Epilog
Ihr Herz klopfte wie wild während sie starr auf die Auffahrt zu ihrem Haus sah. Die Knöchel ihrer Finger wurden langsam weiß, weil sie sich so sehr am Fensterbrett festkrallte.
Seit ihre Eltern sie, vor einer Woche, nach Hause gebracht hatten, hatte sie versucht sich mit Mikush zu treffen, doch ihre Mutter hatte es zu verhindern gewusst. Misha wusste, dass ihre Mutter dachte, dass Mikush nur wieder böse Erinnerungen bei ihr hervorrufen würde, oder was wohl schlimmer für sie war, dass sie jemanden hatte mit dem sie reden konnte.
Wie sie erwartet hatte schwiegen ihre Eltern beharrlich über das was geschehen war, sie durfte nicht einmal ein Wort erwähnen, was irgendwie auf dieses Thema hinführen könnte. Außerdem versuchten sie ihre Alpträume mit Schlaftabletten zu bekämpfen, die sie natürlich in den Abfluss schmiss anstatt sie zu nehmen.
Die Fünfzehnjährige wusste nicht wieso sie dachten, dass das ihr helfen würde.
Traurig schüttelte sie den Kopf und lehnte ihre Stirn an die Fensterscheibe. Das kühle Glas ließ kurz eine Erinnerung vor ihren inneren Augen aufblitzen, die sie aufkeuchen ließ.
Das gleißende blaue Licht blendete sie so sehr, sodass sie sogar noch Sternchen sah nachdem sie die Augen weit aufgerissen und sich eine Hand vor die Stirn geschlagen hatte, um den Schmerz im Keim zu ersticken. Der Schmerz zog sich über ihre gesamte Stirn bis er endlich verblasste.
Mittlerweile war es ihr schon so oft passiert, dass es sie nicht einmal mehr wütend machte, sie spürte nur eine stetig wachsende Resignation.
Als sie den Blick wieder aus dem Fenster lenkte, sah sie gerade noch einen vertrauten Haarschopf aus ihrem Blickfeld verschwinden.
Im selben Moment hörte sie es schon an der Haustür klopfen und ihre Mutter öffnen. Sie konnte ihre Stimme hören, wie sie ihm anscheinend einen Vortrag hielt, wie er mit ihr umzugehen hatte. Misha konnte kaum glauben, dass sie es geschafft hatte ihre Mutter zu überreden, dass sie ihn endlich sehen durfte.
Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht klopfte es an ihrer Tür und sie erstarrte. Die Fünfzehnjährige wusste nicht warum, doch sie war plötzlich unsicher, es war so viel passiert. Sie war ein anderer Mensch und sie würde es nicht ertrage wenn sie ihn dadurch verlieren würde.
Misha atmete einmal tief durch bevor sie die Tür öffnete.
Ihre Blicke trafen sich sofort und sie tauchte ganz kurz in seine dunklen Augen ein, bevor sie seinen Anblick förmlich in sich aufsog. Seine tiefschwarzen Haare hingen ihm etwas länger geworden in die Augen, doch sonst sah er noch genauso aus wie sie ihn in Erinnerung hatte. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie ihn wirklich vermisst hatte.
Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie fiel ihm einfach um den Hals. Er schlang die Arme ganz fest um sie und sie bettete ihren Kopf auf seine Schulter. Der junge Russe war etwas kleiner als Daniel, sodass sie ihren Kopf bequem auf seine Schulter legen konnte.
„Hei", nuschelte Mikush in ihr Haar und sie konnte seiner Stimme anhören, wie erleichtert er war sie zu sehen.
Nach einer kleinen Weile löste er sich von ihr und hielt sie so weit von sich weg, dass er ihr in die Augen sehen konnte.
Sie erstarrte unter seinem Blick und hätte ihre Augen am liebsten geschlossen.
Misha wusste, dass sich ein gehetzter, gebrochener Ausdruck in ihre Augen geschlichen hatte, seit sie von den Nox wieder zurückgeholt worden war. Ihre Erinnerungen, die sie immer mehr beherrschten trugen natürlich auch ihren Teil bei. Sie hasste es und würde es so gerne vor ihm verstecken, doch sie konnte es nicht.
Der mittlerweile Achtzehnjährige strich ihr sanft über die Wangen und ließ sie schließlich los.
Die Fünfzehnjährige wandte sich von ihm ab, um sich auf ihr Bett zu setzten, als er sie beim Arm packte und zurückzog.
„Was ist das?" Er fuhr mit zwei Fingern über ihren Nacken und sie zuckte zusammen.
Schnell umfasste sie seine Hand und nahm sie herunter.
„Nichts." Sie wusste ganz genau, dass er ihre Narben meinte, die sich über ihren gesamten Rücken zogen und beim Haaransatz zu sehen waren wenn sie nicht aufpasste, doch sie wollte ihn nicht damit belasten. Es war so schön ihn zu sehen und sie wollte diesen Moment nicht zerstören.
Er trat etwas näher zu ihr heran und nahm ihre Hände in seine.
„Du musst es mir nicht sagen." Er sah ihr tief in die Augen und sie wusste, dass er es ernst meinte. „Ich will dass du es mir nur erzählst wenn du es möchtest, nicht weil ich neugierig bin."
Misha wandte den Blick ab und sah zur Seite. Es war nicht so, dass sie sich ihm nicht anvertrauen wollte, sie wollte ihn damit nur nicht belasten.
„Du willst es nicht wissen", sagte sie deshalb nur und führte ihn zu ihrem Bett, um sich endlich zu setzten.
„Du kannst mit mir reden." Er strich ihr sanft mit dem Daumen über die Wange. „Ich will nicht, dass du etwas in dich reinfrisst nur um mich zu schonen. Rede mit mir. Zu schweigen tut nur noch mehr weh und das will ich auf keinen Fall. Ich bin stark genug für alles was du mir zu sagen hast."
„Ich hab einfach Angst dich zu verlieren." Die Tränen kamen wieder hoch und sie wischte sie ärgerlich weg. „Meine Familie habe ich wegen dem Ganzen schon verloren. Ich will dich von dem allen fern halten. Außerdem ..."
„Was?" Mikush sah sie besorgt an, drängte sie aber nicht zum Weiterreden.
„Ich weiß es doch selbst nicht." Sie sprang von ihrem Bett auf und lief vor ihm auf und ab. „Es hat sich so viel verändert. Meine Eltern verstehen mich nicht mehr, ich sehe Gefahren wo keine sind, mein Körper macht mit mir was er will und einige Erinnerungen sind immer noch verschwommen. Es fühlt sich so an als wäre ich nicht mehr ich."
Vor allem Nadjas Erinnerungen gaben ihr das Gefühl in einem fremden Körper zu sein. Wenn sie träumte, dann fühlten sich ihre Erinnerungen so real an.
„Mich wirst du dadurch aber nicht verlieren." Er stand langsam auf und riss sie damit aus ihren Gedanken. „Ich sehe immer noch das schüchterne, kleine Mädchen in dir, dass du warst, als wir uns das erste Mal trafen. Du bist immer noch du."
Ein leichtes Lächeln trat unwillkürlich auf ihre Lippen. Sie würde so gerne glauben, dass er sie immer noch so sah, dass er sie so sah wie sie gerne wäre.
„Als du fort warst ..." Er schüttelte leicht den Kopf, als müsste er seine Gedanken erst ordnen bevor er sie aussprach.
Mikush trat noch etwas näher zu ihr heran. Sie konnte spüren, dass er plötzlich nervös wurde, doch sie wusste nicht warum. Er sah einfach nur sanft auf sie hinab und es wirkte beinahe so als hätte er vergessen was er sagen wollte.
Sein Blick verursachte ein leichtes Kribbeln auf der Haut, das sie vorher noch nie wahrgenommen hatte, doch es war nicht unangenehm. Es war viel merkwürdiger nicht zu wissen was er dachte, es war wahrscheinlich das erste Mal seit einer halben Ewigkeit, dass sie seinen Gesichtsausdruck nicht deuten konnte.
„Misha", fing er noch einmal an. „Ich war so verzweifelt, als du dich nicht gemeldet hattest. Ich wusste, dass du wegen mir, weiß ich wo, warst und wegen mir all das Schreckliche erlebt hast. Mich hat es beinahe umgebracht nicht zu wissen wo du bist oder ob du überhaupt noch lebst. Ich habe mir so sehr gewünscht, dass ich dich nicht alleine gelassen hätte, dass ich nicht weggelaufen sondern geblieben wäre. Ich ..."
„Mikush." Sie hasste es ihn so zu sehen, weil sie wusste, dass sie der Grund war wieso er sich so quälte. „Nicht."
„Du wirst mich nicht verlieren, dafür bist du mir viel zu wichtig." Überging er sie einfach, als hätte er sie gar nicht wahrgenommen.
Der Achtzehnjährige strich ihr sanft über die Wange und sie schmiegte sie in seine Hand. Sein Blick lag immer noch auf ihr, doch es war immer noch nicht unangenehm. Im Gegenteil sie versank in seinen dunklen Augen und genoss das kribbelnde Gefühl auf ihrer Haut.
„Ich liebe dich, Misha", er sagte die Worte so schnell, dass sie sie beinahe nicht verstand.
Als die Worte endlich in ihrem Kopf ankamen, konnte sie kaum glauben, was er gerade gesagt hatte. Sie konnte nicht glauben, dass er das gerade wirklich gesagt hatte.
Ein komisches Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus, das sie schon so oft gehabt hatte, wenn sie das begeisterte Glitzern in seinen Augen gesehen hatte, doch niemals war es so intensiv gewesen wie jetzt.
Mikushs Nervosität übertrug sich plötzlich auf sie und sie spürte wie ihre Wangen langsam rot wurden. Doch ihre Aufregung schien nichts gegen die des jungen Russen zu sein, sie konnte beinahe spüren wie sie ihn zerriss.
Seine Hand zitterte als er ihr eine Strähne aus dem Gesicht strich und noch näher an sie herantrat sodass sich ihre Körper beinahe berührten. Er bewegte sich so langsam, als warte er darauf, dass sie ihn zurückstoßen würde, doch das tat sie nicht.
Schließlich zog er sie sanft ganz zu sich heran und beugte sich zu ihr hinab.
Misha schloss die Augen, als seine Lippen die ihren berührten und all die Nervosität schien plötzlich von ihnen beiden abzufallen. Nur das Kribbeln in ihrem Bauch verstärkte sich, doch es war ein gutes Gefühl.
Als Mikush sich wieder von ihr löste, ebbte das Gefühl in ihrem Bauch nicht ab und es ließ sie leicht lächeln.
Der junge Russe erwiderte ihr Lächeln und fuhr sich anscheinend noch immer etwas nervös durch sein Haar.
Sie nahm seine Hand und diesmal war es sie, die ihn zu sich herabzog und sanft ihre Lippen auf seine drückte.
„Ich liebe dich", sie sagte es etwas holprig auf Russisch und zauberte ihn somit das wunderbare Funkeln in seine Augen, das sie so liebte.
„Mein Sokrovishche." Das Wort hatte er ihr vor langem einmal beigebracht und es klang so viel schöner als ‚Schatz' auf Englisch.
„Das Stargateprogramm ist mein Geheimnis." Sie wusste, dass er genauso wie sie eine Verschwiegenheitserklärung würde unterschreiben müssen, doch es fühlte sich das erste Mal richtig an ihm davon zu erzählen.
Sie führte ihm zu ihrem Bett und begann zu erzählen.
Er hielt sie dabei ganz fest fest und sie kuschelte sich an ihn.
Die Fünfzehnjährige hatte die ganze Zeit die Augen geschlossen, in Erwartung, dass die Erinnerungen sie mit sich ziehen würden, doch es tat erstaunlich gut darüber zu reden.
Misha erzählte ihm auch, dass sie dem Stargateprogramm hatte beitreten wollen und er hielt sie nur fest, als die Tränen doch kamen.
„Sch", wisperte er ihr ins Ohr, seine Stimme zitterte ebenfalls ein wenig, als müsste er sich selbst vom Weinen abhalten.
„Es war mein Traum", hauchte sie. „Alles was ich getan habe, lief auf dieses eine Ziel hinaus. Was soll ich jetzt nur tun?"
„Du kannst deinen Traum immer noch verwirklichen", erwiderte er und strich ihr sanft die Tränen von den Wangen. „Zusammen schaffen wir das. Du brauchst einfach noch Zeit. Es ist doch gerade erst ein wenig mehr als ein Monat vergangen seitdem das alles passiert ist. Glaub mir gemeinsam wird alles einfacher. Du bist nicht allein."
Seine Worte zauberten ein Lächeln auf ihre Lippen. Es wäre so schön wenn sie alles vergessen, oder die Zeit einfach zurückdrehen könnte. Sie wollte wieder wirklich glücklich sein.
Langsam stand sie von ihrem Bett auf und kramte die Notizen heraus, die sie sich im Stargatecenter gemacht hatte. Es versetzte ihr einen kleinen Stich sie zu sehen, doch sie nahm sie entschlossen in die Hand.
„Ich will es versuchen." Mikush drückte ihre Hand und sah neugierig auf die vollgeschriebenen Seiten.
Sie lehnte sich gegen seine Brust zurück und begann ihn zu erklären was es mit ihren Notizen auf sich hatte. Es tat so gut sie mit ihm durchzugehen, dass sie am liebsten laut gelacht hätte, doch sie verkniff es sich.
Mikush gab ihr wieder eine Perspektive. Er würde ihr helfen und sie hoffte sie konnte bei ihm genauso vergessen wie bei Daniel. Sie hoffte so sehr, dass sie es gemeinsam schafften ihre Träume zu erfüllen.
Es wäre so schön gemeinsam mit ihm fremde Planeten zu erkunden.
„Weißt du was?" Sie schob die Notizen, die sie über das gesamte Bett verstreut hatte beiseite und setzte sich auf um ihm in die Augen sehen zu können, „Fangen wir doch jetzt schon an unseren Traum zu leben. Unser gemeinsames Abenteuer wie unsere Forschungen im Wald, nur dass wir diesmal unsere Vorstellungskraft brauchen."
Der junge Russe grinste sie an und zog sie zurück zu sich.
„Also ich dachte da an einen Planeten mit einem Volk, dass keine Gewalt kennt." Die Nox waren ihr einfach nicht mehr aus dem Sinn gegangen und sie wollte sie gemeinsam mit ihrem Freund erforschen.
„Und es gibt riesige alte Ruinen, die wir erforschen können." Sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören und sie seufzte leise.
„Ja das wäre perfekt", stimmte sie zu und schloss die Augen, um es sich vorzustellen.
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