Kap. 2
Amaya
Sichtlich nervös rutschte ich auf meinem Platz hin und her. Ich legte den Ordner auf meinen Schoss und hoffte so meine bebenden Beine zu verbergen.
Warum starrte er mich denn die ganze Zeit so an?
Seine Augen schienen förmlich in mein Innerstes blicken zu können. Unsicher presste ich die Lippen zusammen, und schlug den Ordner auf. Dabei schweifte mein Blick kurz zu Hanji's Armbanduhr.
Er starrte mich schon ganze sechs Minuten lang an?!
Augenblicklich musste ich an das bestimmte Sprichwort denken; Blickkontakt, der über sechs Minuten anhält, drückt entweder Verlangen, oder Mordlust aus.
Doch bei Herr Ackerman wusste ich absolut nicht, was zutraf. Wahrscheinlich hatte er keinen Grund, dies zu tun. Seine Mimik strahlte vollkommenes Desinteresse und Langeweile aus.
»Ähm ... T-Tsujido hat einige Fragen vorbereitet, bezüglich ihrer Abschlussarbeit«, begann ich brüchig zu erklären. »Wenn ... wenn Ihnen einige Fragen unangenehm sein sollten, steht es Ihnen natürlich frei, diese nicht zu beant -«
»Stellst du gerade eine Regel auf?! In meinem Haus?!«, unterbrach Herr Ackerman mich scharf.
Zögernd sah ich von den Unterlagen auf.
Verdammt! Tsujido! Wieso musstest du mir diesen Bogen auch erst auf den letzten Drücker geben?! Ich hatte gar keine Zeit, diesen zu überfliegen. Es war wie ein Sprung in die ungewisse Tiefe!
Herr Ackerman starrte mich weiterhin, ohne Regung an und überschlug ein Bein. Mein Puls dröhnte in den Ohren. Meine Kehle schnürte sich zu. Ich hatte das Gefühl, seine dunkle Aura griff nach meinem Bewusstsein.
Ich zuckte zusammen, als Hanji ihre Hand auf meine Schulter legte. Zum ersten Mal sah ich sie mit ernstem Gesichtsausdruck.
»Was haben wir abgemacht, Levi?!«, wandte sie sich zu ihm. »Hör auf mit diesen Spielchen! Du wusstest von den Fragen.«
»Tcch!« Endlich brach sein Blickkontakt zu mir ab und er drehte monoton den Kopf zur Seite. »Aber nicht davon, dass Regeln aufgestellt werden, Vierauge! Es ist jawohl selbstverständlich, dass ich in meinem Haus nichts beantworte, was mir nicht in den Kram passt!«, knurrte er und atmete hörbar aus. »Fang schon an, Göre!«
»J-Jawohl!«, presste ich angestrengt hervor und blickte aufs Blatt.
»Ich sagte doch, sie ist devot«, murmelte er finster amüsiert.
Ich schluckte schwer und versuchte seine Aussage einfach zu ignorieren. Um so schneller konnte ich hier weg!
Ich räusperte mich kurz und atmete noch einmal durch. »Sie haben schon im Kindesalter Verbrechen begannen. Glauben Sie, dass dieses Verhalten von ihrem Umfeld aus beeinflusst w -«
»Mein Haus, meine Regeln! Bei jeder Frage, die du stellst, stelle ich dir eine Gegenfrage, Sadaoka!«, unterbrach er mich erneut scharf.
Ich schluckte schwer und blinzelte irritiert. »W-Was?!«
»Wäre doch wirklich schade, wenn Tsujido ihre Abschlussarbeit nicht bestehen würde, oder?«
»Levi! Was hatte ich gesa -«
»Gut. Einverstanden«, durchbrach ich Hanji's Eingreifen. »Doch auch mir obliegt es, ob ich sie beantworte!« Ein bisschen war ich schon stolz auf mich. Meine Stimme kam absolut sicher und fest rüber.
Ein kurzes Grinsen huschte über Herr Ackerman's Lippen. »Nicht schlecht. Du bist wohl doch nicht so hohl.«
Erneut atmete ich kräftig aus und wiederholte die Frage von vorhin. »Sie haben schon im Kindesalter Verbrechen begannen. Glauben Sie, dass dieses Verhalten von ihrem Umfeld aus beeinflusst wurde? Oder hatten Sie schon als Kind eine andere Denkweise?«
»Meine Kindheit war genauso wie bei allen anderen Menschen. Beschissen. Mehr ist da nicht«, antwortete er tonlos und stützte sein Kinn in der Handinnenfläche ab. Wieder traf mich sein Blick. In dem Wissen, dass nun eine Gegenfrage seinerseits folgte, spannte sich mein Körper an.
»Hast du insgeheim eine Vermutung, wie du sterben wirst?«
Ungläubig weiteten sich meine Augen. War die Frage gerade wirklich ernst gemeint?!
»N-Nein habe ich nicht«, entgegnete ich Herr Ackerman, während ich seine Antwort notierte. »Jedoch .... möchte ich nicht ersticken. Das wäre zu qualvoll.«
»Verstehe ...«, brummte er nur.
Schnell wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Blatt zu. »Aus Ihrer früheren Akte geht hervor, dass Sie des Öfteren Stimmen wahrnehmen. Ist dies vielleicht ein unterbewusster Schutzreflex, Ihre Taten für sich selber zu rechtfertigen?«
Ich hielt für einen Augenblick den Atem an. Selbst mir gingen Tsujido's Fragen zu weit!
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Da müsstest du schon meinen Therapeuten fragen«, gab er kühl zur Antwort. Und auch ich fragte mich, warum Tsujido nicht einfach Kontakt mit besagten aufgenommen hatte.
»Was ist deine schrecklichste Erinnerung, Sadaoka?«
»Levi, das reicht!«, durchbrach Hanji unseren Wortwechsel. »Übertreib mit deinen Fragen nicht!«
»Ach?! Ich soll nicht übertreiben, Vierauge?!«, knurrte Herr Ackerman bissig. »Sind ihre Fragen, die sie mir in meinem Haus stellt, etwa nicht privat?! Da finde ich es nur fair, wenn sie mir auch intime Details beantwortet!«
»Hör auf, die Situation zu deinem Vorteil zudrehen, Levi! Amaya, lass dich nicht weiter darauf ein!«, ermahnte mich Hanji und stand auf. »Es ist besser, wenn wir jetzt gehen! Wie es scheint, hast du heute wieder einen deiner ganz guten Tage!«
Es war seltsam, diese Frau auf einmal so ernst zu erleben ...
»Aha. Und was wird dann aus der Abschlussarbeit der anderen Göre?!«, hakte er völlig ausdruckslos nach.
Da hatte er nicht ganz Unrecht ...
Eine zweite Chance gab es nicht! Es war schon schwer genug gewesen, die Genehmigung dafür zu bekommen, dass ich für Tsujido eingesprungen war.
»Der ... der Tod meiner Mutter«, durchbrach ich die Stimmung. Ungläubig starrte Hanji mich an, während Herr Ackerman wieder zu mir blickte.
Seine Augen funkelten kurz auf, bis er tief seufzte.
»Nun gut, du wolltest ja mit Vierauge gehen«, sprach er. »Lass einfach die Fragen hier. Ich beantworte sie, soweit ich Lust habe. Vierauge wird sie dann an diese Göre weiterleiten«, fuhr er fort und erhob sich.
Mein Herz begann wieder schneller zuschlagen. Wie konnte ein Mensch, eine so simple Bewegung, mit solch einer Ausstrahlung vollziehen?! Ihn umgab eine Aura, die mich doch schon irgendwie faszinierte. Hanji schien über seinen Vorschlag nachzudenken, ehe sie sich zu mir wandte. Ich nahm das Blatt aus dem Ordner, und richtete meinen Körper auf.
»Einverstanden«, entgegnete ich und hielt Herr Ackerman das Blatt entgegen. Ein Stromstoß durchzog mich, als sich kurz unsere Finger berührten, während er das Blatt entgegennahm.
Leicht beugte er sich zu meinem Ohr vor. »Ich werde meine Gegenleistung dafür schon bekommen«, hauchte er rau.
Abrupt wurde ich plötzlich nach hinten gezogen, und Hanji schleifte mich hinter sich her zum Flur. Herr Ackerman's Miene blieb unverändert, als er uns nachschaute.
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