Schmollmund
„Guck mal, Karsten, da ziehst du so einen richtigen Schmollmund!", rief seine Mutti und deutete auf ein bestimmtes Foto im Familienalbum. Es zeigte einen etwa siebenjährigen Jungen, mit bockig überkreuzten Armen und finsterer Miene.
„Nu pack das weg Mutti, das ist doch peinlich", schmollte der selbe Junge in groß neben ihr auf dem Sofa.
„Nein, warum denn? Alle Kinder hatten damals solche Frottee-Hosen an und so ein T-Shirt mit Pokemon wolltest du unbedingt haben!"
„Du bist meine Mutter, du hättest das verhindern können", maulte Karsten und schaute sich um, in der Hoffnung, dass ihr begeisterter Ausruf in der Wohnung verhallt war. Doch so viel Glück hatte er nicht. Im selben Moment kam sein Verlobter aus der Küche zurück, wo er, um seine Fähigkeiten als Schwiegersohn zu beweisen, das benutzte Kaffeegeschirr in den Geschirrspüler geräumt hatte.
„Was gibt's denn hier Schönes?", erkundigte sich Moritz und ließ sich neben seinen Moppel auf das Sofa plumpsen.
„Gar nichts. Nur alte Kamellen", druckste Karsten, der im Grunde schon aufgegeben hatte. Wenn seine Mutter erstmal mit diesen Fotos anfing, hörte sie so schnell nicht wieder auf. Moritz legte ihm einen Arm um und linste hinüber.
„Ist doch süß", fand er und grinste. „Du hast dich kaum verändert."
Das war zu viel für Karsten, der in einer schlichten Jeans mit Schlag, einer modischen Wickelbluse im Kimono-Style und ohne jede Perücke zu diesem Sonntagskaffee bei Muttern gekommen war.
„Wie kannst du das sagen? Trage ich etwa noch Frottee oder Pokemon?"
„Das nicht", fand Moritz und drückte seinem echauffierten Süßen einen Schmatzer auf die Wange. „Aber einen gewissen Hang zur Dramatik, was dein Styling betrifft, das kannst du nicht leugnen, hattest du schon immer."
„Und du hast keine peinlichen Kinderfotos, oder was? Nächste Woche besuchen wir deine Eltern, dann wollen wir mal sehen."
„Uh, schaut mal hier", rief Mutti jetzt in neuer Begeisterung und zeigte auf ein anderes Bild.
„Oh Gott!", entfuhr es Karsten.
Moritz staunte nicht schlecht. Da war ein Foto von Karsten in einer Leggings mit Leo-Print und einem bauchfreien Oberteil.
„Na, wer sexy sein will, übt aber früh! Wie alt warst du da?"
„Du findest das sexy?"
„Also, weil ich weiß, dass du es bist."
„Na, toll!"
„Da war unser Karsten vierzehn und sein ganzes Zimmer war voll mit Postern von dieser Mädchen-Band", informierte Mutti nun ungefragt. „Wie hießen die doch?"
„Das waren die Spice-Girls, Mama."
Moritz schaute das Foto noch einmal genauer an.
„Jetzt seh ich es auch, Schatz. Du siehst aus wie Mel C."
„Du Spinner, das soll Ginger Spice sein."
„Jetzt schmoll doch nicht. In jedem Fall siehst du aus wie eine von den Mädels."
„Als ob du dich mit den Spice Girls auskennst."
Karsten war nun hin und her gerissen. Irgendwie war das ja schon schmeichelhaft, dass Moritz ihn mit der göttlichen Mel C verwechselt hatte. Andererseits waren diese ersten Versuche, seine weibliche Seite zu zeigen, schon etwas peinlich. Der Lippenstift auf dem Foto passte jedenfalls gar nicht zu seinem Teint.
„Hab ich was verpasst? Auf der Treppe klang es nach Tumult."
Karstens Vati war aus dem Keller zurück und hatte, wie versprochen, eine gute Flasche Wein mitgebracht.
„Mutti guckt Fotos."
„Das ist doch schön", fand Karstens Vater. „Immerhin wollt ihr bald heiraten und da sollte Moritz alles über dich wissen."
Während er den Wein öffnete, zwinkerte Vati seinem Schwiegersohn in spe zu.
„Er weiß doch schon alles", verteidigte Karsten seine Position.
„Zeig dem Moritz doch mal die Fotos von der Abi-Feier", schlug sein Vater nun vor.
„Nein!"
„Eingeschenkt ist!"
Schnell schnappte sich Karsten ein Glas. Wenn das hier so weiter ging, dann brauchte er ein, zwei Schlückchen. Er nippte an dem guten Tropfen und schaute zu seinem Moritz. Dieser lächelte und beugte sich dann vor, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Ganz leise, sodass Mutti und Vati es nicht mitbekamen: „Nachher zuhause, mach ich das wieder gut, Ginger Spice."
Jetzt grinste Karsten. Vor allem, weil sein Süßer die geflüsterten Worte mit einem angedeuteten Kussmund unterstrich. Da wurde ihm doch glatt warm auf dem Sofa. Entweder vom Wein oder wegen Moritz.
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