ich muss kichern.

„Na toll.", sagt Mai. „Die zwei sind schon betrunken."

„Na und."

Feli zuckt mit den Schultern.

„Wir sin nich betrunken.", grölt Kathrin.

Ich weiß nicht, ob ich betrunken bin. Nachdenklich nehme ich einen weiteren Schluck Met. Mai reißt mir mit einem wütenden Schnauben den Becher aus der Hand. Ein Schluck des Göttertrankes schwappt auf den Tisch.

„Hey, nimm dir deinen eigenen. Schau, jetzt hast du den ganzen schönen Met verkleckert."

Ich höre mich nicht betrunken an und Kathrin ist mir mindestens zwei Becher voraus. Meine Backen brennen, weil mir so warm ist. Aber ich bin sehr zufrieden. Statt Übelkeit, quält mich der Hunger auf ein zweites Crêpe. Und auf mehr Met.

„Lass ihr das doch."

Mit einem Kichern reicht Feli mir ihren Becher.

„Du findest das lustig. Oder?", schimpft Mai.

„Ein bisschen Ja. Entspann dich mal, passiert doch nichts."

„Oh Hey. Ihr seid auch hier. So eine Überraschung. Ich dachte der Ausflug zum Markt wäre am Vormittag."

Jetzt passiert etwas.

Chrissi tritt zu uns an den Tisch. Meine Hand winkt wie automatisch. Komisch, ich will mich nicht mehr verstecken. Hinter ihr steht Andreas. Und sogar dem Griesgram winke ich zu.

„Dein Kleid ist aber hübsch. Chrissi. Sieht voll gut aus."

Ein Kompliment kann nicht schaden. Vor allem wenn der Rock ihres roten Sommerkleides so schön luftig weht und in ihren gewellten Haaren die Sonne golden glitzert.

Ein überraschtes Blinzeln, kurzes Lächeln, wandelt sich in ein Stirnrunzel.

Ich muss Chrissi ewig lang anstarren und doof lächeln, deswegen fällt mir erst spät auf, wie verzweifelt meine Freunde versuchen die Metbecher zu verstecken. Kathrin aber tänzelt vergnügt am Tisch und prostet Chrissi zu.

Mai schnappt sich den Becher aus ihrer Hand und grinst so verdächtig, dass ich einfach fragen muss:

„Sag mal, darf Chrissi gar nicht wissen, dass wir uns mit Met betrinken?"

Entsetztes Keuchen. Zwei meiner Freundinnen schlagen sich die Hände vor das Gesicht und Kathrin schaut genauso dämlich verwirrt wie ich. Wir verstehen beide nichts, gucken uns an und brechen in Kichern aus.

„Beruhigt euch mal. Das war schon von der ersten Sekunde an mehr als deutlich. Mir ist das herzlich egal. Hab heute meinen freien Tag. Aber die zwei, können in so einem Zustand nicht zurück ins Camp."

Ein hübscher Finger, der aus einem roten Verband herausragt, wedelt zwischen mir und Kathrin hin und her. Wie eine Katze schnappe ich danach und halte Chrissis Finger als Trophäe fest. Die lächelt nachsichtig und zieht ihn mir nicht weg.

„Wir sollten versuchen sie vorher etwas auszunüchtern."

„Nein. Ihr müsst mich nicht ausnüm....ausnücherm...ausnüschern.", sage ich voller Selbstbewusstsein. Schließlich kenne ich mich genau. Und ich übergebe mich gerade nicht, also ist alles gut.

Chrissi lacht.

„Und wie wir dich ausnüchtern müssen. Komm mal mit, dann kauf ich dir ein Wasser."

Sie kommt zu mir und legt den Arm um meine Seite, um mich zu stützen. Ich kuschle mich an ihren warmen Körper und halte immer noch ihren Finger fest. Auch wenn ich nüchtern bin, komme ich gerne mit ihr mit.

„Chrissi. Ich bin halt auch noch hier.", meldet sich eine nervige, dunkle Stimme.

„Klar, weiß ich doch. Andreas", antwortet Chrissi. „Kümmere dich bitte mal um Kathrin. Sie sollte auch mal ein riesiges Glas Wasser trinken. Und ein bisschen herumlaufen."

„Wir kommen auch mit. Ich helfe Elly. Du Kathrin. In Ordnung? Feli.", sagt Mai.

Feli nickt. Ihre Laune hat sich inzwischen umgedreht und sie guckt genauso griesgrämig wie Andreas. Kein Wunder, dass Mai versucht sie an Kathrin abzuschieben.

„Ehrlich jetzt.", ruft Andreas, als ich zwischen Mai und Chrissi davongehen. Die Beiden halten mich viel zu fest, als würde ich gleich umfallen.

„Jetzt ist er wieder sauer.", meckert Chrissi leise.

„Dann nimm dir jemanden, der nicht sauer ist.", schlage ich vor. Das ist doch logisch.

Chrissi tippt mir auf die Nase.

„Aber du bist doch auch sauer."

„Verschreckt und unsicher, würde ich eher sagen.", wirft Mai trocken ein.

Ich lehne mich dichter zu Chrissi hin und hauche:

„Ich bin nicht sauer."

„Ja, weil du gerade betrunken bist."

„Nein. Ich bin nie nie nie sauer. Weiß gar nicht wie das geht."

Eine schwere Hand wuschelt durch mein Haar.

„Du Quatschkopf.", murrt Chrissi, aber sie lächelt dabei.

„Du hast Andreas ja ganz schnell stehen lassen.", sagt Mai.

Das passt gar nichts in Gespräch.

„Mai. Wir reden doch vom Sauer sein."

Meine Beschwerde wird eiskalt ignoriert. Mai starrt an mir vorbei, direkt in Chrissis Augen. Und diese starrt intensiv zurück. Aber sie wirken nicht verliebt. Eher so, als wollten sie einen Pokémon Kampf austragen.

„Ja. Das hast du sehr gut erkannt."

„Und warum ging das so einfach. Er hat sich sogar drüber aufgeregt."

Chrissi zieht ein eher unfreundliches Lächeln. Das Lächeln, das ihr überhaupt nicht steht und mir ein bisschen Angst macht. Aber ich kann nicht von ihr weg, weil sie mich noch näher an sich drückt.

„Weil sich jemand um Elly kümmern muss."

„Aber das hätten Feli und ich genauso gut gekonnt."

Mai grinst widerlich. Blicke fliegen hin und her und die Luft scheint zu knistern. Irgendetwas verstehe ich gerade nicht. Vielleicht bin ich doch betrunken.

„Weil ich mich um Elly kümmern möchte."

„Das darfst du ja auch.", sage ich ihr, damit sie nicht denkt, wir wollen sie nicht hier haben.

Sie schlingt ihren Arm um meinen Rücken und zieht mich ganz zu sich.

„Danke. Du Süße. Warum bist du nur so verdammt süß. Der ganze Mist passiert nur deswegen."

Dazu fällt mir nichts ein. Und Chrissi Umarmung ist zu wohlig schön, um sie mit unbedachten Worten zu ruinieren. Trotzdem brummt Mai im Hintergrund:

„Sei froh, dass du Ellys Niedlichkeit zu spüren bekommst. Nicht jeder hat das Glück."

Das hat Mai aber nett gesagt. Sie ist eben doch meine beste Freundin.

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