Kap. 18
Amaya
Regungslos starrte ich auf den Monitor. Wie konnte das sein? Was machte Tsujido bei Levi? Hatten wir nicht vereinbart, dass er ihr nichts antun würde? Dieser kranke Bastard!
Wütend, aber gleichzeitig auch verzweifelt, biss ich mir auf die Unterlippe. Weiterhin starrte ich auf den Bildschirm. Schaute in seine kalten, grauen Augen. Wie er dunkel in die Kamera grinste. Ungläubig weiteten sich meine Augen.
Warte … Moment!
Wo ist der Kratzer auf seiner Wange? Ich war mir absolut sicher, dass ich Levi an der Wange gekratzt hatte. Doch auf dem Bild war nicht ein Stück von seiner Verletzung zusehen! Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er das Video bearbeitet hatte. Doch das hieß dann das …
Es war eine Aufnahme! Dieser Verrückte spielte mir gerade eine Aufzeichnung vor! Meine Gedanken rasten. Augenblicklich kam mir der Abend in den Sinn, an dem ich Tsujido eigentlich besuchen wollte, um eventuell auch bei ihr zu übernachten.
Jetzt ergab alles einen Sinn! Deswegen war sie auch nicht Zuhause! Ich wusste zwar, dass sie auf irgendeiner Geburtstagsparty eingeladen gewesen war. Aber, es war nie ihre Art gewesen, bis spät in den Abend zu feiern. Deshalb war ich äußerst verwundert, als ich sie nicht angetroffen hatte.
Wie hat es dieser Mistkerl geschafft, an sie ran zukommen?
Immer noch blickte ich auf den Monitor. Levi hatte sich von der Kamera abgewandt und Tsujido bewegte sich zögerlich. Langsam beugte sie sich nach vorne und hielt sich den Kopf.
»Na, endlich aufgewacht?« Bei Levi’s tiefer, rauer Stimme überkam mich eine Gänsehaut. Etwas verwundert blickte Tsujido ihn an, ehe sie verlegen lächelte und sich etwas im Raum um sah. »Hier!« Levi reichte ihr ein Glas Wasser.
Wieso kam mir diese Szene nur so surreal vor? Wieso lächelte Tsujido? Wieso saß sie immer noch seelenruhig auf seinem Bett?
»Du solltest dich wirklich nicht so betrinken. Das steht einer jungen Frau nicht«, merkte Levi an.
Dieser Typ …! Er war der perfekte Schauspieler! Doch was meinte er mit betrinken? Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Hatte er sich etwa auf die Party geschlichen? Hatte er sie abgefüllt?
»Bitte entschuldige, ich habe einen kleinen Filmriss«, begann Tsujido peinlich berührt. »Du warst ein Freund von Amaya, richtig?« Levi nickte.
Er war was? Was erzählte dieser Mistkerl da? Und noch viel wichtiger war: Glaubte Tsujido das tatsächlich?
»Ja. Amaya sagte mir, dass du auf einer Party eingeladen bist. Sie bat mich, dir die Unterlagen zugeben. Ich selbst weiß nicht, was das ist. Das geht mich auch nichts an«, erklärte Levi höflich und reichte Tsujido einen Umschlag. Ich erkannte diesen sofort. Es war der Fragebogen, den sie eigentlich bei mir abholen wollte. »Ich hoffe, ich habe dich nicht in Verlegenheit gebracht. Doch da mein Appartement nicht weit von der Party entfernt ist, dachte ich, ich bringe dich zu mir. Solange du so betrunken bist. Du bist einfach in meinem Auto eingeschlafen«, fuhr Levi lachend fort.
Was für ein Dreckskerl! Er war ein vollkommen anderer Mensch! Er war total irre! Wie konnte man sich denn bitte so verstellen?! Tsujido hatte Levi noch nie gesehen! Kein Wunder, dass sie auf ihn reinfiel, dazu kam auch noch das dieser Typ perfekt schauspielern konnte! Tsujido war schon immer etwas naiv und gutgläubig gewesen.
Tsujido lächelte höflich und blickte kurz in den Umschlag. »Oh Danke schön. Aber, wieso hat Amaya dich geschickt? Ich wollte sie morgen doch eh besuchen.« Sehr gute Frage!
Gott! Was tat ich hier?! Es war fast so als würde ich mir einen Film angucken! Das war doch absurd! Ich schaute hier eine Aufzeichnung und ich wusste nicht, wie es Tsujido in Wirklichkeit ging! Ich musste hier raus!
Hektisch wandte ich mich vom Monitor und begann nochmal in jeder Ecke des Raumes nach einer Art Geheimschalter zu suchen. Hier musste ein Ausgang sein! Doch die Aufzeichnung lief währenddessen weiter. Und, ob ich wollte oder nicht, ich hörte ihrem Gespräch zu.
»Amaya ist leider krank geworden. Sie fühlte sich schlecht, dich versetzen zu müssen. Wo du doch die Unterlagen so dringend für deine Abschlussarbeit brauchst. Bitte sei ihr nicht böse.«
Dieser Bastard! Erneut schaute ich im Bücherregal nach.
»Nicht doch. Wie sollte ich ihr böse sein? Ich hoffe nur, dass sie sich nichts Schlimmes eingefangen hat. Doch warum hat sie mir das nicht einfach geschrieben?«
Ich warf die Bücher unachtsam auf den Boden, und tastete das Holz ab.
»Ich schätze, es war ihr einfach peinlich. Du weißt doch, Amaya würde niemals zugeben, dass es ihr schlecht geht.«
Ich hielt in meiner Bewegung inne.
»Das stimmt«, lachte Tsujido.
Langsam drehte ich meinen Kopf wieder zum Monitor und ich begriff, was das hier alles sollte. Warum er mir das zeigte.
Macht.
Es war einzig und allein sein Beweis mir vor Augen zuführen, dass er die absolute Kontrolle über mich hatte. Dass er alles und jeden um mich herum manipulieren konnte!
Und … so absurd es auch war … doch seine letzte Aussage stimmte …
Ich hätte wahrscheinlich wirklich jemanden gebeten, Tsujido die Unterlagen vorbeizubringen. Nur damit sie nicht sah, wie schlecht es mir ging. Dieser Typ war zwar wahnsinnig, aber auch verdammt gerissen. Das machte ihn sogar noch gefährlicher. Jetzt, da Tsujido die Unterlagen hatte, hatte sie keinen Grund mehr mich zu besuchen. Da sie wusste, dass ich es hasste, wenn man mich nicht in Ruhe ließ, während ich krank war, oder es mir allgemein nicht gut ging, würde sie mir auch nicht schreiben, oder anrufen. Ich hatte mich wieder gemeldet, sobald es mir besser ging. Es war vollkommen egal, dass ich hier nun gefangen war. Es fiel niemandem auf.
Außer Tsujido interessierte sich niemand weiter für mich …
Ich sank auf die Knie und sah, wie Levi Tsujido zur Tür begleitete. Sie redeten miteinander, doch ich hörte es nicht wirklich. Mein Körper zitterte. Seine Haustür schloss sich, und wieder grinste er dunkel zur Kamera, dann wurde der Bildschirm schwarz. Wie paralysiert starrte ich ins Leere, und wurde mir schlagartig meiner Hilflosigkeit bewusst.
Ich war eine Puppe, ein Spielzeug.
»Du hast ja schon wieder ein Chaos veranstaltet.«
Panisch hielt ich die Luft an, und sah vorsichtig auf. Wann war er hier hereingekommen? Und vor allem, wie? Ich hatte nichts bemerkt! Oder war er etwa die ganze Zeit hier gewesen?
Levi’s Blick wanderte amüsiert zum Monitor. »Wie ich sehe, hat dir mein kleiner Film gefallen, Amaya. Bin ich nicht freundlich, deiner Freundin die Unterlagen zugeben? Du musst mir nicht danken«, grinste er finster.
Zittrig kam ich wieder auf die Beine.
»Du …!«, begann ich brüchig. »Was hast du mit Tsujido gemacht?!«, schrie ich aufgebracht.
Levi’s Gesicht wurde plötzlich wieder kalt und ausdruckslos. »Du hast doch gesehen, was ich gemacht habe, oder etwa nicht?«, zischte er. »Oder wäre es dir lieber gewesen, ich hätte ihr die Kehle aufgeschnitten?«, fuhr er fort, während er die Fernbedienung und die Kleidung aufhob. Seufzend schüttelte er den Kopf und legte die Sachen wieder auf dem Tisch zurück. »Zieh dich an!«, murmelte er ernst, und bedachte mich eines kurzen Blickes, ehe er sich zur Treppe umwandte.
Irritiert schob ich für eine Millisekunde meine Brauen zusammen, als ich die einzelne Lilie in seiner Jeanstasche herausgucken sah. Dieser Anblick war absurd! Dieser Verrückte mit so einer zarten Blume.
»Einen Scheißdreck werde ich! Lass mich endlich raus!«, brüllte ich ihm hinterher. Levi reagierte jedoch gar nicht und war bereits hinunter in den Keller verschwunden. Erneut hastete mein Blick durch den Raum. Es musste hier doch irgendetwas geben, womit ich mich wehren konnte, oder womit ich versuchen konnte ihn auf den Kopf zuschlagen. Ich musste zu Tsujido! Ich musste diesen Irren melden!
Völlig in Gedanken bemerkte ich erst jetzt, dass ich mich wieder quer durch den Raum bewegt hatte, und nun vor der Treppe stand. Die große Metalltür zum Keller stand offen. Vielleicht konnte ich ihn dort einsperren und in Ruhe nach einem Ausgang suchen.
Dennoch … war das wirklich klug? Was, wenn ich es doch nicht rausschaffen würde und Levi der Einzige war, der mir diesbezüglich helfen konnte, aber es natürlich nicht tun würde. Warum sollte er mir auch verraten, wie es hier hinausging?!
Ich presste die Lippen zusammen und schluckte schwer. Scheiß darauf! Ich finde schon einen Weg hier raus! Sobald dieser Mistkerl im Keller gefangen war, konnte er mir eh nichts mehr antun!
Mit diesem Entschluss schlich ich vorsichtig die Treppen hinunter. Doch ich blieb an der Ecke, zum Kellerraum stehen und schaute unauffällig hinein.
Er hatte doch bestimmt einen Schlüssel zum Keller! Wenn dem so war, dann …
Ich schüttelte den Kopf. Nein! Ich sollte es wenigstens probieren! Jetzt oder nie!
Ich atmete tief durch und sprintete zum Türgriff. Meine Muskeln spannten sich an. Und wieder kam der Schmerz in meiner Hand zurück. Den ich aber ignorierte. Ein letztes Mal sah ich in den Kellerraum hinein und hielt in meiner Bewegung inne. Levi stand vor dem Glaskasten, in dem sich die Urne befand. Offensichtlich hatte er die Lilie mit hineingelegt. Mit einem undeutbaren Ausdruck in den Augen, murmelte er etwas, was ich jedoch nicht verstand und zog seine Pistole aus der Innentasche seiner Jacke. Augenblicklich pochte mein Herz noch schneller, bei dem Anblick der Waffe.
»Amaya?« Ich zuckte unweigerlich zusammen. Ausdruckslos befüllte er die Waffe mit einer Patrone. »Du kennst du sicherlich russisches Roulette, oder?«, fuhr er fragend fort, neigte seinen Kopf nach hinten und sah mich mit bedrohlichen Augen von der Seite aus an. »Weißt du, Amaya, ich bin heute etwas ungehalten. Deswegen frage ich dich gar nicht erst, ob du mit spielen willst«, murmelte er weiter tonlos und schwenkte den Lauf der Waffe zu mir herüber. »Doch ich überlege, ob ich mit dir anfange, oder ...« Sein Blick glitt zu der Urne, und seine Augen füllten sich mit einem gequälten, ja fast traurigen Ausdruck. »… oder doch mit mir«, beendete er flüsternd den Satz, ohne seinen Blick von der Urne abzuwenden.
Ich sog scharf die Luft ein, als er sich den Lauf an die Schläfe hielt und die Waffe entsicherte. Ohne eine Gesichtsregung krümmte sich sein Zeigefinger am Abzug und ein Schuss ertönte.
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