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"Tschuldigung." - mit seinen Händen abwehrende Bewegungen machend, fuchtelte Yoongi in der Luft herum. Vor ihm war niemand. Um ihn herum herrschte noch immer Leere und der Unterricht war noch lange nicht vorbei. Doch er war der festen Meinung, gerade in jemanden gelaufen zu sein. Er hatte die Person berühr und diese ekelte sich nun.

Von außen sah es aus, als wenn der Schüler verrückt wäre. Man könnte nicht verstehen, was da gerade vor sich ging, doch für ihn war es eine Bedrohung. - "Es tut mir wirklich leid." - sich immer wieder verbeugend, entschuldigte er sich, bis eine Tür ganz hinten im Flur geöffnet wurde. Erschrocken wirbelte der Blauhaarige herum, blickte auf die Tür, die sich langsam öffnete, bevor er sich nach einem letzten entschuldigenden Verbeugen umdrehte und aus dem obersten Stock die Treppen nach unten rannte.

Es zählte für ihn nur eines. Weg von all den Menschen. Dass er bei seiner Flucht in viele der in seinem Kopf existierenden Menschen hineinrannte, war ihm egal. Er spürte zwar den Schmerz an der Schulter und auch die schupsenden Berührungen im Rücken, doch war all das nur noch nebensächlich. Er musste nach Hause in seine vier Wände.

Nur dort war er sicher.

Im Foyer angekommen drehte sich plötzlich jeder zu ihm um. Alle hielten das Bild, welches Hoseok ihm gezeigt hatte in den Händen, hatten darauf schon Karikaturen gezeichnet und ihn somit entstellt.

Immer hektischer luftholend versuchte Yoongi sich durch die Masse zu zwängen. Anders als die im oberen Stockwerk zogen sie an ihm.

Sie zogen ihm Haare raus, klebten ihm etwas hinein und auch an seiner Kleidung wurde gerissen. Sein Kopf schmerzte von diesen Aktionen, immer wieder breitete sich der kurze, starke Schmerz strahlend auf seiner Kopfhaut aus und es glich einem Wunder, dass seine Kleidung nicht riss.

Immer weiter schrien sie auf ihn ein, machten jedoch etwas Platz, dass er sich langsam Richtung Ausgang bewegen konnte. Alle bis auf eine.

Sie hatte Ähnlichkeiten mit Juli und doch war sie nicht die grünhaarige Schwimmerin. Sie stand vor dem etwa gleichgroßen Teenager, hielt ebenfalls einen dieser Zettel in der Hand und grinste gemein. Auf ihrem war Yoongi ganz klar als Junge zu erkennen.

"Jungkook ist schwul. Denkst du, er könnte mit so was wie dir eine Beziehung führen?" - gehässig lachte sie auf, dabei legte sie den Kopf in den Nacken und wischte sich die Tränen weg, die ihr dabei gekommen waren. - "Er kann nur Jungs lieben!" - gerade als sie eine ihrer Hände, die mit viel zu langen Fingernägeln ausgestattet waren, nach ihm ausstreckte, kam Leben zurück in den Blauhaarigen und er rannte weg. Drängte sich an allen vorbei und trat nach wenigen Sekunden an die frische Luft. Doch anstatt stehen zu bleiben und wieder zu sich zu finden, rannte Yoongi weiter. Die Passanten auf der Straße, die gerade entweder nicht arbeiten mussten oder geschäftlicher Erledigungen nachgingen, wichen dem mit weit aufgerissenen Augen und vollkommen verstört aussehenden Schüler aus. Einige riefen ihm noch verärgert hinterher, weil sie ihren Kaffee verschüttet hatten oder anderes ihnen gerade nicht passte.

Alles, was sie damit jedoch erreichten, war es, den Teenager nur noch mehr zu verängstigen, sodass dieser noch schneller und wie blind durch die Stadt rannte. Er sah sich nicht mehr um, viel zu groß war die Angst, wieder angeschrien zu werden. Ebenso wenig hielt er an, wenn er eine Straße überquerte. Er lief drauf los, ignorierte das Schreien und Hupen der Autofahrer, die ihn als verrück und lebensmüde beleidigten.

Immer stärker begann seine Lunge zu brennen. Alles an seinem Körper schrie danach stehen zu bleiben, eine Pause zu machen, doch gerade das war für Yoongi undenkbar. Wenn er jetzt stehen blieb, dann würden sie ihn alle überfallen, ihn verletzen und nicht mehr gehen lassen.

Sich wegen eines Knalles umdrehend, rannte er in einen Mann, der ihn an den Schultern festhielt.

"Musst du nicht in der Schule sitzen?" - das Gesicht des Mannes verzehrte sich in der Wahrnehmung des Schülers und er schüttelte panisch den Kopf. Er musste weg, der Mann sollte ihn gehen lassen und nicht wieder zurückbringen.

"N-nein!" - um sich schlagend, traf er den Unbekannten an der Nase, woraufhin dieser den Jüngsten schmerzhaft stöhnend von sich stieß.

Sobald ihm die neugewonnene Freiheit bewusstwurde, rannte Yoongi weiter, immer weiter in Richtung dem Haus seiner Mutter. Den Knall, der von einem Unfall herrührte, der nie für jemanden außer ihn geschehen war, ignorierte er. Es würde sich schon noch jemand kümmern, außerdem hatte er somit freie Bahn. Keiner würde mehr versuchen, ihn aufzuhalten oder gar wahrnehmen. Schließlich sahen Menschen sich gerne das Leid anderer an.

Keuchen und mit einem metallischen Geschmack im Mund rannte er nach einigen Minuten zur Haustür, die nach mehreren Anläufen mit einem leisen Klicken aufschwang.

Mit einem erleichterten Aufschluchzen viel der Blauhaarige in den Flur des Hauses, stupste die Tür hinter sich zu und kauerte sich zusammen. Dass er angefangen hatte zu weinen, merkte er erst jetzt, was für noch mehr Angst sorgte. Wer hatte ihn alles so gesehen? Gab es Bilder davon? Würden sie diese auch in die Schule hängen und was hatten sie noch alles damit vor?

Sich an den sowieso schon schmerzenden Haaren ziehend, rappelte er sich auf, ließ die Schuhe an, was normalerweise verboten war und taumelte die Treppe ins Badezimmer nach oben.

Sobald ihn der mit Fliesen ausgelegte Raum empfing, ließ er sich wieder auf die Knie sinken und begann damit die lockeren Sachen, die er noch am Morgen mit Jungkook geholt hatte, damit eben sein Geheimnis nicht ans Licht kam, auszuziehen. Es brauchte mehrere Anläufe, bis er mit seinen zitternden Händen den Knopf geöffnet und sich irgendwie so gedreht hatte, dass er die Hose über seine Hüfte bekommen konnte.

Nun nur in Unterwäsche dasitzend, sah er an sich herunter. Bis auf die roten Knie, die durch das darauf fallen vermutlich blaue Flecken bekommen würden, war nichts Außergewöhnliches an ihm zu sehen und trotzdem brannte sein Körper. Er tat weh von den ganzen Griffen der Menschen, die ihn aufhalten wollten. Doch nicht nur sein Körper hatte irgendwie Schaden genommen. Nein, immer wieder sah er das Mädchen mit dem Zettel, wie sie lachte und Yoongi schmerzhaft wieder auf den Boden der Realität zog.

Jungkook war schwul. Sein Koo könnte ihn gar nicht so lieben, wie er jetzt war. Es war unmöglich, dass sie jemals eine richtige Beziehung führen könnten und es war vielleicht wirklich alles nur noch eine Frage der Zeit.

Zeit, die er nicht hatte. Zeit, die ihm davonlief. Wie lange würde sein fester Freund es noch aushalten, mit so was zusammen zu sein. Er fand ihn ja nicht mal sexuell attraktiv. Folglich war Yoongi zu nichts zu gebrauchen. Also warum blieb der Schwarzhaarige noch bei ihm. Vielleicht würde er auch nach dem Tag, nach dem Foto, was jeder kannte, ihn verlassen. Wer wollte schließlich mit dem Opfer herumlaufen, mit der Transe, wie sie ihn alle betitelten.

Seine Arme auf die kalten Fliesen legend, sodass er seinen Kopf darauf platzieren konnte, kauerte sich der Teenager zusammen. Was hatte er sich bei all dem gedacht, was hatte er erwartete? Das es einfach wäre? Das er einfach draußen rumlaufen würde? Menschen konnten lieb sein, viel Verständnis haben und am Ende waren sie sich selbst noch immer am nächsten.

Zitternd ein- und ausatmend sah er sich im Badezimmer um. Hier hing zu seinem Glück kein Ganzkörperspiegel, jedoch löste das das Problem nicht. Nur weil er sein Spiegelbild nicht mehr sah, so nicht mehr sehen konnte, dass er ein Mädchen war, änderte dies nichts an eben dieser Tatsache. Es war und wird immer so sein, es sei denn, er würde etwas ändern und eben das konnte keine 6 Monate mehr warten.

Sich aufrappelnd zog Yoongi jede einzelne Schublade auf, suchte nach etwas Scharfen, was er dazu nutzen könnte, um etwas zu verändern. Er zog immer mehr Schubladen auf, durchwühlte sie und ließ sie so zurück. Es war gerade nebensächlich, dass er ein vollkommenes Chaos hinterlassen würde. Doch alles, was er fand, waren Pflegeprodukte. Einige waren für mehr Feuchtigkeit, andere sollten Poren verkleinern und wieder andere das Haar weichen und stärker machen. Doch etwas Scharfes gab es in diesem Badezimmer praktisch nicht. Immer hektischer werdend kramte der Blauhaarige tiefer in den Schubladen und sah somit nicht mehr ganz, was er alles anfasste, bis ihn ein kurzer Schmerz durchfuhr.

Aus seiner Hand an einem kleinen Schnitt quoll das hellrote, warme Blut hervor. Erst langsam bildeten sich kleine Blutströpfchen, die sich nach kurzem zusammenschlossen und als kleines Rinnsal seine Finger nach unten flossen, somit Flecken auf der weißen Fußunterlage hinterließen.

Für einen Moment war Yoongi wie hypnotisiert, er beobachtete den zweiten und dritten Rinnsal, der sich dem ersten anschloss und weitere Flecken hinterließ, bis er wieder in Bewegung kam und nun ganz gezielt dorthin griff, wo sich soeben der spitze Gegenstand befunden hatte.

Er musste nicht viel zur Seite schieben, bis er eben die kleinen, sehr schmalen einzelnen Rasierklingen fand, die ganz hinten verstreut lagen. Wo genau diese herkamen und warum seine Mutter diese besaß, war ihm egal. Sie hatten zwar keinen Rasierer, wo diese Klingen zu passen würden, doch für den 16 Jährigen kamen diese wie gerufen.

Sich zwei, drei vom Boden der Schublade aufhebend, rappelte er sich auf und lief in Richtung der Dusche. Auf dem Weg dorthin zog er sich noch die Unterhose aus und trat nur mit Socken bekleidet in die Dusche, dessen Boden noch schneeweiß war.

Ohne zu zögern setzte sich der Blauhaarige hin, nahm sich von oben den Duschkopf und machte ihn auf einer sehr niedrigen Stufe an. Darauf achtend, dass das Wasser eine kalte Temperatur besaß und dennoch das Blut wegspülen würde, da er beim Schneiden freie Sicht haben wollte, atmete er noch einmal tief durch.

'Jungkook ist schwul'

Seine Tränen wegblinzelnd und die aufkommende Angst herunterschluckend, nahm er sich eine der Klingen und setzte sie an die äußeren Schamlippen an. Diese müssten zuerst weg.

'Denkst du, er könnte mit so was wie dir eine Beziehung führen?'

Die Augen zusammenkneifend übte er mehr Druck auf die Klinge aus, die nach kurzem tief in das Fleisch einschnitt. Ein unfassbarer Schmerz durchzog den Blauhaarigen, der ihn dazu veranlasste, laut aufzuschreien und anschließend leise vor sich her zu wimmern.

Er wollte aufhören. Es tat weh, schlimmer als alles, was er zuvor gespürt hatte, doch er durfte nicht. Nicht jetzt.

'Er kann nur Jungs lieben!'

Schluchzend wollte er mehr Druck ausüben. Sein Kopf spielte ihm immer wieder das Mädchen in der Schule vor, was ihn dazu brachte, weitermachen zu wollen. Doch der schlagartige Blutverlust und die Schmerzen lähmten ihn. Er konnte nur verschwommen zusehen, wie immer mehr Blut von dem Wasser weggetragen wurde, die Klinge noch immer in der Schamlippe steckte und bei jeder Bewegung, die er unabsichtlich aus Schmerzen tat, weiter einschnitt. 

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Ich schiebe es einfach auf den Sommer und dass alle draußen sind .-.

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