6 - Macht
Hand in Hand schritten wir den roten Teppich entlang und geradewegs auf die riesige Tür zu, welche respekteinflößend wirkte, es fehlten nur noch ein Wassergraben um das alte Schloss herum und eine Zugbrücke, welche sie hinter uns öffnen würden, dann könnte ich dieses Gebäude zurecht eine Festung nennen.
Fackeln am Wegrand flackerten im seichten Wind, während ich mit klopfendem Herzen und starrem Blick auf die alten Gemäuer, welche von Security Männern in schwarzen Anzügen bewacht wurden, zu schritt.
So müssen sich zum Tode verurteilte auf ihrem letzten Weg zur Giftspritze fühlen.
Dann öffneten sich die Tore vor uns und ich atmete ein letztes Mal die frische Abendluft tief ein.
„Pass auf dich auf", flüsterte Triana ohne mich dabei anzusehen und drückte meine Hand fester.
Dann betraten wir die Eingangshalle und ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dieses riesige alte Gebäude, welches weit außerhalb von Rio lag und nur über eine einfache Straße erreichbar war, übertraf bei weitem alles was ich bisher gesehen hatte, und ich war bereits bei vielen reichen Leuten gewesen.
Mit offenem Mund folgte ich Triana durch die Eingangshalle zu einer weiteren großen Tür, welche ebenfalls von zwei Männern in schwarz mit Maschinengewehren bewacht wurde.
Als wir dann den großen Saal betraten, klappte meine Kinnlade noch ein Stück weiter nach unten, denn das hatte ich absolut nicht erwartet - wer hätte bei dem äußeren Anblick dieses alten Schlosses schon so etwas wie ein Casino hier drin vermutet.
Ich kam mir plötzlich vor wie in Las Vegas, nur war alles viel luxuriöser und ohne Spielautomaten, viel mehr wurde in diesem überdimensionalen Saal Poker und Roulette gespielt.
Zigarrenqualm hing in der Luft, während sich die Männer bei einem guten Pokerspiel und bestem Wein angeregt unterhielten.
Sexy gekleidete Frauen umgarnten sie wie Bienen den Honig, die meisten Gesichter kannte ich aus dem Club oder von der Straße. Calixto behielt Recht, dass schien wohl doch ein großes und wichtiges Event zu sein.
Langsam bewegte ich mich durch den Raum und versuchte dabei nicht allzu aufgeregt rüber zu kommen, was schwierig war, vor allem weil Triana plötzlich nicht mehr neben mir lief.
Nervös griff ich nach einem Glas Champagner als einer der Kellner mit einem Tablett an mir vorbei kam.
„Ein neues Gesicht, sehr hübsch", hörte ich plötzlich eine männliche Stimme hinter mir und hielt für einen Moment den Atem an.
"Wie alt bist du, Kleine?", fragte er direkt, kaum das ich mich ihm zugewandt hatte.
"Zwanzig", log ich und sah ihm dabei fest in die Augen ohne auch nur eine Miene zu verziehen.
"Und verrätst du mir deinen Namen?", redete er mit einem schiefen Lächeln weiter und ich weiß nicht warum, aber mir lief es in diesem Moment eiskalt den Rücken herunter. Doch ich blieb professionell, so wie ich es gelernt hatte, so wie es Jesús von mir verlangte.
"Ich heiße Gio", gab ich ihm ebenfalls mit einem gespielten Lächeln zu verstehen.
"Gio", schnaubte er nickend.
"Und wie ist dein richtiger Name?", sein hypnotisierender Blick bohrte sich förmlich in meine Augen.
"Cayetana Juanita Montoya Cruz", antwortete ich wahrheitsgemäß und es machte mir Angst, dass er solche Informationen aus mir herauslocken konnte.
"Und warum nennst du dich Gio?", hakte er interessiert nach, was extrem merkwürdig und fremd für mich war, denn noch nie hatte sich ein Kunde wirklich für mich interessiert.
"Gio ist die Kurzform von Georgina, der Name meiner Mama", erklärte ich diesem Mann mit dem sündhaft teuren Anzug, der locker mein Vater sein konnte.
"Weißt du wer ich bin?", fragte er vollkommen unerwartet und ich nippte vor Nervosität an meinem Champagner.
"Nein", log ich vorsichtshalber erneut, dabei wusste ich nur all zu gut wer hier vor mir stand - Salvatore Lucio de Loreto Santos, einer der einflussreichsten Politiker Rios, Ehemann, Vater dreier Kinder, wobei über den ältesten Sohn nie gesprochen werden durfte. Er tauchte regelmäßig in allen Fernsehkanälen und Boulevardpressen auf und prahlte damit, wie er Rio vom größten Gangsterboss befreien und wie er die Favelas wieder unter Kontrolle bringen wollte.
Wusste er etwa nicht, dass ich eine von Jesús Prostituierten war? Oder war er wie alle anderen ein korrupter Politiker und spielte nur mit dem Vertrauen der Bevölkerung, während er mit ihm zusammen arbeitete. Vielleicht war es aber auch nur eine Masche um an Jesús ranzukommen.
Meine Gedanken überschlugen sich, dabei ging mich das alles überhaupt nichts an. Trotzdem machte ich mir Sorgen.
Warum hat er mich nicht auf dieses Treffen vorbereitet? Was wenn ich etwas falsches sage oder mache?
Plötzlich überkam mich ein ganz ungutes Gefühl und Schweiß bildete sich auf meiner Stirn.
"Entschuldigen Sie bitte, ich müsste kurz ins Bad", brachte ich noch irgendwie hervor, bevor ich förmlich vor ihm flüchtete und den erst besten Gang hineinstürmte ohne mich noch einmal umzudrehen.
Geistesgegenwärtig rannte ich den nicht enden wollenden Tunnel entlang, stürmte eine Treppe nach oben und einen weiteren langen Flur entlang bis ich mehr durch Zufall direkt vor einer Badezimmertür stand und erleichtert hinein ging.
Auf dem Waschbeckenrand abgestützt, betrachtete ich mich im Spiegel. Irgendwie war mir das hier doch alles eine Nummer zu groß, dabei war noch überhaupt nichts passiert. Aber ich konnte doch nicht mit diesem mächtigen Politiker ins Bett steigen, oder was auch immer der von mir wollte.
Ich kannte das Gesicht seiner Frau aus den Zeitungen, habe Interviews von ihr gelesen. Er hatte eine Tochter im gleichen Alter wie mein Bruder und sein Sohn trat ebenfalls regelmäßig mit seiner Verlobten Veronique del Castillo auf fast jeder Veranstaltung auf. Sie waren die Vorzeigefamilie von ganz Brasilien.
Ich ließ kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
"Jetzt nur nicht die Nerven verlieren", sprach ich zu mir selbst und atmete einmal tief durch.
"Es ist ein Job wie jeder andere, und du brauchst das Geld", murmelte ich weiter, weil ich das Bild dieser glücklichen Familie einfach nicht aus dem Kopf bekam.
Als ob die anderen Männer mit denen ich bisher zutun hatte alle single gewesen wären. Aber bei denen wusste ich es nie und die Treffen fanden fast immer anonym in irgendwelchen Hotels statt.
"Jetzt reiß dich zusammen Gio", schimpfte ich mit mir selbst und ballte meine Hände zu Fäusten.
Vielleicht sollte ich einfach noch mehr trinken.
Mit diesem Gedanken verließ ich letztendlich das Badezimmer wieder und schlenderte jetzt etwas ruhiger erneut diesen Gang entlang, folgte einer Treppe nach unten und befand mich plötzlich in so etwas wie einem Keller.
Irgendwie hatte ich mich verlaufen.
Völlig orientierungslos sah ich mich um, wahrscheinlich lagerten sie hier unten ihren Wein, es roch zumindest danach. Die kühle, feuchte Luft hielt mich davon ab wieder nach oben in den stickigen, heißen und verqualmten Saal zu gehen.
Dann lief ich noch einige Meter weiter als ich plötzlich Stimmen hörte. Sie kamen aus einem Raum hier ganz in der Nähe und ich weiß nicht warum ich das Tat, aber die Neugierde packte mich und ich folgte ihnen bis ich vor einer halboffenen Tür stand.
"So und du willst jetzt also Geschäfte mit mir machen?", meinte eine unbekannte männliche Person.
"Ich mag ehrgeizige Menschen, aber du weißt, das ich schon seit Jahren ziemlich zufrieden mit Jairo zusammen arbeite und der praktisch zu Jesús Leuten gehört, welcher, soweit ich weiß, dein Cousin ist. Also stellt sich mir jetzt die Frage, warum willst du ihn hintergehen? Und was habe ich davon?", erklärte dieser mit monotoner Stimme vollkommen gefasst, während ich unbewusst den Atem anhielt als ich Jesús Namen hörte.
Obwohl ich wusste wer sich noch in diesem Raum befand, lugte ich vorsichtig durch den Türspalt.
Was für ein kranker Idiot dieser Calixto. Wenn es tatsächlich zu diesem Geschäft käme, würde er sein eigenes Todesurteil unterschreiben.
"Hey! Was suchst du da?", kam plötzlich eine Stimme hinter meinem Rücken. Erschrocken drehte ich mich um und blickte in das Gesicht eines weiteren Anzugträgers, dann schaute ich wieder zur Tür hinein und als ich Calixto auf mich zustürmen sah, begann ich geistesgegenwärtig zu rennen.
So schnell ich konnte rannte ich den Gang entlang und zog mir während des Laufens die High Heels aus.
"Bleib stehen, Gio! Du kommst hier sowieso nicht raus!", hörte ich Calixto hinter mir rufen, während ich durch die Gänge dieser Festung huschte. Wie ein Kaninchen rannte ich durch das Labyrinth und war fast schon erleichtert als ich endlich an einer Treppe ankam, welche ich so schnell ich konnte hinauf stürmte.
Ich musste unbedingt unter Menschen, denn dort konnte er mir nichts antun. Doch ich fand nicht mehr zu diesem Saal zurück und als ich plötzlich Schüsse hinter mir hörte, blieb mir nichts anderes übrig als mich in dem nächstbesten Raum zu verstecken.
Verzweifelt drückte ich alle Türklinken nach unten, bis sich endlich eine öffnen ließ und ich hineinstürmte um anschließend die Tür leise hinter mir zu schließen.
Panisch sah ich mich in dem Raum um, es schien eines der Schlafzimmer zu sein.
"Gio, wo bist du? Komm raus, du kannst dich nicht vor mir verstecken, ich werde dich finden", hörte ich Calixtos Stimme im Gang hallen und das Adrenalin rauschte durch meinen Körper.
Plötzlich nahm ich weitere Stimmen in einem Zimmer nebenan wahr und reflexartig kroch ich unter das Bett als die Tür aufging.
Dann betraten zwei Personen den Raum, an ihren nackten Füßen erkannte ich einen Mann und eine Frau.
"Fass dich an, ich will sehen, wie du es dir selbst machst!", befahl eine tiefe männliche Stimme als schlagartig die Tür aufging und meine Herz für eine Sekunde aussetzte.
"Ist hier so eine Kleine mit einem blauen Kleid reingekommen?", hörte ich Calixto fragen, während er das Zimmer betrat und sich offensichtlich umsah.
"Siehst du hier irgendwo eine Frau mit einem blauen Kleid, du Idiot?", bekam er als Antwort und ich hielt mir die Hand vor den Mund, denn ich war mir sicher, dass dieser Typ augenblicklich eine Kugel in den Kopf bekommt.
"Desculpe", war alles was er zu meiner Überraschung sagte, dann verschwand er wieder aus dem Raum und ich atmete erleichtert aus.
"So du kleine Bitch, nun zu dir", wandte der Mann sich wieder diesem Mädchen zu und ich biss mir auf die Unterlippe als ich den ersten Schlag hörte.
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