„Aber Fliegen sind doch niedlich."
Wir finden Feli auf einem Steg, von dem sie die sonnengebräunten Füße in den See hängt. Der Himmel hängt blass über ihr und von den Rändern kriecht bereits Dunkelheit auf das Firmament. Der Schatten des Waldes frisst langsam den glitzernden See.
„Hey. Maus.", grüßt Mai und setzt sich neben Feli. Sie drückt sich so eng wie möglich an das Mädchen, bis diese sie mit der Schulter wegschiebt. Ich hocke mich mit größeren Abstand daneben und lehne den Kopf nach vorne, um Feli ins Gesicht zu sehen. Sie wirkt gefasst, nur ihre Mundwinkel zucken ein wenig nach unten.
„Tut mir leid. Ich wollte euch nicht erschrecken. Und auch nicht vollmaulen. War nichts gegen euch. Ich finde du und Mai sind sehr süß zusammen."
Ihre blauen Augen fangen meinen Blick. Sie sind viel heller als Chrissis. Das Wasser gluckert an den Holz Stempen unter uns.
„Schon gut. Hab ich schon verstanden. Aber ich bin mir wirklich nicht so sicher, ob ich und das nervige Anhängsel hier, sehr süß zusammen sind."
Sie drückt ihre Hand auf Mais Kopf und die lässt ein lautes Schnurren los und schlingt ihre Arme um Feli.
„Natürlich passen wir zusammen. Du hast doch selbst gesagt, es ist irgendwie komisch, wenn ich nicht da bin, um dich zu nerven."
Mais große Augen leuchten, wie die einer Katze, die einen Christbaum sieht.
„Ja. Wie eine von diesen kleinen Fliege, die einem ums Gesicht schwirren. Weißt du die, wo man aussieht wie ein Verrückter, wenn man danach haut.", sagt Feli trocken.
„Trauermücken oder Obstfliegen.", helfe ich aus.
„Danke Elly. Ich glaub Insektennamen sind gerade nicht unbedingt das Problem.", brummt Mai.
„Hmm."
Ich ziehe die Beine an und lehne das Kinn darauf.
„Aber wenn dich Feli für eine Fliege hält, solltest du schon wissen welche Art du bist."
Feli prustet los und Mai schaut mich böse an.
„Bist du Freund, oder Feind? Elly. So ganz kann ich das gerade nicht auseinanderhalten."
„Aber Fliegen sind doch niedlich."
Natürlich kann man den Vergleich mit einer Fliege als Beleidigung auffassen. Aber ich halte es eher für ein Kompliment. Ich kann mein Entzücken meist nur schwer kontrollieren, wenn eine winzige Fliege auf mir landet und mit den kleinen Füßchen, die Flügelchen putzt. Die sind genauso süß wie Babykatzen.
„Ja natürlich. In deinen Augen sind sie das."
Ich nicke übertrieben, aber Mai guckt kein bisschen glücklicher.
Da schlingt Feli ihren Arm um Mai.
„Das hast du aber großes Glück. Du bist wohl doch niedlich.", haucht sie und drückt ihr einen lauten Kuss auf die Wange. Dann steht sie auf und streicht ihren hellblauen Faltenrock glatt.
„Also ich geh zurück. Ihr könnt ruhig noch hier sitzen bleiben. Ich will sowieso noch mein Buch fertiglesen. Dabei stört ihr mich nur."
Sie wandert den Steg zurück und ihr Rock wippt fröhlich bei jedem Schritt.
Mai rückt näher zu mir und seufzt theatralisch.
„Hast du schon davon gehört, dass derjenige der liebt, verliert. Und ich hab diesen verfluchten Streit mit Feli verloren. Dafür muss ich mir jetzt sowas anhören und bin auch noch überglücklich, wenn sie mir die Wange knutscht."
Ihre kalten Finger schieben sich auf meine.
„Vielleicht fährst du ganz gut damit, dass Chrissi sich so klar für Andreas entschieden hat. Damit sparst du dir so einiges."
Meine beste Freundin hat gut reden. Wenigstens hat sie jemanden den sie gernhaben darf. Und der sie zumindest auch ein bisschen gernhat. Das ist besser, als diese Hoffnungslosigkeit, aus der aus einem Samen, nie etwas wachsen kann. Nach wie vor schwirre ich durchs dunkel, mit kaputten Licht und niemand sieht mich. Ganz besonders nicht Chrissi.
Ich seufze, wie ich in letzter Zeit nur noch seufze.
„Aber zumindest hast du Feli dazu bekommen, dass sie dich mag."
„Ich bin mir gar nicht sicher, ob sie mich mag, oder das alles nur interessant genug findet, um mitzumachen."
Mai kratzt sich am Hinterkopf und zieht die Stirn in Falten.
„Ehrlich. Aber sie muss dich wohl ein bisschen mögen."
Immerhin lässt sich Feli von Mai abknutschen und belagern. Hält man sowas aus, wenn man jemanden gar nicht mag? Wenn ich mir vorstelle jemand wie David würde das bei mir machen, dann möchte ich mir gleich die gesamte Haut vom Leib kratzen.
„Vielleicht. Aber wir sind zwar irgendwie weiter, aber trotzdem ist alles so wie vorher . Weil, wir haben gestritten. Ich hab sie an die Wand gerammt und dann war da plötzlich diese komische Stimmung zwischen uns. Dann hab ich erklärt was mit meinem Gefühlen los ist und sie hat einfach: Ok, gesagt. Stell dir vor, einfach nur Ok."
„Oh."
Vielleicht will Feli doch nur eine neue Erfahrung machen.
Mai kaut auf ihrer Unterlippe herum.
„Aber ich nehme wohl was ich kriegen kann."
Tun wir das nicht alle.
Am nächsten Nachmittag steht Chrissi aus dem Nichts vor mir. Sie trägt das Haar offen, mit bunte Shorts und FlipFlops. Auf ihrem weißen Shirt ist ein Schmetterling. Wieder trägt sie viel mehr Schmuck als sonst und ich nehme es als Zeichen, dass sie frei hat.
Als wäre es Tradition, hat sie mich an ihrem freien Tag gefunden, genau in dem Moment, wo ich allein auf einer Bank sitze. Und ich weiß nicht, ob ich bereit für ihre Nähe bin
„Na. Was tust du hier so allein?", fragt sie und es klingt so als wäre ich Rotkäppchen und sie der große, böse Wolf. Chrissi wirkt aber eher nervös als gefährlich und kratzt mit der Spitze ihres Schuhs in der Erde.
Um die Frage zu beantworten, bräuchte ich einen ganzen Absatz, der erklärt, dass Kathrin krank ist, Lara sowieso immer an Marius dranhängt und ich Mai und Feli ein wenig Zeit zu zweit gönne. Den Kontext zu beschreiben, ist mir zu kompliziert, deswegen nuschle ich:
„Nur so sitzen. Hab nichts zu tun."
„Na wunderbar." Sie lächelt heller als der Sonnenschein. „Dann komm mit. Ich kauf dir ein Eis."
„Warum denn?"
Das meine Frage ziemlich blöd ist, fällt mir erst auf, als ich sie gestellt habe. Die Gründe sind vollkommen egal. Chrissi möchte ein bisschen Zeit mit mir verbringen. Ich sollte jetzt schon aufgesprungen und mir ihr auf dem Weg zum Kiosk sein.
Oder eher nicht. Miteinander Zeit zu verbringen, hilft mir nicht mich zu entlieben. Die Entscheidung, ob ich mich entlieben will, habe ich noch nicht getroffen, weil ich nicht mal daran denken will.
„Weil ich meinen Freunden manchmal gerne ein Eis kaufe. Und ich frei habe und jetzt mir dir Eis essen will."
Im Hintergrund meiner Gedanken, überlegt ein nerviges Stimmchen, ob Chrissi Andreas manchmal auch ein Eis kauft. Aber eigentlich ist es klar. Sie ist verknallt in den Idioten, also kauft sie ihm sicher zwei Eis, oder einen ganzen Becher.
„Wir können Eis essen, aber..."
Ich krame meine Marienkäferbörse aus der Hosentasche. Seit der Grundschule ist sie mein steter Begleiter, wenn ich nur ein paar Münzen und nicht meinen gesamten Geldbeutel mit mir herumschleppen will. Beim Aufklappen glitzern noch drei Euromünzen darin.
„...ich kann das schon noch selbst kaufen."
Chrissi lacht und legt ihre Hände über die offene Geldbörse.
„Du bist so niedlich. Ich möchte dich gerne auf das Eis einladen. Ok?"
Nach meinem Nicken zieht sie mich von der Bank hoch. Wir wandern nebeneinanderher zum See. Meine Hand schwingt knapp neben ihrer. Wenn ich einen Schritt rüber mache, könnte meine Schulter gegen ihre stoßen. Aber ich wage es nicht. Zwischen uns bleibt ein kleiner Abstand und der nennt sich Freundschaft.
„Magst du heute nirgends hinfahren?"
„Doch. Später fahr ich in die Stadt."
Hunderte Fragen wirbeln in meinem Kopf herum. Es gibt so vieles über ihr Leben, das ich mir nur vorstellen kann. Um sie nicht mit Fragen zu löchern, sage ich nichts mehr.
„Mit Andreas. Wir gehen Abendessen."
Und dann gibt es Antworten, die möchte ich nicht hören.
„Eigentlich wollte er den ganzen Tag einen Ausflug machen. Aber das war mir nach gestern zu anstrengend."
Anschweigen ist auch nicht die beste Lösung. Endlich habe ich eine Grenze überwunden und kann locker mit Chrissi reden. Ich spreche so gerne mit ihr.
„Aber könnt ihr nicht was Faules zusammen machen?"
„Hmm. Ja. Das wär ganz schön gewesen. Wir haben nicht so oft zusammen frei. Aber jetzt schläft er."
Das klingt frustriert. Vielleicht haben sich die Zwei gestritten? Mich Ekel, freut der Gedanke.
„Aber mit dir Eis essen ist auch schön."
Sie legt den Kopf schief und lächelt. Es wirkt nicht sehr echt. Ich verstehe sie schon. Ich bin immer nur zweite Wahl.
Am Kiosk angekommen stellen wir uns vor die Eis Karte. Die Auswahl prangt auf blauem Untergrund und ist beträchtlich. Würde ich selbst mein Eis bezahlen, wäre die Fruchtexplosion meine Wahl. Zitronen, Erdbeer- und Maracuja Sorbet in einem bunten Pappbecher. Aber um Chrissis Geldbeutel zu schonen, nehme ich etwas Günstigeres. Chrissi selbst wählt tatsächlich die Fruchtexplosion. Wie schön. Wir haben denselben Geschmack.
Während ich die Eisverpackung aufreiße, legt Chrissi ihre Finger auf meinen Handrücken.
„Wollen wir erst nach dahinten gehen? Da gibt es einen Steg, wo meistens nicht viele sind. Wenn ich frei habe, bin ich nicht gerne mitten im Camp. Dann kommen immer alle zu mir und wollen etwas."
„Gerne."
Ich habe es schon auf dem Hinweg bemerkt. Zwei Mädchen wollten in unsere Richtung, den Blick zielsicher auf Chrissi gerichtet. Dann ist zum Glück jemand eingesprungen. Hier am Strand ist eine freie Jugendleiterin eine Zielscheibe für alle Anliegen.
Mein Wassereis besteht aus bunten Linien, die sich als Stift übereinanderstapeln. Obwohl jede Farbe eine andere Fruchtsorte sein soll, schmecken alle ein bisschen gleich. Ich sauge an der grünen Spitze und folge Chrissi hinter das Kiosk zum Seeufer.
Der Trampelpfad am Wasser entlang ist eng und übersät mit Wurzeln. Wir passen kaum nebeneinander. Im dichten Unterholz zirpen Grillen und beflügelte Insekten flitzen mit schimmernden Flügel durch die Sonne.
Eine besonders knorrige Wurzeln ragt im Bogen aus der Erde. Ich bleibe mit der Fußspitze hängen und stolpere nach vorne.
„Oh. Vorsicht. Elly.", ruft Chrissi. Sie greift so schnell nach mir, als wäre sie es gewohnt Leute aufzufangen.
Mit ihrer Hilfe fange ich mich schnell, aber der obere Teil meines Eises bricht ab. Mein Mund ist plötzlich so voll, dass mir klebrige Tropfen über das Kinn laufen.
„Schom gut.", sage ich mit vollem Mund.
Ich grinse ihr mit meinem Eislächeln entgegen.
Sie runzelt die Stirn.
„Nicht dass du dir noch ein Knie demolierst. Das eine sieht gerade erst besser aus."
Sie nimmt ihre Handtasche nach vorne, ein schickes Ding aus weißem Leder und zieht eine Packung Taschentücher hervor.
Chrissi legt die Finger unter mein Kinn und wischt mir über den Mund. Wie selbstverständlich, als hätte sie mich schon hundert Mal sauber geputzt. Mein Herz spielt verrückt. Es trompetet ein ganzes Blasorchester zusammen. Ich glühe. Wieder mal bin ich ein Glühwürmchen. Ich stoße ein leises Seufzen aus und Chrissis Finger stocken. Sie fängt meinen Blick, lächelt verlegen und zieht sich rasch zurück.
Das zusammengeknüllte Taschentuch landet in meiner Hand.
„Hier putze dir noch den Rest weg, bevor dich eine Wespe anknabbert.", murmelt sie und stolpert den unebenen Weg davon.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top