Kapitel 29

29

NATHANS SICHT || Verschwitzt wachte ich auf. Meine Lider flatterten eine Zeit, bis ich realisierte, was gestern passiert war.

Meine Mundwinkel hoben sich. Amy lag nackt neben mir unter der Decke. Vorsichtig wand ich mich aus ihrem Griff, um mir eine Boxershorts überzuziehen, bevor noch Scott oder Dad reinkommen wollten. Die Klamotten lagen kreuz und quer im Zimmer.

Oh man. Niemals hätte ich gedacht, dass ich Sex mal als schön bezeichnen würde.Vorher ging es mir immer nur um Befriedigung, aber hier ging es um viel mehr. Auch Lust und Leidenschaft, aber viel mehr um Gefühle. Es war viel besser, wenn man mit jemandem schlief, den man liebte. Aber natürlich war es auch geil gewesen. Das wollten wir ja mal wohl nicht abstreiten. Das reicht dann auch mal wieder.

Ich sammelte schnell alle Klamotten ein und legte sie auf den Schreibtischstuhl. Meine Jogginghose und mein T-Shirt zog ich jedoch über. Dann ging ich wieder zum Bett rüber.

„Hey", sagte ich anfangs noch normal. „Aufstehen."

Sie brummte und drehte sich mit dem Rücken zu mir.

„Ey", nörgelte ich und drehte sie zu mir um. Sie schlug die Augen auf.

„Zieh dich an, bevor Scott oder Dad kommen, du Schlafmütze."

Sie nickte ein wenig benebelt und setzte sich auf.

Oh shit. Unsanft biss ich mir auf die Lippe.

„Hier", murmelte ich und gab ihr einfach ein T-Shirt von mir.

Hastig zog sie es über und stand dann auf, um noch eine Hose von ihr selbst anzuziehen. In dieser Jogginghose hatte man einen perfekten Blick auf ihren Arsch.

„Ist irgendwas?", fragte sie, als ich versuchte, sie emotionslos zu mustern. Von meinen Tagträumen musste sie ja nichts mitbekommen.

„Nein."

„War es letzte Nacht etwa ... ähm ..."

„Grundgütiger, nein. Es war schön, okay?" Ich lächelte und nahm ihr Gesicht in meine Hände.

„Es war schön? Bist du krank?", lachte sie.

„Seitdem ich mit dir zusammen bin schon, glaube ich." Wir lachten beide. Ich liebte ihr Lachen. Eigentlich liebte ich alles an ihr.

„Und wenn du's genau wissen willst, es war auch geil. Immerhin bin ich zweimal gek-"

„Okay, okay!", rief sie laut. „Ich hab's verstanden. Ich fand es auch ... ähm ... ja. Beides."

Ich grinste schief und küsste sie auf die Stirn. Es war schon elf, also gingen wir nach unten.

Dad war nicht da, nur Scott hockte auf der Couch und schaute fern.

Als er uns rein kommen sah, musste er loslachen.

„Was ist so lustig?", fragte ich. Wir setzten uns zu ihm auf die Couch.

„Ihr hattet Glück, dass Noah auf der Couch geschlafen hat."

„Wieso?"Waren wir ...

„Euch hat man nicht überhört."

Ich schielte zu Amy herüber. Plötzlich fing sie an zu lachen. Scott und ich mussten auch lachen.

„Waren wir wirklich so laut?", fragte Amy, die schon von dem Lachen Tränen in den Augen hatte. Ich hielt mir den Bauch. Ist es meiner Mutter gegenüber nicht respektlos, zu lachen, weil ihre Beerdigung erst gestern war?

„Oh ja, das wart ihr", antwortete Scott und wir lachten noch mehr.

Nach einer Weile unnötigem Rumgelache und -gelaber entschieden wir uns dazu, ein bisschen zu dritt in die Stadt zu gehen, bevor heute Mittag unser Flug ging. Einerseits wollte ich von hier weg, weil mich alles an Mom erinnerte, andererseits war es so unbeschwert mit Amy, wenn man davon absah, dass das gemeinsame Weinen und Leiden alles andere als unbeschwert war.

Nach einem ewigen Stadtbummel, bei dem wir außer essen und rumlaufen eigentlich nicht viel machten, waren wir wieder zuhause und packten unsere Sachen.

„Irgendwie möchte ich hier weg, aber irgendwie auch nicht", stammelte Amy, als wir gerade nach unten liefen. William hatte schon alles im Auto verstaut.

„Geht mir genauso."

Am Auto verabschiedeten wir uns noch von Dad.

„Passt gegenseitig auf euch auf", hob er hervor und deutete auf uns alle drei. Eine letzte Umarmung an alle. Bevor ich in Tränen ausbrach, schlüpfte ich schnell in das Auto.

Endlich – oder leider? - wieder ans College.


AMYS SICHT || Ich hatte das ganze Wochenende über gar nicht bemerkt, naja besser gesagt ich hatte es ignoriert, dass Marleen mich zugespammt hatte. Tausende von Nachrichten, die nie mehr als drei Worte beinhalteten, falls Nate mal auf mein Handy schauen sollte.

Als wir nach dem Flug endlich mal irgendwann abends ankamen,verabschiedeten Mar, die uns abgeholt hatte, und ich uns von Scott und Nathan. Schnell die Koffer auspacken und dann wieder in den Schlaf flüchten.

Als Marleen und ich alleine auf unserem Zimmer waren, kam mir das Zimmer plötzlich wieder so fremd vor. Nicht, weil ich die Größe von Nates Villa vermisste, sondern weil es viel schöner war, mit ihm in seinem eigenen Bett einzuschlafen.

„Okay, also. Erzähl mir sofort alles", drang Mar und setzte sich auf das Bett. Während ich meinen Koffer auspackte, begann ich zu erzählen. Ich kam ohnehin nicht drum herum, also warum nicht jetzt?

„Es ist also doch Nathalie Seymour gewesen ...", stellte sie einige Minuten später leise fest.

„Ja."

Ich war so dumm gewesen. Nathan hatte mir ins Gesicht gesagt, dass er mich liebte – und eigentlich wollte ich das auch hören. Ich konnte nicht anders, als es zu erwidern. Was blieb mir auch übrig? Ich liebte ihn und er hatte es mir gesagt, da gab es keinen Ausweg mehr.

Mar blieb still. Es gab auch nichts, worüber wir hätten reden können.Ich schilderte ihr die schmerzhafte Beerdigung und zeigte die Fotos,die Nates Grams gemacht und mir geschickt hatte.

„Kommen wir nun zum eigentlich Thema: Du sahst natürlich wunderschön aus, keine Frage, Darling. Aber auch unheimlich sexy. Also: Hat er dir dieses Kleid ausgezogen?", wollte sie wissen und wackelte mit den Augenbrauen.

„Du bist unausstehlich", stöhnte ich. „Hm ... Wer weiß?"

Umgehend sprang sie auf.

„HABT IHR WIRKLICH GE-"

„MAR!", unterbrach ich sie halb belustigt, halb empört.

Sie lachte und fiel mir um den Hals.

„Du erwürgst mich!"

„Okay okay, also habt ihr ... miteinander geschlafen?"

Mein Gott, sie war so hartnäckig. „Ja ... haben wir. Und jetzt nerv mich bitte nicht, es ist wirklich asozial über so etwas zu reden, wo ich doch an dem Tod seiner Mutter schuld bin."

Sie verstummte, auch wenn ich wusste, dass sie viel mehr Details hören wollte. Naja, zumindest wollte sie erfahren, wie es gewesen war.

Aber das wollte ich ihr jetzt nicht direkt unter die Nase reiben, deswegen war dieser Spruch perfekt gewesen, um sie zur Ruhe zu bringen ... Es stimmte ja auch.

Nachdem ich alles ausgepackt und mich endlich bettfertig gemacht hatte, warf ich meinen Körper regelrecht ins Bett. Ich war zu müde, um jetzt die ganze Wahrheit aufzudecken. Ich wollte einfach nur noch schlafen.

Morgen.

Morgen würde ich es ihm vielleicht sagen. Vielleicht.


Montags konnte ich ausschlafen, weil heute irgendeine Konferenz des Kollegiums stattfand und somit der Unterricht ausfiel. Irgendwann zwischen zehn und elf rappelte ich mich auf.

Mir fiel auf, dass ich immer noch Sturmhöhe, das Buch von Nathalie, hatte. Ich sollte es Nathan zurückgeben, bevor die Wahrheit ans Licht kam ... Ich nahm es also sofort in die Hand. Ich schnappte mir das Buch und machte mich auf den Weg zu seinem Zimmer.

Auf dem Weg dorthin kamen mir Mason und Mia entgegen, die händchenhaltend und lachend auf mich zuliefen.

„Amy!", riefen sie gleichzeitig und umarmten mich. „Wie war dein Wochenende bei Nathan?"

Abgesehen davon, dass ich von Schuldgefühlen aufgefressen werde, weil ich am Tod seiner Mutter schuld bin, ist natürlich alles bestens.

„Es war wirklich schön. Und bei euch? Wie ich sehe, habt ihr euch endlich mal wieder zusammengerauft."

Mia kicherte. „Ja, haben wir. Erzähl mir später mehr von Nathan und dir."

Mason verdrehte die Augen, während Mia verführerisch mit den Augenbrauen wackelte und zwinkerte.

„Ist das etwa Sturmhöhe?", quiekte Mia, als sie auf meine Hand deutete. Ich nickte.

„Oh, Heathcliff und Catherine ..."

„Halt die Klappe!", brüllte ich. „Ich will keinen Spoiler."

Abwehrend hob sie die Hände. Ich verabschiedete mich von den beiden.

Dann stand ich vor seiner Tür.

Scharf sog ich die Luft ein und ging einen Schritt zurück. Ich kann das nicht. Aber ich muss.

Entschlossen fuhr ich wieder herum und klopfte. Bitte sei nicht da. Bitte sei nicht da.

Doch wenige Sekunden später hörte ich eine genervte Stimme, die„Moment!" rief.

Die Tür ging auf, Scott stand nur in Badehosen vor mir.

„Oh ... Amy, hey", stammelte er ein wenig verlegen.

„Äh hi. Ist Nate da? Ich wollte ihm das Buch zurückgeben", erklärte ich.

„Ich hab keinen Schimmer, wo er ist, ehrlich."

„Achso. Hat er irgendetwas gesagt?" Ich musste es hinter mich bringen.

„Er hat nur gesagt, dass er nachdenken will, mehr nicht. Frag mich nicht."

Ich musste ein wenig lächeln, weil ich die einzige war, die weiß, wo er sich aufhielt.

„Okay, danke", sagte ich.

„Ist irgendetwas bei euch oder wie?", wollte Scott wissen. Ich schüttelte nur heftig den Kopf und ging dann. Anschließend fragte ich Mar, ob ich mir ihr Auto leihen könnte, die natürlich bejahte.Sofort fuhr ich in den Wald. Ich drehte das Radio so laut auf, dass ich nicht mehr denken konnte. Denken war in der momentanen Situation keine gute Idee.

Bevor ich noch weiter zögern konnte, stieg ich nach ungefähr 20 Minuten aus und lief in den tiefen Wald hinein. Heute war es hell, weshalb ich mich vor nichts fürchten musste.

Woher nahm ich eigentlich diese beschissene Entschlossenheit, es ihm jetzt zu sagen? Ich hatte keine Ahnung.

Einige Minuten später hörte ich schon das vertraute Rauschen des Wassers. Nate saß am Anfang der Brücke, die Füße baumelten in der Luft. Womöglich war es unverschämt, dass ich ihn störte, wo doch dieser Ort nur für ihn bestimmt war. Nur weil er mich einmal mit hierher genommen hatte, hieß das nicht gleich, dass ich jedes Mal mit gehen musste.

Es war nicht richtig, ihn zu stören, denn offenbar wollte er ja alleine sein.

Als ich an der Brücke ankam, huschte Nates Kopf hoch.

„Was machst du denn hier?", fragte er verwundert. Mit dem Buch in der Hand setzte ich mich neben ihn.

„Ich wollte mit dir reden. Tut mir Leid, dass ich mich womöglich ...  äh ... zu stark in deine Privatsphäre einmische, weil ich hier aufgekreuzt bin."

„Du mischst dich doch nicht in meine Privatsphäre ein, Baby. Worüber wolltest du reden?"

Mein Verstand und mein Herz führten gerade einen regelrechten Krieg.

Soll ich es ihm sagen und ihn für immer verlieren?

Oder soll ich es darauf ankommen lassen, bis wir erwischt werden?

Egal welche Variante passieren würde – ich würde ihn in beiden Fällen verlieren.

„Naja..."

„Moment, du hast Sturmhöhe dabei? Sag jetzt nicht, dass du mir das wieder zurück geben willst, nur weil es meiner Mutter gehört", fiel er mir ins Wort. Am Tag sah dieser Ort viel friedlicher aus.

„Ich ..."

„Dad und ich haben dir doch schon gesagt, dass du es behalten kannst. Du machst dir zu viele Gedanken darüber, okay?"

Ich blieb still.

„Aber dafür liebe ich dich", wisperte er. „Dass du solchen Respekt vor meiner Mutter hast, obwohl du sie nicht mal gekannt hast."

Und das war der Moment, in dem mein Verstand zum tausendsten Mal verlor. Mein Herz war machtlos dagegen.

„Ich liebe dich auch", lächelte ich. „Aber ich wollte dir das Buch zurückgeben, weil ... weil ich ... ich hab es schon durchgelesen." Was für ein erlogener Rotz.

„Das ist nicht dein Ernst oder?", lachte er. „Du bist verrückt."

Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und legte den Arm um meine Schulter.

„Und wie ist es mit Catherine der Bitch ausgegangen?", wollte er wissen. Ich kicherte.

„Sie hat ihre gerechte Strafe bekommen", erfand ich einfach. Er lachte und meinte, dass jeder irgendwann seine gerechte Strafe bekäme, genau wie Catherine.

Mein Verstand hatte endgültig verloren. Aber nach diesem Satz würde er nicht so leicht aufgeben.

Ich würde meine Strafe noch bekommen.


Ich ging mit Nate wieder zum College zurück. Dort kümmerte er sich mal wieder um seine und ich um meine Freunde, denn wir waren beide der Meinung, dass wir sie, seit wir zusammen waren, ein bisschen vernachlässigten.

Also saß ich gemeinsam mit Mia, Dean, Robin, Connor, Tessa, Mason und Marleen an diesem Abend auf dem Rasen vor dem Haupteingang. Wir stießen gemeinsam an und erzählten uns gegenseitig Geschichten.

Es war endlich mal wieder Zeit, das Leben zu genießen. Ein Abend mit meinen Freunden auf dem Rasen eines Colleges, in der ständigen Angst, erwischt oder gekillt zu werden, und mit jemandem zusammen zu sein, dessen Mutter ich getötet hatte – nein, so hatte ich mir mein Leben nicht vorgestellt, doch ich musste aufhören zu jammern. Wenigstens für diesen einen Moment.

Ich fühlte mich nach langer Zeit mal wieder frei, denn mit Nathan war es zwar schön gewesen, aber der schlimme Gedanke war immer im Hinterkopf gewesen.

Wir spielten ein paar bekloppte Spiele, und da es zum Glück noch nicht all zu spät und trotzdem dunkel war, achteten wir nicht auf unsere Lautstärke. In der Nähe war ohnehin keiner und so laut waren wir nun auch nicht.

Ich lachte, redete, hatte vor Lachen Tränen in den Augen, erzählte Geschichten aus meiner Kindheit, peinliche Stories, und weiß der Geier was. Ich war glücklich für den Moment.

Ein Piepen von meinem Handy ließ mich aus meiner Starre erwachen. Jemand rief mich an.

„Ich bin gleich wieder da", rief ich meinen Freunden zu, die bestätigten, dass sie mich gehört hatten. Ich lief ein paar Meter weiter weg, damit ich die Person, die mich anrief, verstehen konnte. Anonym. Ohne Hintergedanken nahm ich hab.

„Hallo?", sprach ich in den Hörer. Es war nur ein Rauschen zu hören.

„Hallo!"

„Na", hörte ich eine tiefe vertraute Stimme. Ach du Scheiße.

Sean?!", flüsterte ich energisch.

Vorbei mit dem Lachen. Ich wurde in die Realität zurück geschleudert.

Mein Herz rutschte mir in die Hose, und sofort bereute ich es, dass ich es Nathan heute Morgen nicht gesagt hatte.

„Ja, ganz richtig. Wie geht's dir so? Gefällt es dir mit deinem neuen Freund?"

Oh mein Gott. Er wusste es. Er wusste es. Ich hätte es wissen sollen.

Ich hatte Nathan in Gefahr gebracht. Und meine ganzen Freunde.

Und das nur, weil ich so egoistisch gewesen war. Verdammte Scheiße, warum muss das Schicksal so zu mir sein?

Ich spürte, wie mein Hals trocken wurde. Gleich würde ich weinen. Gleich würde ich einen Heulkrampf bekommen. Gleich ... Heilige Mutter, beruhige dich. Deine Freunde sind nur ein paar Meter entfernt.

Da ich nichts darauf antwortete, nahm Sean wieder die Zügel in die Hand.

„Jap. Er scheint in der Frauenwelt wirklich beliebt zu sein, hab ich recht? Braune Haare, strahlende Augen und Muskeln. Da hast du dir wirklich was Feines ausgesucht. Nur zu blöd, dass er der Sohn von Noah Seymour ist. Gott, wie dumm bist du eigentlich?", lachte er ins Telefon, und mein Verstand gewann endlich. Ich zitterte am ganzen Körper.

Woher wusste er das? Hatte er mich etwa die ganze Zeit über beobachtet?

In diesem Moment konnte ich die Tränen nicht länger zurückhalten.

„Warte bitte einen Moment", wisperte ich gebrochen ins Telefon. Das ist so armselig.

Ich entschuldigte mich bei meinen Freunden und wedelte hinter meinem Rücken mit dem Handy herum, sodass Marleen, die neben mir auf dem Boden saß, es sehen konnte. Vielleicht würde sie ja das Anonym sehen.

Natürlich tat sie das.

„Ich gehe auch mit, ich bin müde", erklärte sie und folgte mir ins dritte Gebäude.

Wir hatten es zu weit getrieben. Wir hatten zu lange gewartet mit der Wahrheit.

„Also, Sean", betonte ich, damit Marleen wusste, worum es ging. Sie blieb abrupt stehen, aber ich zog sie weiter, und schloss dann die Tür unseres Zimmers hinter uns.

„Warum rufst du an?"

Ich klang mittlerweile wirklich elend. Ich weinte, während ich versuchte, normal zu klingen. Dieser Versuch war echt erbärmlich.

Er lachte am Telefon.

„Naja. Ich wollte nur sagen, dass ich mich auf euch freue."

Und dann legte er auf.

Geschockt starrte ich ein paar Minuten auf das Display, bevor ich meinen Kopf hob und Marleen anschaute. Das Grauen war ihr ins Gesicht geschrieben. Mir garantiert auch.

„Oh Gott ...", flüsterte sie und stützte den Kopf in die Hände.

Ich stand auf und lief im Raum umher. Unter Tränen raufte ich mir die Haare. Wenn du weiter  raufst, reißt du dir noch ganze Haarbüschel aus. DANN SOLLTE DAS EBEN SO SEIN!

Ich lief auf und ab, während Marleen mich zu beruhigen versuchte, doch bei mir kam nichts an. Mein Gehirn war so vernebelt, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte.

Sean würde bald hier sein. Wenn nicht sogar heute.

Oder morgen. Oder übermorgen. Oder gleich.

„SCHEIßE!", schrie ich und warf mit der Hand die ganzen Sachen vom Schreibtisch. Es schepperte wie verrückt. „SCHEIßE SCHEIßE SCHEIßE!"

„Amy, beruhig dich!", rief Marleen und nahm meine Handgelenke.

„DU GEHST MIR AUF DEN SACK MIT DEINEM STÄNDIGEN „BERUHIG DICH!" ICH BIN ZUR HÖLLE NOCHMAL AN DEM TOD VON NATHANS MUTTER SCHULD! UND SEAN KÖNNTE JEDEN MOMENT HIER AUFKREUZEN! ICH BERUHIGE MICH NICHT, WEIL VERDAMMT NOCHMAL ALLES SCHEIßE IST! ICH WILL DAS NICHT MEHR, MAR, ICH WILL, DASS ES AUFHÖRT!"

Ich bekam schon einen trockenen Hals, weil ich so geschrien hatte. Ich konnte nur hoffen, dass mich niemand gehört hatte.

Vollkommen verunstaltet fiel ich schluchzend auf den Boden, Mar legte den Arm um mich. Wie konnte sie so ruhig bleiben? Wie nur?

„Schh ...", flüsterte sie, doch ich nahm nichts wahr, außer eins: Ich muss es Nathan sagen. Ich muss ihn vor Sean warnen. Und das kann ich nur, wenn ich ihm die Wahrheit sage.

„Ich muss es Nathan sagen", flüsterte ich und wand mich aus ihrer Umarmung.

Geschockt starrte sie mich an. „Aber-"

„Nein, Mar, versuch erst gar nicht, mich aufzuhalten",  erwiderte ich. „Du verstehst diesen Mist nicht. Sean könnte jeden Moment hier sein, er weiß von Nathan Bescheid, also muss ich ihn vor ihm warnen, bevor er ihm etwas antut. Und ich kann ihm nur davon erzählen, wenn ich ihm die ganze Wahrheit sage."

Schwach nickte sie und umarmte mich nochmal unter Tränen.

„Soll ich mitkommen?", fragte sie mitfühlend. Ich schüttelte den Kopf.

„Ich muss das alleine durchstehen", sagte ich mit gesenktem Kopf. Jetzt würde es also so weit sein.

„Es tut mir so Leid, Amy. Ich wünschte, du könntest dein Glück mit Nathan genießen. Vielleicht wird ja alles gut. Viel Glück." Ich nickte, obwohl ich ihren Worten keinen Glauben schenkte. Ich würde Nathan jetzt für allemal verlieren, und ich konnte es nicht aufhalten. Es musste sein. Mein Verstand hatte den Kampf gegen mein Herz endlich gewonnen.

Es war soweit.

Ich atmete tief ein und versuchte, mir die verwischte Wimperntusche ein wenig wegzuwischen.

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