Ostereier
Gibt es etwas Schöneres als die Zeit im Jahr, wenn der Frühling mit voller Wucht Einzug hält, die Blumen und Bäume blühen, die Frühlingsgefühle einem den Kopf verdrehen und dann auch noch Ostern mit allem drum und dran vor der Tür steht? Also mir fällt da so schnell nichts Besseres ein und für diejenigen unter euch, die sich fragen, wie ich darauf komme, will ich das gern erklären.
Einige von euch kennen mich vielleicht, sonst stelle ich mich einfach nochmal vor. Ich bin der Moritz, der mit dieser total knuffigen Wuchtbrumme zusammen ist, die sich die meiste Zeit Karsten nennt, aber einen echt großen Teil Charlene in sich trägt. Klingt etwas schräg, ist es aber im Grunde nicht. Es ist sogar auf seine Art immer etwas Besonderes für mich, denn wenn ich nachhause komme, kann ich nie ganz sicher sein, welcher von beiden mich begrüßt. Mal ist es mein Bärchen, mal ist es unsere Diva, wie wir manchmal auch über Charlene reden. Was völlig okay ist. Ich für meinen Teil habe aufgehört darüber nachzudenken, ob mich das genau genommen ein bisschen bi macht. Nicht im Bett jedenfalls, so viel weiß ich ganz sicher.
An diesem Nachmittag, von dem ich erzählen möchte, kam ich extra etwas früher vom Job nachhause, weil der Sonnenschein mich rauslockte und ich mir dachte, meinen Superschatz zu überraschen. Einen Spaziergang im Park hatte ich mir vorgestellt und hinterher ein Eis beim Italiener, wo Karsten immer den Tutti-Frutti-Rakete-Becher bestellt, mit zwei Schirmchen und extra viel Glitzer. So kam ich also praktisch auf Zehenspitzen im Treppenhaus hoch und öffnete die Tür mit einem lauten und fröhlichen „Hallo! Ich bin's Schatz. Überraschung!"
Die Reaktion fiel jedoch etwas gedämpfter aus, als ich mir das vorgestellt hatte.
„Mo? Du? Jetzt schon?"
Das war ganz eindeutig Karstens Stimme und nicht das Flöten von Charlene.
„Ja, Bärchen, wo bist du denn?"
Natürlich hatte ich ihn schon vom Ruf her in der Küche lokalisiert und fragte mich, was er da wohl trieb. Für Abendessen war es noch viel zu früh. Möglich also, dass er am Küchentisch irgendein neues Kostüm nähte oder exzessives Online-Shopping bei „Kinky Boots" betrieb. Doch da lag ich falsch. Was er tat, konnte ich nicht gleich erkennen, weil er aufstand, um mich mit einem dicken Schmatzer zu begrüßen.
„Ach, Mo, wie gut, dass du kommst. Hilfst du mir beim Eier auspusten?"
Ich verstand nicht sofort und guckte dämlich. Dann sah ich den Zehnerkarton zwischen jeder Menge buntem Stoff und Glitzerkram auf dem Tisch.
„Was machst du denn?"
„Das sieht man doch: Ostereier."
In der Tat, ja, danach sah es aus.
„Was hast du vor, willst du zehn kleine Oster-Disco-Kugeln herstellen?"
„Pfff, das wäre zu einfach. Du kennst mich besser."
Da hatte er verdammt recht. Sicher war Charlene beteiligt, immerhin lag Zeugs aus ihrem Schminkkoffer herum.
„Okay, Zuckerbär, du hast mich. Ich helfe dir, wenn du mir verrätst, was du daraus machen willst."
Das war der Moment, wo, auch ohne ihr Drag-Outfit, plötzlich Charlene aufblitzte und mit einer für sie typischen Handbewegung auf die Eier zeigte.
„Also, im Grunde brauchen wir nur zehn, wenn welche kaputtgehen. Ich dachte mir, ich gestalte die Eier ganz individuell wie jeden von den Abbas."
„Die Abbas?"
„Ja, die Abbas. Ein Eichen für Benny, ein Eichen für Björn, eins für lecker Anni-Frid und eins für die göttliche Agnetha. Schau, ich hab schon kleine Glitzer-Capes mit 70er-Jahre-Kragen fertig."
Ich schaute, ja, und konnte es kaum glauben. Aus irgendwelchen Tüllresten seiner Bühnenoutfits genäht, lagen da vier kleine Mini-Abba-Capes. Und was soll ich sagen? Ich fand die Idee süß, gab ihm ein Küsschen auf die Wange und wir setzten uns, um ans Werk zu gehen. Eier auspusten ist gar nicht so leicht. Man kriegt einen knallroten Kopf und nicht alle von den zehn Stück überstanden diese Prozedur. Dann erhielt ich die Aufgabe, die Eierköpfe von Björn und Benny zu bemalen und mit blonden und braunen Perückenschnipseln zu bekleben. Den Feinschliff übernahm natürlich Charlene, indem sie auch die Jungs mit Lidschatten versah. Die Göttliche erhielt natürlich extra viel Glitzer auf ihre blonde Mähne und ebenso erging es der leckeren Rothaarigen. Und weil es eben die Abbas werden sollten, war das noch nicht alles.
„Guck mal, die sehen noch viel zu schlicht aus", fand Charlene, als sie ihre Anni-Frid mit aprikosenfarbenem Umhang an einem silbernen Fädchen zwischen den Fingern baumeln ließ. „Ich hole die Sprühkleberpistole und sie kriegen alle noch ein paar Pailletten."
Ich machte mich bereit: Die Sprühkleberpistole. Mit der sah mein Dicker immer aus, als wolle er direkt auf die Enterprise gebeamt werden. Jedenfalls hatten wir einen unglaublichen Spaß dabei. Die Abbas hatten am Ende jeder mindestens drei Federn am Popo kleben, wirkten ein bisschen wie Abba-Aliens, aber was war da auch schon zu erwarten?
„Die sehen echt hammermäßig aus!", fand ich.
„Süß sehen die aus. Aber du bist viel süßer, mein Mo."
„Oh, da hab ich am Ende einen Wunsch frei und wir gehen zur Eisdiele?"
„Unbedingt!", freute sich mein Bärchen. „Ich hatte so lange keine Rakete!"
„Dann nichts wie hin!"
„Ja! Und wo wir noch drei Eier haben, basteln wir morgen die Bee Gees!"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top