Kapitel 2
2
Ein Rütteln weckte mich. „Amy, fahr du mal bitte weiter, ich will schlafen."
Ich öffnete die Augen, Marleen lehnte über mir. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste sie auf jeden Fall auch mal schlafen lassen.
„Ich hab gerade getankt und was gegessen. Wenn du Hunger hast, in meiner Handtasche sind Sandwiches drin. Fahr danach weiter. Ich bin jetzt fünf Stunden gefahren, mit einer Pause nach zwei Stunden. Du kannst auch nach zwei Stunden eine Pause machen, dann wieder drei weiter fahren. Die letzten drei teilen wir uns dann auf."
Ich nickte, obwohl ich nicht ganz zugehört hatte. Wir tauschten die Plätze, ich richtete mir das Navigationssystem zurecht und fuhr los. Ich war noch ganz schlaftrunken, versuchte mich jedoch, auf den Verkehr zu konzentrieren. Es war jetzt hell, die Sonne war schon aufgegangen. Es musste jetzt ungefähr sieben Uhr morgens sein.
Beim Schlafen konnte ich wenigstens meine fürchterlichen Gedanken verdrängen, wogegen jetzt alles wieder hoch kam.
Das Navigationssystem piepste, ich sollte den Highway wechseln.
Ich nahm noch knapp die Kurve. Meine Güte, denk nicht so viel nach und konzentrier dich aufs Fahren. Doch ich konnte mich nicht konzentrieren.
Mir blieb das Herz beinahe stehen, als ich Polizeisirenen hörte. Sie haben uns gefunden. Jetzt ist es vorbei. Ich versuchte ruhig zu bleiben und einfach weiter zu fahren. Mar bekam nichts mit, sie schlief sofort ein, als ich losfuhr. Beängstigt schaute ich in den Rückspiegel und sah die Sirenen immer näher kommen. Bitte sind sie nicht hinter uns her, bitte bitte bitte.
Ich holte tief Luft, während die Autos an mir vorbeifuhren und wagte einen Blick. Der Polizeibeamte sah mich an. Gütiger Gott.
Seine beinahe schwarzen Augen wanden ihren Blick von meinen nicht ab. Wieder hatte ich den lauten Ton der Schüsse in den Ohren.
Gerade als ich dachte, er würde mich anhalten, fuhren sie weiter. Bis ich die Sirenen weder hören noch sehen konnte.
Da fiel es mir ein: Mein Handy hatte GPS. Marleens auch. Heilige Scheiße!
Ich bremste, fuhr kurz an den Rand und kramte mein Handy aus dem Rucksack.
Ich ertastete mein Handy. Es war aus. Mar hatte es ausgemacht. Oh Gott, was hätte ich nur ohne sie gemacht? Ich drehte mein Handy um und machte die Hülle ab. Dann den Akku raus. Meine Karte war nicht mehr drin. Sie hatte sie bestimmt zerschnippelt, wie die Masken.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Alles war okay - bis zu diesem Zeitpunkt.
Meine Pause machte ich erst nach drei Stunden. Ich aß ein Sandwich und trank eine 0,5l Flasche leer. Danach fuhr ich weiter. Die zwei Stunden verstrichen schnell, und da ich überhaupt nicht müde war, fuhr ich die letzten drei Stunden einfach auch. Ich war acht Stunden gefahren, nur mit einer Stunde Pause. Grundgütiger. Was übrigens ein Fehler war, denn anschließend war ich natürlich todmüde.
Es wurde vorhin heller, jetzt wurde es aber wieder ein wenig dunkler. Ich war von den Farben des Himmels fasziniert. Rosa stach in das allbekannte Blau, das in Sonnenuntergangsorange überging. Es war atemberaubend. Auch die Straßen sahen ganz anders als zuhause aus, und doch waren sie gleich.
Der Verkehr war unerträglich. Die Menschenmassen brauchten ewig, um über Ampeln zu kommen. Bis dahin war die Ampel der Autos schon dreimal grün. Währenddessen klopfte ich mit den Fingern auf dem Lenkrad herum und sah mir diesen wunderschönen Ort an.
Plötzlich war mir klar, warum Mar hierhin wollte. Es war einfach zu schön.
Als ich endlich über die Straße kam und aufgrund des Wagens vor mir im Schneckentempo fahren musste, wachte Marleen langsam auf.
„Du meine Fresse", staunte sie schlaftrunken. „Wir sind schon da! Du bist acht Stunden gefahren? Du bist lebensmüde! Warum hast du mich nicht geweckt?"
„Keine Ahnung, war nicht müde", sagte ich und gähnte auf einmal.
„Jetzt aber anscheinend schon." Wir kicherten. „Hast du eine Pause gemacht?"
„Eine Stunde, nach den ersten drei."
„Du bist verrückt."
Sie schüttelte lachend den Kopf und öffnete ihr Fenster. Sie schloss die Augen. Ihr Lächeln wurde breiter.
„Du hast den Ort vermisst, nicht wahr?", fragte ich nach einer Weile. Wir mussten mal wieder an einer Ampel stehen bleiben. Sie nickte.
Ich warf einen Blick auf das Navigationssystem. Wir waren in fünf Minuten da.
„Wir haben es gleich geschafft", jubelte ich.
„Oh ja."
Schlagartig freute ich mich auf den Neuanfang. Ein neuer Ort, eine neue Chance, meine Eltern stolz zu machen. Normalerweise war ich nicht der Typ, der das Abitur anstrebte, doch ich wollte endlich mal meine Eltern stolz machen, was ich in den letzten Jahren nie machen konnte. Das war meine Chance. Unerwartet war ich Mar doch dankbar, dass wir abgehauen waren. Auch wenn es riskant war.
Und dann waren wir da. Das Navigationssystem schwafelte irgendetwas von 'Sie haben Ihr Ziel erreicht', dabei war ich zu sehr von dem Haus, das offenbar Marleens Tante gehörte, geflasht. Es war riesengroß, fast so groß wie eine Villa. Es war aus gemusterten Backsteinen gebaut und hatte prunkvolle Statuen im Vorgarten stehen. Auch ein Teich (ich fragte mich, ob es nicht wohl doch ein Pool war) schmückte das Anwesen. Heiliges Kanonenohr. Abgesehen von der Villa des hyperreichen Kerls zuhause war das hier das abgefahrenste Haus, das ich je gesehen hatte.
„Geflasht?"
„Überhaupt nicht."
Mar lachte. „Verdient ziemlich gut, meine liebe Tante. Perfekte Familie: Zwei kleine Zwillinge und einen ultraheißen Mann."
Jetzt lachte ich auch mit. „Einen ultraheißen Mann also", wiederholte ich kichernd. „Wie in einem Hollywoodfilm."
Mar rannte die Treppenstufen hinauf und klingelte, hinterher kam sie wieder zu mir ans Auto. Ein etwas älterer Mann, vielleicht Mitte fünfzig, mit angegrauten Haaren, öffnete die sicherlich endschwere Tür.
„Yo, Hoskins, altes Haus!", begrüßte Mar ihn. Ich musste mir ein Kichern unterdrücken. Es war offensichtlich, dass der Typ ein wenig humorlos war und sie ihn ärgern wollte.
„Kannst du Doreen und Rodrick holen und uns dann mit dem Gepäck helfen?"
Er nickte abgehackt, drehte sich um und die fette Tür knallte zu.
„Sag jetzt nicht, dass die auch noch 'nen Angestellten haben", rutschte es mir heraus.
„Oh, doch. Du wirst staunen, was die noch so alles haben. Oh nein, da kommen Amélie und Judy."
Ich sah wieder geradeaus und sah die perfekte Familie: Eine wunderschöne, große Blondine mit strahlenden Augen. Ihre Figur war absolut perfekt.
Sie hatte eine weiße Bluse, eine enge, dunkelblaue Jeans und hohe Schuhe an. Das war aber wohl nicht „Amélie und Judy". Ihr Mann hatte auch blonde Haare, nur einen Tick dunkler und dunkle Augen. Sie stachen unvorteilhaft vor, trotzdem sah er mit seinem Bart wirklich heiß aus. So wie Marleen es gesagt hatte.
Ihre Zwillinge sahen aus, als wären sie ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie hatten ebenfalls eine blonde Mähne, nur die Augen waren dunkler. Wie beim Daddy. Sie waren allesamt wunderschön.
Was das wohl für ein tolles Leben war. Eine perfekte Familie, dazu noch alle gutaussehend, ein prunkvolles Anwesen, ...
„Marliiiiiiiiii!", schrien sie im Chor. Ich musste lachen. Der Name klang so ulkig. Sie rannten alle vier auf uns zu. Zu meiner Überraschung umarmte mich Doreen. Mar hatte mir zwar schon öfters von ihnen erzählt, gesehen hatte ich sie aber noch nie. Vollkommen perplex erwiderte ich die Umarmung.
„Du liebes bisschen, du bist aber ein hübsches Ding!", lächelte sie mich an.
Ich wurde rot. „Ich bin Doreen."
„Amy", erwiderte ich. „Danke, dass ich hier wohnen darf."
„Ist doch gar keine Ursache!"
Sie war, wie ihre Kinder, völlig aus dem Häuschen, ein neues Gesicht zu sehen. Judy und Amélie traten vor mich.
„Du hast aber schöne Haare", sagte die eine.
„Dankeschön", lächelte ich. „Eure sind aber viel schöner."
Ich kniete mich zu ihnen herunter. Sie versuchten mir zu erklären, wer von ihnen Judy und wer Amélie war.
„Ich bin Amélie. Ich habe immer Pink an!" Ihre winzigen Zähne blitzten hervor. So konnte ich die beiden am Ende doch noch unterscheiden.
Während Doreen Marleen begrüßte, kam der heiße Kerl auf mich zu.
„Hi, ich bin Rodrick", sagte er und streckte mir die Hand hin. Ich schüttelte sie schüchtern. Sehr förmlich. Ganz bestimmt ein Geschäftsmann mit seinem weißen Hemd.
„Amy."
„Schön, dich kennenzulernen. Aber kommt doch erstmal herein. Ihr müsst doch hundemüde sein!"
„Ich nicht", protestierte meine beste Freundin. „Ich bin zwei Stunden gefahren, dann hab ich 'ne Pause gemacht, danach drei Stunden weitergefahren und dann hab ich neun Stunden geschlafen! Diese Verrückte ist acht Stunden gefahren, mit nur einer Stunde Pause!"
„Du meine Güte!", hörte ich aus verschiedenen Richtungen.
Sie schoben mich voran. „Moment, was ist mit dem Gepäck?"
„Das macht Hoskins", winkte Rodrick ab.
Ich wollte etwas erwidern, da war ich schon im Haus drin. Eigentlich hatte ich Marmor und alles perfekt poliert erwartet, dabei war alles ganz normal. Zweifellos war allein schon der Eingangsbereich viermal so groß wie mein Zimmer zuhause, allerdings war es wie jedes andere Haus eingerichtet.
Hier und da gab es trotzdem auf jeden Fall ein paar Dinge, die wir uns nie im Leben leisten konnten.
Der Boden war Parkett, die Wände ganz schlicht gestrichen. Wie es für eine perfekte Familie wie in einem Hollywoodfilm typisch war, hingen überall Familienfotos. Ich erkannte ein Hochzeitsbild von Doreen und Rodrick, Bilder vom ersten Schultag der Zwillinge, ein Bild von allen am Strand, Doreen mit ihrem Schwangerschaftsbauch - der mal so nebenbei unnormal gigantisch war - Rodrick mit einem Scheck in der Hand und einem breiten Grinsen auf dem Gesicht und vieles mehr. Es verschlug mir die Sprache, wie perfekt dieses Leben hier sein musste.
Wie aus heiterem Himmel hörte ich eine Autotür zuknallen und schrak auf.
„Hoskins holt gerade das Gepäck", erklärte Mar mir.
„Wollt ihr etwas essen?", fragte Doreen.
Mar rieb sich den Bauch. „Oh ja, bitte."
Mir fielen schon fast die Augen zu. „Ich würde lieber schlafen, wenn das in Ordnung wäre."
„Natürlich. Komm, ich zeig dir dein Zimmer." Ich folgte Doreen nach oben. Das erste Stockwerk war kaum kleiner. Ich erkannte eine weitere Treppe, die mir unerreichbar weit weg vorkam. Wofür brauchte eine vierköpfige Familie so viele Stockwerke?
Sie führte mich an das Ende des Flurs und öffnete eine Tür. Ich schaute mich kurz um, um mir zu merken, dass das mein Zimmer sein sollte, denn die Türen sahen alle gleich aus. Gegenüber meiner Zimmertür war ein riesengroßes Bild von zwei älteren Menschen. Möglicherweise die Großeltern. Das konnte ich mir merken.
Ich betrat das Zimmer und wurde direkt von einem Sonnenstrahl, der aus einem bodenlangem Fenster herein schien, geblendet. Rechts von mir stand ein großes Himmelbett, davon gegenüber eine Kommode mit Spiegel darüber. Der Schreibtisch vor dem Fenster.
„Ich hoffe, das ist in Ordnung", sagte Doreen. „Ich dachte mir, da ihr ja sowieso auf das College geht und nicht allzu lange hier bleibt, muss es nicht so groß sein." Fast hätte ich sie ausgelacht.
„Nicht zu groß? Das ist tausendmal größer als mein Zimmer!"
Sie kicherte. „Okay, okay. Naja, leg dich mal hin. Sollen wir dich wecken?"
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Es war 16:30 Uhr.
„Abendessen gibt es um 19:00 Uhr."
„Okay, dann wäre es nett, wenn ihr mich weckt", bemerkte ich.
Sie lächelte. „Ich gebe dir noch schnell Schlafsachen von mir. Bis Hoskins deinen Sachen hochgebracht hat, ist Weihnachten vergangen."
Ich wollte gerade erwidern, dass ich weder einen schweren Koffer habe noch Schlafsachen von ihr brauchte, da war sie schon verschwunden.
Sie konnte ja unmöglich wissen, dass wir abgehauen waren, weswegen ich so gut wie nichts dabei hatte.
Gefühlte fünf Sekunden später stand sie wieder vor mir. „Hier, ich hoffe das ist okay." Sie reichte mir einen Bademantel, den ich wahrscheinlich überziehen konnte, wenn ich zum Abendessen runterkam, ein paar Hausschuhe, warme Socken und einen kuscheligen, blauen Pyjama.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen."
„Mar hat mir gesagt, dass du nicht sehr viel dabei hast, weil ihr es eilig hattet, also nimm es ruhig", lächelte sie mit ihrem Zahnpasta-Werbung-Lächeln. Irgendwie war es mir peinlich, aber die Tatsache, dass sie nicht Marli, sondern doch Mar sagte, beruhigte mich irgendwie. Wir lebten also nicht bei Spießern. Dachte ich zumindest.
Ich bedankte mich mit einem Grinsen, dann war ich allein.
Ich zog mich schnell um. Der Stoff schmiegte sich um meine Haut. Es war ein kurzer, dünner Pyjama. In einem lange, dicken wäre ich höchstwahrscheinlich gestorben. Bevor mich die schrecklichen Gedanken wieder auffraßen, legte ich mich sofort hin und schlief direkt ein.
Ich spürte eine kleine, zarte Hand, die mir kichernd über den Arm strich. Langsam öffnete ich die Augen.
„Es gibt jetzt Essen", sagte Amélie. Ihr Lächeln war zuckersüß.
„Danke, dass du mich geweckt hast", gähnte ich.
„Wenn du weiter schlafen willst, dann schlaf doch lieber!"
„Nein, nein, ich habe Hunger. Fürs Schlafen habe ich heute Nacht noch Zeit!"
Sie lächelte wieder. „Na gut. Komm." Sie nahm mich an der Hand, nachdem ich den seidenen Bademantel angezogen hatte, und führte mich nach unten in das Esszimmer. Ich fragte mich, warum das Esszimmer so groß war, obwohl der Tisch recht klein war.
„Den Tisch ziehen wir aus, wenn Mommy oder Daddy viel Besuch bekommen", erklärte Amélie mir und beantwortete so meine unausgesprochene Frage. Bin ich denn so durchschaubar, dass jeder meine Frage anhand meines Gesichts ablesen kann?, dachte ich mir.
Alle saßen schon am Tisch, bis auf Marleen. Ich wusste nicht genau, ob ich mich setzen sollte, es war mir irgendwie unangenehm. Immerhin war ich zum ersten Mal hier.
„Setzt du dich zu mir?", fragte Amélie. Ich musste lachen. So war ich auch immer, als ich noch klein war.
„Nein, setz dich zu mir!", schmollte die andere. Ich glaubte, dass sie Judy hieß. Ich war so schlecht im Namen merken.
„Nein, zu mir!"
„Mein Gott, dann setzt sie sich eben in die Mitte von euch", fauchte Doreen ein bisschen genervt, aber auch belustigt.
Also setzte ich mich in die Mitte von den Zwillingen. Erst jetzt bemerkte ich das Essen. Ich hätte gedacht, dass es ein halbes Buffet hier geben würde, aber es war ein stinknormales Essen (was ich natürlich begrüßte). Steaks mit Pommes und Salat. Ich war froh, dass es so normal war, denn ich hätte nie im Leben solch Essen, das die Reichen verdrücken, hinunter bekommen. Ich meine - wer zum Teufel isst Fischeier?! Ich schmunzelte bei dem Gedanken. Auf einmal sah ich auf und Mar setzte sich gegenüber von mir.
„Ihr könnt euch nehmen", sagte Doreen, die gerade auf ihrem Tablet las. „Rodrick isst später."
Mar nahm sich, dann die Zwillinge. Herrgott, nimm dir und stell dich nicht so an. Ich machte mir ein Steak, Pommes und Salat auf den Teller. Judy, ich war mir immer noch nicht zu hundert Prozent sicher, dass sie so hieß, fragte mich, was ich trinken wolle. Ich schaute mich auf dem Tisch um und entdeckte irgendwelches Zeug, das ich gar nicht kannte. Offenbar schweineteuren Wein oder so etwas in der Art. Mar hielt mir eine Colaflasche vor die Nase.
„Oh, ich nehme eine Cola, danke", sagte ich grinsend. Sie grinste auch.
„Ich kann mir auch einschenken. Iss du mal lieber, sonst wird es kalt."
Judy kicherte, schenkte mir aber trotzdem ein. Ich bedankte mich mit einem Lächeln. Ich nahm einen Schluck Cola, hinterher fing ich an das Steak zu schneiden. Es war genau so, wie ich es am liebsten aß. Nicht ganz durch. Es schmeckte köstlich.
„Habt ihr auch eine Köchin, wenn ich fragen darf?", fragte ich neugierig.
„Ja, haben sie. Doreen kocht aber am Wochenende, wenn die Köchin frei hat", antwortete Marleen.
„Achso. Es schmeckt köstlich."
„ACH DU LIEBER GOTT!", schrie Doreen darauf.
„Meine Güte, jetzt hab ich meine Cola verschüttet!", fluchte meine beste Freundin. „Was zum Teufel ist los?"
„Hier ist ein Artikel über einen Raub in eurer Gegend!"
Ich starrte Mar an. Ich hatte absolut Schiss davor, diesen Artikel zu hören.
„Oh... äh... davon hatten wir gar nichts gehört. Lies mal vor", krächzte Marleen hervor.
Doreen übersprang die unnötigen Einzelheiten und fing an zu lesen:
„Der reichste Mann der Gegend - Noah Seymour - wurde in der Nacht des 26. auf den 27. August ausgeraubt. Zumindest ein gescheiterter Versuch. Bislang ist nicht viel bekannt. Hinweise zu den Tätern gibt es bisher noch nicht, allgemein wird jedoch vermutet, dass es sich um eine größere Gruppe handelt, da es keine Zeugen gibt. Die Gruppe musste also womöglich mehrere Wachposten gehabt haben.
Die Gruppe setzte ihren Fokus auf den Safe, der in der Villa mit mehreren Alarmanlagen ausgestattet wurde. „Es ist mir ein Rätsel, wie sie die meisten Alarmanlagen überlistet haben", so Officer Thomson. „Anscheinend konnten sie ihr Handwerk ziemlich gut."
In dem Safe waren prunkvolle Andenken und viel Geld vorhanden, wovon jedoch nichts gestohlen wurde.
Seither hat sich niemand der Seymours dazu geäußert, da der Schock, dass Nathalie Seymour, Ehefrau von Noah, erschossen wurde, zu tief sitzt."
Ich erstarrte augenblicklich. Den Rest wollte ich nicht hören. Es wurde niemand von meinen Freunden mit einem Schuss bestraft - wir haben eine Frau getötet. Ich schaute Marleen an, sie traute sich nicht, mir in die Augen zu sehen. Ich merkte gar nicht, dass ich keine Luft mehr holte, als ich schweratmend meine Atmung wieder aufnahm.
Wir haben einen Menschen getötet. Der Schuss oder auch die mehreren Schüsse galten einer unschuldigen Frau.
Was haben wir bloß getan?! Wir haben einer Familie ihre Mutter genommen, nur weil wir an diesen beschissenen Safe wollten! Was zur Hölle haben wir nur getan! Ich fragte mich, wer den entscheidenden Schuss abdrückte. War es Sean? Ich wusste zwar nicht, dass er eine Waffe dabei hatte, aber ich traute es ihm auf jeden Fall zu. Den anderen traute ich es nicht zu. Und warum hatte er geschossen? WARUM? Warum sind sie nicht einfach mit der Beute abgehauen? Warum mussten sie eine Unschuldige umbringen? Jetzt hatte ich noch mehr Angst - Todesangst - von der Polizei erwischt zu werden.
Es war still, abgesehen davon, dass Doreen mit den Zwillingen stritt, weil sie nicht essen wollten. Also erhob ich mich heimlich und ging in mein Zimmer. Als mich niemand mehr sah, rannte ich. Ich rannte den endlangen Flur entlang und schloss die Tür hinter mir ab. Mir fielen meine Sachen in den Augenwinkel, Hoskins hatte sie hochgebracht.
Wir haben eine Frau getötet. Wir haben eine Frau getötet. Eine unschuldige Frau ihrer Familie entrissen. Mir ging der Satz nicht mehr aus dem Kopf. Was waren wir nur für Menschen? Wir mussten uns der Polizei stellen, bevor es noch mehr eskalierte. Meine Augen wurden heiß. Ein plötzliches Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Ich hörte Marleens Stimme.
Schnell ließ ich sie rein und verschloss die Tür wieder. Unvermutet brach ich in Tränen aus.
„Heilige Scheiße, Mar, wir haben eine Frau getötet! EINE UNSCHULDIGE FRAU!"
„Beruhig dich", jammerte sie. „Wir haben sie nicht getötet, okay? Wir haben nicht geschossen." Sie hatte auch Tränen in den Augen, also glaubte ich ihr kein Wort. „Bist du blind? Wir sind mit Schuld daran! Wir müssen uns stellen!"
Sie fuhr sich wutentbrannt durch die Haare und lief nervös im Zimmer umher.
„Hör auf, herumzurennen!", schrie ich. Sie blieb abrupt stehen.
„Wir werden uns nicht stellen", flüsterte sie. „Das geht nicht. Wir ziehen das mit dem College durch. Die Polizei hat noch keine Beweise."
„Du hast es erfasst. Noch nicht. Und was, wenn sie welche haben werden? Wir sind nur dämliche 18-Jährige, denkst du, wir überlisten die Polizei?!"
Allem Anschein nach schenkte sie mir langsam Glauben.
„Okay, okay. Ganz ruhig. Wir haben nicht geschossen, verdammt nochmal! Wir wurden gezwungen!"
Plötzlich hörte ich Schritte in unsere Richtung kommen. Sie kamen immer näher.
„Lach mal ganz laut", sagte ich.
Marleen lachte so laut, dass es in meinen Ohren wehtat.
„Du bist so dämlich!", schrie sie unnormal laut und lachte dabei.
„Alles in Ordnung?", hörte ich von draußen Rodricks Stimme.
„Ja, ja, alles gut."
„Okay." Dann ging er wieder. Ich holte tief Luft, in der Hoffnung, dass er unser Gespräch nicht belauscht hatte.
Auch Marleen wandte sich zum Gehen. Ich wollte sie fragen, ob sie heute bei mir schlafen könnte, aber andererseits war ich auch froh darüber, alleine mit meinen Gedanken zu sein. Sie war ja ohnehin nicht meiner Meinung. Aber wenn ich allein war, fraßen mich die Gedanken auf.
„Wir verlieren kein Wort darüber", forderte sie mich auf und ging die Tür hinaus. „Mein Zimmer ist übrigens am anderen Ende des Ganges, von hier aus nach links."
Ich setzte mich auf mein Bett und starrte im Zimmer umher. Meine Augen blieben an meinem Rucksack hängen, also holte ich und öffnete ihn. Ich holte mein Handy heraus und machte die neue Karte rein. Anschließend stellte ich alles ein. Wie gerne würde ich jetzt Mom anrufen, ihr sagen, dass alles in Ordnung war und sie sich keine Sorgen machen musste ... Aber ich konnte nicht. Ich musste ein bisschen warten. Egal, wie schwer es war.
Seufzend legte ich mein Handy beiseite und überlegte, wen ich später kontaktieren sollte. Natürlich Mom und Dad. Ich wollte auch meine Freunde anrufen, Ana, Tommy, Joleen, Josh, ... Doch es war viel zu riskant. Das konnte ich nicht bringen. Sean würde mich finden. Andererseits wird er mich auch so finden, egal, ob ich meinen Freunden meine neue Nummer gab - oder? Vielleicht könnte ich es riskieren, anonym anzurufen. Ich wusste nicht, ob Sean imstande wäre, eine anonyme Nummer zurückzuführen, also blieb es erstmal dabei, keinen meiner Freunde anzurufen. Außerdem - was würden sie wohl sagen? Sie würden mich wahrscheinlich hassen. Hassen, weil ich sie im Stich gelassen hatte und niemandem etwas davon gesagt hatte. Oder würden sie es verstehen, dass wir abgehauen sind? Meine Güte, so viele Fragen, die meinen Kopf zum Dröhnen brachten! Ich schüttelte mich, weil es mir komischerweise irgendwie das Gefühl gab, die Gedanken für eine Weile abzuschütteln, und schaute auf meine Handyuhr. Es war erst 20:00 Uhr. Eine Stunde war vergangen. Ich wollte eigentlich schlafen, weil ich da an nichts denken musste, aber um 20:00 Uhr war das wohl zu früh. Ich überlegte scharf nach, was ich wohl tun könnte, ohne wieder an die Dinge zu denken, an die ich nicht denken wollte. Da klopfte es wie aus heiterem Himmel.
„Ja?", rief ich.
Amélie, die ich an ihrem pinken Pyjama erkannte, weil sie sagte, sie trage immer pink, öffnete die Tür. „Kann ich reinkommen? Ich hab hier etwas für dich", fragte sie.
„Na klar", lächelte ich mit einem Honigkuchenpferd-Grinsen.
Sie kam langsam an mein Bett und setzte sich neben mich. Ich musste lachen, weil sie nicht hochkam und ich ihr helfen musste. Völlig aus der Puste reichte sie mir ein paar Papiere.
„Was ist das denn?", fragte ich.
„Ich weiß nicht", kicherte Amélie. „Marli hat es mir gegeben. Sie sagte, sie hätte es für dich ausgedruckt oder so. Musst du sie fragen, wenn du es nicht verstehst. Ich gehe jetzt ins Bett, ich sollte dir das nur bringen."
Mit diesen Worten kletterte sie vom hohen Bett. Mit einem Kichern half ich ihr wieder herunter. Bevor sie rausging, drehte sie sich noch einmal um und winkte. „Gute Nacht, Amy", sagte sie.
„Gute Nacht, Amélie." Dann hörte ich die Tür ins Schloss fallen.
Sie war so zuckersüß! Völlig verwirrt öffnete ich die Papiere.
Oh, jetzt wusste ich, was das war. Oben rechts am Rand prangte das Logo von dem College. Die Adresse und Weiteres interessierte mich natürlich nicht, also las ich weiter:
Sehr geehrte Miss Sanchez, ...
Ich blickte kurz auf. Ich war es nicht gewohnt, dass man mich Miss Sanchez nannte. Immerhin hatte ich noch nie einen Job oder so. Und in der Schule wurde man mit dem Vornamen angeredet.
Wir freuen uns, Sie am Montag, den 31. August 2015, auf unserem College willkommen zu heißen. Ihr Zimmer, das Sie mit Miss Marleen Corey teilen werden, befindet sich im dritten Gebäude, Zimmernummer 89. Anbei finden Sie einen Lageplan, ebenfalls Ihre Bücherliste und Ihren Stundenplan.
Bitte beachten Sie, dass am 31. August alle Materialien vorhanden sein müssen! Weitere wichtige Informationen erhalten Sie am ersten Schultag.
Mit freundlichen Grüßen,
A. Dunn, Schulleiter
Dahinter waren noch gefühlte tausend Blätter. Zuerst sah ich mir den Lageplan an, den ich anfangs überhaupt nicht entziffern konnte. Gütiger, wie groß war dieses College denn bitte? Mindestens sechs Gebäude, die, dachte ich mal, ungefähr 150 Zimmern (oder mehr) enthielten - nur für die Schüler! Dann gab es noch ein Extragebäude für die Angestellten, mehrere Gebäude für den Unterricht, circa vier Sporthallen - es sah zumindest so aus - und viele Weitere. Ich brauchte ein wenig, um mir das Ganze vorzustellen. In so etwas war ich eine echte Niete: Wenn ich etwas vor mir hatte, konnte ich es nach einer Weile gut entziffern und auswendig lernen, wenn ich es aber dann in echt vor mir hatte, konnte ich mich überhaupt nicht mehr orientieren.
Mit dem megaübertriebenen Lageplan im Kopf, den ich versuchte, nebenbei auswendig zu lernen, sah ich mir das nächste Blatt an, meine Bücherliste.
Oben links stand: Bis spätestens Freitag, 28. August 2015 abholbar.
Scheiße, das war ja schon morgen! Schnell stellte ich mir den Wecker für 9:00 Uhr morgens, weil ich nicht wusste, wie lange die Geschäfte morgen offen hatten. Warum hatte Marleen nichts gesagt? Jetzt musste ich in aller Frühe aufstehen. Auch die Bücher, die ich kaufen musste, waren überteuert. Das würde eine ordentliche Summe ergeben. Zum Glück hat Mom mir viel eingepackt ... Bevor ich wieder in Tränen ausbrach, überflog ich das nächste Blatt: meinen Stundenplan, den ich erst gar nicht sehen wollte.
Er war sowas von überfüllt, dass ich gar nicht durchblickte. Oben links stand: Amy-Linn Sanchez, Stufe 11 - Geb. 3, Nr. 89
Neben dem Kurs stand noch der Lehrer, die Gebäudenummer und die Raumzahl. Ich stöhnte innerlich auf, als ich sah, dass der Unterricht teilweise bis 17:00 Uhr ging. Wie zum Teufel sollte ich das schaffen? Ich war solch eine Uhrzeit, geschweige denn so viel lernen, gar nicht gewohnt. Nebenbei war ich eigentlich auch noch tierisch faul, was das lernen betraf.
Dazu kam noch, dass ich mich die ersten drei Monate nicht auf die faule Haut legen konnte, bis die Prüfungen begannen. Nein, denn Marleen hatte gesagt, dass sie uns unter dem Vorwand, schon nach den ersten drei Monaten gute Noten zu haben, aufgenommen hatten. Unsere Noten würden nach drei Monaten geprüft werden, und wenn sie zu schlecht wären, müssten wir gehen ... Mar sagte mir, dass sie das immer mit solchen Fällen wie wir machten ... Ich musste mich also ganz schön ins Zeug legen. Doch für Mom und Dad, und irgendwo auch für mich selbst, wollte ich es auf mich nehmen.
Auf einmal riss jemand meine Tür so schnell auf, dass ich vor Schreck zusammenfuhr. Bevor ich die Person, die eintrat, erkennen konnte, ging die Tür ganz schnell wieder zu. Mar stand mit roten Augen, atemlos und vollkommen aus der Puste vor mir.
„Schnelle Erklärung: Da die Ollen Geld sparen und keine Briefmarken kaufen wollen, was meine persönliche Begründung dafür ist, muss man auf die Homepage des Colleges gehen, seinen Namen und das ganze Zeug angeben, und dann bekommt man die ganzen scheiß Blätter da, die man ausdrucken muss. Mein Stundenplan ist krass überfüllt, ich bin nervös, weil das so viel aussieht, und meine Tante weiß, dass etwas faul ist."
Sie setzte sich vor mich auf den Boden und holte tief Luft.
„Okay, okay. Ganz langsam. Ich bin deshalb auch nervös. Aber wie meinst du das, deine Tante weiß, dass etwas faul ist?" Meine Stimme klang ängstlich. Was war, wenn sie irgendetwas wusste?
Mar holte nochmal tief Luft. „Sie fragt mich die ganze Zeit, warum ich eine halbe Wohnung mitgenommen habe und du komischerweise nur so wenig mitnehmen konntest. Sie meint, du hast dich ja auch auf dem College eingeschrieben, also wieso hast du nicht vorher gepackt? Jeder normale Mensch macht das, sagt sie. Ach übrigens, als ich Doreen angerufen habe, um zu fragen, ob wir ein paar Tage bei ihr bleiben können, weil wir auf das College, auf das sie auch gegangen ist, gehen, lachte sie mich aus."
Ich kicherte, weshalb ich mich ein wenig entspannte.
„Warum?", fragte ich.
„Weil sie weiß, dass meine Zeugnisse miserabel sind. Teilweise war sie belustigt, weil sie wusste, ich würde das niemals schaffen - sehr tolle Tante mal nebenbei - und andererseits war sie skeptisch, weil die mich mit solchen Zeugnissen angenommen haben. Aber egal jetzt. Hoffen wir mal, dass sie nichts merkt. Wir müssen uns etwas ausdenken, warum du nur so wenig dabei hast."
„Ähm...", fing ich an. „Wie wärs damit: Sie haben auf meinen Brief das falsche Datum geschrieben, weswegen ich dachte, wir fahren erst eine Woche später. Dann standst du vor meiner Tür, und ich nahm einfach ein paar Dinge mit und Mom schickt mir Klamotten nach."
„Nein, das geht nicht. Sie ging auch auf das College. Sie weiß, dass die Nachsendungen nicht annehmen. Außerdem: Als ob die genau auf dein Papier das falsche Datum schreiben."
„Warum zum Teufel kann man sich da nichts nachschicken lassen? Total bekloppt", antwortete ich.
„Keine Ahnung. Wenn es wichtige Materialien für den Unterricht oder so sind, wie zum Beispiel vergessene Bücher, dann wird das natürlich angenommen. Ansonsten nicht. Aber egal jetzt.
Falls sie wieder fragt, behaupten wir einfach das mit dem falschen Datum, auch wenn das total bescheuert klingt und vollkommen unlogisch ist. Wir sagen dann, deine Mom hat dir so viel Geld mitgegeben, weil sie wusste, du wirst natürlich mehr Geld brauchen."
„Apropos Geld: Wir müssen bis morgen die Bücher haben. Hast du da nicht dran gedacht?!"
„Oh verdammt!", jammerte sie. „Die kaufen wir dann morgen. Wir können auch shoppen gehen, wenn du willst. Ich meine, du brauchst Klamotten. Auf dem College werden wir laut diesem hässlichen Stundenplan nicht viel Freizeit haben, um Klamotten zu kaufen."
Ich kicherte leise. „Ja, können wir machen." Da fiel mir wieder ein, dass ich das Ganze ja ganz leicht finanzieren konnte, da Mom mir so viel Geld mitgegeben hatte...
„Alles okay?", fragte Marleen überraschend.
Ich sah sie an. Ich wusste, dass ich ihr nichts vorgaukeln konnte, aber ich wollte jetzt nicht mit ihr darüber reden. Ich wollte einfach nur schlafen, da ich ohnehin um neun aufstehen musste.
„Ja, ja. Egal. Ähm... Ich hab mir den Wecker um neun gestellt... Wann hattest du vor los zu gehen?"
„Um neun, du bist doch verrückt! Schlaf erstmal aus bis elf oder so, wir gehen einfach, wenn du wach wirst und dich dann fertig gemacht hast. In Ordnung?", fragte sie vorsichtig.
„Meine Güte, übertreib nicht. Ich hab ja schon zwei Stunden oder so geschlafen. Mal schauen, wie lange ich schlafen werde."
Sie nickte und stand anschließend auf. Kurz bevor sie die Tür schloss, erklärte sie mir noch, wo das Badezimmer war. Daraufhin war ich - teilweise endlich - alleine. Ich zog den Bademantel aus, hing ihn über die Bettkante und legte mich in das Bett. Die Decke war mir ein wenig zu warm, also deckte ich mich nicht ganz zu und drehte mich zu der Fensterseite, nachdem ich noch meinen Wecker ausgemacht hatte. Ich blickte nach draußen, ich hatte einen wunderschönen Blick auf die Stadt, denn ich hatte vergessen, die Jalousinen runter zu machen. Es war die richtige Entscheidung. Solch einen Ausblick, auch wenn er für manche wahrscheinlich langweilig wäre, hatte ich noch nie gesehen. Ich sah die Hochhäuser in der Ferne, die blinkenden Slogans, und die ganzen kleinen Lichter, die die Stadt erhellten. Eigentlich hatte ich vor, zu schlafen, doch der Anblick war mir lieber. Ich beobachtete die Sterne, die alles irgendwie noch wie ein perfektes Gemälde aussehen ließen, und dachte daran, ob ich jemals die Chance bekommen würde, die ganze Scheiße von gestern Abend wieder gut machen zu können. Mir kamen schon die Tränen ... Ich schloss meine Augen und ließ die Ereignisse Revue passieren: Ich habe vergessen, eine Alarmanlage einzuzeichnen. Ich habe wahrscheinlich meine Freunde in den Knast gebracht. Ich habe sie alle im Stich gelassen. Wir haben eine Frau getötet. Eine unschuldige Frau. Hätte ich den Schuss irgendwie verhindern können? Wohl kaum, aber ich hätte wenigstens nachsehen können, ob Sean irgendetwas Faules plant. Abgesehen davon, dass die ganze Sache faul war.
Ich schluchzte, wahrscheinlich zu laut, also hielt ich mir die Hand vor den Mund.
In dem Gewissen, dass ich nicht ewig von diesen Gedanken davonrennen könnte, flüchtete ich mich wieder in den Schlaf.
danke fürs lesen! <3
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