Kap. 28
Gegenwart
Doktor Katzuki
Frau Zoe war die erste, die den Raum betrat, in dem wir mit dem Mädchen sprechen durften. Sofort fiel mir der Beamte auf, der sich dicht an der Tür positioniert hatte und den ganzen Raum streng überblickte. Ein einzelner Tisch mit Stühlen befand sich in dem Zimmer. Einfach, schlicht, nur den Zweck erfüllend. Das Mädchen saß schon am Tisch. Ihre Arme waren auf die Tischplatte gelegt. Um ihre Handgelenke strahlten enge Handschellen den nötigen Schutz aus. Ihr braunes langes Haar war wirr und ihre Kleidung bestand einzig und allein nur aus einem T-Shirt und einer Jogginghose.
Vollkommen euphorisch schritt Frau Zoe zu ihr herüber und breitete die Arme aus. Der Beamte, der uns hergeführt hatte, ging augenblicklich dazwischen. »Keinen Körperkontakt!«, knurrte er.
Die Brillenträgerin wirkte zunächst verwirrt, bis sie den Blick senkte und sich auf den Stuhl vor dem Mädchen setzte. Der Beamte positionierte sich hinter der Gefangenen. »Amaya! Ich bin es Hanji. Erkennst du mich?«, fragte die Brünette vorsichtig nach.
Erst jetzt hob die Angesprochene den Kopf und sah Hanji an. Nach kurzen Blickaustausch setzte ich mich neben die Brillenträgerin und musterte das Mädchen. Es war mehr als offensichtlich, dass sie unter Medikamente stand.
»Sie nimmt doch ihre Umgebung wahr, oder etwa nicht?«, hakte ich bei einem Beamten nach.
Dieser zuckte nur mit den Schultern. »Mir egal, ob die was merkt. Solange sie keinen Ärger macht.«
Das war ja eine aufschlussreiche Antwort …
Ich seufzte leise und wandte meinen Kopf wieder zu dem Mädchen. Etwas trübe wanderten ihre Augen zwischen mir und Hanji hin und her. Anscheinend bemerkte sie uns doch. »Amaya! Erkennst du mich?«, wiederholte die Brillenträgerin eindringlicher.
Zögerlich bewegten sich die Mundwinkel des Mädchens nach oben. »Hallo Hanji«, kam es brüchig über ihre Lippen. »Was machst du denn hier?« Hanji weitete die Augen und presste die Lippen, bei dem Anblick von Amaya, zusammen. Es war mehr als offensichtlich, dass sie gerade mit ihren Gefühlen kämpfte.
»Frau Sadaoka, mein Name ist Herr Katzuki, ich bin Psychotherapeut. Sie müssen keine Angst haben. Wir wollen Ihnen lediglich nur ein paar Fragen stellen. Sagen Sie jederzeit Bescheid, wenn es Ihnen zu viel ist«, begann ich das Gespräch. Anfangs blickte mich Amaya neutral an, doch im Laufe meines Satzes wurde ihr Blick immer kühler.
Schon fast so wie bei Herr Ackerman …
»Amaya, weißt du, warum du hier bist?«, schaltete sich Hanji dazwischen. Amaya’s Blick klärte sofort auf, als sie wieder zur Brillenträgerin blickte.
Ein leises Kichern entfloh ihr und sie legte den Kopf schief. »Ist mir egal, wo ich mich aufhalte. Ich habe mein Zuhause schon ewig nicht mehr gesehen«, antwortete sie vom Thema abweichend.
Hanji überlegte kurz. »Warum warst du schon ewig nicht mehr Zuhause, Amaya?«, stellte sie eine neue Frage.
»Na, weil ich jetzt hier bin«, entgegnete die Gefangene selbstverständlich.
Ich merkte, dass wir so nicht weiter kamen. Also traute ich mich, den rabiaten Weg einzuschlagen. »Frau Sadaoka, was hat Herr Ackerman mit Ihnen gemacht?«, kam es über meine Lippen.
Abrupt wandte Hanji ihren Kopf zu mir und flüsterte; »Spinnen Sie?! Sie können doch nicht einfach so -«
»Ach so … ja … Levi … wir wurden getrennt … stimmt ja«, antwortete Amaya nachdenklich, bis sie finster grinste. »Was er wohl macht?« Bei der Erwähnung von Herrn Ackerman, wurden auch die Beamten sichtlich hellhöriger.
»Hat er Ihnen etwas gesagt, kurz bevor sie getrennt wurden, Frau Sadaoka?«, fragte ich weiter. Amaya lehnte sich zurück und legte den Kopf leicht zur Seite. Ihr süffisantes Grinsen verschwand nicht. War dies eine Reaktion auf die Medikamente, oder auf ihn? Was hatte dieser Mann mit diesem Mädchen nur angestellt?
»Ich hatte gerade meinen Spaß«, antwortete sie tonlos. »Doch dann mussten wir uns trennen. Ich versteh’ das nicht. Was soll denn Unrecht daran sein, dass ich diese Hure getötet habe? Sie hat es gewagt, ihn anzufassen«, fuhr sie schmollend fort.
Ich schluckte schwer. Diese Aussage kam ihr nicht gerade zugute. Medikamente hin oder her. Amaya wird sowieso nie wieder einen Fuß aus diesem Gebäude setzen. Mein Blick wanderte kurz zu Frau Zoe. Anhand ihrer Mimik wusste ich, dass ihr diese Tatsache auch bewusst geworden war. Doch im Gegenteil zu mir, scheint ihr die ganze Situation persönlich nahezugehen.
»Amaya, hat er dich gezwungen, das alles zu tun? Was hatte er gegen dich in der Hand?«, kam nun Frau Zoe zu Wort.
Die Angesprochene leckte sich kurz über die Lippen. »Er hat mir aufgezeigt, was für armselige Kreaturen die Menschen doch sind. Ich bin überrascht, Hanji. Hat er nie mit dir geredet?« Die Brillenträgerin zuckte leicht zurück, ehe sie den Kopf schüttelte. »Naja«, seufzte Amaya, »ich bin ja auch seine Auserwählte. Ich hoffe nur, ich sehe ihn bald wieder. Das alles hier ödet mich an.«
Ich runzelte die Stirn. Auserwählte? Es war mehr als offensichtlich, dass Frau Sadaoka dem Stockholmsyndrom erliegen war. Aber diese Worte klangen fast wie von einer Sekte. »Warum sollte er Sie noch sehen wollen? Sie haben sich fangen lassen. Vielleicht sind Sie in seinen Augen nicht mehr würdig, an seiner Seite zu sein«, warf ich provokant ein.
Amaya’s Augen weiteten sich und ihr Körper spannte sich an. »Wie kannst du es wagen …!«, zischte sie aufgebracht und beugte sich ruckartig in meine Richtung vor. »Ich bring’ dich um! Ich schneide dir die Zunge raus!«, brüllte sie. Hanji stand geschockt auf. Ich jedoch blieb einfach sitzen, denn die Beamten hatten Frau Sadaoka schon längst festgehalten.
»Das haben Sie sich gerade selbst verbockt, Doc!«, brummte einer der Beamten. »Sie sollten jetzt gehen!«
Hanji blickte Amaya traurig an, ehe sie zögerlich nickte und mich mit einem ernsten Blick bedachte. Frau Sadaoka tat es ihr gleich. Wobei ihr Blick mehr tödlich war. Sofort sprang die Tür auf und zwei Pfleger traten in den Raum. Diese gingen zielstrebig zu der wütenden Patienten und einer setzte die Spritze an ihren Arm an.
»Er wird Sie finden!«, murmelte Amaya halb benebelt, ehe sie komplett weggetreten war durch das Mittel. Ohne ein Wort nickte ich den Beamten nur zu und verließ mit Frau Zoe den Raum.
»Können Sie mir mal erklären, was das sollte?!«, herrschte mich die Brillenträgerin an, als wir den langen Flur entlang gingen. »Ich dachte, Sie wollten Informationen von ihr erhalten. Jetzt haben Sie sie aber komplett gegen sich aufgebracht. Es war doch abzusehen, dass sie so nichts sagt.«
»Im Gegenteil«, entgegnete ich ihr, »sie hat ziemlich viel erzählt. Sie ist eindeutig abhängig von Herrn Ackerman. In ihren Wahn schreckt sie nicht einmal davor zurück, jeden zu töten, der ihm zu nahe kommt, der eine Gefahr darstellen könnte, sich zwischen ihm und ihr zu drängen.«
»Und?! Diese Information sagt uns noch lange nicht, wo Levi ist!«, schnaubte Hanji und fuhr sich durchs Haar. Ich schloss kurz die Augen und atmete durch.
»Es wird wahrscheinlich so kommen, wie Frau Sadaoka sagt. Er wird mich aufsuchen«, murmelte ich ernst und öffnete die Tür nach draußen.
Frau Zoe blieb kurz hinter mir stehen. »Was?! Dann müssen Sie dies doch der Polizei mittei -«
»Keine Sorge. Ich weiß, dass nichts passieren wird. Ich habe jetzt auch noch einen Termin. Bitte entschuldigen Sie mich.« Mit diesen Worten ließ ich Frau Zoe zurück und schritt Richtung Parkplatz.
*
»Vielen Dank, dass Sie Zeit gefunden haben, Frau Magnolia«, begrüßte ich die rothaarige junge Frau, und setzte mich an den Tisch des Cafés. Auch wenn ihre Augen einen aufgeweckten Ausdruck ausstrahlten, so war ihre Körperhaltung doch leicht angespannt. »Sie wissen, dass Sie jederzeit das Gespräch abbrechen können, wenn es Ihnen unangenehm ist«, merkte ich an.
Frau Magnolia nickte. »Es ist nicht das erste Mal, dass man mich wegen Levi befragt«, entgegnete sie leise.
»Anhand Ihrer Nachrichten entnehme ich, dass Sie und Herr Ackerman befreundet waren?«, gab ich an und packte meinen Notizblock aus.
»Befreundet ist übertrieben«, murmelte sie. »Er hat mich akzeptiert, drücken wir es so aus. Weil ich die Freundin seines Mitbewohners war.«
Ich hob eine Braue. »Herr Ackerman hatte damals einen Mitbewohner?«
Erneut nickte Frau Magnolia. »Nun ja, er war vielmehr bei Furlan untergekommen. Aber nicht lange. Ich glaube nur drei Monate, bevor diese Sache passierte.«
Meine Miene wurde ernst. »Diese Sache?«
Die Rothaarige wirkte ängstlich und gequält. Mit zusammen gepressten Lippen krallte sie ihre Finger ineinander. »Ja. Bevor … bevor Furlan in diese Einrichtung musste, wenn das nicht gewesen wäre, müsste er heute keine Tabletten nehmen. Er könnte ein ganz normales Leben führen. Die Symptome wurden sogar noch schlimmer, als wir erfuhren, dass Levi, wegen guter Führung rauskam. Doch sie hätten ihn da behalten sollen! Dieser Mann ist eine tickende Zeitbombe und das gefährliche ist, dass er es verbergen kann.«
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