Revue
„Du könntest dich ruhig ein bisschen mehr für die neue Revue interessieren, mein Mo!", maulte Karsten, der bereits das sechste neue Bühnenoutfit vor dem Spiegel anprobierte, als er seinen Süßen dabei ertappte, wie dieser kurz nebenher aus dem Fenster sah. Moritz richtete seinen Blick sofort zurück auf das pfirsichfarbene Paillettenkleid, in dem sich sein Freund drehte, wobei er den Bauch einzog.
„Du bist viel zu aufgeregt", gab er zurück. „Nach der langen Corona-Pause sind deine Fans ganz wild darauf, Charlene wieder live auf der Bühne zu sehen. Da könntest du auch in einem Müllsack auftreten und nur improvisieren."
Karsten, beziehungsweise Charlene verdrehte gespielt genervt, weil insgeheim geschmeichelt, die Augen und ließ ein schnippisches „Tzz tzz, so weit kommt es ja zum Glück nicht!" hören. „Jetzt mach dich mal nützlich", fuhr sie fort.
Moritz kannte diesen Zustand und hatte gelernt, ihn als eine Art langes rituelles Vorspiel zu genießen. „Was darf ich Madame denn jetzt reichen?", bot er an und sah sich in Karsten/ Charlenes kreativem Chaos um. Die Nähmaschine auf dem Schneidertisch ragte nur noch mit Mühe aus diversen bereits ausprobierten und noch um den drallen Travestiestar zu drapierenden Stoffen und Accessoires heraus.
„Reich mir mal das kleine Schwarze!"
Ungläubisch schaute sich Moritz um. Da lag zwischen Federboas und Glitzertütü nirgendwo etwas, was auch nur annähernd wie Coco Chanels Klassiker für die Dame von Welt aussah.
„Ich find hier nix", gab er zu, während er im Augenwinkel sehen konnte, wie sich seine Meisterin Propper etwas unelegant aus dem pfirsichfarbenen, zu engen Fummel herauswand.
„Es ist eben auch klein."
Charlene suchte nun ihrerseits bereits in einem Wäschekorb mit Federn und Ponpons nach irgendetwas, während ihr hübscher Verlobter mit einem leisen Seufzer ein wenig Verzweiflung vorgab und weitersuchte. Endlich fand er einen schlichten schwarzen Gymnastikanzug in Größe 48. Klein war natürlich nach Charlenes Maßstäben relativ.
„Meinst du das hier, Puddingbrumsel?" Halb triumphierend hielt Moritz das Teil seinem Süßen entgegen.
„Ja! Jetzt gib schon her!", verlangte dieser mit einer gewissen Bestimmtheit und begann damit, sich hineinzuzwängeln. Moritz staunte inzwischen nicht schlecht, denn Karsten/ Charlene hatte sich in der Zwischenzeit einen Haarreifen mit Bunny-Ohren aufgesetzt. Ach, daher wehte der Wind!
„Du willst in diesem kleinen Schwarzen als Osterhase auftreten?", fragte er nach, obwohl das nun wirklich offensichtlich war.
„Ja, findest du es zu schlicht?"
Moritz fühlte sich ertappt und spürte, wie ihm ganz heiß wurde. Zu schlicht? So eine Frage hatte ihm sein Süßer nun wirklich noch nie gestellt.
„Ach nein!", improvisierte Moritz deshalb. „Es wird gerade darum umso effektvoller sein, weil keiner mit so einer existentialistischen Interpretation rechnet ..."
„Das ist ja soo wahr!", flötete Charlene zufrieden und ließ es zu, dass Moritz ihr dabei half, den Anzug um das Hüftgold herum glattzuziehen.
„Aber da fehlt noch was!", rief sie dann aus. „Rate!"
In Moritz' Vorstellung blitzten jetzt diverse Bilder von Osterhasen, Playboybunnys, der Werbung und Eartha Kitt auf. Etwas ratlos griff er dann nach einem pink-glänzenden Rucksack, der an einem Stuhl hing und – mit viel Glück – bereits zu dem Zweck dort auf seinen Einsatz lauerte. Er trat damit hinter seinen Süßen und half ihm in die Gurte hinein, wie wenn man in einen Mantel hilft.
„Danke dir, mein Mo. Du bist ein echter Gentleman!", flötete Charlene. „Da kann ich die Ostereierchen drin transportieren!"
Zufrieden mit sich und Charlene, drückte Moritz seinem Dicken jetzt ein Küsschen von hinten an die Wange.
„Aber es fehlt noch immer etwas gaaanz Wichtiges!", fuhr Charlene sogleich fort. „Was wäre wohl ein Osterhase ohne ... lange Ohren ...", hierbei deutete sie auf ihren Haarreifen, „uuund ...", nun begann sie mit dem Popo zu wackeln, da fiel der Groschen.
„... ein dickes fettes Wuschelschwänzchen!", vollendete Moritz den Satz.
Charlene schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, weil er richtig geraten hatte. „Das ist da irgendwo im Körbchen", flötete sie und sah zu, wie ihr Mo sich ohne Umschweife auf die Suche machte. Endlich hatte er einen großen, weißen Puschel gefunden, kam damit zurück und heftete ihn mit einer Sicherheitsnadel an.
„Du siehst umwerfend aus", fand er.
Charlene fand das auch. Sie drehte sich erst noch zweimal vor dem Spiegel in die Runde und beschloss, für heute sei genug an der neuen Revue gearbeitet. Es wäre jetzt wirklich an der Zeit für ein anderes Vergnügen, das sich Moritz redlich verdient hatte.
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