Pfirsichhimmel

Es war schon dämmerig, als wir uns um den großen Tisch im Garten versammelten. Mehrere Fackeln, die wir zuvor in den Boden gerammt hatten, flackerten wild und warfen ein sanftes, tanzendes Licht auf die Szenerie. Der Himmel hatte sich in sanften Pastelltönen verfärbt – Zuckerwatteblau und Pfirsichrosa – und verlieh dem Abend eine fast märchenhafte Atmosphäre.

Der große Tisch aus dem Esszimmer war herausgebracht und liebevoll gedeckt worden. Auf ihm standen Schüsseln mit frischem Salat, saftigen Obststücken und verschiedenen Soßen. Zum Festmahl gehörten auch die erste Platten mit gebratenem Fisch, dessen knusprige Haut goldbraun glänzte, und duftende, hausgemachte Brote. Die Kerzen in den Windlichtern waren bereits aufgestellt, aber solange der Himmel noch so lebendig war, hatten wir keine Schwierigkeiten, uns zu orientieren.

Onkel Augustus, Boy und Rae standen am Hofofen, genossen ein Bier und lachten über Geschichten, die nur im Kreise der Familie erzählt werden. Onkel Augustus hatte in den letzten Tagen einfach Pech gehabt. Nachdem er sich bereits am Vortag verspätet hatte, weil sein Schiff nicht gefahren ist, war er am Morgen mit dem Auto liegengeblieben. Ein technischer Defekt hatte ihn fast den ganzen Tag gekostet. Nun war er endlich angekommen und machte sich umso eifriger daran, den Abend mit uns zu genießen.

Boy, der Vater von Amalia und Rae, hatte eine beeindruckende Karriere hinter sich. Früher war er im Militärdienst gewesen, wo er nicht nur die Disziplin, sondern auch die Kunst der Selbstverteidigung erlernt hatte. Nun arbeitete er für die Seewacht, was ihm eine weitere Möglichkeit bot, seine Werte von Disziplin und Schutz in die Praxis umzusetzen. Seine starke Präsenz und seine strenge Haltung waren oft spürbar, und die Familie schätzte seine unerschütterliche Zuverlässigkeit und seinen pragmatischen Ansatz in allen Lebenslagen.

Mein Vater mit seinem schlaksigen Körper und fast 1,90 m sah sehr nerdy neben den anderen Männer aus. Doch seine Gestik und sein lautes Lachen machte offensichtlich, dass er sich wohl fühlte. Während die Erwachsenen plauderten, saßen wir Mädchen in der Hollywoodschaukel und aßen Tomaten aus dem Garten. Tante Florence hatte uns bereits davor gewarnt, dass wir später keinen Hunger mehr hätten, wenn wir uns jetzt nicht zurückhielten, doch wir ließen uns nicht beirren. Oma hatte uns immer beigebracht, dass man sich die Freude am Essen nicht verderben lassen sollte, und in diesem Moment schien sie recht gehabt zu haben.


Die kühle Abendluft sorgte dafür, dass wir trotz der angenehmen Wärme eng beieinander saßen, da sich eine Gänsehaut über unsere Beine zog. Amalia erzählte von einem Jungen aus der Stadt, der ihr immer Dinge aus dem Kiosk schenkte, wo er in den Ferien arbeitete. Er war älter als sie und studierte bereits seit einem Jahr.


„Er ist eigentlich ganz nett, aber bekannt dafür, dass er nur auf ein Abenteuer aus ist. Aber gegen kostenloses Eis und Kaugummi habe ich nichts einzuwenden", sagte Amalia belustigt und schmiss das Grüne ihrer Tomate hinter sich. Ich musste kichern, und Rae schubste sie leicht zur Seite.


„Pass bloß auf. Irgendwann findet er das heraus, und dann ist was los", warnte Rae scherzhaft. Ihre Augen funkelten vor Spaß.


„Jaja, der soll bloß kommen. Ehe er mich anfassen kann, liegt er auf dem Boden und weint. Dad hat mir schon genug beigebracht", sagte Amalia und machte komische Bewegungen mit ihren Armen.


„Du siehst aus wie ein aggressiver Schlumpf", bemerkte ich und biss in meine Tomate. Rae und Amalia lachten, und das zog Raes Aufmerksamkeit auf uns.


Rae, der ohnehin schon die ganze Zeit zu uns herüberblickte, schob Amalia sanft beiseite und setzte sich unter unserem lauten Protest mit auf die Schaukel. „Mum will, dass ihr eure Jacken holt. Es wird zu frisch für Tops und kurze Hosen", sagte er, während er demonstrativ auf sein langes Oberteil zeigte.


Wir stöhnten genervt auf, und Amalia äffte ihn nach. Wenn Tante Florence einmal etwas befahl, gab es kein Nein. So einfach war das. Also standen wir auf und gingen schnell ins Haus, um uns Jacken zu holen. Noah erhielt eine von meiner Cousine, da sie nicht extra zu uns herübergehen wollte. Sie war sowieso den ganzen Tag bei uns gewesen, was uns nicht störte.


Als wir wieder hinausgingen, war der Fisch fertig, und alle waren damit beschäftigt, das Essen zu verteilen. Ich fand mich schnell zwischen Onkel Boy und dem alten Nachbarn wieder. Tante Florence legte mir ein großes Stück Fisch auf den Teller, und Onkel Boy klatschte mir eine riesige Portion Nudelsalat daneben. Der Nachbar, ein alter Freund unserer Familie, der uns schon seit Jahren bei verschiedenen Anlässen unterstützt hatte, verfeinerte das Ganze mit einer Menge frischem Brot – alles ohne ein Wort zu verlieren. Typisch.


Die Diskussion am Tisch drehte sich um die aktuelle Ernte und die bevorstehenden Abstimmungen für einen neuen Bahnhof in der Stadt. Während die Erwachsenen engagiert plauderten, hielten wir uns eher zurück, beantworteten gelegentlich Fragen oder machten Grimassen, die die Erwachsenen amüsierten. Rae hörte aufmerksam zu, nickte und schien perfekt in die Runde der Erwachsenen zu passen.


Doch plötzlich fiel der alten Dame auf, dass unsere Teller fast leer waren. Sie bat uns, noch mehr zu nehmen, obwohl wir uns bereits überfressen fühlten. Ich hatte schon drei Stücke gegessen und immer wieder, ohne Unterlass, Salat auf meinen Teller bekommen. Noch mehr, und ich würde platzen.

„Jetzt lass die Mädchen doch, Frau!", sagte der Nachbar und zwinkerte uns zu. Ich musste mir ein Lachen verkneifen. 

„Aber die sind so dünn, die Mädchen von heute", meinte seine Frau leicht verzweifelt, als wäre es ihre Schuld. Rae verschluckte sich fast an seinem Getränk.


„Zu dünn? Hast du Amalias Beine gesehen?", fragte Rae und zeigte auf seine Schwester. Diese zog die Augenbraue hoch.


„Ich stehe zu meinen Kurven, Bruderherz", sagte Amalia mit einem spöttischen Unterton.


„Egal, was du sagst, jeder Körper ist schön, so wie er ist. Und wir sollten uns darauf konzentrieren, uns gegenseitig zu respektieren und nicht zu beurteilen", sagte Noah fest und ernst. Rae, der normalerweise schlagfertig war, reagierte diesmal anders. Eine leichte Röte schoss ihm ins Gesicht, denn Noah hatte ihn mit einem düsteren Blick konfrontiert. Amalia und ich tauschten vielsagende Blicke aus. Damit hatte keiner gerechnet.


„So meinte ich das gar nicht", versuchte Rae sich zu erklären.


„Dann solltest du das auch nicht so sagen", konterte Noah ohne Gnade. „Manche Leute können solche Kommentare wirklich verletzen."


Die Atmosphäre zwischen uns vier veränderte sich augenblicklich. Tante Florence, die ein feines Gespür für unsere Stimmung hatte, nahm die gespannte Situation wahr. Mit ihrem sechsten Sinn wusste sie, wann es Zeit wurde, einzugreifen.


„Wie wäre es, wenn ihr euch etwas vom Essen mitnehmt und zum Strand geht? Rae kann bestimmt ein Lagerfeuer machen, und wir Erwachsenen können in Ruhe weiterreden", schlug sie munter vor. Ihr Ton machte klar, dass es keine andere Wahl gab. Wir nahmen das Angebot dankbar an, da uns die Situation zunehmend unangenehm wurde. Noah, der verschlossen auf ihre Hände blickte, war deutlich betroffen. Rae sah aus wie ein Hund, den man aus Versehen getreten hatte. Tante Florence hielt uns davon ab, das Geschirr aufzuräumen, und forderte uns auf, endlich zu gehen. Wir standen hastig auf, vor allem Amalia und ich konnten nicht schnell genug wegkommen.


Mein Dad lächelte mich leicht an, und es schien fast, als wollte er lieber mitkommen, als hier zu bleiben und sich an den ernsten Gesprächen der Erwachsenen zu beteiligen. Ich konnte sein Gefühl nur zu gut nachvollziehen. 

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