ignoranz

Die Sonnenstrahlen weckten mich am nächsten Morgen aus meinem Schlaf, in den ich mich irgendwie noch hinein weinen konnte.

Ich spürte, dass die Schwellung an meinen Augen ein wenig zurück gegangen war, aber sie brannten noch immer. Mein Kleid hatte ich gestern nicht ausgezogen und es war noch alles genauso wie gestern.

Mein Koffer stand mitten im Zimmer und die Glasscherben der Vase lagen immer noch zerstreut über den ganzen Fußboden.

Erst jetzt bemerkte ich, dass sich an der Wand ein großes Bücherregal befand, in dem ein paar Bücher und Hefte standen. Die hatte Dad bestimmt auch nicht gekauft.

Ich erhob mich und lief zu einem kleinen Schminkspiegel herüber, der auf dem hölzernen Schreibtisch stand.
Mein Gesicht sah furchtbar aus.
Das Make up von gestern war verlaufen und ich hatte große Pandaaugen.

Super. Ich hasste diesen Tag jetzt schon. Nachdem ich mir mein Gesicht mit einem feuchten Tuch abgeschminkt hatte, beschloss ich mein Zimmer zu verlassen und duschen zu gehen.

Schräg gegenüber meines Zimmers befand sich ein kleines Bad. Es hatte eine große Badewanne, die mitten im Raum stand. Wow. Dad hatte hierfür eine Menge Geld aufkommen lassen.

Woher hatte er es nur?
So reich waren wir ja schließlich nie.

Nachdem ich mir ein Bad eingelassen hatte und in die Wanne gestiegen war, glitt ich mit meinen Fingerspitzen entlang des Badewannenrandes.

Die Wanne war hoch und bot mir somit genügend Platz, um mich ganz ausstrecken zu können. Nachdem ich dem Wasser ein Weilchen gelauscht hatte, wie es den Wasserhahn hinab strömte, holte ich einmal tief Luft und tauchte unter.

Unterhalb der Wasseroberfläche war alles ruhig. Ich hörte noch immer das Wasser fließen, doch es war leiser, irgendwie unterdrückter.

In der Ferne konnte ich Stimmen vernehmen, die leise miteinander redeten. Charlotte und Dad mussten schon wach sein.

Als ich mir die Haare gewaschen hatte nahm ich mir eine der Lotionen, die auf einem kleinen Tisch standen und ließ einen großen Klecks in meine Hand gleiten. Als ich mir über die Arme streifte hing mir erneut der gestrige Tag im Kopf.

Wenn das Wasser durch die Oberfläche prallte erinnerte es mich an den lauten Aufprall der Vase. Wie sie in viele kleine Scherben zersprang und dann einfach nur da lag.

Ich stellte das Wasser ab, wusch mir denn Schaum von Kopf, Haaren und Haut und stieg triefend nass aus der Badewanne.

Kalt fuhr mir die Luft über meine nackte Haut. Irgendwie tat es gut die klirrende Kälte entlang meines Körpers zu spüren.

Gegenüber von mir trat ich einem Spiegel entgegen. Eigentlich sollte man nichts an seinem Körper auszusetzen haben. Meine Haut war braungebrannt von der starken Sommersonne. Ich war nicht dick, ich war nicht dünn. Ich hatte Kurven, die ich eigentlich gekonnt einsetzten konnte, aber trotzdem gab es mir ein ungutes Gefühl mich selbst nackt zu sehen.

Vielleicht lag es daran, dass ich Jungfrau war, dass mich nie jemand, außer meiner Augen, nackt gesehen hatte.

Ich schling ein weiches Handtuch um mich und zog es oben fest. Ich wollte nicht wissen was mich erwarten würde, wenn ich später die Treppen hinunter lief.

Nachdem ich mir eine schwarze Sportleggings und eine Trainingsjacke übergezogen hatte kramte ich meine Turnschuhe aus dem Koffer, steckte mir Kopfhörer in die Ohren und ging entschlossen die Treppe hinab.

Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass jemand hinter mir stand und etwas sagen wollte, aber durch die laute Musik, die auf stärkster Stufe schallte konnte ich und wollte ich nichts hören.

Ich hatte zwar keine Ahnung wohin ich lief, als ich aus dem Haus gestürmt war, aber ich würde schon einen Weg finden.

Wenn ich mich mit meiner Situation auseinandersetzen musste, dann erst nachdem ich einen klaren Kopf hatte.

Die Straßen waren riesig, belebt und blüten vor den unterschiedlichsten Leuten.

Ich hatte mich noch nie zuvor mit Memphis auseinander gesetzt. Ich hatte mich einfach nie für diese Stadt interessiert. Jetzt jedoch, wo ich hier wohnte sollte ich schon ein wenig herumstöbern.

Joggend spürte ich meinen kalten Atem und den Wind in meinen langen braunen Haaren, die sich angenehm in die Richtung des Zugs schmiegten.

Viele Menschen tummelten sich entlang der belebten Straßen und gingen einkaufen, oder spazierten einfach. Ein älteres Pärchen lächelte mich an, als ich an ihnen vorbei lief.

Ich lächelte und vergaß für einen kurzen Moment, wie verrückt eigentlich mein Leben zur Zeit war.

Es war nett Menschen zu begegnen, die einem anderen nur durch ein Lächeln ein ganz anderes Gefühl gaben. Das hatte ich gerade gebraucht. Ein wenig Hoffnung quoll in mir auf.

Ich setzte an auf die andere Seite zu kommen und die Straße zu überqueren, als ich in meiner Nähe ein Auto fahren hören konnte, hielt ich kurz Inne.

Schnell wandte ich mich dem schwarzen Mercedes zu, in dem eine Frau schockiert auf die Bremse drückte.

Ich musste schnell runter von der Straße, aber kein Muskel bewegte sich, als ich in ihrem Gesicht die Angst sehen konnte. Nichts klammerte sich an mich, kein Gefühl, kein Reflex, ich stand da einfach und blickte meinem eigenen Tod schockiert in die Augen.

Verängstigt drückte ich beide Augen zu und hörte auf zu atmen..

Ein starker Stoß kam mir entgegen, doch irgendwie war es ganz anders, als ich es mir in meinem Kopf schon ausgemalt hatte. Ich dachte ich würde viel mehr Schmerzen erleiden, doch stattdessen spürte ich nur den harten Boden unter meinem Körper.

War ich tot? War's das für mich?

Langsam öffnete ich die Augen. Es war hell, doch ich spürte eine Welle an Wärme, die sich auf meinem Körper niederließ.

Ich konnte endlich etwas erkennen. Der klare, babyblaue Himmel schwebte über mir und dann war da ein Gesicht, das sich über mich beugte.

Besorgt sah er aus, als er seine warme Hand an meine Wange legte.
„Ist alles in Ordnung? Gehts dir gut?"

Seine Stimme war herrlich schön. Sie war tief und beruhigend und irgendwie funkelten mir seine hellen, blauen Augen entgegen.

Nach ein, zwei Liedschlägen fasste ich mir mit meiner linken Hand an die Stirn. Auf meiner rechten wusste ich seinen Körper zu spüren und bewegte diese nicht.

„Ja, alles ok. Ist mit der Frau im Wagen alles in Ordnung?" ,fragte ich, doch so schnell ich es sagen konnte war sie schon voller Sorge angestürmt und entschuldigte sich hundertfach.

„Es tut mir so unfassbar leid. Ich .. ich hab nicht aufgepasst, oh Gott!"
Ich lächelte sie beruhigend an: „Alles ok, ich glaube mir ist nichts passiert."

Ich hatte das Gefühl in einer Art Schockstarre zu sein.
„Du wärst gerade fast angefahren worden und dich interessiert nur wie es der Frau in dem Wagen geht?" ,fragte der Junge Mann, der mich wohl vor dem Unfall gerettet hatte.

„Ich hab ihre Angst gesehen, ich konnte es fast spüren, ich glaube sie hatte mehr Angst als ich." ,sagte ich leise und blickte noch immer in seine Augen, bis er dann ein Stück von mir rückte, sodass ich mich aufsetzten konnte.

„Ganz schön selbstlos und aufmerksam." ,meinte er kniend vor mir.

„Oh mein Gott, Erin! Du liebe Zeit, wie geht es dir, was ist passiert?" ,rief die Stimme meines Vaters aus der Entfernung.

„Na toll." ,schnaufte ich und schaute ihn an, wie er auf mich zu gerannt kam.
Er hatte mir echt noch gefehlt, wie hatte er überhaupt mitbekommen, dass ich hier war?

Er schrie die Fahrerin an, wie sie so etwas unverantwortliches zulassen konnte und die Frau schien den Tränen nah zu stehen.

Dieser Mann hatte einfach kein Mitgefühl. Ich wandte mich von ihnen ab, um mich bei dem Jungen zu bedanken, doch er war weg.

Verwirrt blickte ich mich um, stand sogar auf, doch er war weit und breit nicht zu sehen.

Wo war er denn nur hin? Ohne etwas zu sagen?

Als mich Dad nachhause geschliffen hatte setzte er sich neben mich in die Küche und schimpfte vor sich hin über diese Frau und wie sie einfach nicht aufpassen konnte.

Charlotte gab mir ein Kühlpack, welches sie mir auf die Stirn legte. „Schön, dass dir nichts passiert ist."

Ich nickte. Sie schien ein netter Mensch zu sein, was sah sie bitte in meinem Vater?
Sie kannte ihn wohl einfach noch nicht gut genug.

„Charlotte, ich.." ,ich wusste nicht wie ich ihr sagen sollte, dass ich ihre Vase zerschmettert auf dem Boden meines Zimmers zurück gelassen hatte.

Aber wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich diese Entschuldigung nicht nötig. Sie hatte sich schließlich in unser Leben eingemischt, nicht ich mich in ihres.

Ich griff nach dem Kühlpack und verließ einfach die Küche.

Als ich wieder oben in mitten meiner Scherben saß musste ich erneut an den Unfall denken.
Er spielte sich in meinem Kopf erneut ab. Ich sah ständig die verängstigten Augen dieser Frau, wie sie so hilflos in diesem Auto saß.

Was war wohl in ihrem Leben vorgefallen, dass sie in diesem Moment so unvorsichtig unterwegs war.
Vielleicht hatte sie selbst einen schlimmen Streit hinter sich. Man konnte doch sowas nicht wissen.

Und wie Dad sie dann angeschrien hatte. Er versetzte sich nie in die Lage anderer, er handelte einfach nach dem was ihm in seinem verwirrten Kopf als erstes aufsprang.

Und dann sah ich wieder seine Augen, hörte seine schöne Stimme, wie sie mir leise zusprach, dass ich in Ordnung sei. Dass ich so selbstlos und aufmerksam war.

Wer war er und warum war er so schnell wieder verschwunden?

In dem Moment, wo ich seine Nähe so genossen hatte..

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Tadaa! Der zweite Teil, wie versprochen.. <3

Erin/ @audreyanamichelle

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