Kapitel 22

22

Er ließ sich neben mich auf den Boden plumpsen und rupfte an dem Gras rum. Meine Gedanken kreisten immer noch um die Tatsache, dass ich nicht nur Nathan, sondern überhaupt jede Person, die mir wichtig geworden war, in Gefahr gebracht hatte. Warum war mir das nicht früher so bewusst geworden? Ich hatte auf jeden Fall schon mal darüber nachgedacht, aber richtig bewusst wurde mir das erst jetzt.

Dämlich. Einfach nur dämlich und naiv wie sonst was.

„Wann kommst du eigentlich am Sonntag wieder her?", fragte ich Nathan, um meine Gedanken beiseite zu schieben. Ich konnte es ohnehin nicht mehr ändern ... Ist das nicht unheimlich egoistisch?

„Keine Ahnung. Also heute Mittag fahren wir los und Samstagabend ist das Spiel. Ich denke so am späten Nachmittag. Warum?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Nur so."

Aus einem Instinkt heraus krabbelte ich zwischen seine Beine und setzte mich so hin, dass mein Rücken an seiner Brust ruhte. Seine Arme legte er um mich.Ich hatte das Gefühl, dass ich seinen heftigen Herzschlag am Rücken spüren konnte, weswegen mein Herz umso schneller schlug.

„Wir können ja unter der Woche was machen. Wasserpark oder so", schlug er vor und verschränkte seine Finger mit meinen.

„Hm."

Lange Zeit sagten wir nichts, sondern saßen einfach nur da und spielten mit unseren Händen. Mich störte die Stille nicht, im Gegenteil. Wenn er bei mir war, lenkte mich das von meinen schlimmen Gedanken ab, obwohl es mich eigentlich daran erinnern sollte, dass das alles nicht ganz ohne Risiko war und ich es lieber lassen sollte.

„Amy?", murmelte Nate, während er mir sanft durch die Haare strich.

„Hm?", brummte ich erneut.

„Ich hoffe, das klingt jetzt nicht so übertrieben kitschig, aber ich meine es wirklich ernst."

Überrascht drehte ich meinen Kopf um 180 Grad, damit ich ihm ansatzweise ansehen konnte.

Oh man, er verdiente so etwas nicht. Und ich ihn nicht. Offenbar meinte er es wirklich ernst und ich? Was machte ich? Ich hielt vor ihm geheim, dass ich an einem Raub beteiligt gewesen war, der einer Frau das Leben gekostet hatte.

Ich drückte leicht seine Hand. „Ich meine es auch ernst."

Lächelnd küsste er mich auf die Schläfe. Auf meiner Haut blieb ein wohliges Kribbeln zurück, das durch meinen ganzen Körper floss. Heilige Scheiße, ich glaubte so fühlte sich ... Liebe an.

„Okay, wir fahren jetzt nach der Mittagspause los, deswegen muss ich jetzt gehen ...", sagte Nathan. Widerwillig richteten wir uns auf, seine Hände drückten meine Taille etwas unsanft gegen den Baum.

„Das ist jetzt etwas ungemütlich", beschwerte ich mich schmollend und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, allerdings hielt er mich fest. Das war echt demütigend, dass ich so schwach war.

„Du kannst dich eh nicht befreien. Und jetzt lass mich, ich bin bis Sonntag weg. Da darf ich doch wohl nochmal die Vorzüge einer Beziehung auskosten", grinste er und musterte mich währenddessen von oben bis unten. Mühsam unterdrückte ich mir ein Lachen. Das hat er jetzt nicht ernsthaft gesagt oder?

Sein Blick blieb an meinen Lippen hängen, und schließlich prustete ich los. Nate ließ seinen Kopf auf meine Schulter fallen, was nebenbei bemerkt ziemlich bekloppt aussehen musste, und stimmte in das Lachen mit ein.

„Sehr originell ausgedrückt", entgegnete ich und legte meine Hände auf seine Brust.

Als Antwort küsste er mich, und wieder einmal pochte mein Herz wie verrückt. Ich kam mir zwar vor wie eine verliebte 14-jährige, wenn ich daran dachte, dass ich das bis Sonntag nicht mehr haben würde, aber das war mir egal. Es war doch völlig normal, dass man, wenn man frisch verliebt war, so verrückt nach dem Partner war und ihn schon nach einem Tag vermisste, also warum machte ich mir überhaupt solche Gedanken?

Der Kuss wurde immer verlangender. Langsam fuhr ich mit meinen Händen Nathans Oberkörper entlang, während er an meinen Seiten entlang strich, bis er an meinem Hintern ankam. Ich befürchtete schon, dass meine Knie einknicken würden, als ich auffordernd stöhnte, da nahm er mich hoch und ich schlang automatisch meine Beine um seine Hüften.

Mein Verstand wollte ihn sanfter küssen, allerdings kam mir mein Körper zuvor, der nach Nates Stöhnen mehr wollte. Irgendwann, als wir schon fast keine Luft mehr bekamen, lösten wir uns atemlos. Ich lehnte meine Stirn gegen seine, bevor er mich runter ließ. Mein Körperstand immer noch unter Strom.

„Bis Sonntag", keuchte er und drückte mir nochmal einen kurzen Kuss auf. Wahrscheinlich ging er jetzt in sein Zimmer und holte seine Sachen.

„Bis Sonntag", lächelte ich und schaute ihm noch hinterher, als er auf das Gebäude zu lief.

Mein Samstag war stinklangweilig. Da ich so viel Hausaufgaben machen und lernen musste, blieb mir keine Zeit, irgendetwas mit meinen Freunden zu machen. Diese hatten auch reichlich viel zu tun, weswegen Mar und ich schon fast den ganzen Tag auf dem Zimmer waren und büffelten, bis es irgendwann abends war. Nathans Spiel müsste jetzt wahrscheinlich bald anfangen, weswegen ich auf eine Nachricht hoffte. Ich weiß, ich weiß, es war ziemlich kindisch von mir, da er ja erstmal seit gestern weg war, aber so war das nun eben mal. Eine halbe Stunde, nachdem ich endlich mein Zeugs wegpacken konnte, vibrierte mein Handy. Sofort stürmte ich wie ein kleines Kind darauf zu und entsperrte es.

„Wow, ganz ruhig", lachte Mar hinter mir, die gerade den Laptop anschaltete. Sie hatte sich den von Ethan ausgeliehen, weil sie für ein Essay im Internet recherchieren musste.

Ich kicherte, als ich die Nachricht von ihm las.

Das Spiel fängt in 5 Minuten an. Wünsch mir Glück.

Mit einem fetten Grinsen auf dem Gesicht schrieb ich ihm direkt zurück.Womöglich dachte er jetzt, dass ich schon den ganzen Tag vor diesem Scheißding saß. Naja, zugegebenermaßen lag es wirklich schon den ganzen Tag in meiner Griffnähe. Immerhin war das seine erste Nachricht seit ... einem Tag? Richtig, nur ein Tag.

Klar, viel Glück euch allen. Ihr schafft das schon!

Ich drückte auf senden und legte das Handy wieder beiseite. Was würde er jetzt zurückschreiben? Warum machte ich mir Gedanken darüber, was er zurück schreiben würde?

Nach einigen Minuten hatte er immer noch nicht geschrieben, weswegen ich mir langsam anfing, Sorgen zu machen. Vielleicht hatte er ja gerade ... Nein. Ich musste Vertrauen in ihm haben, also sperrte ich den Gedanken einfach sofort weg. Das Spiel hat vielleicht einfach nur angefangen, du blöde Kuh!? Typisch Eifersucht.

Den Rest des Abends schauten Marleen und ich uns einen Film an. Sie wollte unbedingt Wie ein einziger Tag gucken, was mir nur einen großen Seufzer entlockte. Ich konnte es ihr ohnehin nicht ausreden, auch wenn ich diesen Film schon zum x-ten Mal gesehen und keine Lust mehr hatte. Und selbst beim hundertsten Mal musste ich schon wieder weinen.

Erschöpft von dem ganzen Lernen kuschelte ich mich frisch geduscht und umgezogen in mein kuscheliges Bett. Mar war direkt eingeschlafen, aber ich wälzte mich noch herum. Natürlich war ich müde, jedoch wollte ich unbedingt wissen, ob die Jungs gewonnen hatten. Kaum zu fassen, aber der Rest der Mannschaft war mir auch schon ein wenig ans Herz gewachsen. Abgesehen von Nathan, der deutlich mehr Platz einnahm. Nach einer Weile döste ich ein und gab die Hoffnung auf eine Nachricht auf.

Ich wurde durch ein Vibrieren neben meinem Ohr aus meinem Halbschlaf gerissen. Noch ein bisschen schlaftrunken tastete ich neben mir die Stelle ab. Wie konnte ich so blöd sein und das Handy neben mein Ohr legen?! Ich ertastete mein Handy und wurde erstmal von dem Licht geblendet, sodass ich mit halb geschlossenen Augen erstmal auf die Uhrzeit blickte. Es war fast Mitternacht. Als sich meine Augen halbwegs an das helle Licht gewöhnt hatten, schaltete ich zuerst das Vibrieren aus und öffnete die Nachricht. Sie war von Nate!

Sofort stützte ich mich auf meinen Ellenbogen ab und nahm mein Handy in beide Hände.

Sorry, ich konnte nicht früher schreiben. Hoffe, hab dich nicht geweckt. Wir haben sie vom Platz gefegt! Ganz knapp zwar, aber wir haben gewonnen!

Lächelnd schrieb ich ihm zurück:

Ich hab nur gedöst, keine Sorge. Und super, ich freu mich für dich! <3

Einen Moment glaubte ich, dass das Herz ein bisschen kindisch sei, aber Gott sei Dank kam von ihm ein Danke mit einem Herz zurück. Okay, du bist verrückt geworden.

Wir schrieben noch ... keine Ahnung wie viel Stunden, in denen er mir erzählte, wie genau das Spiel gelaufen war. Er fragte mich nach meinem Tag, von dem ich abgesehen von dummen Aufsätzen nichts berichten konnte, also redeten wir wieder über das Spiel. Auch wenn ich so gut wie nichts verstand, las ich mir alles genau durch und wurde wieder hellwach. Irgendwann schrieb er, dass er mich vermisste und sich darauf freute, mich morgen wieder zu sehen. Mir wurde unwillkürlich warm ums Herz.

Ich vermiss dich auch, aber wir sehen uns ja morgen. Jetzt lass ich dich aber mal mit deinen Jungs feiern, die beschweren sich bestimmt schon.

Für einen kurzen Augenblick zögerte ich zu schreiben, dass er nicht allzu viel trinken sollte, am Ende schrieb ich es trotzdem und kam mir dann wieder vollkommen bekloppt vor.

Eine Minute später kam eine Nachricht zurück:

Keine Angst, ich bin morgen wieder nüchtern für dich da. Gute Nacht, meine Schöne.

Als ich die letzten zwei Worte las, machte mein Herz einen Satz. Wahrscheinlich kam er sich jetzt selbst total bescheuert vor, aber das war mir gleich.

Gute Nacht, mein Schöner schrieb ich zurück, setzte allerdings einen Smiley dahinter, der sich kaputt lachte.  Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte mir, dass wir schon beinahe zwei Stunden schrieben. Okay, jetzt aber genug. Sonst würde ich wieder bis in den Mittag schlafen.

Behutsam legte ich mein nun stummes Handy zur Seite auf den Nachttisch und drehte mich mit dem Gesicht zur Wand. Jetzt würde ich garantiert einen ruhigen Schlaf bekommen.

Ein stechender Schmerz an der Kopfhaut ließ mich aus meinem ruhigen Schlaf aufwachen.

Ich riss die Augen abrupt auf und versuchte etwas zu erkennen. Vor meinen Augen war alles schwarz, ich wurde nur an den Haaren über irgendeinen unebenen Boden geschleift.

„Lass mich los!", schrie ich die unbekannte Person an, die mich unsanft an den Haaren zog.

Wer zur Hölle ist das und was hat derjenige vor?!

Die Person zog mich weiter, bis ich mit den Füßen um mich trat und mit meinen Händen in das Fleisch der Hand grub, die mich los ließ, sodass mein Kopf unsanft auf einem harten Boden landete. Mein Kopf pochte unangenehm, bis auf einmal ein Licht anzugehen schien. Obwohl es hier nicht wirklich hell war, mussten meine Augen und mein Gehirn erst verarbeiten, wo ich war. Ich war in einer Sporthalle. Nicht in irgendeiner von vielen, sondern in der, in der das Spiel jenen Freitag stattgefunden hatte. Das erkannte ich an der schwarzen Zahl, die auch von innen an der großen Tür prangte.

Wie bin ich bitte hierher gekommen? Wo ist diese Person, die mich hergebracht hat? Vergeblich versuchte ich mich aufzurichten. Ich schaffte es, auf die Füße zu kommen, aber irgendwie wollten mir meine Beine nicht gehorchen. Ich konnte nicht weglaufen.

Verdammte Scheiße, bewegt euch! Mit aller Kraft versuchte ich meine Beine zu bewegen, doch sie blieben an Ort und Stelle. Warum bewegten sie sich nicht?

Meine Mühseligkeiten nahmen ein Ende, weil ich aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie Nathan auf mich zu gerannt kam. Hä? Der ist doch noch gar nicht zuhause?

„Nate, was machst du -"

„Amy, du musst mir helfen! Irgendein kranker Kerl ist hinter mir her!" Sein Atem ging stoßweise. Ich verstand nur noch Bahnhof. Warum war er hier? Wer war hinter ihm her?

„Okay, ganz ruhig. Wer ist hinter dir her?"

Kaum hatte ich diese Frage ausgesprochen, tauchte ein dunkelhaariger Kerl auf, der grinsend mit einem Ball dribbelte. Grundgütiger.

Sean.

Mein Herz blieb stehen, und sofort fühlte ich mich zurück in dieses Lagerhaus katapultiert.

„Sean...", flüsterte ich, während er immer näher kam.

„Du kennst ihn?!", fragte Nathan unglaubwürdig, da bekam er urplötzlich den Ball an den Kopf, der ihn zu Boden schleuderte.

„BIST DU BESCHEUERT!?", brüllte ich und wollte zu Nathan gehen, aber meine beschissenen Beine bewegten sich einfach nicht! Er war nicht ohnmächtig, krümmte sich allerdings am Boden. Ich wusste nur zu gut, wie weh so ein Basketball tun konnte.

„Sean, was machst du hier?", fragte ich ihn und versuchte ruhig zubleiben. Eine falsche Bewegung, mal abgesehen davon, dass ich mich sowieso nicht bewegen konnte, und er würde irgendetwas tun. Vielleicht ist es nicht real. Das würde die Tatsache erklären, dass ich mich nicht bewegen kann. Ja, es ist nicht real. So einfach ist das. Kein Grund zur Sorge.

Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass mein Herz gleich in tausend Teile zerbrechen würde. Nathan, halb bewusstlos, weil Sean auf ihn eintrat, am Boden liegen zu sehen, brach mir das Herz.

„HÖR AUF!", brüllte ich. Ich fühlte mich wie in dem Traum, als ich nicht zu Marleen rennen und ihr helfen konnte. Da fiel es mir wie Schuppen vor die Augen: Meine Eltern, Marleen, Nathan. Misshandelt, erstochen, totgeschlagen. Vor meinen Augen.

Ich hatte sie alle unabsichtlich in Gefahr gebracht, und ich konnte niemanden retten. Niemanden. Mein Schrei wurde immer lauter,weil ich genau das hatte verhindern wollen, aber das komplette Gegenteil passiert war. Egal mit wem ich etwas zu tun hatte, ich brachte alles in meinem Umfeld zum Explodieren und es war nicht aufzuhalten. Wie Nathan, in den ich mich so schnell verliebt hatte wie eine Flut, so schnell riss ich alles wie eine um.

Immer, wenn es Zeit war zu gehen, verpasste ich den Moment und blieb stehen.

Ich durfte aber nicht stehen bleiben.

Ich musste gehen.

Ich musste jeden zurücklassen, damit sie in Sicherheit waren.

Nathans Augen drehten sich nach innen, als ich los schrie und die Augen aufschlug.

Schweißgebadet riss ich meine Augen auf. Wieder komplette Finsternis. Sofort schaltete ich das Licht neben mir an, doch es war alles ruhig. Mar lag in ihrem Bett.

Es war wieder nur ein Albtraum. Nur ein Traum, es war nicht real.

Warum konnte ich mich in den beschissenen Träumen nie bewegen?Wahrscheinlich war es ein Zeichen dafür, dass die Gefahr, in die ich alle gebracht hatte, nicht aufzuhalten war und ich nichts tun konnte.

Mit immer noch zitterndem Händen griff ich nach meinem Handy. Fünf Uhr morgens und vier Nachrichten von Nathan. Mein Puls verlangsamte sich wieder allmählich.

Bis du wach?

Ih vermis dich.

Stehauf, Baby.

Mah shon!

Offenbar hatte Nathan eine Vorliebe dafür, das c wegzulassen, wenn er betrunken war. Grinsend versuchte ich zurückzuschreiben, was mit den zitternden Händen ziemlich schwer war.

Jetzt bin ich wach; aber nicht wegen dir. Hab schlecht geträumt. Geht's dir gut?

Mindestens zehnmal musste ich mich beherrschen, um die Worte eintippen zu können. Am Ende gelang es mir trotzdem, und Nathan schrieb sofort zurück:

Schlimmer Albtraum? Alles gut? Ja, mir geht's wieder einigermaßen gut, sind schon um halb drei wieder ins Hotel gegangen, also abgesehen von Kopfschmerzen und Übelkeit geht's mir gut. Okay, das hier zu schreiben, fällt mir schwer.

Ich musste unwillkürlich lachen, hielt mir jedoch in Windeseile die Hand vor den Mund, falls Marleen aufwachen sollte. Selbst wenn man nur an ihrem Bett vorbei laufen würde, würde sie wach werden.

Ich schrieb ihm, dass es schon in Ordnung wäre, und dass er seinen Rausch lieber ausschlafen sollte, damit er für die Heimfahrt fit war. Immerhin mussten sie unheimlich lange fahren.

Also legte ich mein Handy wieder beiseite und kuschelte mich in die Decke ein. Durch den Traum hatte ich immer noch eine Gänsehaut, die nicht weggehen wollte.

Am nächsten Morgen wachte ich um halb elf auf, weil Mar Krach machte.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst", beschwerte ich mich lauthals und vergrub mein Gesicht im Kissen. Oh man.

„Was denn?", fragte sie scheinheilig und sortierte weiter ihr Make-Up.

„Ich hab kaum geschlafen. Vielleicht jetzt eine Stunde und dann machst du hier so Krach!"

Sie drehte sich auf dem Stuhl um, dabei verrutschte ihr Handtuch so, dass ich fast alles sehen konnte.

„Ich bin empört!", kreischte ich, als sie lachend das Handtuch hoch zog.

„Warum hast du nicht geschlafen? Wieder Albträume?"

Ihr Stuhl rutschte bis zu dem Rand meines Bettes, auf dem noch etliche Klamotten gestapelt waren. Ich sollte wirklich mal aufräumen.

Stumm nickte ich und wand mich aus dem Bett. Jetzt konnte ich ohnehin nicht mehr schlafen, also was soll's. Ich schnappte mir eine kurze Shorts und eine kurzärmlige Bluse, die mein Dekolleté betonte (falls man da etwas betonen konnte). Heute kam Nathan zurück! Wie ein kicherndes Schulmädchen verschwand ich im Badezimmer und stieg in die Dusche. Eigentlich hasste ich es, am Morgen zu duschen, aber da ich nicht wusste, wann Nathan kam, wollte ich mich jetzt schon frisch machen. In der Dusche rasierte ich mich noch schnell, damit ich auch eine kurze Hose anziehen konnte.

Nach der langen erfrischenden Dusche machte ich mich im Nullkommanichts fertig, sodass es danach erst elf war. Warum konnten die das verdammte Frühstück am Wochenende nicht später machen? Das ging mir mächtig auf den Sack, dass ich das am Wochenende immer verpasste. Steh halt früher auf. Ganz sicher nicht.

Mein Handy weckte meine Aufmerksamkeit. Übermüdet lief ich darauf zu und entsperrte die Nachricht, die von Nate war.

Wir kommen wahrscheinlich um vier an, bis später <3

Ich freute mich auf seine Rückkehr und auch für ihn, weil seine Mannschaft gewonnen hatte, also schrieb ich ihm nur, dass ich, wenn ich es nicht vergessen würde, vor dem Haupteingang stehen würde. Müde schlenderte ich den Gang entlang und rief währenddessen Mia an. Marleen sortierte immer noch ihr scheiß Make-Up, weshalb ich mit irgendjemandem meine Zeit vertreiben wollte. Für heute hatte ich nichts mehr zu tun.

Nachdem dritten Tuten nahm sie ab.

„Hey", hörte ich sie sagen.

„Hey. Wo bist du?", wollte ich wissen.

„Ich sitz auf dem Rasen und mach meine Bio Hausaufgaben und du?"

Das war  sowas von typisch für Mia. Immer alles erst auf den letzten Drücker. Ich musste grinsend den Kopf schütteln.

„Ich bin gleich da. Bist du vor'm Hauptgebäude?" Sie bejahte, woraufhin ich weiter bis zum Hauptgebäude lief. Hoffentlich war sie alleine, denn seit der Sache mit Nathan am Cafeteriatisch hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt, weshalb ich mit ihr alleine reden und fragen wollte, was sie davon hielt. Abgesehen von Bio, wo sie mir einmal nur kurz „Er hat dich mal fast umgebracht" zugeflüstert hatte, mehr nicht.

Offenbar war sie aufgrund ihrer barschen Stimme am Telefon momentan nicht sehr gut auf mich zu sprechen, was ich einerseits verstehen konnte.

15 Minuten später kam ich nach einigen Umwegen am Haupteingang an. Hektisch lief ich diesmal die Steintreppen nach unten und hielt nach Mia Ausschau. Sie war ungefähr 30 Meter entfernt, lag auf dem Bauch und kaute an ihrem Kugelschreiber. Ihre Füße baumelten in der Luft. Sonntags waren die meisten weg, weshalb hier nicht gerade viel los war.

Okay, das wird schon. Ich atmete tief ein, dann lief ich schnurstracks auf sie zu. Ungefähr zehn Meter vor ihr bemerkte sie meine Bewegung und sah mich an. Ihr Blick sprach Bände: Ich hab keinen Bock auf dich. Kurzerhand starrte sie wieder auf den Block vor ihr, bis ich mich vor sie setzte und die Hand auf den Block legte.

„Hey, ich mache gerade Hausaufgaben!", beschwerte sie sich und rappelte sich genervt auf.

„Halt die Klappe. Kannst du mir mal freundlicherweise verraten, was dein Problem ist?"

Genervt sog sie die Luft ein und rappelte sich auf. Ihre Augen waren leicht geschwollen, und ihre Haare waren unordentlich zusammen gebunden, sodass man diesen Knoten wahrscheinlich in 20 Jahren nicht mehr aufbekommen würde. Hatte sie geweint? Ich fragte jetzt besser nicht nach, sonst würde sie mir noch eine runterhauen.

„Mein Problem ist, dass du mit Nathan zusammen bist. Hast du es noch nicht gemerkt, dass das Nathan Lambert ist oder bist du einfach nur blind?", fragte sie mit einem gewissen Unterton in der Stimme. Oh man, die übertreibt ja maßlos.

„Mia, ganz ehrlich, halt mal die Füße still. Du machst ja als wäre er das größte Arschloch weltweit. Du weißt doch gar nicht wie er ist und außerdem hat er mir bestätigt, dass er es ernst meint." Ich machte eine kurze Pause, weil ich mit Widerspruch und Gegenargumenten gerechnet hätte, aber sie starrte einfach nur auf den Boden; ins Leere. Langsam fuhr ich fort. ,,Also was bringt es mir jetzt, das ganze zu Tode zu analysieren? Ich hab doch selbst zu Mason gesagt, dass er mal etwas riskieren soll und genau das mache ich jetzt auch."Was wäre das Leben ohne Risiko?, dachte ich wieder im Inneren. Ich verstand wirklich nicht, was ihr Problem war.

Erneut holte sie tief Luft, dann fing sie an zu reden.

„Tut mir Leid", sagte Mia. „Ich hab mir nur Sorgen gemacht, weil du weißt, wie er ist. Oder war, sorry. Und freu dich nicht zu früh, dass er sich angeblich geändert hat."

Möglicherweise hatte sie recht. Warum sollte er sich so schnell ändern? Mal wieder schob ich den Gedanken auf, obwohl ich mich wirklich mal damit befassen sollte. Aber ich wollte es nicht, denn ich wusste genau, wohin das führen würde. Im Übrigen hatte ich wirklich wichtigere Probleme, was mir der Albtraum letzte Nacht wieder vor Augen geführt hatte.

Verwirrt schüttelte ich den Kopf.

„Ich hab jetzt nicht erwartet, dass du dich entschuldigst", erklärte ich mein Kopfschütteln, weil Mia so blöd geguckt hatte. Eigentlich ist das eine bescheuerte Angewohnheit von mir, wenn ich Gedanken abschieben will, aber hey.

Abrupt nahm sie mich in den Arm. Ihre Nägel krallten sich unsanft in meinen Rücken, was ich allerdings über mich ergehen ließ, weil sie ziemlich traurig aussah. Was war bloß los mit ihr? Bestimmt war wieder irgendetwas wegen Mason. Und du blöde Kuh hast ihn auch noch ins Gespräch mit einbezogen, glänzend.

„Es tut mir leid", raunte sie leise und ließ mich los.

„Was?", kicherte ich. „Dass du dich so benommen hast oder du mir gerade deine kilometerlangen Nägel in den Rücken gehauen hast?"

Sie lachte und boxte mir spielerisch gegen den Arm. „Beides."

Erleichtert darüber, dass ich mich endlich mit Mia ausgesprochen hatte, half ich ihr bei Biologie. Da ich es gestern schon erledigt hatte, konnte ich ihr ein wenig helfen, auch wenn ich nicht gerade die Beste darin war. Irgendwann waren wir fertig, die Zeit war wie im Flug vergangen. Ich schaute auf mein Handy, es war schon 16:05 Uhr. Oh!

Unabsichtlich drang ein Kreischen aus meiner Kehle, was Mia mit einer hochgezogenen Braue bemerkte.

„Was ist denn mit dir los?", fragte sie und schnappte sich mein Handy.

„Nein, ich hab keine erfreuende Nachricht bekommen", kommentierte ich ihre Tat, und riss ihr das Handy wieder aus der Hand.

„Was ist dann los?" Ich unterdrückte mir ein weiteres Kichern, um nicht gleich einen Kicheranfall zu bekommen. Herrgott, reg dich ab.

„Nate hat gesagt, dass sie um vier ungefähr zurückkommen würden, was bedeutet, dass sie gleich hier sein sollten."

„Jetzt nennst du ihn auch noch Nate."

Mia rollte daraufhin mit den Augen und sagte nichts weiter. Wir saßen einfach nur da, sie versuchte ein Gespräch aufzubauen, aber ich war viel zu aufgeregt. Okay, du benimmst dich wirklich wie ein kleines Kind.

Geistesabwesend rupfte ich an dem Gras rum, das jedoch frisch gemäht war. Mit den Händen fuhr ich durch die kurzen Grashalme, die an meiner Hand kitzelten.

„Hallo?!", rief Mia und schnippte mit ihren Fingern vor meinen Augen. Plötzlich blickte ich auf.

„Mein Gott, hast du dir gerade vorgestellt, wie er dich hier auf dem Rasen nimmt oder was?", lachte sie. Was?

„Mia!", rief ich aus und warf ihr das Bio Buch entgegen.

„Hey!"

„Jetzt reg dich mal nicht auf, Mason und du wart noch schlimmer! Ihr habt ja 24 Stunden am Stück am Arsch des anderen geklebt." Augenblicklich verdüsterte sich Mias Miene. Ihr Lächeln verschwand von der einen auf die anderen Sekunde, und sie senkte den Blick. Schweigend hob sie das Buch, das falsch herum auf dem Boden gelandet war, auf und klappte es wieder zu. Irgendwas war da im Busch.

Bevor ich sie fragen konnte, hörte ich den Motor eines anfahrenden Busses.

Ich drehte mich um und sah gerade, wie der Bus in der Nähe des Haupteingangs hielt und die Mannschaft aus dem Bus strömte.

Meine Mundwinkel zuckten urplötzlich nach oben, mein Herz fing an zu hämmern. Und vor einer Woche habe ich mich noch über Mason und Mia aufgeregt.

Sofort hievte ich mich auf die Beine. Ich rannte nicht – das wäre ein wenig peinlich gewesen – sondern lief einfach nur ein wenig schneller als sonst. Nathan ging gerade die Treppen des Busses hinunter und war lediglich dabei, die Kopfhörer aus seinen Ohren zu nehmen. Hinter ihm kamen noch drei vier Jungs aus dem Bus.

Als ich nur noch ungefähr zehn Meter entfernt war, gab der Busfahrer Nathan seine Sporttasche, die er locker über die Schultern hievte. Gott, mit dem Kabel der Kopfhörer unter seinem T-Shirt, der Sporttasche über der Schulter, dem weißen T-Shirt, das seine Muskeln betonte, und mit der schwarzen Snapback, die er falsch herum auf hatte, sah er unglaublich heiß aus.

Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht gleich förmlich mit dem Sabbern anzufangen.

Kurze Zeit später drehte er seinen Kopf, und entdeckte mich. Sein emotionsloser Blick erhellte sich direkt. Plumpsend fiel die Sporttasche zu Boden, während er mit (im Gegensatz zu mir) normalen Schritten breit lächelnd auf mich zukam.

Bei mir angekommen hob er mich hoch und wirbelte mich zu meinem eigenen Überraschen herum. Ich stützte mich grinsend mit den Händen auf seinen Schultern ab.

„Ich hab dich vermisst", sagte er und ließ mich runter, sodass ich statt nach unten nach oben schauen musste.

„Ich dich auch", lächelte ich und verringerte den wenigen Platz zwischen unseren Lippen. Wie ich das vermisst hatte.

diese sache, die keiner erwartet hätte, dauert doch noch.

und ich kriege solche aggressionen wegen wattpad gerade. mir werden die ganze zeit keine kommentare bei anderen geschichten angezeigt, obwohl da schon was weiß ich wie viele sind ("ersten kommentar schreiben" - ja du mich auch -.-) und es ist voll oft so, dass wenn ich ein kapitel veröffentliche, einfach mal tausend wörter zusammenrutschen und ich da wieder 10000 leerzeichen machen muss. herrgott ey, f*ck dich einfach.

schönen tag :)

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