„Also. Es gibt da eine Person..."
Chrissi lässt mich los, als Tumult von oben schallt.
„Wir kommen zu euch.", ruft eine dunkle Stimme. Dann knackt und raschelt es in den Büschen. Blätter regnen auf uns hinab.
Taschenlampenlichter sausen über den Hügel und bleiben an meiner winkenden Hand hängen.
„Da seid ihr. Geht's euch gut?", sagt jemand. Noch mehr Krach auf dem Hügel. Bald tönt sicher die Sirene eines Krangenwagens und ein Hubschrauber lässt die Baumkronen tanzen.
„Uns geht es gut.", ruft Chrissi. Ich rutsche von ihr zurück. Ihre Hand, die noch auf meiner Schulter lag, fällt kraftlos nach unten. Sie macht nicht mal den Versuch mich festzuhalten.
Jetzt zählt die Ausrede „Angst vor der Dunkelheit" wohl nicht mehr.
Meine Füße rutschen über den Boden, als ich mich nach oben stemme. Etwas Großes wühlt sich durch die Büsche und der Schatten eines Mannes bricht daraus hervor. Er hält die Taschenlampe direkt in mein Gesicht und ich blinzle genervt dagegen an.
„Hey. Alles gut.", brummt er.
Der Fremde packt mich am Arm und ich quieke:
„Ich brauche keine Hilfe. Nur Chrissi ist verletzt."
„Ach so. Kommst du allein nach oben."
Er lässt mich zögernd los.
„Ja. Klar.", zische ich. „Chrissi braucht Hilfe."
Endlich wendet er sich der Jugendleiterin zu. Der Lichtkegel streicht über sie. Sie zwickt die roten Augen zusammen. Jeder kann sehen, dass sie geweint hat. Aber nur ich weiß warum. Der Unfall ist die beste Ausrede, die sich Chrissi wünschen kann.
Der Mann kniet sich vor sie hin. Im selben Moment kommt noch eine weiterer Schemen im Dunkel auf uns zu. Chrissi ist überversorgt. Sie braucht mich nicht mehr und ich klettere den Hügel nach oben.
„Hey. Wart mal. Elly.", ruft Lara.
Schritte stampfen hinter mir auf den Boden, ein Lichtstrahl hüpft vor mir durch die Nacht.
Mein Versuch mich leise davonzumachen, scheitert bereits kurz nachdem ich mich das letzte Stück des Hügels hochgewuchtet habe. Vielleicht weil mich einer der Lichtkegel erwischt hat, bevor ich zwischen den Bäumen verschwunden bin. Vielleicht weil ich meine Hände zu laut gegeneinander gerieben habe, um die Erde von meiner Haut zu klopfen. Oder vielleicht hat Lara schon die ganze Zeit nach mir Ausschau gehalten. In solchen Fällen ist sie plötzlich nicht mehr auf Marius fixiert und erkennt sogar, wenn ich mich ins Dunkel davonmachen will.
Ich warte großzügig auf sie. Ihre Anwesenheit stört mich nicht. Aber den Aufruhr der Rettungsmission kann ich nicht ertragen. Genauso wenig, wie Chrissis Stimme oder ihren Anblick. Aber vor allem fürchte ich Andreas und die Reaktion, die Chrissi zeigen wird, wenn er ihr zur Hilfe eilt. Von wegen Angst vor der Dunkelheit. Das Gesicht dieses „Teddy Bären" quält mich in meinen Alpträumen.
Lara senkt ihren Arm schwer auf meine Schulter, als sie bei mir ankommt.
„Mach sowas bitte nicht mehr.", sagt sie.
„Was? Ich bin den Hügel doch nicht runtergeflogen."
Laras entrüstetet Schnaufen schneidet scharf in die Stille des Waldes. Die Geräusche der Rettung haben sich längst in den Hintergrund verzogen.
„Es wäre mir lieber, wenn du nicht die Heldin spielst. Du hättest dir da im Gebüsch alles Mögliche brechen können."
„Hey. Wartet mal ihr Zwei.", kräht es hinter uns. Na Prima. Wir werden eine ganze Meute. Eigentlich möchte ich mich allein in mein Bett verkriechen und mein Unglück beweinen. Meine Augen brennen bereits, weil ich die Tränen so krampfhaft zurückhalte.
Mai bleibt schweratmend in Laras Taschenlampenkegel stehen. Dicht an ihrer Seite ist Feli, die wenig beeindruckt von der sportlichen Betätigung zu sein scheint. Sie klopft Mai nachsichtig auf den Rücken, als ob diese sich verschluckt hat und nicht wegen ihrer normalen Unsportlichkeit vor sich hin stirbt.
„Sie haben Chrissi den Hügel nach oben geschafft. Ihr scheint es ganz gut zu gehen. Hat kaum Hilfe gebraucht.", berichtet Mai, nachdem sie wieder reden kann.
Ich nicke nur. Mein neugieriges Hirn will mehr wissen. Wie hat Chrissi geschaut? Tut ihr Arm noch weh? Hat sie nach mir gefragt? War Andreas auch da? Aber ich schlucke alle Fragen herunter und murmle:
„Ah ha."
Dann gehe ich weiter.
„Ah Ha?", äfft mich Mai nach. „Ist das alles? Wieso bist du überhaupt gegangen? Chrissi kann deine Hilfe jetzt sicher gut gebrauchen."
Genau wegen solcher Fragen, wollte ich heimlich flüchten.
„Hmm. Sicher ist Andreas da. Der kann sie umsorgen."
„Diese Gleichgültigkeit, obwohl du dich vorher für sie den Hügel runter gestürzt hast. Ist was passiert zwischen euch?""
Mai hat den richtigen Riecher. Das nervt.
„Hat sie was Gemeines zu dir gesagt. Elly."
Meine Schwester wirft ihren Beschützerinstinkt an.
„Hat sie nicht."
Ich lege einen Schritt zu. Mai hechelt hinterher. Lara hängt sich an meinen Arm.
„Hat sie die ganze Zeit nach Andreas geheult?"
„Zum Glück nicht."
Eigentlich hat sie kein einziges Mal von Andreas gesprochen. Das fällt mir erst jetzt auf.
„Ja. Was denn dann?"
Ich will es ihnen nicht verraten. Vielleicht lachen sie mich dann aus. Immerhin sollte es mich freuen, dass Chrissi mich mag. Mein Kopf will jetzt erstmal nur erschöpft und traurig sein und verkraftet keine Ratschläge.
„Also theoretisch, nur theoretisch ja, was würdet ihr machen, wenn jemand sich dagegen wehrt euch zu mögen."
„Na, du kannst Chrissi schlecht zwingen dich zu mögen."
Mai kommt an meine Seite und Feli drängelt sich daneben. Zu viert sind wir viel zu breit für den Weg. Lara muss immer wieder Äste aus ihrem Weg biegen und Feli stolpert über Wurzeln. Mit etwas Pech stürzt gleich wieder jemand die Böschung herunter.
„Nur theoretisch. Außerdem mein ich das gar nicht so."
„Wie meinst du es denn dann?"
Feli mischt sich ein und klingt genervt. Ich druckse ihr eindeutig zu viel herum.
„Ruhig. Maus.", murmelt Mai. Kleidung raschelt im Dunkeln. Wahrscheinlich legt Mai den Arm um ihre Freundin.
„Also. Es gibt da eine Person..."
„Machs nicht so kompliziert. Elly. Wir wissen, dass du von Chrissi sprichst.", wirft Mai ein.
Das war auch nicht schwer zu durchschauen. Aber es wäre mir leichter gefallen, über Probleme zu sprechen, die ich mir nur geliehen habe.
Ich seufze.
„Ok. Gut. Ich bin mir sicher Chrissi mag mich. Aber sie will mich nicht mögen."
„Hä. Warum will sie dich denn nicht mögen? Weil du ein Mädchen bist?", fragt Mai.
Stimmt. Das sollte ich Chrissi fragen.
„Spinnt die. Du bist doch zuckersüß.", empört sich Lara.
Ich sage Chrissi besser nicht, dass sie spinnt.
„Ich hab sie nicht gefragt warum. Ich habs sie eigentlich gar nichts gefragt. Es ist mir aufgefallen und ich bin weggelaufen, sobald es ging."
„Na Super."
Ganz so nüchtern muss Mai auch wieder nicht klingen.
„Also sprichts du morgen mit ihr?"
Ich nage an meiner Unterlippe. Chrissi direkt auf alles anzusprechen, kommt mir vor, als müsste ich den Mount Everest besteigen. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, das Vorhaben nicht zu überleben. Oder sich alle Zehen abzufrieren. Nur würde bei mir, anstatt der Glieder, das Herz Erfrierungen zurückbehalten.
„Sei nicht feige. Elly. Du bist mit Chrissi so weit gekommen, jetzt zieh auf den letzten Meter nicht den Schwanz ein."
Mai drückt meine Schulter.
„Nun dräng sie nicht so. Elly muss sich niemanden an den Hals werfen, der sie nicht will."
Lara zerrt mich näher zu sich her, bis Mais Hand von mir herunterrutscht.
„Manchmal muss man das schon machen, wenn man jemanden will. Vor allem, weil ich auch denke, dass Chrissi Elly gernhat."
Auf die ruhigen Worte erhält Mai nur ein Schnauben als Antwort. Sie schnauft zurück.
„Vielleicht sollten wir das einfach Elly selbst überlassen.", murmelt Feli. Die Worte gehen beinah im wütenden Gegrunze der beiden Streithähne unter. Aber mir gefällt der Einwurf besonders gut.
Denn genauso möchte ich es machen.
Am nächsten Morgen, bin ich ebenso planlos, wie am Abend zuvor. Nur drei Dinge weiß ich sicher:
Ich muss mit Chrissi spreche.
Ich will wissen, wie es Chrissi heute geht.
Ich bin zu feige, um ihr zu begegnen
Eine Aussprache mit Chrissi erscheint mir hellen Morgenlicht, während ich mit meiner Freundesgruppe zum Essenssaal trotte, noch schwieriger als nachts im Wald. Denn im Tageslicht kann ich jede kleinste Regung auf ihrem Gesicht erkennen. Insbesondere ihren Kampf gegen die liebevollen Gefühle mir gegenüber, könnte ich detailgetreu von ihren Zügen herunterlesen. Die Enttäuschung spare ich mir lieber für spätere Stunden auf. So mutig bin ich kurz nach dem Aufwachen nicht. Und ich bin es auch nicht nach dem Mittagessen. Da schleiche ich mich hinter Tischen geduckt aus dem Saal, weil Chrissi gerade hereingekommen ist.
Genauso wenig bin ich es nachmittags. Während ich arglos mit Mai reden, werfe ich mich plötzlich in einen Busch am Wegrand, weil Chrissi um die Ecke biegt.
„Ehrlich jetzt. Elly.", zischt Mai, aber sie verrät mich nicht, als Chrissi nach mir fragt. Und ich kann mich mit eigenen Augen von Chrissis Zustand überzeugen. Fast wie neu, nur auf ihrer Backe prangt ein großes Pflaster und ein roter Verband schmückt ihren Unterarm. Aber sie geht beschwingt und auf ihrem Gesicht hängt ein gesunder, goldener Schimmer.
Ich möchte mich ihr stellen. Aber die Zeit reicht nicht aus, um eine ausreichende Portion Mut zusammenzusammeln. Um die schreckliche Wahrheit zu erfahren, dass sie nie mich wählen wird, brauche ich einen dicken Panzer, der mich schützt. Bis ich auf sie vorbereitet bin, stolpere ich lieber noch tausend Mal ins Unterholz, renne in Panik quer in den Wald hinein oder springe voll bekleidet vom Steg in den See. Alles davon habe ich heute getan. Ich bin bereit noch viel mehr Einsatz zu zeigen, damit Chrissi mich nicht findet.
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