Kapitel 34
34
NATHANS SICHT || „Sind Sie die Angehörigen von Amy-Linn Sanchez?", fragte sie an mich gewandt, weil ich ganz vorne stand. Das Klemmbrett in ihrer Hand irritierte mich. Was steht da drauf?
„Ja." Ich war mir sicher, dass sie nicht nach den Eltern fragen würde, denn aufgrund der Tatsache, dass hier in der Nähe ein College war, müsste eigentlich jedem im Umkreis bewusst sein, dass die Eltern meistens mehrere Stunden weg wohnten. Kontaktieren würde sie sie natürlich trotzdem. Marleen konnte ihr ja Auskunft geben.
Trotzdem war sie skeptisch. „Bitte sagen Sie uns, wie es ihr geht", flehte Marleen.
„Also..." MEINE FRESSE, MACH DOCH MAL SCHNELLER!
Sie holte tief Luft – und ich könnte schwören, dass in diesem Moment allen der Atem stehen blieb. Die Krankenschwester blickte auf ihr Klemmbrett.
„Miss Sanchez hatte großes Glück. Sie hat eine große Menge an Blut verloren, aber wir haben die Blutungen in den Griff bekommen. Hätten wir sie nicht sofort in den OP gebracht, dann wäre sie zudem auch innerlich verblutet, weil ihre Lunge stark verletzt wurde."
Ach. Du. Scheiße. Bevor irgendeiner von uns diese Informationen verarbeiten konnte, redete sie monoton weiter. Mein Kopf dröhnte.
„Sie hat sich außerdem mehrere Rippen gebrochen, also einen Rippenserienbruch."
Ich war wenigstens so schlau, dass ich jetzt verstand, warum sie sofort beatmet werden musste. Paradoxe Atmung. Das hatten wir mal in Biologie gelernt.
Ich schwankte ein wenig, und der Raum kam mir plötzlich viel zu eng vor. Sie wäre fast innerlich verblutet, und das nur, weil ich zu ihr gesagt habe, dass sie sich verpissen soll. Weil sie nach draußen gegangen ist und er sie gefunden hat.
Es dauerte eine Weile, bis irgendeiner von uns antworten konnte. Mir kam es so vor, als würde ich keine Luft bekommen. Es war auf einmal so stickig. Kann mal jemand das Fenster öffnen?
„Und was ist jetzt mit ihr?", fragte Marleen, die sich immer noch an Ethan klammerte, ängstlich.
„Nun, sie kommt gleich aus der OP raus, aber es dürfte ganz schön lange dauern, bis sie wach wird." Nur zu gut, dass heute Wochenende war. Ich werde die ganze Nacht warten.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Bis sie wach wird. Hieß das also, dass sie garantiert wach werden wird?
„Also wird sie es schaffen?", fragte Mason. Bitte sagen Sie ja, bitte.
„Wir gehen vom Besten aus. Es könnten noch Komplikationen auftreten, aber wir sind zuversichtlich, dass sie es schafft. Wären Sie erst ein paar Minuten später aufgetaucht, wäre es wahrscheinlich zu spät gewesen."
Oh Gott. Es könnten noch Komplikationen auftreten. Der Raum drehte sich erneut.
Als die Krankenschwester offenbar unsere Gesichter sah, fügte sie hinzu: „Aber wie gesagt, sie wird es ganz bestimmt schaffen. Machen Sie sich keine Sorgen. Wollen Sie Ihre Nummer hinterlassen, damit wir jemanden erreichen, wenn sie wach wird?"
„Ich bleibe hier", fiel ich ihr ins Wort. Sie zog eine Augenbraue nach oben.
„Sind Sie sich sicher? Es könnte noch mehrere Stunden dauern."
„Ja, das bin ich", antwortete ich scharf. Heben Sie nicht so arrogant die Augenbraue.
„Nun denn, dann weiß ich ja, an wen ich mich wenden kann. Einen ... schönen Morgen noch. Ich hoffe für Sie, dass sie es schafft." Und dann ging sie wieder, nachdem Marleen ihr Auskunft über Amys Eltern gegeben hatte. Es war mittlerweile fast halb eins am Morgen. Teilweise erleichtert setzten wir uns alle. Niemand redete, und das Pärchen lächelte uns aufmunternd an. Irgendwann kam ein anderer zu dem Pärchen, das dann auch endlich mal verschwand. Jetzt waren wir alleine. Auch wenn ich jetzt ziemlich sicher sein konnte, dass sie überleben würde, ging mir der Satz nicht aus dem Kopf. Es könnten Komplikationen auftreten.
Scheiße scheiße scheiße scheiße. Was, wenn genau diese Komplikationen so heftig wären, dass sie es doch nicht schaffte? Nein. Unmöglich. Ich wollte es mir nicht vorstellen.
Ich trank den Rest meiner Cola in einem Zug leer und starrte auf die Tür. Das einzige, was mich jetzt noch beschäftigte, war die Krankenschwester, auf die ich wartete. Ein paar der Jungs gingen, was ich ihnen aber nicht übel nahm. Sie versicherten uns, dass sie erreichbar sein würden. Mit der Zeit gingen immer mehr, bis am Ende nur noch Ethan, Scott, Marleen, Dean, Mia, Mason und ich übrig waren. Je länger ich darüber nachdachte, desto übler nahm ich es ihnen doch. Es ging immerhin um Amys Leben.
Irgendwann, ich hatte keinen blassen Schimmer, wie viel Zeit vergangen war, waren nur noch Mason und ich wach. Die anderen waren auf dem Stuhl eingeschlafen. Es war wirklich erstaunlich, dass unter den sechs Personen nur eine dabei war, die ich wirklich ausstehen konnte –Scott. Und der musste natürlich pennen.
Ich hatte nichts gegen Marleen, aber sie war eben keine Bezugsperson.
Mason gähnte und räusperte sich. Er saß mir gegenüber.
„Kaum zu glauben, dass wir jetzt hier sitzen und um Amys Leben bangen müssen", sagte er leise. Ich funkelte ihn wütend an.
„Ich meine damit ... Wer hätte gedacht, dass wir mal mitten in der Nacht in einem Krankenhaus sitzen und um das Leben einer unserer Freundinnen bangen würden? Wie konnte das so weit kommen?"
Er atmete tief ein.
„Ja ... gute Frage", murmelte ich. Sag das mal Sean.
Inzwischen wurde ich wirklich ungeduldig und wollte wissen, wie es um Amy stand. Ich entsperrte mein Handy und sah, dass schon bereits mehr als zwei Stunden vergangen waren, es war schon nach drei. Was dauert da solange, meine Fresse?
Ich fuhr mir durch die Haare und lief im Raum auf und ab. Meine Lider wurden langsam schwach.
„Kannst du mal bitte damit aufhören?", fragte Mason. „Das macht mich nervös."
„Das interessiert mich einen Scheißdreck."
Er verdrehte die Augen und starrte wieder auf den Boden. Bin ich eigentlich der einzige, der am Durchdrehen ist?
Mir fielen die Augen zu, aber ich zwang mich, wach zu bleiben, deswegen lief ich auf und ab.
Meine Qualen wurden endlich erlöst, als die selbe Krankenschwester wie vor ein paar Stunden in den Raum kam. Auf ihrem Schild stand L. Adams. Nun, Adams, dann sag mir zur Hölle jetzt endlich mal, was hier los ist.
„Also Mister ...?"
„Lambert", sagte ich schnell.
„Nun, Mister Lambert, Miss Sanchez ist vor einer halben Stunde aus der OP gekommen."
Bitte was? Eine halbe Stunde? Und die sagt mir das erst jetzt?
„Regen Sie sich bitte nicht auf, wir haben absichtlich ein wenig gewartet, damit sie erstmal zur Ruhe kommt."
„Ist sie etwa schon aufgewacht?!"
„Nein", warf die Frau ein. „Sie ist noch nicht aufgewacht, aber Sie können gerne zu ihr. Es besteht die Möglichkeit, dass sie Sie trotzdem hört."
Davon habe ich schon mal gehört. Auch wenn man im Koma lag, war es möglich, Außenstehende zu hören. Moment – lag sie etwa im Koma? Jetzt werd nicht lächerlich.
Okay, das war unmöglich. Sie musste sich wahrscheinlich einfach nur von der Narkose erholen.
„Ähm ... wie viele dürfen auf einmal rein?", fragte ich diese Adams.
„Höchstens zwei, würde ich sagen. Und falls sie Sie hört, dann würde ich nicht zu viel auf einmal reden. Ihre geschwächten Sinneseindrücke sollten Sie nicht zu sehr beanspruchen." Ich nickte und machte mich als erstes daran, die anderen zu wecken. Wir entschieden uns dafür, dass wir immer nacheinander rein gingen. Da wir uns darüber stritten, nahm die Krankenschwester einfach zwei als erstes mit. Mia und Marleen. Na toll, und ich muss hier noch warten. Fickt euch einfach.
Als ich endlich mit Scott rein durfte, rannte ich der Krankenschwester beinahe hinterher. Marleen und Mia waren einigermaßen beruhigt herausgekommen, weswegen ich ruhig blieb.
L. Adams ließ uns alleine und schloss die Tür hinter uns. Langsam ging ich auf Amy zu und setzte mich auf den Stuhl daneben. Sie sah ... so friedlich aus, wie sie ... schlief? Aber gleichzeitig auch schon tot. Ihre Haut war blasser denn je und so verwundet. Wenigstens hob und senkte sich ihr Brustkorb einigermaßen normal, aber der Schlauch und die Nadel in ihrer Hand machten mir am meisten Sorgen. Sie hatte soviel Blut verloren, dass sie ihr sogar Blut zuführen mussten. Piep piep piep. Ihre Herzfrequenz wurde auf dem Monitor angezeigt.
Schlagartig wurde ich mit meinen Gedanken an den Tag zurückgeschleudert, als sie in einem Krankenhausbett wirklich nur schlief. Da war klar gewesen, dass sie überlebte, aber jetzt ...
„Es tut mir leid, dass ich nicht eher gekommen bin", fing ich leise an. Diese Adams hatte gemeint, dass sie mich möglicherweise hören konnte, also wieso nicht? Piep Piep piep. Bitte mach weiter regelmäßige Herztöne.
„Ich hätte dir zuhören und Sean, und nicht dich, verurteilen sollen. Es tut mir leid."
Scott hustete. Ich sah kurz zur Seite. Er stand am Bettende und betrachtete Amy. Auch er schien sichtlich geschockt durch diesen Anblick. Mir fiel ein, dass er die ganze Geschichte nicht kannte, weshalb er sich jetzt offenbar fragte, was ich damit meinte. Aber ich war ihm dankbar, dass er jetzt nicht danach fragte.
„Ich liebe dich", flüsterte ich und drückte ihre Hand. Scott ließ uns alleine, ehe er mir nochmal den Rücken getätschelt hatte.
AMYS SICHT || Als ich wach wurde, jedenfalls fühlte es sich so an, war immer noch alles schwarz.
Wo bin ich? Warum ist alles schwarz? Ich versuchte, meine Augen zu öffnen, aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Was zur Hölle ... ? Auch der Versuch, irgendetwas zu bewegen, scheiterte. Ich spürte nichts. Ich spürte meine Beine, meine Finger, nicht. Einfach nichts.
Die Schwärze vor meinen Augen machte mir langsam Angst. Ich wollte etwas sehen, aber es schien, als wären meine Muskeln eingeschlafen. Das einzige, was ich hörte, war ein Piepen, und das komische Rauschen eines Beatmungsschlauches, der mir half, richtig zu atmen.
Verdammt, kann einer dieses Scheißding entfernen? Wozu brauchte ich einen Beatmungsschlauch? Ich konnte doch normal atmen. Ich war also offenbar im Krankenhaus. Warum war ich im Krankenhaus? Wie war ich hierher gekommen?
Als ich plötzlich eine Hand auf meiner spürte, zuckte ich zusammen. Naja, innerlich. Meine Muskeln konnten sich ja nicht bewegen. Die Sinneseindrücke wurden mir allmählich zu viel. Einzelne Gesprächsfetzen, dieses konstante Geräusch des Schlauches, der Geruch nach Desinfektionsmittel ... Auch wenn ich nichts sah, konnte ich einzelne Gesprächsfetzen aufnehmen.
„Es tut mir so Leid ...", flüsterte eine vertraute Stimme. Marleen. Die Gesprächsfetzen wurden immer kleiner, denn ich dämmerte wieder weg. Als würde mich ein schwarzes Loch anziehen.
„ ... Gesagt, dass sie schlimm aussieht ... aber nicht so schlimm..." Mia. Mia. Und Marleen. Warum sehe ich schlimm aus? Sehe ich so schlimm aus? Wieso? Ich wollte schreien, fragen, warum ich schlimm aussehe, aber das schwarze Loch sog mich ein und ich dämmerte weg.
Irgendwann wurde ich wieder 'wach'. Dieses Mal hatte ich schon eine lange Zeit eine weitere Hand auf mir gespürt, aber die Gespräche waren so leise, dass ich nichts mitbekommen hatte.
Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, deswegen konnte ich nicht einschätzen, wie lange diese Hand schon auf meiner lag, aber sie wärmte meinen Körper auf.
Trotzdem konnte ich mich immer noch nicht bewegen, geschweigedenn die Augen öffnen. Und wenn ich mich tatsächlich bewegen könnte, würde mir ohnehin alles weh tun.
Langsam dämmerte es mir, was passiert war, denn mittlerweile hatte ich wenigstens wieder Gefühl in meinem Gesicht und konnte wieder ein paar Gesprächsfetzen auffangen.
„ ... Dass ich nicht eher gekommen bin. ... Sean ..."
Oh Gott. Oh Gott. Das ist seine Stimme. Das ist Nathan. Ich wollte ihm antworten, sagen, dass er nichts dafür konnte, dass er nicht früher kommen konnte, doch meine Stimmbänder waren wie eingefroren. Er war hier. Er war hier. Und langsam kamen wieder die Erinnerungen an das, was passiert war, hoch. Als ich unter dem Baum saß. Er kam. Der Stuhl, die Bitte, meinen Freunden nichts zu tun, der Baseballschläger, als er meinen Brustkorb eingequetscht hat, die Messerstiche, das Blut ... Und die Schwärze, die mich verschluckte.
Ich wollte lächeln, ihm irgendein Zeichen geben, dass ich ihm dankbar war, dass er hier war. Ich hatte ihm so viele schreckliche Dinge angetan – und trotzdem war er hier und hielt meine Hand.
„Ich liebe dich", hörte ich ihn sagen. Es hörte sich an wie in einem Tunnel. Ich an einem Ende und Nathan, der 50 Meter entfernt stand und es durch den Tunnel schrie, allerdings kam es nur als ein gedämpftes Wispern bei mir an. Wer ist noch da außer Nate, Mar und Mia? Sind die anderen auch da? Mason, Dean, Connor, Robin, Tessa, ... die Jungs? Haben sie sich auch um mich gesorgt?
Ich wollte mich verdammt nochmal regen, lächeln, und ich hatte zwar wieder Gefühl in meinem Gesicht, und die Tatsache, dass ich die Hände der anwesenden Leute spürte, zeigte mir, dass ich auch in den Fingern Gefühl hatte. Aber ich konnte trotzdem nicht lächeln. Meine Mundwinkel wollten sich nicht heben. Meinen Körper zu bewegen versuchte ich schon gar nicht mehr, weil ich dann nur Schmerzen spüren würde, aber wenigstens meine Hände oder mein Gesicht. Außerdem tat mir auch ohne die Bewegung schon alles weh, und ich wollte nicht wissen, wie es sein würde, wenn ich mich bewegen würde.
Ich versuchte mit aller Anstrengung, meine Finger zu bewegen – und dann spürte ich langsam endlich ein Kribbeln in den Fingern. Ich wollte meine Finger heben, jedoch kam wieder der schwarze Wirbelsturm auf mich zu und verschluckte mich ...
Als ich zum dritten Mal wach wurde, spürte ich meinen Körper wieder. Ich versuchte, meine Hand zu heben ... Und es funktionierte. Es funktionierte! Ich hob meine Hand hoch, und klatschte auf einmal gegen ein Gesicht, das offenbar vorher auf meiner Hand geruht hatte.
„Sie ist wach! Sie hebt ihre Hand!", schrie jemand. Ich konnte offenbar endlich wieder alles hören, und nicht nur einzelne Fetzen. Um es zu testen, hob ich noch die andere Hand.
„Was? Oh Gott, hol die Krankenschwester!" Ja, definitiv. Ich konnte wieder alles hören.
„Es wird alles gut", hörte ich jemanden an meinem Ohr flüstern. Nathan. Hoffentlich blieb ich jetzt bei mir und wurde nicht wieder von dem Wirbelsturm verschluckt. Es wird alles gut. Seine tiefe Stimme und seine Worte gaben mir Kraft.
Unvermutet konnte ich meine Augen aufreißen, die ich aber sofort wieder schloss, weil es so hell war. Ich hatte mich an die Schwärze vor meinen Augen, die die Sinneseindrücke mehr oder weniger gedämpft hatte, gewöhnt, aber jetzt prasselte alles auf mich ein. Das Rauschen des Schlauches, das Piepsen, mein lauter Atem, das Kratzen der Krankenhausdecke, das kleine Licht, das neben mir angeschaltet war, das Rauschen meines Blutes in den Ohren, ... Ich drehte meinen Kopf zur Seite, und blickte direkt in Nathans Gesicht. Er lächelte breit unter Tränen und gab mir einen Kuss auf die Stirn. So breit hatte ich ihn noch nie lächeln gesehen. Ich lächelte zurück. Ich konnte meine Mundwinkel wieder heben.
„Ich hatte so Angst um dich", flüsterte er. Eine heiße Träne tropfte auf meine Nase, es fühlte sich an, als würde ich gleich ein Brandmal bekommen. Seine Tränen waren so heiß.
Ich wollte antworten, aber meine Stimmbänder funktionierten immer noch nicht so richtig.
Stattdessen lächelte ich einfach, was man durch den Beatmungsschlauch offenbar nicht so richtig sehen konnte. Kann jetzt einer mal dieses beschissene Ding wegmachen?
Ich konnte wieder selbstständig atmen, weswegen ich es nicht verstand, weshalb der Schlauch mich noch länger stören sollte. Auch die Nadel, die in meiner Hand steckte und mir offenbar Blut zuführen sollte, ging mir auf den Sack. Hatte ich wirklich so viel Blut verloren? Vorsichtig, um meinen Nacken nicht allzu anzustrengen, wanderte mein Blick nach oben. Ein großer Blutbeutel pumpte mir Blut in die Blutbahn. Okay, nicht direkt pumpen.
In mir steckte ein Gefühlschaos. Ich war wütend auf Sean, wütend auf mich selbst, weil ich Nate so angelogen hatte, ... Doch in diesem Moment hatte ich keine Kraft, mich all dem zu stellen. Erstmal wollte ich diesen scheiß Schlauch abhaben.
Meinen Körper zu bewegen traute ich mich immer noch nicht. Wenige Sekunden später kam ein Arzt herein, und auch der Rest meiner Freunde. Marleen, Mason, Dean, Mia, Connor, Robin, Tessa, Scott ... Sie alle standen den Tränen nahe, und ich versuchte das breiteste Lächeln aufzusetzen, das ich in diesem Augenblick schaffte. Sie lächelten alle zurück und gingen an das Fenster, damit der Arzt mich untersuchen konnte.
„Hallo, Amy", lächelte er freundlich. „Ist es zu viel für dich, wenn alle deine Freunde auf einmal hier sind?" Ich lächelte schwach zurück, schüttelte ganz sanft den Kopf. Lächeln kostete Kraft. So viel Kraft ...
„Du hast garantiert noch keine Kraft, um dich vollkommen zu bewegen. Wir mussten dir eine starke Narkose geben, deshalb könnte es vielleicht noch eine Weile dauern, aber mach dir keine Sorgen. Das Schmerzmittel wird schon bald wirken. Kannst du dich an alles erinnern, was passiert ist?"
Er redete für meinen Geschmack viel zu schnell. Wusste ich, was alles passiert war? Ich versuchte alle Erinnerungen abzurufen. Und nickte.
„Gut. Kannst du selbstständig atmen? Wenn ja, würden wir dir gerne den Schlauch entfernen." Zögerlich nickte ich erneut. Er nickte auch und bat mit seinem Telefon eine Krankenschwester herbei, die dann den Schlauch entfernte. Um Gottes Willen, endlich.
Ich verzog meinen Mund, um wieder Gefühl zu bekommen, woraufhin meine Freunde unter Tränen lachten. Ich musste zugeben, dass mir das Atmen schwerer als sonst fiel, aber es war viel besser ohne den Schlauch. Ich hörte mich ganz bestimmt an wie ein Tier, das kurz vom Sterben war.
„Wenn es nicht geht, dann sag es bitte. Ansonsten müssen wir dich wieder beatmen", berichtete der junge Arzt, aber ich schüttelte wiederholt den Kopf.
„Kannst du reden? Wenn ja, sag doch bitte: Ich kann selbstständig atmen, Sie müssen mir den Schlauch nicht anlegen." Wie im Kindergarten. Ich verdrehte die Augen, woraufhin meine Freunde, besonders Nathan und Marleen, erneut lachten, weil sie genau wussten, was gerade in mir vorging.
„So stur", lachte Marleen neben mir. Ich piekste ihr in die Seite, zog den Arm aber sofort wieder zurück, weil es höllisch weh tat, ihn auszustrecken. Naja, ruckartig zurückziehen tat noch mehr weh.
Als ich allerdings versuchte, den Satz auszusprechen, konnte ich den Arzt verstehen.
„Ich kann sss .... selbstständig a-atmen." Eine kurze Pause gönnte ich mir. Reden forderte echt viel Kraft. „Sie müssen mir den Sch-Schlauch n-nicht anlegen."
Heilige Maria, ich hörte mich an, als wäre ich ein 60-jähriger Alkoholiker.
„Du meine Güte, Liza, hol doch bitte kühles Wasser", sprach der Arzt an die Krankenschwester gewandt. Diese nickte und verschwand aus dem Zimmer.
„Kannst du dich bewegen?" Ich wusste nicht, ob ich jetzt nicken oder den Kopf schütteln sollte, also entschied ich mich dafür, mit großer Mühe zu reden.
„Mein Arm ... hat eben höllisch weh getan. Hände ja", stotterte ich. Der Mann wusste, was ich meinte.
„Okay, Amy, ich kann verstehen, dass dir alles weh tut, aber steh bitte kurz auf."
Oh nein. Ich wollte nicht aufstehen. Mit zitternden Händen rappelte ich mich auf, was schön unglaublich weh tat. Ich stützte mich mit meinen Händen auf der Matratze ab, und in mir zog alles.
„Au", rutschte es aus mir heraus, doch ich riss mich zusammen. Mit aller Kraft schwang ich die Beine zur Seite und stellte mich hin. Ach du Scheiße. Dr. I. Shepphard, wie es auf seinem Schild stand, ging um mich herum und testete, wie standhaft ich stehen konnte. Also besser gesagt gar nicht. Dann durfte ich mich hinsetzen, er machte die allgemeinen Untersuchungen, meinen Kniesehnenreflex und weiß der Geier was. Mich kostete jede einzelne Bewegung unheimliche Kraft, und alles an meinem Körper tat weh, sobald ich mich bewegte. Meine Güte.
Endlich kam die Krankenschwester zurück und ich trank eine halbe ein Liter Flasche leer. Mein Hals fühlte sich schon besser an. Dankend gab ich ihr die Flasche zurück.
„Also Amy ...", begann der Arzt wieder. „Wir würden dich gerne über Nacht hier behalten."
„Warum?", fragte Nate sofort. Ich hatte keine Lust, hier zu bleiben.
„Da sie so viel Blut verloren hat, mussten wir ihr sofort welches zuführen. Natürlich haben wir ein wenig gewartet, weil eine zu schnelle Übertragung einer zu großen Blutmenge auch tödlich hätte enden können. Dadurch könnten noch die vorhin genannten Komplikationen auftreten, weil es sein könnte, dass ihr Körper eine Abwehrreaktion gegenüber des zugeführten Blutes zeigt."
„Sie wollen mir also verdammt nochmal sagen, dass sie ihr Blut zugeführt haben, obwohl die Abwehrreaktionen des Körpers tödlich enden könnten?!", rief Nathan aus. Oh man, ich liebe dich. Innerlich lächelte ich breit, für ein breites Lächeln waren meine Muskeln doch noch zu schwach, weil er sich um mich sorgte.
„Wir hatten keine andere Wahl, ansonsten wäre sie verblutet. Natürlich haben wir die Blutgruppe und desweiteren beachtet, aber man kann nie wissen. Außerdem sind wir ja jetzt zur Stelle, falls es zu Abwehrreaktionen kommen sollte."
Oh, na ganz toll, da habe ich schon überlebt und jetzt könnten die dummen Abwehrreaktionen meines Körpers tödlich enden.
Nathan wollte gerade wieder loslegen, da fiel ihm Doktor Shepphard ins Wort.
„Beruhigen Sie sich, wir sind zuversichtlich, dass alles gut geht. Bis jetzt sind auch noch keine Beschwerden aufgetreten. Wir werden ihr die Kanüle jetzt entfernen, da nun genug Blut zugeführt wurde." Endlich wurde mir dieses scheiß Ding entfernt und ich entspannte mich ein wenig. Eine Nacht werde ich hier drin ja wohl überleben.
„Kann ich die Nacht über bei ihr bleiben?", fragte Nate. Die Krankenschwester nickte, und der Arzt und sie gingen raus, um uns einen Augenblick zu gönnen. Sofort wurde ich von jedem umarmt und fast erdrückt.
„Au, Dean, du vergisst, dass mir alles weh tut", stöhnte ich mit kratziger Stimme.
„Sorry." Nachdem sich alle versichert hatten, dass es mir gut ging, verließen sie das Zimmer. Es war immerhin schon ... wie viel Uhr in der Nacht? Keine Ahnung, aber sie hatten garantiert viel zu lange gewartet und brauchten dringend Schlaf.
Am Ende waren nur noch Nate, Marleen und ich im Zimmer.
„Sie haben Sean abgeführt", sagte Marleen. „Und der Arzt meinte, dass der Officer morgen mit uns reden wird ..." Mir blieb das Herz stehen.
„Keine Sorge", lächelte Nathan. „Erstens: Ihr wurdet gezwungen und habt nichts getan. Zweitens: Mein Onkel ist Anwalt."
Ich lachte, und die beiden stimmten mit ein, allerdings stoppte ich sofort, weil mein Brustkorb weh tat.
„Au ..."
„Das war ja sowas von klar, dass du mindestens einen Anwalt in der Familie hast", lachte Marleen. „Aber danke, dass du uns helfen wirst. Ich komme morgen um zwölf oder so vorbei, der Officer kommt um eins, okay?" Ich nickte und umarmte sie ein letztes Mal. Autsch.
„Dann lass ich euch mal alleine." Kaum war sie verschwunden, kletterte Nathan nach meiner Erlaubnis zu mir ins Bett. Mir tat alles weh, als ich zur Seite rutschte, aber ich hatte seine Nähe und Wärme so sehr vermisst, dass es mir egal war. Vorsichtig fuhr er mir über die Wange.
„Es tut mir alles so leid", sagte er leise.
„Mir tut es leid, du trägst keine Schuld. Ich bin so froh, dass du hier bist. Das hätte ich eigentlich gar nicht verdient."
„Sag so etwas nicht. Du trägst keine Schuld an dem Tod meiner Mutter, also hast du besser gesagt nicht verdient, dass ich so zu dir war."
Ich lächelte und küsste ihn. Sofort wurde mir warm ums Herz.
„Ich hab dich so vermisst", murmelte ich an seinen Lippen.
„Ich dich auch. Aber jetzt wird alles gut, okay? Dein Körper wird das Blut schon annehmen. Wie der Arzt sagt, bisher ist ja auch noch nichts auffällig gewesen."
„Ja, und ich werde ja überwacht", beteuerte ich. Ich hatte nichts mehr zu befürchten.
Ich döste vor mich hin, bis Nathan mir ins Ohr flüsterte.
„Weißt du eigentlich, was ich dir noch nie gesagt habe?", fragte er. Ich brachte nur ein Brummen heraus, denn meine Stimmbänder waren schon wieder viel zu überfordert.
„Erinnerst du dich daran, als du mir einen Text in Französisch vorgelesen hast?"
Unwillkürlich musste ich bei dieser Erinnerung lächeln.
„Es stimmt gar nicht, dass ich nicht wusste, wie man es ausspricht. Ich mag es nur, wie deine Stimme auf Französisch klingt."
Ich lachte und wollte mich zu ihm umdrehen, aber diese verdammten Schmerzen erlaubten es mir nicht.
„Tu es bête, monsieur", krächzte ich hervor. Ich spürte sein Lächeln an meinem Ohr, und dann schlief ich endlich ein.
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