Kap. 26
Gegenwart
Doktor Katsuki
Etwas irritiert saß Frau Zoe vor mir. Doch womöglich wirkte sie nur so auf mich. Ihre ganze Art war schon immer etwas energiegeladen. Sie steckte voller Tatendrang, auch wenn es den Anschein erweckte, dass sie nicht so recht wusste, wohin mit dem ganzen Antrieb. Dadurch erschien sie auch etwas planlos. Aber ich arbeitete schon mit ihr zusammen, seid das Gericht mich an Herrn Ackerman’s Seite gestellt hatte.
Ungläubig wanderten ihre Augen über das Papier, während sie immer wieder ihre Brille richtete. »Das ist doch ein schlechter Scherz!«, murmelte sie und sah zu mir auf. »Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie davon nichts bemerkt haben!«
Ich verzog meine Mundwinkel und verschränkte die Arme. »Frau Zoe, ich bin zwar Therapeut, aber auch nur ein Mensch. Wie soll ich es ausdrücken? Dieser Mann ist, was man im Allgemeinen bezeichnet, ein Psychopath. Sie schaffen es spielend, die Leute um sich herum zu manipulieren. Selbst ich bin da keine Ausnahme. Da bringen nicht einmal die ganzen Tests was, wenn der Patient sich verstellt.«
»Soll das Ihre Ausrede sein? Ihre Entschuldigung? Hören Sie! Es sind fünf Leute umgekommen! Das binnen zwei Monate!«, schnaubte sie aufgebracht und lehnte sich im Stuhl zurück. Angestrengt massierte sie sich den Nasenrücken. »Oh Gott … und dieses Mädchen …«, nuschelte sie. Natürlich war ich mir der Konsequenzen bewusst, die beruflich auf mich zukommen würden. Und meine Unwissenheit sollte die ganze Situation auf keinen Fall entschuldigen.
»Wann kommt hier denn jetzt einer und holt uns ab?«, herrschte Frau Zoe’s Stimme scharf durch den Raum des Forensik-Gebäudes. »Und Sie sind sicher, man kann mit ihr reden? Sie ist wirklich ansprechbar?«, wandte sich die Brünette wieder an mich.
Ich nickte. »So hat es mir der Beamte vorgetragen. Die Medikamente scheinen wohl gut anzuschlagen. Nach wie vor ist sich die Staatsanwaltschaft noch nicht über das Urteil einig. Aber es wird wohl darauf hinauslaufen, dass sie unzurechnungsfähig war, als dies alles passierte. Wenn man bedenkt, was sie alles hinter sich hat«, erklärte ich tonlos.
Frau Zoe schüttelte fassungslos den Kopf. »Es ist auch meine Schuld. Ich hätte diesem Arbeitsprojekt niemals zustimmen dürfen! Aber es lief doch alles so gut! Er schien sich wirklich im Griff zuhaben! Er hatte sogar eine Festeinstellung gefunden! Auch wenn seine Bilder düster waren, so hat er sich doch mit etwas beschäftigt, verstehen Sie?«
Ich senkte meinen Blick und schüttelte den Kopf. »Dieser Mann hat sein gesamtes Umfeld manipuliert und hinters Licht geführt. Er hatte sich ein zweites Leben von außen hin aufgebaut, um den Schein für die Gesellschaft zu wahren. Doch die Beamten haben dennoch weiter in seinem Umfeld und in seiner Vergangenheit geschnüffelt, wenn ich es mal so bezeichnen darf.«
»Ja, und? Was ändert das jetzt? Das was passiert ist -«
»Ist auf seine Vergangenheit zurückzuführen, Frau Zoe!«, unterbrach ich sie streng. »Sie halten nicht viel davon, sich die Akten ihre Klienten durchzulesen, oder?!«
Die Brillenträgerin schnaubte kurz auf. »Ich will meine Klienten nicht schon im Vorfeld verurteilen, bevor ich sie überhaupt kennengelernt habe«, rechtfertigte sie sich kleinlaut.
Ich seufzte auf. »Im Endeffekt haben Sie recht. Es ändert jetzt auch nichts mehr an dem was passiert ist. Vor wenigen Tagen ließen mir die Beamten ihre Nachforschungen zukommen. All das, was ich so lange Zeit versucht hatte aus Herr Ackerman heraus zubekommen, steht in diesen Aufzeichnungen und lässt durchblicken, was für ein Mensch er ist.« Frau Zoe’s Brillengläser funkelten auf, und ich wusste, ich hatte ihr Interesse. »Hat er Ihnen jemals etwas von sich erzählt?«, fragte ich nach und faltete meine Finger ineinander.
»Nein. Nicht wirklich. Ich habe aber um ehrlich zu sein auch nie nachgefragt.«
»In einer Aussage kann ich Herr Ackerman zustimmen. Seine Kindheit war nicht schön -«
»Beschissen«, unterbrach sie mich mit Unterton.
Ich räusperte mich kurz. »Ich wollte mich so nun nicht ausdrücken. Aber, gut, ja, sie war beschissen. Seine Mutter starb als er sieben Jahre alt war. Daraufhin kam er wohl in die Obhut seines Onkels. Dieser ist wohl auch der ausschlaggebende Punkt für Herrn Ackerman’s Störungen.«
»Sie wollen also damit sagen, dass dieser Onkel vorbestraft war, nicht wahr?!«
Wiedermal nickte ich. »Erpressung, Körperverletzung, Dealerei, Missbrauch, Morddrohungen, Vergewaltigung. Dieser Mann hatte so einiges auf sich geladen.«
»Das erklärt vieles, aber nicht alles. Ich arbeite mit Menschen zusammen, die auch in einem abgrundtiefen Verhältnis aufgewachsen sind. Dennoch wurden aus den meisten keine Mörder!«, erklärte Frau Zoe ungehalten.
»Wissen Sie, was man in dem Versteck gefunden hat, wo er das Mädchen festhielt?«, wechselte ich abrupt das Thema.
Die Brillenträgerin schüttelte den Kopf und zeigte auf die Akte vor sich. »Das stand nicht im Bericht.«
»Die Asche seiner Mutter.«
Frau Zoe öffnete den Mund, aber ihr entfloh kein einziger Ton. Fassungslos vergrub sie ihre Finger in den Haaren. »Wie kann es sein, dass man so etwas einem Menschen nicht ansieht?«
Zögerlich öffnete ich den Mund für eine Antwort, doch in dem Moment öffnete sich die Tür und ein Beamter trat mit strenger Miene herein.
Augenblicklich erhob sich Frau Zoe geräuschvoll.
»Wird ja auch Zeit!« Der großgewachsene Mann reagierte jedoch nicht auf ihre Bemerkung und wies uns mit einem Kopfnicken an, ihm zu folgen. Zum zweiten Mal schritten wir den langen, ungemütlichen, kargen Flur entlang, einen Treppenaufgang hinauf in ein Nebengebäude. Nachdem wir gefühlte etliche Türen hinter uns gelassen hatten, standen wir vor dem Raum, in dem wir auf das Mädchen treffen sollten.
Das kurze Vibrieren meines Handys ließ mich aufsehen. Mit einer leichten Verbeugung entschuldigte ich mich und wandte mich um.
Zügig sah ich auf das Display.
Gut. Frau Magnolia hatte dem Treffen zugestimmt. Auch wenn es eh nichts mehr brachte. Ich wollte dennoch mehr über Herr Ackerman erfahren.
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