Kap. 13

Levi Flashback

Hektisch lief er durch die Gassen. Zwang seinen kleinen, schmalen Körper durch die Spalten der Häusermauern. Nein! Diesmal würden sie ihn nicht kriegen. Es war gerade mal eine Woche vergangen, seid sein Armbruch vollständig verheilt war. Levi presste das Päckchen, mit den Tabletten, eng an seine kleine Brust. Vorsichtig schaute er aus der Gasse, und sah sich um. Er schien die Verfolger erfolgreich abgeschüttelt zu haben. Erleichtert atmete er aus, blieb jedoch noch eine Weile in der Gasse. Seine kleinen Finger öffneten das Päckchen und holten die Tablettenverpackung hervor. Die meisten Aufschriften konnte er gar nicht lesen. Es war Fachsprache für die Bezeichnung der Tabletten.

Hastig öffnete er die Packung und faltete den Beipackzettel auseinander. Viele Wörter konnte er noch gar nicht lesen. Seine Mutter war zwar sehr bemüht, ihm lesen und schreiben beizubringen, aber sein kindlicher Verstand konnte natürlich noch nichts mit den Fachbegriffen anfangen. Er wollte doch nur, dass es seiner Mutter besser ging.

Seit diese Männer bei ihnen eingebrochen waren, wurde sie Zusehens dünner und ihre Augen verloren immer mehr ihren Glanz. Das Lächeln, was sie ihm entgegenbrachte, wirkte gequält und gespielt. Jede Nacht erwachte er von ihrem verzweifelten schluchzen. Oft redete sie im Schlaf, wie sehr es ihr leidtat, dass er es mit ansehen musste. Auch wenn Levi nicht verstand, was sie meinte, so tat es ihm im Herzen weh, seine Mutter weinen zusehen. Er strich ihr dann sanft übers Haar und blieb an ihrer Seite, bis sie sich wieder beruhigte und weiter schlief.

Er wollte sie wieder aus vollem Herzen lächeln sehen!

Seine kleinen Augen wanderten über den Zettel. Doch bis auf wenige Wörter, konnte er nur erahnen, wofür diese Tabletten waren. Jedoch wollte er nicht seine Mutter fragen, was auf dem Zettel stand. Er wollte ihr aus eigener Kraft heraus helfen, und ihr zeigen, dass er um ihr Wohlergehen besorgt war. Bestimmt würde sie dann stolz sein und glücklich, da sie sah, wie selbstständig er war. Und ihre Sorgen würden sich in Rauch auflösen.

Das unschuldige Denken eines Kindes.

In seiner Welt, konnten Tabletten doch nur helfen, und den Leuten ihre Schmerzen nehmen. Nicht umsonst hatten Ärzte so viele davon. Das Wort Nebenwirkungen, oder Verträglichkeit existierte für ihn noch gar nicht. Levi warf das Päckchen von sich und steckte die Packung in seine Jackentasche. Ein letztes Mal schaute er sich um, als er die Gasse verließ, und sich hastig auf den Weg nach Hause machte.

Leise öffnete Levi die Haustür, und trat in die Wohnung. Augenblicklich konnte er seine Mutter im Badezimmer husten hören. Schnell streifte der Junge die Schuhe von sich und ging besorgt zur Badezimmertür herüber. Vorsichtig öffnete er die Tür.

»Mama?«

Kuchel sah vom Waschbecken auf und drehte schnell den Wasserhahn auf, um das ausgehustete Blut wegzuspülen. Schnell wischte sie sich mit einem Handtuch den Mund ab. »Levi, es ist nicht höflich, einfach das Badezimmer zu betreten, wenn eine Frau drinnen ist«, schimpfte sie leicht.

»Ist alles in Ordnung?«

Seine Mutter versuchte zu lächeln. »Ja. Mir ist nur etwas schwindelig«, antwortete sie und stellte das Wasser ab. Zusammen, mit Levi, ging sie aus dem Bad, hinüber zum Wohnzimmer. Erschöpft setzte sich Kuchel auf die Couch und massierte ihre Schläfe. Der Junge schluckte schwer. Bis ihm wieder die Tabletten in den Sinn kamen. Ohne ein Wort, lief er in die Küche, und befüllte ein Glas mit Wasser. Erneut begann seine Mutter zu husten. Jedoch nicht so stark wie zuvor. Seine kleinen Finger ließen eine Tablette ins Wasser gleiten, die sich unter ständigen rühren, allmählich auflöste, und das Wasser trübte.

»Was machst du da, mein Schatz?«, ertönte Kuchels Stimme aus dem Wohnzimmer.

Hastig steckte Levi die Verpackung wieder ein und schritt mit dem Glas zurück zu seiner Mutter. Mit entschlossenen Augen hielt er es ihr entgegen. Sie blickte ihren Sohn irritiert an.

»Hier! Trink das!«, merkte der Junge Ernst an.

Kuchel betrachtete das Wasser, als sie das Glas entgegennahm. »Was ist das, mein Engel?«, fragte sie skeptisch nach.

»Trink es! Da ist Medizin drin. Dann wird es dir bald besser gehen, Mama.«

Eine Weile sah sie ihren Sohn an und belächelte seine kindliche Unschuld. Sie konnten sich keine Medizin leisten. Egal, was Levi wohl ins Wasser getan hatte. Ihm zuliebe, würde sie so tun, als würde es helfen. Nur um sein kindliches Gewissen zu beruhigen. Sanft wuschelte sie durch sein Haar.
»Gut, ich vertraue dir, mein Schatz. Danke schön«, lächelte sie und trank das Glas aus. Ein bitterer Geschmack blieb auf ihrer Zunge zurück.

Mit großen Augen betrachtete Levi seine Mutter. »Und? Hilft es schon?«, fragte er nach.

Kuchel lachte auf. »So schnell geht das nicht. Es braucht eine Zeit, um zu wirken, Schatz.«

Levi verzog die Mundwinkel und nickte stumm, während sich seine Mutter zurücklehnte und erschöpft die Augen schloss.

*

Misstrauisch folgte Levi dem Wagen, der gerade von seiner Straße weg fuhr. So ein Auto hatte der Junge zuvor noch nie gesehen. Jedoch, galt seiner Neugier, Minuten später, schon wieder etwas anderem. Mit der Einkaufstüte im Arm, stieg er die Treppen, zu seinem Zuhause hinauf. Seltsamerweise waren heute ziemlich viele Menschen auf dem Flur. Schnell verstummte ihr wildes Getuschel, als sie Levi erblickten, und die meisten gingen wieder in ihre Wohnungen.

Für den Jungen war das Verhalten der Leute nur rätselhaft. Jedoch machte er sich nichts weiter daraus. Es war ja nicht das erste Mal, dass sie ihn so komisch ansahen. Mit ernster Miene, öffnete er die Tür zur Wohnung, und trat in den Flur.

»Ich bin wieder da.« Doch, wie gewohnt, kam diesmal keine Antwort. Levi stellte die Tüte auf dem Küchentisch ab und schaute irritiert ins Wohnzimmer. Seine Mutter war nicht da. Vielleicht hatte sie sich hingelegt. Jedoch, fand der Junge seine Mutter nicht im Bett vor. Er wusste genau, dass sie heute nicht arbeiten musste.

War sie vielleicht noch einmal kurz weg? Sein kleiner Körper zuckte unwillkürlich zusammen, als er hörte, wie die Badezimmertür aufging. Mit einer freudigen Miene wandte er sich in die Richtung.
Sein Gesicht erstarrte augenblicklich, als er den fremden Mann erblickte.

Schon wieder ein Einbrecher?!

Levis Muskeln spannten sich an und sein Körper nahm eine Haltung an, die auf alles vorbereitet zu sein schien.

»Das gibt es doch nicht. Dann stimmt es wirklich, dass sie den Bastard bekommen hat«, murmelte der Fremde und richtete seinen Hut. Ein Geruch von Rauch und Eisen, schlug Levi entgegen, als der Mann näher zu ihm trat. Dem Jungen kamen wieder die Bilder, des Überfalls ins Bewusstsein.
Diesmal würde er nicht noch einmal zulassen, dass jemand in ihre Wohnung eindrang und ihnen etwas antun würde!

Zügig hechtete Levi zur Schublade des Schrankes und holte ein Messer hervor. Entschlossen richtete er die Klinge auf den Fremden.

»Verschwinde!!«, zischte der Junge.

Der Mann hob amüsiert eine Braue. Kurz darauf lachte er kehlig auf. »Was soll das werden, Kleiner?! Mach dich nicht lächerlich.«, kaum hatte der Fremde zu Ende gesprochen, verdunkelte sich seine Miene. Geschockt, und gleichzeitig überrumpelt, blinzelte Levi, als der Mann blitzschnell vor ihm war und ihm mit Leichtigkeit das Messer aus der Hand schlug.
»Der Wille allein reicht nicht, Kleiner!«, brummte der Mann.

Levi hielt schützend die Hände vors Gesicht, als der Fremde ihm was entgegenwarf. Zögerlich blickte der Junge auf und sah zu der Tablettenverpackung herab.

»Sag mal, Kleiner, wo hast du das her?«

Der Schwarzhaarige reagierte zunächst nicht. Bis ihm bewusst wurde, dass der Fremde die Tabletten entwendet hatte, die er für seine Mutter gestohlen hatte. Hastig beugte er sich zu ihnen herunter, und wollte sie an sich nehmen. Der Fremde knurrte auf, und verpasste Levi einen Tritt. Wie ein Spielzeug wankte der Körper des Kindes zur Seite, und sank auf die Knie.

»Junge! Ich will wissen, wo du das herhast!«, zischte der Mann gereizt.

Unbeholfen richtete Levi sich auf, und wischte sich über die blutige Nase. »Das geht dich nichts an, Alter!«, brachte der Junge brüchig hervor.

»Kleiner! Hat deine Mutter diese Tabletten genommen?!« Levis Augen verengten sich, während er wieder auf die Beine kam. »Rede endlich, Junge!«

»Was willst du? Wir haben keine Wertsachen! Die Tabletten sind für meine Mutter!«

Der Fremde brummte gereizt und hob die Packung auf. »Ist dir eigentlich bewusst, was das ist, Kleiner?!«

»Natürlich! Das ist Medizi -«

»Das sind Betablocker, du dummes Balg!«, unterbrach der Mann Levi und holte den halb aufgebrauchten Tablettenstreifen hervor. »Was glaubst du, was diese Tabletten machen?!«
Der Junge verstand überhaupt nicht, was der Fremde von ihm wollte. Mit einem tiefen Seufzen setzte sich der Mann auf einen Stuhl und zog seinen Hut tief ins Gesicht. »Da finde ich dich endlich, Kuchel. Und dann verreckst du einfach«, murmelte er.

Levis Körper erstarrte. Woher kannte dieser Mann den Namen seiner Mutter? Und was redete er da .... verrecken?! Der Magen des Jungen verkrampfte sich.

»Wie heißt du, Kleiner?«, fragte der Fremde und sah den Jungen ausdruckslos an.

»Levi …«

»Die Tabletten hast du gestohlen, oder?« Levi presste die Lippen zusammen. Der Fremde brummte auf. »Ist ja auch egal«, fuhr er fort. »Diese Teile haben eh nur das unvermeidliche beschleunigt. Glückwunsch, Kleiner, du hast deiner Mutter den Zutritt in den Himmel erleichtert.«

Die Augen des Jungen weiteten sich. »W-Was …?«

»Sie kommt nicht mehr zurück, Kleiner!«

Levis kleines Kinderherz zog sich zusammen. »Was … was redest du da? Du … du lügst!« Er verstand nicht, was vor sich ging. Medizin half doch den Menschen. Sie machte die Menschen wieder gesund.

»Mir egal, ob du mir glaubst«, knurrte der Mann und erhob sich vom Stuhl. »Hör zu, Levi. Ich kann dir zwar kein besseres Umfeld bieten, aber ich kann dir zeigen, wie du in dieser verschissenen Dunkelheit leben kannst. Es liegt an dir. Glaube mir nicht, und verreck hier ganz allein, oder? Deine Entscheidung. Ich bettel’ nicht darum, ein Balg wie dich an der Backe zu haben.«

Der Junge starrte völlig überfordert ins Leere. Seine Mutter war … tot?!
Deswegen hatten ihn die Menschen so angeguckt.
Er hatte ihr die Tabletten ins Wasser gegeben.

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