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Müde und nach außen hin emotionslos saß der 16-Jährige an der Kücheninsel und starrte auf sein halb leeres Wasserglas, das er ab und an anstupste. Jedes Mal, wenn er es bewegte, bildeten sich entweder Wellen oder konzentrische Kreise, die ihn in gewisser Weise beruhigten, ja, fast schon hypnotisierten. Vor ihm lag außerdem die Tablettenschachtel, wo er soeben den Samstag rausgenommen und geschluckt hatte. 

Es war nun eine Woche vergangen, seit er beim Arzt war und ein Geheimnis erfahren hatte. 

Es waren nun 6 Tage vergangen, seit Jungkook ihn verletzt und in das Schilf gestoßen hatte. 

Und vor zwei Tagen hatte er Jungkook seine Liebe gestanden. 

Seitdem herrschte Funkstille. Yoongi sprach mit niemanden von seinen Freunden. Jin hatte er auch nur flüchtig erzählt, was passiert war, doch wollte er nach dem 'Schlag ins Gesicht' einfach nur nach Hause. Und genau da war er auch die letzten Tage geblieben. Jeder, der in anrief oder Nachrichten schickte, wurde ignoriert. Auch wenn sie zu ihm nach Hause kamen, wurden sie nur von Jihun wieder weggeschickt. 

Der Vater konnte es zwar nicht ertragen, seine Tochter so zerstört zu sehen, doch wollte er auch nichts tun, was sie nicht wollte. Wie zum Beispiel ihre Freunde zu ihr zu lassen. 

Der Blauhaarige sah die ganzen besorgten Nachrichten seiner beiden Freunde durchaus, wenn er mal ans Handy ging, um zu sehen, ob der Ältere ihm nicht doch geschrieben hätte. Doch von der einen Person kam nichts. Auch von Namjoon, Taehyung und Jimin kam nichts, worüber er irgendwo erleichtert war. 

Zu Essen bekam er nichts mehr runter. Ihm war einfach nur schlecht. Mal ging etwas Reis, aber das war es dann auch schon. Geschlafen hatte er auch nicht mehr. Jede Nacht lag er einfach wach und lauschte dem unfassbar laut wirkenden Ticken der Standuhr, der Gong war ausgestellt. Es war nicht so, dass er keine Müdigkeit empfand, er wollte einfach nicht schlafen. Zu groß war die Angst, dass er Jungkook verpassen könnte, sollte er doch noch anrufen. Außerdem fürchtete er sich vor seinen eigenen Albträumen, sodass er rein aus Angst nicht zur Ruhe kam. Schlaftabletten wollte er schlichtweg nicht nehmen. 

So kam es dazu, dass der Teenager noch blasser aussah als sonst schon. Seine Haut hatte seit Tagen keine wirkliche Sonne mehr gesehen und der Schlaf-, Nahrungs- und Vitaminmangel machte im zusätzlich zu schaffen. 

"Yoonji?" - Jihun stand in der Tür zur Küche, hatte dabei schon seine Schuhe an und eine kleine Tasche gepackt. - "Der Arzt hat angerufen. Deine Blutwerte sind da und er erwartet uns." - die Blauhaarige drehte sich nicht um und der Mann war sich nicht mal wirklich sicher, ob sie ihn gehört hatte. Doch nach einigen Minuten, wo der Blick noch starr ins Glas gerichtet war, erhob sie sich, trug dabei die Sachen von Hoseok und war somit komplett in Schwarz gekleidet. Sie lief an ihrem Vater vorbei und nahm sich die dunkle, große Sonnenbrille von der Kommode an der Tür, damit sie so ihre müden, von starken Ringen gezeichneten Augen verstecken konnte. Mitleid wollte sie nicht. 

Sobald sie sich beide ins Auto gesetzt hatten und sich jeder mit dem Sicherheitsgurt angeschnallt hatte, drehte sich der Blauhaarige gezielt zum Schwarzhaarigen. - "Kannst du mich bitte Yoongi nennen?" 

Dem Mann lief ein kalter Schauer über den Rücken. Natürlich hatte er schon mitbekommen, dass Yoonji gerade eine Phase durchmachte, wo sie ein Junge sein wollte, doch schob er dies auf den Liebeskummer und die Möglichkeit, sich umoperieren zu lassen. Seine Tochter hatte schon vorher manchmal leicht Liebeskummer, aber noch nie hatte sie ihn gebeten, sie als Junge anzusprechen. Und wenn seine Tochter sich wirklich dazu entscheiden sollte, Yoongi sein zu wollen und das für immer, dann hatte er versagt. Er hatte damals die Entscheidung getroffen, dass sie ein Mädchen wurde und er könnte es sich nicht verzeihen, wenn das die falsche Entscheidung gewesen sein könnte.

"Natürlich." - sich darauf konzentrierend, sie in den Verkehr einzufädeln, ging er erst mal einer langen Antwort aus dem Weg. - "Wenn du das möchtest." 

"Danke." - danach herrschte erneut Stille. 

Die ganze Fahrt über sagte keiner der beiden etwas. Sowohl Vater als auch Yoongi waren in ihren eigenen Welten. Während Jihun sich darüber Gedanken machte, wie es mit seiner Tochter weiter ging und wie er ihr helfen könnte, zerbrach der Teenager sich den Kopf über gar nichts. Ab und zu erinnerte er sich an Jungkook, wie er ihn umarmte und sich von Hoseok nicht abschrecken ließ. Wie er ihn kurz vor Ferienbeginn und auf dem Date behandelt hatte, doch damit kam auch wieder der Schmerz. Der Schmerz, der ihm bewusst machte, dass es in der Vergangenheit lag. Dass er nicht mit Jungkook zusammen war und die Chance, dass er ihn wieder so umarmen würde, sehr gering waren. 

Das Brennen in seinen Augen nahm er dabei schon gar nicht mehr war. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann sie in den vergangenen 7 Tagen nicht gebrannt hatten, ob nun vor Tränen oder Müdigkeit konnte man schon nicht mehr unterscheiden. 

"Wir sind da." - es war eine sehr leise Bemerkung, als der Schwarzhaarige auf dem gleichen Parkplatz wie vor einer Woche hielt. 

Yoongi sagte dazu nichts. Stattdessen verließ er das Auto, wartete kurz auf den Erwachsenen und lief mit im zusammen zur Praxis. 

Drinnen angekommen begrüßte sie diesmal eine andere Empfangsdame, die nach Name und Termin fragte, was beides von Jihun beantwortet wurde. 

"Haben sie ihre Krankenkassenkarte dabei? Ein neues Quartal hat begonnen und ich müsste sie erneut einlesen." - freundlich lächelte sie die beiden an. Auf die Sonnenbrille sprach sie den Blauhaarigen zum Glück nicht an. Vermutlich hatte sie hier schon genug andere komische Kreaturen ein und ausgehen gesehen. Schließlich ging man nicht zum Spaß zum Arzt. 

"Natürlich." - der Schwarzhaarige zog die Karte Yoonjis aus seinem Portemonnaie und reichte sie der Dame. 

"Vielen Dank, sie können sich setzen. Der Doktor ruft sie gleich auf und beim Gehen holen sie ihre Karte bitte wieder ab." 

Ohne etwas darauf zu erwidern, setzten sich beide stumm nebeneinander und warteten. Außer ihnen waren nur wenige Menschen anwesend und nach nicht mal 3 Minuten wurden sie, wie vor einer Woche schon von dem gleichen jungen Arzt aufgerufen und in das Behandlungszimmer gebeten. Wie vergangenen Samstag nahmen sie diesmal ohne Aufforderung auf den Stühlen platzt. Yoongi nahm auch hier nicht seine Sonnenbrille ab. 

"So, Yoonji.." - sich wieder hinter seinen Computer setzend sah Doktor Jo die Teenagerin eine Zeit lang genauestens an. - "Wie fühlst du dich." 

"Gut." - mit noch etwas heiserer Stimme räusperte er sich etwas. 

"Okay." - misstrauisch tippte er wieder etwas in die Akte der 16-Jährigen. - "Hast du Halsschmerzen? Du bist sehr heiser." 

"Ja, ich war aber auf einem Konzert. Also alles gut." 

Wieder ertönte das Tippen auf der Tastatur, wo niemand etwas in der Zwischenzeit sagte. 

"Und deine Augen? Was ist mit denen? Bist du lichtempfindlich?" - abwartend blickte der Arzt seine Patientin an, die nur leer schluckte. 

"Nein." 

"Okay, kannst du sie dann bitte abnehmen?" 

"Nein." 

Die erneute Verneinung des Blauhaarigen ließ den Arzt die Finger von der Tastatur nehmen, bevor er aufstand und um den Tisch herumlief. Fast schon panisch hielt Yoongi seine Sonnenbrille fest, dabei wollte er überhaupt nicht an sie heran. 

"Herr Min, ich möchte sie bitten, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Ich rufe sie dann, wenn es etwas gibt, was sie wissen müssen." - freundlich auf die Tür deutend wartete der Mann im weißen Kittel darauf, dass der Schwarzhaarige aufstand. 

"Eh natürlich." - verwirrt erhob Jihun sich und ließ sich von dem jungen Mann zur Tür begleiten, der diese hinter ihm schloss. 

Sobald der Vater zur Tür heraus war, drehte Jung-suk sich zum 16-Jährigen um und lief auf ihn zu. Bei ihm angekommen zog er seinen Stuhl, so, dass sie sich genau gegenüber saßen. 

"Yoonji, nimmst du jetzt bitte die Brille ab?" 

Anstatt der erhofften Reaktion schüttelte die Blauhaarige nur den Kopf. Dafür erfuhr er jedoch eine andere Information. 

"K-können sie mich bitte Yoongi nenne?" 

Zuerst verwundert blinzelte der Arzt, nickte dann jedoch lächelnd. - "Natürlich Yoongi. Könntest du dennoch die Brille abnehmen? Hier ist niemand mehr. Keiner kann dich sehen und verletzten." - das ihm das Verhalten des Schülers Sorgen bereitete und er häusliche Gewalt in Betracht zog, mit sexuellem Missbrauch behielt er vorerst für sich, obwohl dies die blasse Haut, Heiserkeit und das Weigern des absetzten der Brille erklären würde. Denn auf einem Konzert war der Teenager in einer solchen Verfassung definitiv nicht gewesen. 

Nicht wissend, was er machen sollte, da er den Arzt nicht einschätzen konnte, nahm der Jüngste langsam die Brille ab. 

"Was ist passiert?" - gefasst sah sich der Mann das blasse, leicht magere Gesicht seines Patienten an, das nun mit roten Augen und dunklen Augenringen vervollständigt wurde. 

"Nichts." 

Sich ein Seufzen unterdrückend rutschte Jung-suk näher an den Blauhaarigen heran, um sich etwas die Augen anzusehen. - "Du kannst es mir sagen, wir können dir helfen." 

"Sie haben was gegen ein gebrochenes Herz?" - kurz dachte Yoongi, dass es wahr wäre, doch der überraschte Blick des Mannes zerbrach dies auch schon wieder. 

"Liebeskummer?" 

"Ja." - nun verwirrt, was der Arzt denn gedacht hatte, legte er den Kopf schief. 

"Nein, dagegen gibt es leider nichts." - deutlich erleichterter stand er auf und lief auf die Tür zu, um den Vater wieder ins Behandlungszimmer zu rufen. 

"So, da meine Vermutung, Gott sei Dank widerlegt wurde-..." - er sah Yoongi prüfend an, beließ es aber dabei und merkte in der Akte erst mal nur an, dass man den Teenager im Auge behalten sollte. Vielleicht würde es bei einer Umoperation doch zu häuslicher Gewalt kommen und das Mädchen wollte hier gerade einfach aus Angst nicht die Wahrheit sagen. - ".. kommen wir nun zu den Testergebnissen." - eine neue Datei öffnend, drehte er den Bildschirm so, dass die beiden mit darauf gucken konnten. - "Wie ihr seht, liegen so gut wie alle Werte im Normalbereich. Das Östrogen ist für ein Mädchen eben zu niedrig und es gib mehr Testosteron. So, wie es die Tabletten nun mal bewirken sollen." - mit der Maus auf die Werte zeigend, nickten beide, um so ihr verstehen zu zeigen. - "So, jetzt ist die Frage, wie du dich entschieden hast oder ob du noch Zeit brauchst. Denn mit Liebeskummer ist es vielleicht nicht die richtige Zeit, eine solch gravierende Entscheidung zu fällen." 

"Doch, ich will ein Junge sein." - entschlossen blickte er den Arzt an, der ihn nur zweifelnd ansah, es jedoch notierte. 

Kopfschüttelnd saß Jihun neben seiner Tochter, ob er nun über seine damalige Entscheidung oder Yoonjis jetziger Entscheidung den Kopf schüttelte, wusste niemand. - "Yoonj-..gi. Ich denke, du solltest nichts überstürzten. Du bist bis jetzt auch super zurechtgekommen und du würdest einige Chancen verschenken." 

"Du meinst dir leibliche Enkelkinder zu schenken!" - bissig fauchte der Jüngste seinen Vater an, dabei verlieh die heisere Stimme dem Ganzen das gewisse Etwas. 

Nach Luft schnappend saß der Schwarzhaarige einfach nur vor den Kopf gestoßen da. Er hatte weder jemals so was geäußert, noch war es seine Intention, dass Yoonji so was dachte. Er wollte nur das Beste für sein Kind. Doch gerade schien dieses einfach nur emotional verwirrt zu sein. 

"Nun gut." - der Arzt, dem das Ganze etwas zu laut wurde, unterbrach die beiden. - "Es ist mit der jetzigen Entscheidung ja noch nichts endgültig. Ich würde sagen, da du Yoongi das Medikament gut verträgst, nimmst du es in der gleichbleibenden Dosierung weiter. Jedoch wirst du ab sofort zu regelmäßigen Kontrollen kommen, auch im Bezug auf deine Knochendichte. Und dann gucken wir, wie du dich die nächsten 6 bis 12 Monate machst. Solltest du nach dieser Zeit immer noch 'Yoongi' werden wollen, können wir nach zwei psychologischen Gutachten dies bei der Krankenkasse beantragen, damit du eine geschlechtliche Anpassung bekommst, aber jetzt muss es erst mal so bleiben, okay?" 

Etwas enttäuscht, da er Jungkook ja fast schon versprochen hatte, die Anpassung zu machen, nickte der Blauhaarige geschlagen. Gegen so was konnte er noch so viel diskutieren, keiner würde ihm die Operation machen lassen. Und er hatte auch nicht das Geld dafür, es auf eigene Faust zu regeln. 

"Gut, dann machen sie bitte vorne einen Termin für in einem Monat und dann sehen wir uns. Bis dahin hoffe ich, dass es dir besser geht Yoongi." - freundlich den beiden zulächelnd verabschiedete er sie noch und rief nach kurzem einen neuen Patienten auf. 

"Wir benötigen einen Termin in einem Monat. Uhrzeit kann bleiben." - Yoongi blickte die ganze Zeit auf den Boden, hatte seine Sonnenbrille wieder aufgesetzt und wartete, bis der Schwarzhaarige fertig wurde und sie nach Hause können.

"Sicher. Soll ich es ihnen auf einen Zettel aufschreiben?" 

"Ja, bitte." - die Krankenkassenkarte seiner Tochter einpackend nahm er auch gleich den kleinen Zettel der Arztpraxis entgegen und lief mit dem 16-Jährigen zum Auto. - "Möchtest du etwas bestimmtest zum Essen haben?" 

"Nein. Ich will einfach nur nach Hause." 

"Okay." - Jihun ließ sich nicht anmerken, wie stark ihn das verletzte. Natürlich war sie sein Kind und hatte inzwischen eine schwere Phase, durch die jeder früher oder später gehen musste, selbst wenn man sich weigert, Liebe zu empfinden, doch versuchte er alles, was in seiner Macht war, um ihr zu helfen. Statt Fortschritte zu erlangen, stieß er jedoch nur auf eine kalte, viel zu stark aufgerichtete Mauer. - "Ich werde dir dein Lieblingsessen kochen." - darauf bekam er schon keine Antwort mehr und beschloss, dass es sinnlos war, weiter zu reden. Wenn sie etwas Bestimmtes wollte, würde sie schon auf ihn zukommen, da war er sich sicher. 

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Ich hoffe euch geht es gut. Wenn nicht, ich höre zu, solltet ihr jemanden zum reden brauchen.

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