„Aber vielleicht hattest du gute Gründe deine Oma zu ermorden."

Ich kaue schon seit einer Ewigkeit auf demselben Stück Brot herum. Mein Mund ist zu trocken, um es zu schlucken. Lara streicht über meinen Rücken. Sie hat David auf alle möglichen Arten verflucht, jetzt ist sie still.

„Nimm ihn nicht so ernst. Du weißt doch wie David ist."

Mai nimmt meine Hand und versucht mir zuversichtlich zuzulächeln. Dabei wirkt sie wie eine schlechte Schauspielerin.

„Ihr seid mit dem befreundet?", fragt Feli. Ungewohnt präsent in der Situation. Ihr Buch liegt zusammengeklappt auf dem Tisch.

„Nicht direkt. Aber wir sind in einer Klasse.", sagt Mai.

Feli runzelt die Stirn. Sie tippt nervös mit ihrem Finger auf den Tisch und bohrt den Blick in Mais Seite. Die lenkt ihr Lächeln von mir zu ihrer Freundin.

„Er ist wirklich nicht so schlimm. Manchmal spinnt er halt."

Keiner am Tisch glaubt ihr. Nicht einmal ich glaube ihr, obwohl ich David seit Jahren kenne.

Von Anfang an, war er eher mit Mai befreundet. Ich gab mich der trügerischen Gewissheit hin, dass er mich zumindest ein bisschen mögen muss. Immerhin überlappen sich unsere Freundeskreise zu großen Teilen und dadurch treffen wir uns ständig nach der Schule. Scheinbar hat er immer schon auf mich herabgesehen. Ein gerupftes Huhn, an der Seite der wundervollen Mai.

David zwingt mir einen Krieg auf, den ich gar nicht führen möchte. Weil er mich nicht als würdig für Chrissi befindet. An ihm ist nichts besser als an mir.

Ich würge das Brot herunter und huste. Lara reicht mir ein Wasserglas.

„Also mit sowas wie dem, wollte ich ja nichts zu tun haben.", sagt Kathrin. Sie klingt schwach, wie auf dem Totenbett. Und das sind ihre letzten Worte. Ein grüner Schimmer um ihre Nase, sagt einen baldigen Toilettenbesuch voraus. Die Medizin haben wohl mehr zerstört, als beseitigt.

Feli nickt heftig und hält Mais Blick. Diese beißt nachdenklich auf ihren Lippen herum.

Ich kann nicht nachdenken. Hunderte Gedanken schwirren in mir herum. Alle wollen gehört werden, toben und schreien in Panik. Ein kreischender Sturm, in dem die Angst um Chrissis Wohlbefinden als Kuh zwischen Trümmern herumwirbelt.

„Aber er wird sich nicht rächen, indem er Chrissi Schwierigkeiten macht. Oder?"

Mai schüttelt den Kopf. Es beruhigt mich, wie sicher sie dabei wirkt.

„Er will Chrissi rumkriegen. Also wird er eher nichts machen, was sie ärgert. Aber ich könnte mir vorstellen, dass er ihr irgendwelche fiesen Sachen über dich erzählt."

Ich springe auf. Der Raum schwankt, als wollte er mir beweisen, wie sehr ich eine Mütze Schlafe brauche. Aber ich kann nicht ins Bett gehen, wenn ein Verrückter durch die Gegend läuft und meine Liebe bedroht.

„Ich gehe Chrissi suchen.", sage ich.

„Das ist sicher keine schlechte Idee."

Eine nüchterne Aussage, die mich jagt wie ein Bienenschwarm. Mai kennt David am besten. Sie weiß, wozu er fähig ist. Obwohl ich froh bin, dass ich mir keine Sorgen um Chrissi machen muss, mache ich mir inzwischen Sorgen um mich selbst.



Als ich zum Strand komme, läuft mir der Schweiß aus allen Poren. Der Vormittag ist im vollen Gange und die Sonne brennt, als käme sie direkt aus der Wüste. Trotzdem bin ich den ganzen Weg gerannt.

Ich falle auf eine Bank im Schatten und fächle mir mit dem Saum meines Shirts Luft zu. Der Stoff klebt feucht an meinem Rücken, Haarsträhnen hängen durchweicht in meine Stirn. Wie ein Hund hechle ich nach Atem. Ein Anblick, der jeden in die Flucht schlagen sollte.

Chrissi strahlt als sie mich entdeckt und eilt auf mich zu.

Vergessen ist das Gummiboot, das sie aufpumpt, die Jugendlichen, die ungeduldig warten, ihr Vorhaben unauffällig zu wirken. Sie beugt sich vor und streicht mir das Haar aus dem Gesicht.

„Warum machst du den Sport bei der Hitze?", haucht sie. Sorge legt ihre Stirn in Falten.

Sie greift in ihre Bauchtasche und reicht mir eine Wasserflasche.

„Ich musste schnell herkommen.", japse ich außer Atem.

„Trink erstmal.", bestimmt Chrissi sanft.

Auf einem Zug leere ich die halbe Flasche. Dann möchte ich sie Chrissi zurückgeben, aber werde mit einem Kopfschütteln abgewehrt.

„Du kannst alles austrinken."

Also nuckle ich die Flasche leer, während sich Chrissi neben mir niederlässt. Ihre Kollegin winkt ihr zu zurückzukommen und sie schreit:

„Komme gleich. 5 Minuten."

Eigentlich sollte sie ihre Arbeit für mich nicht unterbrechen. Es gibt so viel Wichtigeres als meine Sorgen.

„Also was ist los?"

Sie greift nach meiner Hand, zieht sie in ihren Schoß und streichelt über meine Finger.

„Hast du mit David gesprochen?"

„David?"

„Der Blonde, der..."

Der sie ein paar Mal angemacht hat. Das kann ich doch nicht sagen.

„Meinst du den nervigen Typen, der mit euch angekommen ist? Der sich ein paar Mal super plump an mich rangeschmissen hat."

Chrissi verzieht das Gesicht und ich nicke.

„Ich bin eigentlich froh, wenn der mich in Ruhe lässt. Warum sollte ich also mit dem sprechen?"

„Hmmm."

Obwohl ich weiß, was ich sagen möchte, hängen die Worte wie verknotetes Garn in meinem Kopf fest. Ich kann ihr nicht verbieten mit David zu sprechen. Eine Warnung wirkt zu übertrieben. Und ich will ihr auch nicht das Gefühl geben, als könnte sie den Jungen nicht händeln. Das kann sie besser als ich.

„Macht der dir Ärger?"

Ihr Beschützermodus wird aktiv. Inzwischen erkenne ich ihn an ihrer Stimme.

„Also schon irgendwie. Aber du musst ihn deswegen nicht schimpfen. Du darfst ihm bloß nicht glauben."

Sie zieht irritiert die Nase kraus. Die Geste ist so süß, dass ich Chrissi küssen möchte.

„Wieso? Erzählt er Lügen?"

„Er erzählt vielleicht fiese Sachen über mich."

Chrissi lässt meine Hand los. Eine Welle Ärger schwappt von ihr zu mir und ich befürchte sie wird gleich von der Bank springen, um den Übeltäter zu finden. Stattdessen nimmt sie einen tiefen Atemzug und rutscht näher.

„Und warum macht der sowas?", wispert sie. Ihre Stimme ist eiskalt, als spräche ich mit einem Auftragsmörder. Ein Unwetter zieht über das klare Blau in ihren Augen hinweg.

Die gefährliche Chrissi hat die Oberhand übernommen und lässt mich nervös auf meinem Sitz herumrutschen. Sie ist wütend für mich und jagt mir trotzdem den größten Schrecken ein. Wie ein gutartiges Monster, das in meinem Schrank haust und versucht alle Alpträume zu verjagen. Aber ich fange hysterisch an zu schreien, sobald es mit Knurren aus dem Möbelstück stürmt.

Kann ich ihr in der Stimmung die Geschichte erzählen, warum es mit David Ärger gibt? Eine Geschichte, in der wir eine Wette um ihre Gunst geschlossen haben.

„Nun..., weil er dich auch mag."

Und weil er gegen mich verloren hat und mir einen Jumbo Eisbecher beim Alfredos schuldet. Irgendwann möchte ich Chrissi alles erzählen. Da die doofe Wette keinen Einfluss auf meine Gefühle, oder mein Handeln hatte, kann ich auf einen entspannteren Moment für die Wahrheit warten.

„Und er denkt er gewinnt meine Gunst, wenn er dich schlecht macht. Spinnt der?"

Chrissi ballt die Hände zu Fäusten. Ich streiche federleicht mit den Fingern darüber, in der Hoffnung sie zu entspannen.

„Nein. Er denkt du machst dann mit mir Schluss. Und er kann dich haben."

Sie prustet laut los. Alle Anspannung fließt aus ihrem Körper und lässt sie weich und kichernd wie eine Babypuppe zurück.

„Ist der doof? Als ob sowas funktioniert. Wenn ich mit dir Schluss mache, nehm ich bestimmt nicht den erstbesten Müll, der zufällig neben mir rumliegt. Ich fand den schon die paar Minuten saumäßig anstrengend, wo er auf mich eingeredet hat. Nein Danke. So nötig hab ichs nicht."

Sie beugt sich vor und pustet an mein Ohr. Ich zucke zusammen und sich kichert noch mehr. Ein angenehmes Kribbeln rinnt über meine Kopfhaut.

„Außerdem hab ich dich gerade erst bekommen. Ich lass dich nicht mehr so schnell gehen. Selbst wenn er mir erzählt, du hättest deine Oma ermordet, würd ich..."

„Also, wenn ich meine Oma ermordet habe, machst du bitte mit mir Schluss.", platzt es aus mir heraus.

„Huh?!"

Chrissi zieht die Augenbrauen hoch.

„Aber vielleicht hattest du gute Gründe deine Oma zu ermorden."

Sie grinst. Sicher macht sie nur Scherze.

Schon wieder brüllt ihre Kollegin nach ihr und Chrissi zieht die Mundwinkel nach unten.

„Ich muss wohl."

Nach einem Streicheln über mein Haar, zupfen an meinen Shirt, mitleidheischenden Blick, steht sie in Zeitlupe von der Bank auf. Als sollte ich sie zurückhalten.

„Ich bin ja noch am Strand. Muss nur noch kurz meine Badesachen holen, dann bin ich wieder hier.", verspreche ich ihr.

Sie verzieht das Gesicht noch mehr und jammert:

„Ich möchte einen Abschiedskuss. Aber das geht hier nicht."

Ein Kuss wäre wirklich schön.

„Jetzt komm schon endlich. Chrissi." Es klingt so genervt, als wollte die Kollegin sie selbst zurück zum Gummiboot schleppen.

Chrissi seufzt herzzerreißend. Dann lächelt sie mir zu.

„Also ich bin vorsichtig wegen David und glaub ihm nichts. Ok?"

Sie ist die beste Freundin der Welt. Ich nicke eifrig.

„Und nachher machen wir was. Ein Eis essen. Und alles was ich möglichst unauffällig in die Arbeitszeit quetschen kann."

Mit frechen Grinsen wuschelt sie durch mein Haar und trottet zurück zum Gummiboot, um es fertig aufzupumpen. Die Jugendlichen haben das Warten schon lange aufgegeben.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top