Kap. 19

Amaya

Kraftlos sank ich auf die Knie und hatte das Gefühl, mein Herz würde augenblicklich aus meiner Brust springen. So schnell pochte es. Fassungslos starrte ich Levi an, der für einen Moment einfach nur regungslos da stand. Ehe er die Pistole von seiner Schläfe entfernte und die Waffe sinken ließ.

Mit einem tiefen Seufzer lehnte er seinen Kopf nach vorne, und berührte mit seiner Stirn den Glaskasten. »Noch nicht ...«, flüsterte er rau, »... du musst noch etwas auf mich warten.« Ich konnte die Gedanken, Beweggründe oder Empfindungen dieses Mannes absolut nicht nachvollziehen.

Gab es überhaupt einen Grund, oder einen Sinn hinter seinem Handeln?!

Zum ersten Mal fragte ich mich, was diese Urne für ihn bedeutete. Welchen Menschen betrauerte er, dass er sogar eine Blume zu der Urne legte? War heute der Todestag dieser Person oder der Geburtstag?

Ich schüttelte den Kopf und ballte meine gesunde Hand zur Faust. Was ging mich es an?! Es interessierte mich nicht wirklich! Dieser Scheißkerl war verrückt! Ich wollte ihm nicht auch noch in meinen Gedanken, unnötige Beachtung schenken! Die ganze Situation war schon schlimm genug! Ich wusste nicht, warum er mich festhielt, und ein Ausgang war nicht offensichtlich!

Verzweifelt stiegen wieder Tränen in mir auf, die ich schnell abschüttelte. Ich hatte keine Zeit, rumzuheulen! Es interessierte Levi nicht, wie ich mich fühlte! Erneut zuckte ich zusammen, als er sich zu mir wandte.

Levi

Ausdruckslos sah ich zu Amaya herüber. Auch dieses Jahr wollte mich das Schicksal nicht zu ihr holen. Ich verfluchte diesen Tag. Der Tag, der mir immer wieder vor Augen führte, dass es meine Schuld war. Doch dieses Mal gab es etwas, womit ich mich abreagieren konnte.

Meine Schritte halten durch den Raum, als ich näher zu Amaya herantrat. Jeden Zentimeter, den ich mich ihr näherte, wurden ihre Augen größer und ihr Körper spannte sich sichtlich an.

»Wie es aussieht, geht das Spiel in die nächste Runde«, merkte ich kühl an und ging vor ihr in die Hocke. Amaya's Körper wich zurück und drängte sich eng an den Türrahmen. Mein Blick richtete sich zu der Pistole. Ein süffisantes Grinsen huschte mir über die Lippen. Ich drehte sie schwungvoll in meiner Hand um und hielt ihr den Griff entgegen. »Du bist dran, Amaya.« Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie die Waffe sofort nehmen würde, um diese Chance zu nutzen, auch wenn es vom Schicksal bestimmt war, ob mich die Kugel dieses Mal treffen würde. Ich konnte genau in ihren Augen ablesen, wie ihre Gedanken rasten.

Entschlossen presste Amaya die Lippen zusammen und entriss mir die Pistole. Zittrig hielt sie mir den Lauf entgegen. Fünf Schuss hatte sie noch. Ihr Anblick brachte mein Blut wieder in Wallung. Wie sie, mit verzweifeltem Blick, die Pistole auf mich richtete. Der kurze Funke der Entschlossenheit zeigte sich in ihren Augen.

»W-Wieso lässt du mich nicht einfach gehen?!«, presste sie hervor. Ich nahm den Lauf der Pistole und führte sie zu meiner Brust.

»War es nicht eigentlich unsere Abmachung, dass ich dir jeden Tag eine Frage stelle, meine Liebe?«

Amaya

Ich biss die Zähne zusammen. Dieser Scheißkerl! Er machte sich immer noch über mich lustig! Er nahm mich kein Stück ernst! Ich hatte genug! Ich hatte genug von seinen kranken Spielchen!

»Du elender ...!« Mein Finger krümmte sich und ich kniff automatisch die Augen zusammen. Doch nur ein Klacken war zuhören. War es wieder ein Leerschuss? Soweit ich gesehen hatte, hatte seine Pistole sechs Kammern. Das hieß, ich hatte jetzt noch vier Schuss und eine Möglichkeit ihn außer Gefecht zusetzen.

»Sag mir, Amaya, was ist es für ein Gefühl, die Macht in der Hand zu haben? Wie fühlst du dich?«, fragte Levi und legte leicht den Kopf schief.

War das sein scheiß Ernst?!

Ein wutverzerrter Schrei entfloh meiner Kehle und ich drückte erneut ab. Doch wieder war es ein Leerschuss. Tränen liefen meine Wangen herunter, und nochmals krümmte sich mein Finger. Bis ich beim letzten Schuss angekommen war. Dieses Mal war ich mir sicher! Dieser Schuss beinhaltete die Patrone! Atemlos sah ich Levi an und mein Gesicht verzog sich.

Wie er mich einfach so monoton anblickte ... es machte mich wütend! Dieser elende Bastard!

Provokant nahm er den Lauf und hielt seine Stirn dagegen. »Sag mir, Amaya, wie fühlst du dich?«, grinste er finster. Ich biss mir auf die Unterlippe, jeglicher Muskel in meinen Körper spannte sich an. Und ich drückte den Abzug.

Klack!

Wie versteinert starrte ich in seine grauen Augen. Die sich verengten.

Wieso ... wieso ... fiel er nicht um? Was ...?

Levi's Schultern bebten, als er auflachte. Mir entwich jegliches Gefühl in den Gliedern, die Pistole glitt aus meinen Fingern, als er sie mir abnahm.

»Du solltest dich immer vergewissern, dass die Waffe auch entsichert ist, meine Liebe«, gab er amüsiert an, und zog einen Schalter an der Pistole nach hinten. »Das üben wir noch«, fuhr er grinsend fort. In Bruchteil einer Sekunde wurde sein Ausdruck kalt. Er streckte den Arm aus und schoss quer durch den Raum. Mit einem lauten Knall zerbrach eins der Regale an der Wand. »Zu schade, Amaya, hättest du drauf geachtet, hättest du mir eine Kugel durch den Schädel jagen können«, murmelte er, sein Unterton wirkte schon fast gelangweilt.

Ich blickte vollkommen erstarrt ins Leere. Meine Tränen sammelten sich an der Spitze meines Kinnes. Für ihn war das nichts weiter als ein Spiel ... er nutzte meine Unwissenheit aus ... führte mich vor ... zeigte mir meine Hilflosigkeit. Ich war nichts weiter als eine Marionette. Mein Widerstand, mein Wille zu überleben ... all diese Instinkte ... all diese inneren Impulse ... alles wich mit einem Schlag aus meinem Körper. Unkontrolliert fing ich an zu zittern und schlug mir die Hand vor dem Mund. Atemlos begann ich heftig zu schluchzen.

»Aber, aber meine Liebe«, begann Levi rau und hob mein Kinn, »ich werde dir noch soviel zeigen«, lächelte er finster und sein Daumen strich meiner Verletzung an der Wange entlang. »Noch soviel mehr ...«

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