5 - Freundschaft

Der helle Vorhang bewegte sich leicht im Wind, welcher vom Meer direkt zu mir herein wehte. In meinem Kopf dröhnten noch immer die Bässe der vergangenen Nacht und ich schloss erneut und vollkommen erschöpft meine Augen.

Jesús nahm mich oft mit in dieses Haus, vor allem wenn es bei mir mal wieder sehr spät geworden ist oder er nichts weiter zu tun hatte.

Die wunderschöne Villa lag in einer sehr ruhigen und familiären Gegend, es war ganz anders als das Rio das ich kannte und im totalen Kontrast zu dem Jesús, den er für die anderen darstellte.

Nachdem ich mich einmal kurz gestreckt hatte, zog ich meine Sachen von gestern an und tappte mit meinen Heels in der Hand die Treppe nach unten.

Wie immer betrachtete ich dabei die vielen Fotos an den Wänden. Ich habe ihn nie gefragt, wer die zwei Kinder darauf sind, auch nicht wer die hübsche Frau neben ihnen ist.

Die ersten Male die er mich hierher brachte, fühlte ich mich sehr unwohl deswegen, aber es ging mich nichts an wer diese Personen waren, und wenn er mir hätte darüber erzählen wollen, dann hätte er es schon längst getan.

Und das er es nicht tat, spiegelte einmal mehr das Verhältnis zwischen uns wieder. Ich bin und bleibe eben nur eine Prostituierte für ihn.

Als ich mir gerade eine Tasse Kaffee machen wollte, stach mir sofort ein Zettel mit einer Notiz ins Auge.

Zieh dir bitte etwas elegantes an, sexy, aber nicht zu nuttig. Carlos wartet vor der Tür auf dich.

Da ich einen Großteil meiner Kleider in einem Hinterzimmer im Club hängen hatte, nahm ich nur schnell einen kleinen Schluck aus der Tasse und verließ direkt das Haus, denn ich wollte Carlos nicht noch länger warten lassen, wer weiß, wie lange der Arme schon vor der Tür stand. Erfahren werde ich es wohl nie, denn er schwieg wie immer die gesamte Fahrt über.

„Olá, Gio! Kannst du dich bitte um Triana kümmern?", rief mir einer der Barkeeper entgegen, kaum das ich zur Tür herein war und deutete mit dem Kopf in den hinteren Teil des Clubs.

Ohne weiter nachzufragen stakste ich mit meinen High Heels zwischen leeren Zigarettenschachteln, kaputten Gläsern und diversem anderen Müll hindurch. Offensichtlich war die Putzkolonne noch nicht da.

Dann entdeckte ich Triana auf einem roten Sofa liegend, die Flaschen auf dem Tisch davor ließen nichts Gutes erahnen.

„Oi meu querida. Was ist passiert?", murmelte ich und strich ihr sanft über die Haare, während ich mich nervös umsah, denn ich wusste, wenn Jesús sie hier so vorfindet, dann gibt es richtig Ärger. Also blieb mir nichts anderes übrig als sie so schnell wie möglich hier raus zu bringen.

"Oh man, Süße, ich muss mich eigentlich für einen Auftrag fertig machen", presste ich angestrengt hervor, während ich sie an beiden Armen nach oben zog, bis sie zumindest erst einmal aufrecht saß.

"Ich hab keine Ahnung wo es hingeht, aber klang irgendwie nach etwas wichtigem", erzählte ich ihr, als würde sie in dem Moment auch nur ein Wort davon wahrnehmen. Dann schlug ich ihr mehrmals auf die Wangen bis sie mich ansah.

"Willkommen zurück, Honey", lächelte ich sie an.

Dann schleifte ich sie mehr oder weniger zum Ausgang, wo uns ausgerechnet Calixto über den Weg lief. Der hatte mir gerade noch gefehlt.

"Merda!"

"O que há com essa prostituta?" fuhr er mich direkt an und hob unsanft Trianas Kopf um sie genauer zu betrachten.

"Ihr wisst schon das der Auftrag heute einer der wichtigsten des Jahres ist? Also kümmere dich um diese Bitch. Ich will euch Punkt sechs Uhr hier wieder sehen", knurrte er und sein drohender Blick bohrte sich in meine Augen.

"Dann würde ich sagen, quatsch mich nicht zu und lass mich endlich vorbei", erwiderte ich mit zusammengekniffenen Augen, denn dieser Psycho konnte vielleicht allen anderen Angst machen, aber mir schon lange nicht mehr.

Mit dieser Reaktion hatte er offensichtlich nicht gerechnet, was sein dämliches Grinsen verriet, dann wandte er sich von uns ab, um mir wenige Sekunden später seine Waffe von hinten an den Kopf zu halten, woraufhin ich erneut stehen blieb.

"Nur weil du die Bitch meines Cousins bist, heißt das nicht, dass ich dir nicht hier und jetzt eine Kugel in den Kopf ballern könnte. Also sei schön vorsichtig, Kleine", plötzlich herrschte absolute Stille um uns herum, sodass das Klicken als er die Waffe entsicherte durch den gesamte Club hallte.

Es waren mit Sicherheit nur Sekunden in denen sich der Lauf seiner Pistole in meinen Hinterkopf bohrte, aber sie kamen mir wie Minuten vor in denen ich mit geschlossenen Augen regungslos da stand.

"Vielleicht hätten wir die zwei Typen damals doch ihr Vorhaben beenden lassen sollen, dann hättest du jetzt nicht so ein großes Maul. Und jetzt verpisst euch einfach ganz schnell", presste er zwischen den Zähnen hindurch und ich konnte seinen Kiefer dabei mahlen hören. Triana bekam von all dem zum Glück nichts mit.

Zu meiner Erleichterung stand Carlos noch vor der Tür und brachte uns ohne zu fragen, wohin wir wollten.

Als wir endlich in Trianas kleiner, bescheidener Wohnung angekommen waren, brachte ich sie direkt ins Badezimmer. Sie schien zwar mittlerweile etwas klarer im Kopf, aber von dem hübschen, blonden Mädchen war gerade nicht mehr viel zu sehen.

Auf dem Toilettendeckel sitzend, beobachtete sie mich mit einem schiefen Lächeln, wie ich ihr Wasser in die Badewanne einließ. Anschließend half ich ihr dabei das regenbogenfarbene Top auszuziehen, befreite sie von den weißen Turnschuhen und streifte ihr den rosafarbenen ultraknappen Minifaltenrock ab.

Ich mochte ihren Style, der mich stark an einen Anime erinnerte und so nannte ich sie oft liebevoll Sailor Moon. Sie war mit ihrem Aussehen eine echte Rarität in Rio, wahrscheinlich in ganz Brasilen und das nicht nur, weil sie extrem helle Haut hatte, groß und blond war.

Sie war auch Transgender.

Als ich sie zum ersten Mal in Unterwäsche gesehen habe, war ich so perplex, dass ich nicht einmal mitbekam, wie ich die ganze Zeit auf ihren immer noch vorhandenen Penis starrte. Das war auch der Tag an dem wir uns anfreundeten.

Mittlerweile ist sie für mich das, was sie ist, das, was sie sein möchte und zwar eine wunderschöne junge Frau, und somit hatte ich auch keine Probleme ihre Unterhose auszuziehen um ihr in die Badewanne zu helfen.

Sie selbst lachte gern über sich und behauptet, dass sie, wenn sie im neunzehnten Jahrhundert gelebt hätte wahrscheinlich auf irgendeinem Jahrmarkt als Kuriosität ausgestellt würde oder in einer dieser Freak Shows aufgetreten wäre.

Deshalb ist ihr die Prostitution heute wesentlich lieber, da verliere man wenigstens nicht ganz seine Würde, denn viele ihrer Kunden standen total auf sie, was man auch daran merkte, dass sie mit Abstand die größte Nachfrage hatte.

Ein Grund warum sie, genau wie ich, von den anderen Frauen gehasst wurde und was uns letztendlich noch mehr zusammen schweißte.

Noch während sie in der Badewanne saß, flößte ich ihr jede Menge Kaffee ein und gab ihr noch zusätzlich eine Aspirin.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, aber immer noch mit einem Zeitpuffer, war die alte Triana zurück und wir begannen uns für den heutigen Auftrag fertig zu machen.

Während ich mich für ein elegantes, marineblaues Kleid mit passenden High Heels entschied, wählte Triana ein verspieltes, lilafarbenes Minikleid und färbte sich kurzerhand einige Haarsträhnen in der gleichen Farbe.

Dann machten wir uns ans Makeup. Ich liebte es wie sie ihre Augen schminkte - mit silbernen Strasssteinen über dem gesamten Lid, pastellfarbenen Lidschatten und schwarzen, geometrischen Linien, als wäre sie aus der Zukunft zu uns gestoßen. Ich dagegen hielt es dezent, klebte mir nur einen herzförmigen Strassstein neben mein linkes Auge und benutzte etwas goldschimmernden Puder.

"Wieso hast du dich eigentlich betrunken?", sprach ich sie an, als sie gerade meine Haare kämmte.

"Um diesen Abend heute irgendwie zu überstehen. Aber war wohl etwas zu viel", versuchte sie zu scherzen. Doch ihren besorgten Gesichtsausdruck konnte sie dabei nicht ablegen.

"Was soll denn so schlimm sein an dieser Veranstaltung? Wir gehen dahin, unterhalten uns ein bisschen, machen unseren Job und fertig", erwiderte ich, während ich sie im Spiegel kritisch musterte.

"Ach Gio, du hast keine Ahnung. Das ist nicht einfach irgendeine Veranstaltung. Da werden die mächtigsten Männer von ganz Brasilien sein - Politiker, Richter, Generäle. Die haben nicht nur Geld und Macht, sondern einige von denen sind auch absolut skrupellos. Für die sind wir nichts weiter als der Abschaum der Gesellschaft", erklärte sie mir nachdenklich und sah mich mitleidig an.

"Ich wünschte dir könnte dieser Abend erspart bleiben", fügte sie noch hinzu und presste mitfühlend ihre Lippen zusammen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top