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Erschöpft betrat Jihun das ruhige Haus. Er hatte an diesem Wochenende nicht eine freie Minute. Neben seinen Sorgen um Yoonji, lief bei der Arbeit alles ziemlich unter Zeitdruck, da sie eine Deadline hatten, bis wann das Produkt einsatzbereit sein müsste. Hinzu kam, dass sich der schwarzhaarige Mann heute mit etlichen seiner Anwälte zusammengesetzt hatte. Sein Ziel war es dabei gewesen, das Sorgerecht für Yoonji seiner Ex-Frau zu entziehen. Er kann seine Tochter nicht mit dem Wissen, dass diese dort willkürlich irgendwelchen Medikamenten ausgesetzt wird, die vorher mit niemanden abgesprochen wurden, zu der Frau zurücklassen. Doch bis das durchgebracht wird, dauert es vermutlich noch seine Zeit. Seine einzige Hoffnung dabei war, dass die Blauhaarige sich freiwillig dafür entscheiden würde, nicht mehr zu ihrer Mutter zurückzukehren. 

Den Haustürschlüssel an das Brett neben der Tür hängend, stellte der Mann seine Schuhe im Gegensatz zu seiner Tochter ordentlich auf das Regal. Yoonji hatte die Angewohnheit, ihre Schuhe einfach da stehen zu lassen, wo sie sich gerade befand. Und es ist inzwischen häufiger vorgekommen, dass dieser Aktion mehrere Lebensmittel zum Opfer gefallen waren, als Jihun vom Einkauf zurückkam und erst mal über die Schuhe stürzte. So lagen auch jetzt die Schuhe der Teenagerin im Eingangsbereich herum, nur dass diese wohl auf dem Weg zur Treppe ausgezogen wurden. Hinzu kam der unbekannte Rucksack, der nach wie vor ungünstig im Eingangsbereich lag. 

"Yoonji!" - sich an die Treppe stellend, rief der Vater in den ersten Stock nach oben. Es wäre das erste Mal, dass die Blauhaarige Besuch hätte. Zumindest konnte er sich den Rucksack sonst nicht erklären. - "Ich bin wieder da! Wenn ihr Hunger habt, dann kommt runter!" 

Da er von seiner Tochter nach wie vor keine Antwort erhalten hatte, ging er in die Küche, die gegenüber von der Treppe lag. Snow lag inzwischen wieder in eine der Nischen hinter dem Kühlschrank. Das Kätzchen ließ lediglich die weiße Schwanzspitze hinter dem gigantischen Gerät hervorlugen.

Ratlos die Katze ansehend schüttelte der Schwarzhaarige den Kopf. Es würde sicher nur eine Frage der Zeit sein, bis sie größer werden würde und in eine der engen Nischen versehentlich stecken blieb.

Den Kühlschrank öffnend, wodurch sich das kleine Fellknäuel fast zu Tode erschreckte und mit aufgeplustertem Schwanz schnell ins angrenzende Wohnzimmer und dort unter die Couch rannte, nahm sich der Vater das Fleisch und Gemüse für das Abendbrot heraus. Es war zwar erst ungefähr halb 5, doch kannte er sein Fressmonster gut genug, um zu wissen, dass eben dieses spätestens um 18 Uhr nach unten gekrochen kam und sich wie die Raupe Nimmersatt durch die Küche fressen würde. Dabei würde jedoch nichts Gesundes den Weg in den Stoffkreislauf seiner Tochter finden. Nein, auf der Speisekarte standen Cookies, Eiscreme und Cookies. So was wie Gemüse wurde kein Blick gewürdigt, es sei denn, es stand zubereitet auf dem Tisch. Dann musste man sich beeilen, noch etwas abzubekommen, da das in Sekunden schnelle in Yoonjis Bauch dem schwarzen Loch verschwinden würde. 

Alles Nötige auf die Arbeitsplatte stellend, sah Jihun nicht genau hin, ob da schon etwas stand und so kam es, dass das kleine Fläschchen, das der Blauhaarige zum 'Nachbestellen' auf den Tresen stehengelassen hatte, mit einem Knall zu Boden viel. Aufgrund des starken Glases, welches verwendet wurde, blieb es unversehrt und noch in einem Stück liegen. 

Verwirrt hob der Vater das Gläschen auf und es dauerte nicht lange, bis ihm auffiel, welches Glas das war. Es war das einzige Medikament, welches keine Beschriftung hatte, da jene Gläser von Jae vorbeigebracht wurden und diese niemanden an Yoonjis Medikation teilhaben lassen hatte. Doch ebenso sehr, wie ihm klar wurde, welches Glas es war, viel ihm auch auf, dass es leer war, obwohl es erst vor zwei Tagen bei ihm abgegeben wurde. Noch am letzten Schultag war seine Ex-Frau vorbeigekommen, um das Medikament vorbeizubringen und es gab nur zwei Erklärungen, warum das Fläschchen nun bis auf den letzten Krümel leer war. Entweder wollte Yoonji dieses nicht mehr nehmen und hatte sie somit alle weggeschmissen oder die viel logischere Erklärung war es, dass sie alles genommen hatte, warum auch immer. Und eben genau das sorgte dafür, dass dem Mann augenblicklich schlecht wurde. 

"Yoonji!" - wieder in den Flur rennend lauschte er, doch bekam nach wie vor keine Reaktion seiner Tochter. 

"YOONJI!" - die Treppe nach oben rennend führte sein erster Weg ihn zum Badezimmer, dessen Tür sonst immer offen stand. - "YOONJI! Mach bitte die Tür auf!" - anfangs nur davor stehend, klopfte er gleich an die eigentlich verschlossene Tür. Jedoch schwang diese durch die leichte Berührung auf, sodass ein leeres Badezimmer freigegeben wurde und nur das Fenster zum Lüften offen war. Ebenso zeigte es den teils verdeckte Ganzkörperspiegel, worum sich Jihun später kümmern würde. 

Den Flur wieder zurückrennend, riss er diesmal ohne zu zögern die Zimmertür seiner Tochter auf und rannte zu der schlafenden Teenagerin. 

"Yoonji!" - immer wieder an der Schulter der Blauhaarigen rüttelnd vielen ihm auch die Schwellungen der Brennnessel an den Unterarmen auf. Auch die leicht angeschwollenen Augen entgingen dem Vater nicht und dennoch war es in erster Linie wichtiger, dass sie aufwachte. - "YOONJI! ICH RUFE DEN KRANKENWAGEN!" 

"W-warum?" - müde blinzelte die Jüngste zu ihrem Vater nach oben, der das Zimmer lichtgeflutete hatte. 

"Bist du des Teufels." - den schmächtigen Körper seiner Tochter umarmend, seufzte er immer wieder erleichtert und setzte sich mit ihr im Arm auf das Bett. - "Was hast du dir dabei gedacht. Kannst du nicht einfach direkt reagieren. Außerdem, warum hasst du all die hier geschluckt. Davon kann man auch einen Schlaganfall oder Thrombose bekommen." - nun etwas lauter werdend, stellte er das Glas vor der nach wie vor drögen und müden Yoonji ab. 

"Ich habe die nicht genommen.." - ihrem Vater nicht in die Augen blickend spielte sie ertappt mit ihren Fingern. 

"Ach nein? Also wenn ich jetzt gleich unten in den Müll gucke, dann werde ich die fehlenden Tabletten sehen?!" - seine Angst in Wut und Verzweiflung ausdrückend erhob er die Stimme, wodurch sich seine Tochter nur noch kleiner machte und bereits die ersten Tränen aus ihren noch brennenden Augen über ihre geröteten Wangen flossen. 

"D-du verstehst das ni-nicht." - den Schwarzhaarigen aus verweinten Augen ansehend, schüttelte dieser nur den Kopf. 

"Erklär es mir. So verstehe ich es nicht, ja, aber sich deswegen in Lebensgefahr zu bringen, ist auch keine Lösung, also rede." - wieder etwas sanfter strich er der Jüngeren einige Tränen von den Wangen. 

"I-ich muss ein Junge werden. So sch-schnell wie mögl-glich." - nach wie vor aufgelöst hielt sich die Blauhaarige wieder die Brust, wo das schmerzhafte Ziehen wegen Jungkook wieder einsetzte. Es fraß sich erneut durch ihren Körper und verursachte über all Schmerzen. Der Schmerz schlang sich um alles, um ihre Beine, Arme und den Hals. Er schnürte sich nur immer fester um die Teenagerin zusammen. Im Traum konnte sie ihm wenigstens für kurze Zeit entfliehen. 

"Warum das?" - verwirrt zog er seine Tochter nur mehr an sich und umwickelte sie mit ihrer Bettdecke, um etwas mehr Sicherheit zu schaffen. 

"Da-amit er mich li-iebt." - laut aufschluchzend, da ihr die Arme ihres Vaters viel zu viel Sicherheit gaben, ließ sie sich weiter einkuscheln. 

"Wer soll dich lieben." 

"K-koo." - seinen Namen, wenn auch nur Spitznamen auszusprechen, sorgte für ein kurzes, stärkeres Stechen im Brustbereich, wo Yoonji auch direkt ihre Hand hindrückte. 

"Wer ist das. Kenne ich ihn?" 

Als Antwort schüttelte die 16-Jährige nur den Kopf und begann sich selbst tiefer in ihr Doppelbett zu kuscheln. - "Ich wi-ill nicht mehr-ehr." - ihr Kissen von ihrem Lieblingssänger schnappend und dieses umklammernd, hörte man nur noch regelmäßige Schluchzer aus dem Deckenhaufen und Jihun konnte nicht mehr tun, als daneben zu sitzen und ihr über den Rücken zu streichen. 

Der Schwarzhaarige wusste nicht, warum seine Tochter es gerade ablehnte, mit ihm zu reden. Vielleicht war das alles auf einmal einfach zu viel und er konnte ihr den Wunsch, ein Junge zu werden, nicht verübeln. Schließlich wurde sie immer verletzt, da sie eben ein Mädchen war, und das war irgendwo seine Schuld.

"Kannst du mir vielleicht Hoseoks Nummer geben?" - weiter beruhigende Kreise über den Rücken der Blauhaarigen ziehend, erstarb das Schluchzen plötzlich. 

"Warum." - es war einer der kältesten Töne, die ihr Vater je gehört hatte und wusste genau, dass sie jetzt alles Schlimme im Kopf durchging. 

"Ich will ihn einladen. Ich bin dir ja keine große Hilfe und da er mit dir eh Shoppen war, wird er ja von Yoonji wissen. Ich möchte einfach nicht, dass du alleine bist und Dummheiten machst. Ich lasse euch auch in Ruhe und es wird nichts peinlich. Ich werde nur dein Lieblingsessen liefern, okay?" - auf die Antwort der Jüngsten wartend, beendete er langsam seine Streicheleinheiten. - "Und vielleicht könnt ihr Snow ja dazu motivieren, auch mal woanders als in kleinen Ecken zu sein." 

"Okay." - das Handy entsperrend sah sie, dass sich niemand gemeldet hatte. Und sie konnte auch niemanden dafür verantwortlich machen. Sie hatte mit Hoseok ausgemacht, sich im Notfall zu melden. - "Hier." - auf das Profil des Weißhaarigen klickend, das Jin, Yoongi und ihn zeigte, wie sie auf der Feuertreppe in der Schule saßen, schob er das Handy so, dass sein Vater die Telefonnummer sah. 

"Okay. Ich gehe dann wieder runter, mache Essen und rufe Hoseok an. Wenn was ist, du dich komisch fühlst, sagst du direkt Bescheid und wir fahren ins Krankenhaus!" 

"Ja." - nickend sich wieder in ihr Kissenberg kuschelnd, duldete sie den Stirnkuss ihres Vaters, der anschließend nach unten ging, die Tür für den Notfall jedoch ganz geöffnet ließ. 

"Wa-ar-rum muss Liebes-eskummer auch nur so sch-chmerzhaft sein." - Sich weiter unter allen Bettsachen begrabend, zog die Blauhaarige ihre Beine an ihren Körper, verzog wieder leidend das Gesicht und kämpfte schon gar nicht mehr gegen die Tränen an. 

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