„Die zwei werden langsam richtig gute Freunde. Oder?"
Der nächste Tag bringt Regen und damit eine gute Ausrede, um in der Hütte zu bleiben. Das Schlechtwetterprogramm im Gemeinschaftshaus lockt mich nicht. Dort haust eine fiese Hexe namens Chrissi, die mich bestimmt in ihrem Ofen stopfen möchte.
Außerdem trommelt der Regen so schön auf das Hüttendach und macht die Stimmung drinnen zehnmal gemütlicher.
Mai und ich widmen uns intensiv den soziale Medien und holen den geballten Internetkonsum nach, den wir bei schönem Wetter verpasst haben. Wir haben die beste Zeit und stolpern von einen Lachanfall in den nächsten, bis Feli und Kathrin vom Vormittagsprogramm zurückkehren. Mai steht von dem Moment an unter Strom, an dem Feli ihre Jacke und Schuhe am Eingang zurücklässt und sich stumm auf ihr Bett zurückzieht. Der blonde Lockenkopf verschwindet sofort hinter einem Buch.
Kathrin dagegen präsentiert uns stolz die Kette, die sie aus Perlen gefädelt hat.
„Da war es ganz schön voll. Ungefähr alle Jugendleiter sind da. So viel Betreuung braucht echt kein Mensch.", erzählt sie. „Und die haben auch nicht wirklich Lust heute was zu tun. Ihr hätte es sehen sollen, die benehmen sich heut selbst wie Teenager und machen total viel Blödsinn. Andreas hat Chrissi sogar auf die Wange geküsst."
Das ist genau die Information, die ich nicht gebraucht habe. Nicht weil ich eifersüchtig bin, oder so. Ich will nur nichts mehr über die doofe Chrissi hören. Mai interessiert es auch nicht besonders. Sie ist auf Feli fixiert wie ein Jäger auf ein Reh und schleicht auf Zehenspitzen zu ihrem Bett hin. Dort lässt sie sich ans Fußende der Matratze fallen und zwickt das Mädchen in den Zeh. Mit überraschtem Keuchen zieht Feli den Fuß ein.
„Ach komm. Lass mich doch einmal in Ruhe. Mai.", beschwert sie sich. Sie klingt ziemlich müde.
„Was liest du denn da?", fragt Mai. Sie sagt es besonders freundlich. Scheinbar hat sie sich meinen Ratschlag, es mit Nettigkeit zu versuchen, zu Herzen genommen.
Feli runzelt die Stirn. Die Falte wird noch tiefer, als Mai ihr ein strahlendes Lächeln entgegenwirft. Dann schiebt sie ein Lesezeichen zwischen die Seiten und reicht Mai zögernd das Buch. Meine beste Freundin stellt sich besonders klug an und nutzt die Geste, um ein bisschen näher zu ihrem Schwarm zu rutschen. Ihre Schulter drückt gegen Felis aufgestellte Beine, während sie durch die Seiten blättert.
„Drachen. Hmm. Klingt interessant.", sagt Mai, als sie den Band zurückgibt.
„Ja. Es gibt auch einen schwarzen Todesdrachen. Der würde dir sicher gefallen."
„Oh. Ehrlich? Auf welcher Seite."
Mai lässt sich nach vorne fallen und liegt halb auf Feli. Ein ungeschickter Versuch wieder an das Buch zu kommen. Sehr tollpatschig und natürlich vollkommen aus Versehen. Meine beste Freundin wendet alle Tricks an. Feli reißt erschrocken die Augen auf. Aber sie stößt Mai nicht weg. Ein gutes Zeichen.
„Also kommt ihr dann am Nachmittag noch mit ins Gemeinschaftshaus? Sie wollen einen Film zeigen.", reißt mich Kathrin aus meiner Beobachtung. Versteht die nicht, dass ich Mai zugucken muss. Dann kann ich sie später besser beraten.
„Nein. Danke. Ich find so einen faulen Tag auch mal ganz schön."
Nichts bringt mich heute in Chrissis Nähe.
„Ehrlich? Vielleicht sehen wir wieder irgendwelchen Unsinn, den die Jugendleiter anstellen."
Kathrin beugt sich näher und wispert:
„Ganz ehrlich, ich glaub ja das Chrissi und Andreas aufeinander stehen. Und ich find die passen auch voll gut zusammen."
Das reicht. Gespräch beendet. Ich springe auf die Beine.
„Muss aufs Klo.", sage ich und stürme ins Bad. Vorbei an Mai, die es sich gemütlich auf Felis Bauch eingerichtet hat. Sie spielt nervös mit den Bändern ihres Sweatshirts. Feli hat sich meiner aufdringlichen, besten Freundin ergeben und liest ihr leise vom schwarzen Todesdrachen vor.
Das Wetter gönnt mir nur einen Tag Pause. Ein strahlend schöner Sommermorgen, macht es unverzeihlich in der finsteren Holzhütte zu hocken. Mein Knie ist inzwischen mit einem wasserfesten Pflaster gut versorgt und verspricht mir ein kühles Bad im See. Der Wochenplan verspricht mir außerdem, dass Chrissi eine Schnitzeljagd im Wald beaufsichtigt. Der Strand ist also sicher vor schlechten Schwingungen.
Beinah schon mit Frostbeulen an den Beinen, schleppe ich mich ans Ufer, wo meine Freunde ein paar Handtücher bezogen haben. Feli sonnt sich, nachdem Mai sie sehr motiviert mit Sonnencreme eingekleistert hat. Eine dicke Sonnenbrille versteckt ihr halbes Puppengesicht und ihr Bauch hebt und senkt sich gleichmäßig.
„Hey Elly. Gut, dass du jetzt da bist. Kannst du auf die Sachen aufpassen? Wir wollten schnell zum Kiosk und Limo holen.", sagt Kathrin.
Mai ist schon ein paar Schritte vorgegangen. Sie versteckt sich heute unter einem riesigen, schwarzen Sonnenhut. Und Kathrin hält bereits ihren Geldbeutel in der Hand. Also habe ich gar nicht erst die Wahl abzulehnen.
„Bringt mir bitte eine mit."
Kaum hört Kathrin mein indirektes Einverständnis, flitzt sie zu Mai, die schon fast bei der Schlange vor dem Kiosk angekommen ist.
Ich wickle mich in mein riesiges Handtuch. Es ist groß wie eine Decke und bedeckt mich vom Kopf bis zu den Füßen. Als hätte ich meinen eigenen, kleinen Kokon, in dem ich warm und gut beschützt vor mich hinbrüten kann. Die Füße angezogen, lugt nur mein Gesicht aus dem Handtuch. Ich strecke es der Sonne entgegen. Mit geschlossenen Augen trockne ich langsam vor mich hin. Oranges Licht schimmert durch meine Lider. Der See plätschert und rauscht, wie ein Meer. Das Lachen, Reden, Rufen der Jugendlichen um mich herum, vermischt sich zu dieser unverwechselbaren Sommermusik, die von weit entfernt zu kommen scheint und mir das Dösen leicht macht. Meine eigene, winzige Welt, mitten im Gewühl.
„Nicht erschrecken. Elly.", wispert eine sanfte Stimme.
Ein Schatten fällt auf mich.
Ich zucke heftig zusammen und reiße die Augen auf.
Vor mir steht eine fiese Hexe, die ich absolut nicht sehen will. Chrissi lächelt verlegen. Sie spielt mit einer langen Locke ihres an den Seiten zurückgesteckten Haares. Irgendwie sieht sie so anders aus in einem kurzen, geblümten Sommerkleid, Sandalen, mit viel mehr Schmuck als sonst und etwas Schminke. Es macht sie noch hübscher, aber ich bin sauer und möchte sie nicht bewundern.
„Geh weg!"
Ich schaffe es sogar fies zu sein.
Anstatt zu gehen, kniet sich Chrissi zu mir. Meine Abfuhr war wohl nicht sehr überzeugend.
„Ich weiß, du bist wütend. Elly. Mit gutem Recht. Ich war alles andere als fair."
Sie legt federleicht die Hand auf mein Knie. Mit heftigem Schütteln wehre ich mich gegen die freche Berührung. Chrissi braucht nicht glauben, dass ein paar Worte alles wieder gut machen. Ich habe hinter ihre Fassade geguckt und da modert es gewaltig.
„Du hast mich ganz schön erschreckt. Das war etwas sehr Privates und ich hab versucht zu retten was zu retten ging. Aber dabei hab ich vollkommen überzogen gehandelt und dich sogar bedroht. Es tut mir wirklich sehr leid. Elly."
Jetzt zieht sie zerknirscht die Stirn in Falten. Ich musterte sie skeptisch. Sie ist nett wie immer, aber vielleicht spielt Chrissi die Freundlichkeit nur und eigentlich ist sie von Grund auf falsch.
„Du kannst gerne mit deinen Freunden drüber reden. Also über das was du gehört hast. Macht vermutlich nicht einmal einen Unterschied, wenn es alle wissen."
Chrissi seufzt und setzt sich endgültig zu mir. Mein „Geh Weg" hatte eindeutig den gegenteiligen Effekt. Sie hockt vor mir und wartet auf eine Reaktion. Dabei zieht sie nervös an ihrem Armband. Das zerspringt sicher gleich und verteilt überall bunte Perlen. Ich will Chrissi immer noch wegschicken. Um in Ruhe über die Entschuldigung nachzudenken und zu entscheiden, ob ich ihr glauben will. Durch den wolkenblauen Blick der erwartungsfroh auf mir ruht, will ich ihr sofort vergeben. Trotz dem bisschen Wut, das noch in meinem Bauch herumtobt.
„Ich weiß nicht.", nuschle ich. Ich zerre das Handtuch fester um mich als Schutzwall gegen meine Zweifel. Und gegen Chrissi.
„Verstehe.", sagt Chrissi. Sie lässt erneut ein langes Seufzen los. Ihr Blick schweift über den See. Eine leichte Brise spielt in ihrem Haaren.
„Ich habe heute übrigens frei und werde mit ein paar Freunden in die Stadt fahren. Soll ich dir was mitbringen? Süßigkeiten? Postkarten? Oder irgendsowas."
Das klingt fast nach Erpressung.
„Weiß nicht."
„Ja. Du bist ganz klar noch sauer auf mich."
Chrissi springt auf die Beine.
„Aber dir ist schon klar, dass du gerade die einmalige Möglichkeit hast, allen möglichen Süßkram zu bekommen. Und zwar vollkommen kostenlos. Postkarten geb ich dir sogar noch obendrauf. Also sag mal Ja."
Sie streckt den Finger vor mein Gesicht und ich schiele darauf.
„Ah....?"
„Gut. Das werte ich als ja."
Mit einem Schmunzeln streicht Chrissi ihren Rock glatt.
„Keine Sorge. Ich zwing dich damit nicht mir zu vergeben. Aber ich fühl mich besser, wenn ich etwas Nettes für dich tun kann."
Sie tätschelt nochmal mein Knie und diesmal lass ich sie. Nachdem sie es verarztet hat, scheint sie eine besondere Verbindung dazu aufgebaut zu haben.
„Also ich muss jetzt los. Wir sehen uns dann hoffentlich morgen?"
Ich nicke, ohne wirklich darüber nachzudenken. Aber es ist ohnehin zu anstrengend Chrissi durchgehend aus dem Weg zu gehen.
„Sehr schön. Freut mich."
Ihr Lächeln strahlt wie die Sonne selbst. Dann läuft sie mit fliegendem Rock davon. Sie wirkt so viel jünger, wenn sie nicht die Camp-Uniform trägt. Wie jemand, der fast so alt ist wie ich.
Kaum ist Chrissi weg, setzt sich Feli auf. Mit breiten Gähnen streckt sie die Arme von sich. Die riesigen Gläser der Sonnenbrille verleihen ihr das Aussehen einer Fliege.
„Du hättest sie um Kekse bitten sollen.", murmelt sie verschlafen. So kann man auch zugeben, dass man gelauscht hat.
„Willst du Kekse? Feli.", fragt Mai, die gerade zurück an unser Lager kommt. Sie streckt ihr eine Limoflasche hin und Feli nimmt sie träge. Nachdem sie einen Schluck getrunken hat, zischt sie: „Nicht von dir.", und legt sich wieder hin.
Auch Kathrin ist zurück und drückt mir meine Limo in die Hand. Die Flasche ist eiskalt und Kondenswasser läuft am Glas herunter.
Mai guckt zu mir und zieht eine Grimasse. Dann drückt sie Feli den Boden ihrer Flasche an den Bauch. Mit einem überraschten Quieken fährt das Mädchen auf. Ihr empörter Blick spießt Mai regelrecht auf. Diese kichert nur und streicht ihren Finger unter Felis Kinn.
„Ich kauf dir Kekse. Feli. Magst du mitkommen?"
Feli schnaubt. Aber sie greift hinter sich und wirft sich ihr Shirt über.
„Lass uns gehen.", faucht sie und trampelt davon.
Mai läuft ihr strahlend wie ein Honigkuchenpferd hinterher.
„Die zwei werden langsam richtig gute Freunde. Oder?", sagt Kathrin.
„Scheint so."
Und bald haben sie sicher ihren ersten Kuss.
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