Im Meer
Dort, wo die Wogen an Land spülten, hielt das Paar kurz an. Ezra blickte nach vorn auf die ruhige, glitzernde Fläche und für einen Augenblick sah es so aus als käme ihm eine Erinnerung, aber vielleicht war das nur eine Erinnerung an die Angstgefühle in seinen Träumen.
„Na los", sagte er gefasst und machte die ersten Schritte in den nassen Sand. Die nächste Welle umspülte seine und Tobys Füße, doch er ging mutig weiter, was der Blonde erleichtert registrierte. Als sie so weit gekommen waren, dass sie bei leichtem Wellengang bis zu den Oberschenkeln im Meer standen, schlug er vor, dass sie sich jetzt richtig nass machten. Also begannen sie damit, sich mit Wasser zu bespritzen, wofür sie ihre Hände loslassen mussten. Das Meer war angenehm, nicht zu kühl und Ezra schien es nichts auszumachen, dass Toby seine Hand nicht mehr hielt. Dieser nutzte jetzt die Gelegenheit, sich selbst einmal komplett einzutauchen und die gelbe Rettungsboje mit ihrer Schnur am Handgelenk festzumachen. Nun müsste sein Freund das Gleiche tun.
„Setz dir die Schwimmbrille auf, dann halte ich deine Hände und du versuchst, dich im Wasser umzusehen. Okay? So siehst du, dass da nichts Schlimmes ist."
Der Rothaarige schaute den anderen an und versuchte, ruhig weiter zu atmen. Er sollte mit dem Kopf unter Wasser? Toby sah aus, als wüsste er, was er da sagte. So nahm Ezra allen Mut zusammen, machte sich mit den Goggles bereit und ergriff die ausgestreckten Hände.
„Halt mich gut fest."
„Alles gut, ich lass nicht los."
Ezra holte jetzt dreimal hintereinander tief Luft, dann ließ er sich langsam auf die Knie, wodurch er aufgrund seiner Größe gerade bis unter die Brust eingetaucht war, aber in Tobys Griff beugte er sich sodann vor und senkte den Kopf unter Wasser. Nass! Im ersten Augenblick presste er die Augen zu, es war furchterregend, wie das Wasser die Geräusche in seinen Ohren veränderte! Dann besann er sich auf den Sinn dieser Aktion und öffnete die Augen. Er sah Tobys Beine, ihre Arme und Hände. Sein Freund hielt ihn, wie er gesagt hatte und das Wasser war nicht tief. Ezra wagte, sich umzusehen. Da war tatsächlich nichts. Ein paar winzige, glänzende Fischchen, die sofort weg flitzten, ein kleiner Krebs, ein paar Muscheln. Nichts sonst. Keine dunklen Schatten, verzweifelten Schreie oder lautes, stählernes Dröhnen wie in seinen Träumen. Erleichtert tauchte er wieder auf und stieß mit einem lauten Japser die angehaltene Luft aus.
„Alles gut?", hörte er seinen Liebsten fragen.
„Oh, ja, das war spannend, aber ja, alles gut."
„Sehr schön", fuhr der andere in ruhigem Ton fort. „Gehen wir noch ein bisschen? Dann ist es tief genug zum Schwimmen."
Der Rothaarige nickte. „Okay, ein bisschen noch."
Toby lächelte seinem Freund Mut zu und so wateten sie noch ein paar Meter weiter, bis dem Größeren das Wasser bis zum Nabel reichte. Dort sahen sie sich an.
„Okay. Hier ist es super", fand der Student und schaute aufmunternd. „Wir machen es ganz vorsichtig. Du hältst dich an der Boje fest und ich ziehe dich mit mir, okay? Ich gehe rückwärts, dann hab' ich dich im Blick und du kannst immer sehen, dass es noch flach genug zum Stehen ist. Wenn du dich dran gewöhnt hast, machst du die Schwimmbewegung mit den Beinen, um Gefühl für das Wasser zu kriegen. Und wenn du dich dann noch mehr traust, dann lässt du die Boje los."
„Dann ... lass ich die Boje los", wiederholte Ezra, um sich selbst Mut zu machen.
„Genau! Du kannst schwimmen, du musst dich nur an das Meer gewöhnen. Bereit?"
„Bereit."
Mit diesem Wort ergriff Ezra die Boje mit beiden Händen. Er zögerte noch damit, sich nach vorn ins Wasser gleiten zu lassen, aber Toby, der ihn genau beobachtete, begann, langsam und ruhig rückwärts zu gehen. Ein Blick in die honigfarbenen Augen seines Freundes bestätigten ihm, dass der sich sicher genug fühlte, sodass der Blonde nun begann, ihn behutsam durch das Wasser zu ziehen.
„Oh Shit! Das ist salzig!", rief Ezra plötzlich aus und spuckte.
„Natürlich ist das salzig. Es ist die See. Du sollst das nicht trinken, nimm den Kopf hoch ... nicht so verkrampft ... schau mal unter dich, da ist nur Sand ... das ist gar nicht tief ... lass den Mund zu ..." Toby gab alles, was ihm einfiel, um seinem Freund das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle zu geben.
Ezra spuckte noch immer, hustete, strampelte, wurde dann aber allmählich ruhiger.
„So ist gut, mein Captain, alles super, das Salzwasser trägt dich ..."
Endlich begann der Mann im Schlepp von Toby mit einem verhaltenen Beinschlag. Erst noch unregelmäßig und als ob er seine Beine testen wollte, doch nach und nach bekam er einen gleichmäßigen Rhythmus. Auch sein Leib glitt sogleich ruhiger durchs Wasser. Der Blonde redete weiter sanft auf ihn ein und nach einer kleinen Weile wagte Ezra sogar, das Gesicht ins Wasser zu legen. Es stimmte, was Toby sagte, das Meer war vollkommen ruhig und unter sich sah er nur den leicht geriffelten, hellen Sandboden. Was hatte er auch erwartet? Ein Ungeheuer? Ein U-Boot? Was für ein Unsinn!
Ezra nahm den Kopf wieder hoch, konzentrierte sich auf seinen Atem und seine Bewegungen mit den Beinen. Es konnte nichts passieren, denn Toby war da, bei ihm. Sein Sterngucker, der würde ihn retten. Nein, ihm würde gar nichts passieren, denn er hatte gelernt, wie es geht, er musste es jetzt nur tun. Im Meer schwimmen. Und in dem Moment beschloss er, es einfach drauf ankommen zu lassen. Er ließ die Boje los und merkte, wie er oben trieb. Da war nichts, was ihn hinunterzog. Er musste nun beginnen, den Schwung mit den Armen zu machen, sie passend zu den Beinen vorzustrecken und dann die Kreisbewegung durchzuziehen. Wie so oft im Hallenbad. Und wirklich holte er aus und machte seinen ersten Schwimmzug. Und den nächsten. Und noch einen.
Toby begann zu jubeln. „Du schwimmst! In der See!"
Ezra hörte ihn, blieb aber auf seine Schwimmzüge fokussiert und versuchte, nicht vor Freude aus Versehen wieder Wasser zu schlucken. Er schwamm einfach weiter und gleich darauf war sein Freund bei ihm und schwamm neben ihm.
„Du schwimmst!" rief der abermals aus und lachte.
„Ja!", brachte Ezra mit Begeisterung heraus, schluckte, spuckte, schwamm weiter. Ein paar Züge, noch ein paar mehr, dann reichte es fürs Erste. Er stellte sich auf, ebenso Toby und so standen sie im Wasser, jubelten gemeinsam und fielen einander in die Arme.
„Jetzt bist du wirklich ein Freischwimmer!", scherzte der Blonde lauthals.
Sein Freund lachte nur, ebenso glücklich wie erleichtert und drückte ihn an sich. Er war ein Freischwimmer!
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