Steril
Die Folgen waren dann aber trotzdem sehr drastisch. Nebst einem entzündeten, geschwollenen Rücken bekam ich schweres Fieber und eitrigen Husten. Im kühlen Vorfrühling von einer Welle scheißkalten Meerwassers getroffen zu werden und die nächsten fünfzehn Minuten in den nassen Klamotten draußen im Schlamm zu liegen, stellte sich als nicht gesundheitsfördernd heraus. All diese Umstände fesselten mich an Mendels Bett.
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Ja, sein Bett - das hatten wir dort schon gefunden und Mendel hatte es eingenommen bevor ich es entdeckt hatte. Unter den gegebenen Umständen jedoch wollte mich Mendel aber nicht einfach mitten im Raum liegen lassen. Er schlief jetzt auf der ausgezogenen Couch, die sonst mir gehörte. Von diesem Bettentausch und vielem anderen bekam ich so gut wie nichts mit, erst später, als ich wieder zu mir kam, wurde es mir bewusst. Die meiste Zeit über fühlte ich mich, als würde ich auf dem Meer treiben und von den Wellen hin und her geschaukelt werden. Eine penetrant laute Stimme las mir eine Geschichte vor, die - wenn ich die Kraft hatte, dem Erzählten zu folgen - vorne und hinten keinen Sinn ergab. Der Erzähler hatte sich an mir festgekrallt und schrie mir beinahe ins Ohr. Ich konnte Salz schmecken, spürte, wie ich vorn über in die Tiefe kippte und die Krallen in meinen Rücken sanken, schluckte Wasser, kotzte neben das Bett und traf mit Glück den Eimer, der dort stand. Bis dahin hatte ich ein untergehendes Shuttle überlebt, Hunger, einen Mann, der mich am liebsten hätte sterben lassen - wie ironisch wäre es gewesen, während meines Deliriums an der eigenen Kotze zu ersticken. Ich gab mir alle Mühe, bei Verstand zu bleiben, selbst wenn das bedeutete, die Schmerzen viel bewusster und um ein Vielfaches intensiver erleben zu müssen. Außerdem traute ich Mendel nicht über den Weg?
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Hat er das? Lassen wir das Ganze doch noch einmal Revue passieren. Mendel wusste, dass ich dort unten ungesichert Muscheln ernte. Er befand sich oben an der Klippe mit Blick nach Westen, wo er mindestens für drei weitere Stunden mit Pökeln beschäftigt gewesen wäre. Von dort aus hatte er eine klare Sicht auf das Meer; wir hatten keinen Nebel gehabt an dem Tag. Er hätte die Welle auch heranrollen gehört. Ich habe dreimal zu ihm hinaufgeschrien und war ungefähr zehn Meter vom oberen Klippenrand entfernt. Sie verlangen nicht ernsthaft von mir, zu glauben, dass er erst beim dritten Mal begriffen hat, was los ist, oder?
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Weil ich diesen schmierigen Verräter entlarvt habe. Wahrscheinlich stand er da oben und wägte seine Chancen ab, mich loszuwerden. Wäre ich gestorben, dann hätte er den Hauptgewinn gezogen. Stellen Sie sich aber vor, ich hätte ohne seine Hilfe überlebt. Wie hätte er dann wohl dagestanden? Die Antwort lautet gar nicht mehr, ich hätte ihm nämlich ohne Kommentar den Kopf abgerissen und er wäre tot zu Boden geklatscht wie ein gammeliger Fisch. Das wusste er, also schmiss der mir das Seil hinab und rettete mich. Aufgrund meiner schweren Verletzung befand ich mich nun allein in seinen Händen und manchmal erhaschte ich nachts einen kurzen Moment der Wachheit, in der mir der Gedanke kam, dass mein Schaukeln auf den Wellen nicht immer Illusion war.
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Er lag auf mir, Leena.
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Ja. Mendel hat es eiskalt ausgenutzt, dass ich zum ersten Mal seit unserer Zwangsgemeinschaft wirklich verwundbar war, mich nicht wehren konnte. Ich hätte ihn kastrieren sollen, als er im Fieber gelegen hat. Dass so etwas wieder passieren würde -
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Ja, wieder. Leider. Wir tauchen in den Statistiken nirgendwo auf, sonst würden die restlichen Bewohner der Station ihre Kinder wohl nicht mehr frei herumlaufen lassen, bei so vielen Vergewaltigungen. Ich kann Ihnen Namen nennen, Positionen, mein Alter zu der Zeit als es geschah. Beim ersten Mal war ich zehn Jahre alt und noch jetzt kann ich, wenn ich die Augen schließe, seine Berührungen an meinem kleinen Kinderkörper spüren. Manche von ihnen waren ältere Schüler von der öffentlichen Schule. Meinem Psychologen konnte man es ansehen; ich war mit Sicherheit nicht seine einzige. Dem Sicherheitspersonal begegnete man besser nicht zu freundlich oder widerspenstig, sonst erteilen sie einem eine Lektion. Ich habe sie alle beobachtet; das waren Menschen mit Familien, mit kleinen Kindern, mit Berufen, die jedem anderen ein Schutzgefühl vermittelt hätten. Mit Perversionen. Bei mir gingen sie da kein Risiko ein; das Gesetz schützte sie, nicht mich. Ich besitze keine Rechte an meinem Geisteszustand, meinen Daten, meinem Wissen, meinem Körper. Eine Stadttaube könnte vor Gericht mehr erreichen als ich. In dem Moment, in dem Mendel herausfand, was ich bin, bekam er zwar Angst, ja. Andererseits gab ihm das auch einen Freifahrtschein für alles, was er bisher hatte unterdrücken müssen. Die Würde des Menschen war von einer Sekunde auf die nächste nicht mehr als warme Luft in Mendels Hintern - es gab nichts zu befürchten.
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Nein nein nein nein nein. Sind Sie verrückt? Selener können keine Kinderbekommen, keiner von uns. Wir werden alle sterilisiert, sobald wir das richtigeAlter erreicht haben. Wussten Sie das nicht?
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