Puderzucker

Im Grunde war Moritz nicht über die Maße neugierig. Karsten/ Charlenes neuste Idee würde ihn noch früh genug wie der regenbogenfarbene Glitzerblitz treffen, das war immer so. Also beschloss er, erstmal einen Tee zu machen und vielleicht auch schon Spaghettiwasser fürs Abendessen aufzusetzen. Zum Essen war Karsten immer pünktlich, geradeso wie ein Kater, der immer genau wusste, wann es was gab. Bei diesem Gedanken grinste Moritz so vor sich hin, als es plötzlich schellte. Nanu? Gerade schoss es ihm in den Sinn, dass jetzt hoffentlich nicht seine Mutter spontan vorbeikäme - zu so etwas war sie in der Vorweihnachtszeit tatsächlich fähig! - als ein regelrechtes Sturmläuten einsetzte.

Das war Karsten!

Hatte er seinen Schlüssel vergessen? Gleichzeitig vibrierte jetzt auch noch das Handy hinten in der Hosentasche.

Charlene, ganz klar!

Eilig ging Moritz ran und hastete gleichzeitig bereits zur Tür.

„Was ist denn, mein Moppel? Ich komme schon!", maulte er am Telefon, erreichte das Treppenhaus und rief hinunter: „Jetzt beruhig dich, ich bin gleich da!"

„Mach hin! Das Zeug ist schwer!", drängelte Karsten fünf Stockwerke weiter unten.

Moritz seufzte und eilte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, treppab. Sein Süßer musste irgendetwas eingekauft haben, was er nicht allein noch oben tragen oder kurz im Flur stehen lassen konnte. Einkaufstaschen, gerade gefüllte, wurden gern geklaut, egal was drin war.

Unten angekommen kam sich Moritz nicht halb so sehr außer Atem vor, wie sein Bärchen. Karsten lehnte japsend an der gekachelten Wand, eine große Tüte vom Discounter an ihn gestützt. Er musste sie bestimmt um die fünfhundert Meter geschleppt haben, der Ärmste.

„Na endlich, mein Mo!", keuchte er hervor und klimperte ein wenig mit den Wimpern, was auf Charlene deutete, aber auch der körperlichen Erschöpfung geschuldet sein mochte. Moriz verdrängte den Gedanken, dass es irgendwie nicht zusammenpasste, wie sehr Karsten wegen des Einkaufs litt und wie unermüdlich er andererseits übte, wenn er eine neue Abba-Nummer für seine Show einstudierte.

„Was hast du denn da drin?", fragte Moritz neugierig und drückte Karsten quasi als Versicherung, dass jetzt alles gut wird, weil sein Ritter ohne Pferd nun bei ihm war, einen Begrüßungsschmatzer auf die rote Wange. Ein Blick in die Tüte erklärte alles. Puderzucker! Und offenbar kiloweise ...

„Stell dir vor", begann Karsten mit Charlenes Stimme zu flöten, „die hatten ein super Sonderangebot. Pro Päckchen vierzig Cent billiger!"

„Is ja toll", fand Mo, auch wenn er noch immer nicht kapierte, warum sein Brausebär so um die dreißigmal Puderzucker in der 250-Gramm-Packung zusammengeraubt hatte. „Planst du eine Zuckerorgie oder willst du damit die Bühne einschneien?"

„Die Bühne? Papperlapapp!", wehrte Karsten ab, nahm zwei Päckchen heraus und deutete mit einem Kopfnicken an, dass Moritz jetzt die Tüte tragen solle. So gings in gemächlichem Tempo treppauf.

„Du hast", begann Moritz gleich darauf, „das mit der Orgie so verdächtig gar nicht abgewehrt ..."
Trotz der schweren Last schritt er voran und konnte hören, wie sein Süßer hinter ihm mit seinem nächsten Schlurfschritt zögerte. Also hatte Mo ins Schwarze getroffen.

„Jetzt sag schon, was du vorhast."

„Ich frage mich gerade, ob du immer an was Sexuelles denkst, wenn das das erste ist, was dir dazu einfällt, wenn ich Puderzucker im Angebot kaufe."

Nein, ganz sicher nicht, fand der hübsche Brünette, aber er kannte eben seine Wuchtbrumme nur zu gut.
„Mit so einem Schnäppchen im Advent, da planst du doch was", gab er zurück. „Jetzt spuck's aus."

Sie hatten gerade den Treppenabsatz im 2. Stock bei Oma Korittkes Tür erreicht und Moritz hielt an, um seinem Partner in die mit falschen Wimpern umklebten Augen zu schauen. Karsten holte erstmal tief Luft.

„Na schön, du hast mich erwischt, mein Mo. Das ist für unsere diesjährige Weihnachtskarte."

„Vergiss es! Wir haben doch letzte Woche schon Vorhänge gewaschen und jetzt willst du alles mit Puderzucker einstäuben?"

„Wie kommst du denn darauf?", wehrte Karsten ab. „Das wird dein Kostüm!"

„Mein was?"

Moritz blinzelte einigermaßen überrascht. „Wie stellst du dir das denn vor? Bin ich ein Schneemann, eine Schneewehe?"

„Ach i wo!", zwitscherte Karsten. Er fand es nur zu köstlich, seinen Mo ein wenig aufzuziehen, wenn der mal wieder auf der Leitung stand. „Du erinnerst dich doch sicher an meinen furiosen Auftritt an Halloween als Disneys Meerhexe Ursula?"

„Wie könnte ich den vergessen, ich musste fast nackt aus deinem Hexenkessel springen, während sich die Band vom Club dauernd vor Begeisterung verspielt hat."

„Ach, lass doch das!", winkte Charlene ab. „Ich meine natürlich, dass das Hexenkostüm auch super zu Weihnachten passt. So wie bei Hänsel und Gretel und dem Knusperhaus."

„Wenn du das wieder anziehst, platzt es. Wir wollten doch erst ein bisschen Fitness machen und seit es im Supermarkt Spekulatius gibt, bist du bestimmt nicht geschrumpft."

„Das sieht doch auf der Weihnachtskarte keiner, wenn das Kleid hinten nicht zu ist."

Moritz musste das einsehen. Und außerdem kam es ihm so vor, als schaute bei Oma Korittke jemand durch den Türspion.

„Komm jetzt", mahnte er zum Weitergehen.

„Aber doch nicht hier, mein Schnittchen!"

„Himmel!"

Karsten kicherte, raffte aber was los war, und setzte sich mit seinen beiden einzelnen Päckchen wieder in Bewegung.

„Du, mein Mo", begann er ein Stockwerk höher und - wie er fand - in sicherer Entfernung von der voyeuristischen älteren Dame, „bist dabei natürlich mal wieder die Hauptattraktion."

„Erklär mir das, wenn wir drinnen sind", schlug Moritz vor und bekam inzwischen lange Arme vom Tragen. Was sollten sie mit sieben oder acht Kilo von dem Zeug?

Charlene sah das gar nicht ein, denn gerade näherten sie sich der Tür von dem ollen Spießerpärchen unter ihnen, dass immer mit dem Besenstiel an die Decke pochte, wenn es oben mal etwas lauter wurde. Die konnten tatsächlich Charlenes Dance-Moves von anderen Geräuschen nicht unterscheiden und die einzig logische Erklärung - so Karsten - war natürlich deren eigene unfreiwillige sexuelle Enthaltsamkeit. Jede Wette.

„Ach, weißt du", begann er also betont laut und deutlich, „ich dachte mir, wir ziehen dich aus und dann wird dein Luxuskörper ganz dekorativ komplett mit Zuckerglasur überzogen. Was sagst du?"

Spontan fiel Moritz nun die Tüte aus der Hand, was offenbar genug Rums machte, um Oma Korittke aus der Tür treten zu lassen, was man am Knarzen hören konnte.

„Himmel! Wie kommst du denn wieder darauf?" Moritz war doch einigermaßen erstaunt. „Für das Protokoll: Du bist die begnadete Drag-Queen mit dramatischem Talent, ich bin nur dein harmloser Webdesigner-Verlobter."

Charlene schnaubte überrascht. „Pfff, wem willst du das denn weismachen? Du hast zu einem Weather Girls Song auf der Silberhochzeit meiner Altvorderen um meine Hand angehalten, du hast nur in improvisierter Windel als sexy Jesus für die Karte im letzten Jahr posiert, du warst im klatschmohnroten Fummel mit Perücke im Park bei dem Kate Bush-Event und du hast deinen Sprung aus dem Hexenkessel sichtlich genossen. Muss ich weiterreden?"

Von Oma Korittke drang ein spontanes „Ja" nach oben.

„Omma, geh rein, das hier ist privat!", schnauzte Moritz nach unten.

„Und ihr bleibt schön drinne", drohte Charlene in Richtung Tür vom Spießerpärchen, hinter der man ein gedämpftes Murmeln vernahm.

„Toll, jetzt wissen es alle", stellte ihr Schnittchen fest.

„Und wenn schon. Stell dir das nur mal vor, mein Mo. Ich in diesem rückenfreien ..."

„... notgedrungen rückenfreien ..."

„... hautengen, sexy Schwarzen, du, mit nichts als deinem supersüßen goldfarbenen Tanga ..."
„ ... Oh Himmel!"

„... und dann der guttemperierte, ohne Klümpchen, von deiner Charlene selbst angerührte Zuckerguss, der auf deine Haut tropft, bevor ich ihn mit einem pinkfarbenen Teigschaber ganz langsam ..."

„Schon gut, schon gut!", ächzte Moritz, der sich das alles gerade nur allzu bildlich und gleichermaßen sinnlich vorgestellt hatte. „Lass uns reingehen und gleich anfangen ..."

„Was, jetzt sofort?"

„Na, wenn schon, denn schon. Aber wehe, du schickst diese Karte wieder an meine Eltern. Die kriegen die harmlose von vor drei Jahren, wo ich den Esel dargestellt habe."

„Ach, mein Mo, von mir aus können alle die alte Karte kriegen. Hauptsache, ich darf dich überzuckern. Komm gehen wir rein."

Bei der ganzen Debatte waren die beiden inzwischen oben vor ihrer Wohnung angelangt.

„Oh, wie schön, du hast einen Mistelzweig aufgehängt!", stellte Karsten fest, jetzt, wo er mit all dem Zucker und Moritz darunter stand.

„Ja, das habe ich."

„Na, dann küss mich doch endlich!"

„Nichts lieber als das ...", beendete Moritz endlich das Gespräch.

Wie viel von der Knutscherei vor der Tür sämtliche Nachbarn mitbekamen, ist nicht überliefert.

THE END


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