„Hey. Ist alles Ok?"

Auf dem Weg zum Parkplatz spielt eine leichte Brise in den Baumwipfeln. Der Blonde schlürft mit den Füßen. Dabei schießt er Kieselsteine in alle Richtungen.

Uns brennt die Sonne in den Rücken. Sie zieht die Schatten lang und meiner stößt mit den Kopf direkt an Chrissis Füße. Andreas Oberarm drückt an Chrissis Schulter. Er hält ihre Hand umklammert, als befürchtete er sie will ihm weglaufen.

Mein Schnürsenkel ist schon eine Zeitlang offen. Die grüner Bänder hüpfen und fliegen bei jedem Schritt, immer bereit dazu, sich als Stolperfalle unter meiner Schuhsohle zu verhaken. Die Jugendleiter sind weit voraus und merken nicht, wenn sie mich verlieren. Deshalb wage ich es nicht eine Pause zu machen, um den Schuh zuzubinden.

„Hey. Dein Schnürsenkel ist offen.", brüllt der Blonde von der Seite. Ich zucke zusammen und werfe ihm einen entsetzten Blick zu. Er zieht den Kopfhörer aus seinem Ohr.

„Sorry. Dein Schuh ist offen. Wenns dich hinhaut, ist das dein Pech. Ich helf dir nicht. Ich muss kotzen, wenn ich Blut sehe. Also bind das mal lieber."

Und dann steht er da, die Arme verschränkt und trommelt mit der Fußspitze auf den Boden. Auch Chrissi und Andreas haben angehalten und schauen zu uns hoch. Kein Wunder, wenn der Blonde die ganze Welt zusammenbrüllt.

„Hey. Ist alles Ok?", ruft Chrissi.

Sie löst sich aus Andreas Griff, was kurzfristig in einem winzigen Ringkampf ausartet, bis er endlich nachgibt. Dann kommt sie zu mir. So viel Aufmerksamkeit, nur weil mein Schnürsenkel offen ist. Ich knie mich auf den Boden, um den Grund des Aufruhrs schnell zu beseitigen.

„Hey. Können wir jetzt mal gehen. Ihr Kids habt wirklich schon genug getrödelt.", meckert Andreas.

„Warte noch. Elly bindet ihren Schuh."

Eine nette Erklärung, aber das hat Andreas sicher schon bemerkt.

„Das kann sie wohl auch allein. Ist ja keine fünf. Oder?"

Inzwischen schieße ich wieder nach oben. Ich habe an beiden Schuhen doppelte Schleifen geknotet.

Chrissi lächelt mich an und rückt meine Mütze gerade.

„Tut mir leid. Elly. Manchmal ist Andreas schon sehr grummelig. Aber er meint es nicht böse. Ist jetzt alles Ok? Können wir weiter?"

Ich nicke. Grummelig, nennt sie sowas. Liebe macht scheinbar wirklich blind.

Und wieder steckt Chrissi ihre Hand freiwillige in Andreas Würgegriff. Scheinbar mag sie es, wenn er ihr die Finger zusammenquetscht. Ich bin wohl zu lesbisch, um so eine Vorliebe zu verstehen.



Von den letzten Schritten zurück auf den Parkplatz, wo die Buse nach draußen auf die Landstraße drängen, bis hin zu Laras Wiedersehensfreude, in der sie mich an sich drückt, wie ihre verlorengegangene Dreijährige, geht alles ganz schnell. Im Handumdrehen bin ich im Bus und weiß nicht mehr, wann mir Chrissi aus dem Blick entschwunden ist. Auf jeden Fall hing Andreas immer noch wie ein Oktopus an ihr dran und ich dachte, ich würde mir eher eine Darmspiegelung als diese traute Zweisamkeit anschauen. Dann döse ich schon im Bus weg, während draußen ein Mix aus Feldern und Bäumen vorbeizieht. Lara tuschelt mit Marius und alle Farben und Geräusche verschwimmen ineinander.

Eine Stunde später taumle ich verschlafen aus dem Bus und Marius hält mich hinten am Rucksack fest, weil ich zwei der Treppen verstolpere. Ich marschiere sofort los Richtung Hütte 5, um mir jeden Anblick weiterer Liebespaare zu ersparen.

Da stellt sich mit ein entzückendes, aber gerade nerviges Wesen in den Weg.

„Hoppla. Elly. Ich muss doch ab kreuzen, dass du heil wieder im Camp angekommen bist."

Als ob sie nicht sieht, dass ich mit allen Teilen vollständig vor ihr stehe.

„Muss ich was unterschreiben.", grummle ich.

„Nein.", lacht sie.

„Na dann."

Ich stampfe weiter.

„Elly. Ist alles Ok?"

Inzwischen klingt sie wie eine Schallplatte. Immer wieder fragt sie mich dasselbe.

Mit vor der Brust verschränkten Armen fahre ich herum. Sie lächelt unsicher und streicht eine lose Strähne hinter ihr Ohr. Sie hat nicht mal ihr Klemmbrett dabei, um mich abzuhaken.

„Ich bin müde."

Außerdem bin ich sauer, weil sie den doofen Andreas gernhat. Wenn sie sich wenigstens jemanden netten gesucht hätte, dann könnte ich ihre Wahl akzeptieren.

„Bist du deswegen grummelig?"

Das Wort schießt wie ein Pfeil in mein Herz.

„Ich bin nicht grummelig.", fauche ich.

Ich ergreife die Flucht. Für heute habe ich endgültig genug von Chrissi. Und von meinen Gefühle, die zu blöd sind, um zu wissen, wann sie in vollkommen falsche Richtungen rennen.

Ich stürze in meine Hütte und Mai und Feli fahren erschrocken auseinander. Zwei glühende Gesichter starren mich an. Mai hat die Hände unter Felis Shirt. Die Lippen der beiden sind rot und geschwollen.

„Ihr könnt ruhig weiter rumknutschen, aber ich muss jetzt hier im Bett liegen."

Meine Turnschuhe lassen sich nicht richtig von meinen Füßen schütteln. Ist kein Wunder, irgendein Depp hat die mit Doppelschleifen zusammengeschnürt. Ich werfe meinen Rucksack aufs Bett und mich daneben. Dann zerre ich an meinen Schuhen und zerre und zerre.

„Ihr doofen, scheiß blöden Schuhe."

Meine Stimme ist hoch und quietscht widerlich.

„Hey Elly. Ist alles Ok?", fragt Mai. Sie hält Felis Hand, aber sieht besorgt zu mir rüber. Sogar Feli schaut ein bisschen irritiert.

Endlich gibt der eine Schuh nach und ich werfe ihn quer durchs Zimmer. Er kracht befriedigend gegen die Wand und bleibt falsch herum liegen.

„Jetzt frag du nicht auch noch. Ich bin nicht so daneben, dass mich ständig jeder fragen muss, ob ich Ok bin."

Ich wische über meine Wange. Mein Handrücken ist feucht.

„Ich frage, weil du nicht ok bist. Und wenn du mir und Feli schon die Tour vermasselst, möchte ich zumindest nen guten Grund dafür hören."

Feli schnaubt.

„Tour vermasselt. Wie widerlich ist das den ausgedrückt."

Mai streicht Feli über die Wange und lächelt zärtlich. So einen Ausdruck habe ich noch nie auf ihrem Gesicht gesehen.

„Ist schon gut. Maus. Wir streiten nachher drüber."

Zu meiner Verwunderung stürzt sich Feli nach dem Satz nicht auf Mai, um sie lebendig zu zerfleischen. Sie blinzelt und kaut auf ihrer Unterlippe herum. Vermutlich überlegt sie, ob sie streiten will, oder nicht. Dann hüpft sie vom Bett, murmelt etwas, von Limo und Kiosk und trabt aus der Hütte.

„Sag ich doch. Tour vermasselt."

Mais anklagender Blick verlangt nach Wiedergutmachung. Er ist mir ganz egal. Ich habe endlich den zweiten Schuh von meinem Fuß bekommen und wühle mich in die Bettdecke. Eine gemütliche, viel zu warme Höhle für mich allein, ist jetzt genau das richtige. Die Welt kann draußen bleiben. Ich brauche Pause.

Ein Schweres etwas legt sich auf mich, viel zu viele Gliedmaßen klammern sich um meinen Deckenkörper. Das ist irgendwie schön und schenkt mir noch mehr Geborgenheit. Aber es lässt mich auch an Andreas und seine Oktopus Arme denken.

„Ist auf dem Ausflug was Blödes passiert? Elly"

Die Stimme meiner besten Freundin klingt dumpf durch die Decke.

„Eigentlich nicht.", nuschle ich in die Matratze und weiß nicht, ob Mai mich versteht. Irgendwie ist nichts Schlimmes passiert und trotzdem bin ich so wütend und traurig.

„Also bist du aus dem Nichts heraus so wütend? Die liebe Elly, die lieber heult als schreit, wirft plötzlich wegen nichts ihre Schuhe durch die Gegend und schimpft rum."

Die Decke wird angehoben und Mai lugt ohne Einladung in meine Höhle.

„Was ist also passiert? War Chrissi wieder gemein zu dir?"

„Nein. Chrissi ist nur so nervig."

Das Thema Chrissi ist viel zu anstrengend für meinen müden Kopf. Dann taucht gleich wieder dieses Jucken in meinem Herzen auf, an dem ich nicht kratzen kann.

Jetzt kriecht Mai sogar zu mir herein und ich muss so lange rücken, bis wir beide gerade so unter die Decke passen.

„Warum ist Chrissi denn plötzlich nervig? Gestern hast du noch gejammert, dass sie dich ignoriert."

Ich seufze und denke nur an ein einziges Wort. Das ist so viel nerviger als Chrissi.

„Wegen Andreas."

„Der doofe Jugendleiter Andreas? Ja. Chrissi steht auf ihn. Das ist doch nichts neues."

„Aber das nervt mich jetzt mehr als vorher."

Mit dem Gesicht ganz nah vor Mais, zische ich:

„Er ist so unhöflich, unsympathisch, ekelig, langweilig. Und aufdringlich und behandelt Chrissi, als wäre sie sein Eigentum. Wenn sie eine Minute ohne ihn verbringt, wird er sofort sauer. Aber sie scheint es zu mögen. Ist das nicht nervig? Ich mein, wieso braucht Chrissi den so jemand Blöden."

Mai drückt ihren Finger auf meine Lippen und bewirft mich mit ihrem schon-verstanden Blick.

„Newsflash Elly. Du bist eifersüchtig."

Sie setzt sich auf und wirft die Decke von uns beiden herunter.

„Und das ist nichts, weswegen du dich im Bett vergraben musst. Du schwärmst nicht mehr. Du bist verknallt in Chrissi und jetzt bist du natürlich eifersüchtig auf Andreas. Das ist total natürlich. Er hat das, was du willst."

Die Erklärung klingt so einfach, aber fühlt sich schrecklich an. Ich kann nicht plötzlich eifersüchtig sein, wenn ich immer wusste, dass ich mit Chrissi keine Chance habe. Das ist unpraktisch und dumm.

„Ja. Und jetzt?"

Wie automatisch ziehe ich die Schublade an dem kleinen Holznachtisch neben meinem Bett auf und werfe eine Packung Chips auf die Matratze. Dann erst fällt mir ein, dass Chrissi die gekauft hat. Aber es ist schon zu spät und Mai leert sich die halbe Tüte in den Mund.

„Ja. Jetzt musst du dich vermutlich entlieben. Bringt ja nichts.", sagt meine beste Freundin.

„Das klingt nicht sehr schön."

Das Jucken in meiner Brust wird schmerzhaft, wenn ich nur daran denke, Chrissi nicht mehr zu mögen. Aber mein Herz leidet noch mehr, wenn ich mich an eine verzweifelte Liebe klammere. Selbst wenn ich dann die tragischen Heldinnen aus Mamas Lieblingschnulzen nachahmen kann. Mit wehenden Haare an einer Klippe zu stehen, währen Tränen wie Perlen auf meinen Wangen gefrieren, passt vielleicht ganz gut zu mir.

„Ja schon. Aber ich wäre nicht deine beste Freundin, wenn ich dir da Hoffnung machen würde. Und um die Wette ist ja eh schon egal. Die Gewinnen wir alle nicht mehr."

Mit einem lauten Ächzen werfe ich mich zurück aufs Bett. Zum ersten Mal im Camp habe ich ein bisschen Heimweh. Nicht nach meiner Familien, oder Freunden. Nur nach der Ruhe in meinem eigenen Zimmer, meinem Laptop und Serien, mit denen ich alle Gedanken aus meinem Hirn blasen kann.

Mai schnappt sich meine Hand und zerrt mich nach oben.

„So und jetzt kommst du mit mir mit und wir gehen Feli suchen. Sie ist sich noch sehr unsicher mit allem und ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht. Deswegen erklärst du ihr jetzt ganz nett, dass du überhaupt kein Problem mit sowas hast und uns Glück wünscht."

Tatsächlich bin ich den Beiden eine Erklärung schuldig. Immerhin möchte ich Mai unterstützten. Aber heute habe ich mich Verhalten wie eine nerviges Balg, das ins Zimmer der großen Schwester platzt, die ihren ersten Freund zu Besuch hat. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen.

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