44 - Getrennte Wege

POV Tiano

Mit dem Kaffeebecher in der Hand lief ich durch die ruhigen Gänge des Krankenhauses. Diese Stille und die Enge machten mich schier wahnsinnig, aber noch mehr waren es meine Gedanken, welche mich zu erdrücken drohten.

Das ich nicht wusste, wo Gio sich gerade aufhielt und wir daher nichts unternehmen konnten, war katastrophal.

Doch einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es und der trug den Namen Sheryl.

Wenn sie mir morgen Abend Gios Nachricht bringt, können wir endlich unseren Plan umsetzen und Gio befreien, bevor wir das gesamte Kartell von Jesús zerstören werden.

Etwas was mein Vater schon seit Jahren versuchte, würden wir in wenigen Stunden erledigen.

Bei dem Gedanken an ihn spannte sich jeder Muskel in meinem Körper an, sodass ich fast meinen Becher zerdrückte. Ich verstand einfach nicht, wie mein Vater mit so einem Bastard, wie Pereira befreundet sein konnte.

Doch viel mehr stellte sich mir jetzt die Frage, ob er von seinen skrupellosen Taten wusste. Denn wenn das der Fall sein sollte, wäre mein Vater für mich endgültig gestorben.

Geistig abwesend, bemerkte ich nicht, wie ich nun erneut vor der Zimmertür stand. Ich hatte absolut keine  Lust  jetzt wieder zu dieser Frau reinzugehen, aber was blieb mir für eine Wahl? 

Noch dazu ging es hier auch um mein Kind.

Ich presste die Luft aus meinen Lungen und betrat dann widerwillig den Raum.

Wortlos setze ich mich in einen der Sessel am Fenster.

"Kannst du dich zu mir legen, meu Amor?", meinte Vero mit sanfter Stimme, nachdem sie mich einige Sekunden lang ansah, während ich regungslos auf meinen Becher starrte.

"Veronique, ich habe dir versprochen, dass ich die Nacht bei dir bleibe. Aber hör bitte auf hier irgendetwas retten zu wollen. Es ist vorbei. Versteh das endlich."

"Du hast eine andere, stimmts?", kam es sofort aus ihrem Mund.

"Hör auf, okay. Der Arzt hat gesagt, du sollst dich nicht aufregen", seufzte ich genervt, denn schon allein ihre bloße Anwesenheit war zu viel für mich.

"Was soll ich denn sonst machen? Dabei zusehen, wie sich der Vater meines Kindes ins Unglück stürzt mit irgend so einem billigen Flittchen?"

"Erstens habe ich nie behauptet, dass ich eine andere habe und zweitens, wenn es so wäre, dann geht dich das überhaupt nichts an, klar", versuchte ich dieses Thema zu entschärfen, indem ich es umging.

"Und seit wann kümmert es dich, was mit anderen passiert?", fügte ich etwas leiser hinterher und lehnte mich wieder in den Sessel zurück.

"Du hast wohl schon vergessen, wer dich zwei Jahre lang nachts gedeckt hat, wenn du mal wieder bei irgendeinem Rennen warst anstatt bei einer wichtigen Gala von deinen Eltern", hielt sie mir daraufhin vor.

"Das hast du doch auch bloß gemacht, weil es dir peinlich war, was ich tue. Genauso wie Katalina und João, welche du schon vom ersten Tag an immer von oben herab behandelt hast", konterte ich sofort.

Und plötzlich fielen mir so viele Dinge ein, die mich die gesamte Beziehung mit Veronique hinterfragen ließen.

Wie konnte ich bloß mit so einer Frau zusammen sein?

"Ich war immer nett zu ihnen", meinte sie daraufhin kleinlaut, weil sie wahrscheinlich selbst bemerkte, dass das gelogen war.

"Die beiden haben mich aber auch nie akzeptiert", redete sie weiter, weil sie Anschuldigungen noch nie auf sich sitzen lassen konnte. Sie musste einfach immer das letzte Wort haben. Daher rollte ich nur schnaubend mit den Augen.

"Was?", wollte sie selbst mein Schweigen daraufhin ausdiskutieren, sodass ich froh war, als plötzlich die Tür aufging.

"Bom Noite. Ich bin Doktor Mendes. Ihr behandelnder Arzt für diese Nacht", begrüßte er zuerst Veronique und kam dann zu mir herüber.

"Tut mir leid, dass sie so lange auf mich warten musste, Senhor de Loreto. Ich hatte noch einen Notfall.  Ein junges Mädchen, ebenfalls schwanger. Aber in einer weniger glücklichen Situation wie sie", lächelte er zögerlich, woraufhin ich nur nickte.

"Ist schon tragisch was man hier manchmal erlebt. Vor allem, wenn sie sich nicht helfen lassen wollen", fügte er noch bedrückt hinzu.

"Aber desto erfreulicher ist es dann immer, wenn man auf Menschen wie sie trifft, da sieht man, dass die Welt nicht nur aus Leid besteht", erklärte er und schürzte anschließend seine Lippen.

"So, aber nun zu Ihnen, Miss del Castillo", fuhr er nach einer kurzen Denkpause fort und meine Aufmerksamkeit kam zurück.

"Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen waren allesamt hervorragend. Sie brauchen sich also im Moment keine Sorgen machen. Allerdings müssen wir einige Ihrer Werte weiterhin beobachten, aber das können sie ganz bequem bei Ihrem Gynäkologen machen.

"Und was ist mit den Blutungen?", hakte Vero verunsichert nach.

"Das ist nichts ungewöhnliches in den ersten zwanzig Schwangerschaftswochen. Ungefähr dreißig Prozent der Frauen leiden darunter. Das hat etwas mit der hormonellen Umstellung zu tun. Aber diese Blutungen sind meist schwach und hören von allein wieder auf. Und laut Akte, handelt es sich bei Ihnen um eine leichte bis schwache, also keinen Grund zur Aufregung, denn diese sollten sie trotz alledem vermeiden", erklärte er uns ausführlich und ich hing an seinen Lippen, um wenigstens halbwegs zu verstehen, was er da gerade redete, denn meine Gedanken schweiften permanent ab.

"Haben Sie sonst noch irgendwelche Fragen?", erkundigte er sich, während er abwechselnd zu Vero und mir sah.

"Nein, ich denke, es ist alles in Ordnung, Doktor Mendes", gab ich ihm zu verstehen, nachdem ich einen kurzen Blick zu Vero warf, welche nachdenklich in ihrem Bett saß.

"Gut. Dann  hoffe ich, Sie sind mit dem Zimmer hier auf der Privatstation zufrieden. Und falls Sie noch irgendwelche Fragen haben, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung."

"Ich danke Ihnen Doktor Mendes", reichte ich ihm meine Hand.

Dann nochmal herzlichen Glückwunsch  zur Schwangerschaft. Ihr Vater freut sich bestimmt sehr über den politischen Nachwuchs. Übrigens ein sehr beeindruckender Mann. Ich hatte die Ehre ihm schon ein paar Mal zu begegnen", meinte er zum Abschluss, bevor er den Raum endgültig verließ.

"Beeindruckender Mann", murmelte ich mit hochgezogener Augenbraue, kaum das er die Tür geschlossen hatte.

"Sei nicht immer so zu deinem Vater. Er ist ein toller Mann und hat viel geleistet für die Stadt", ermahnte mich Vero und schien offensichtlich erleichtert, woraufhin sie direkt wieder in ihre alte Form schlüpfte.

"Das du ihn verteidigst, ist nichts neues", schnaubte ich und lief ebenfalls zur Tür.

"Wo willst du hin?", kam es sofort von ihr.

"Ich muss an die frische Luft", gab ich ihr zu verstehen ohne sie anzusehen.

Dann verließ ich den Raum und atmete im Flur zum ersten Mal wieder richtig durch.

Die Show der glücklichen, werdenden Eltern die ich hier vorspielte machte meinen Kopf kaputt.

Aber, wenn auch nur einer von unserer Trennung erfahren würde, hätte ich sofort die Presse am Hals und Gios Rettung wäre absolut unmöglich, wenn mich Kameras auf Schritt und Tritt verfolgten.

Ich musste untertauchen, mich leise verhalten, daher spielte ich Veros  Spiel mit.

Wobei ich wusste, dass es für sie kein Spiel war, sondern sie damit versuchte, mich wieder an sich zu binden.

Draußen angekommen, setzte ich mich auf eine Bank in einer dunklen, ruhigen Ecke und zündete mir eine Zigarette an - mal wieder.

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POV Gio

Als ich am nächsten Tag erwachte, wusste ich im ersten Moment nicht, wo ich mich befand. Bis mir einfiel, dass wir gestern im  Krankenhaus waren und anschließend wieder zurück in den Club sind.

Automatisch legte ich die Hände auf meinen Bauch und ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen.

Bis ich wieder die Bilder vor meinen Augen sah.

Tiano, wie er Veronique in seinen Armen hält und ihr sanft über den Rücken streicht.

Ich habe dir versprochen das ich bei dir bleibe.

Diese Worte hallten immer noch durch den Gang des Hospitals und brannten sich in mein Gehirn.

Ich hatte gehofft, dass das alles nur ein Traum war.

Doch leider war es das nicht.

Leise Tränen rollten mir die Schläfen entlang, während ich mit geschlossenen Augen über meinen Bauch streichelte.

"Es tut mir so leid", flüsterte ich mit schmerzverzerrtem Gesicht, denn ich wusste, dass ich dieses  Baby niemals behalten konnte.

Würde Jesús davon erfahren, hätte er ein weiteres Druckmittel, denn auch wenn Tiano sich für Veronique entschieden hatte, wusste ich, dass er alles für dieses Baby tun würde. Sogar sein eigenes Leben riskieren.

Ich hasste ihn nicht für seine Entscheidung. Im Gegenteil, ich konnte ihn sogar verstehen. Er hatte mehr getan, als je ein Mensch für mich getan hätte - wie konnte ich da jetzt wütend auf ihn sein.

Doch leider war von Anfang an klar, dass unsere Liebe keine Zukunft hatte.

Langsam öffnete ich die Lider und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Die Tür war geschlossen und in Jesús Büro herrschte ungewöhnliche Stille.

Dann sah ich zum Tisch auf dem immer noch die Packung mit den Tabletten lag.

Übelkeit verspürte ich heute zum Glück nicht, aber in dieser Schachtel befand sich auch die Tablette, um die ich Doktor Mendes am Ende doch noch gebeten hatte.

Seufzend stand ich auf und zog mir eine Kurze Hose und ein Shirt über. Anschließend holte ich, ohne weiter darüber nachzudenken, diese Tablette aus der Packung und steckte sie mir in die Hosentasche.

Als ich unten im Club ankam, saßen bereits einige Leute an der Bar und die Stripperinnen und Poltänzerinnen lieferten bereits wie gewohnt ihre Show.

"Olá, Sweetheart", begrüßte mich Ricardo mit einem Kuss auf die Wange, bevor er weiter Getränke mixte.

"Du hast mir gestern Abend eine heiden Angst eingejagt", redete er nebenbei weiter.

"Tut mir leid", erwiderte ich bedrückt.

"Geht es dir wieder besser?", erkundigte er sich und füllte ein Glas mit Eiswürfeln.

"Ja, alles in Ordnung", gab ich ihm mit einem sanften Lächeln zu verstehen, während ich mir eine Wasserflasche öffnete.

"Du wirst aber heute nicht hier arbeiten", erklärte er mir mit strengem, aber fürsorglichen Ton.

"Nein, das hatte ich nicht vor. Aber ich brauche ein bisschen Ablenkung. Da oben fällt mir sonst die Decke auf den Kopf."

"Wenn ich dir als Ablenkung reiche, dann kannst du gern bleiben", zwinkerte er mir zu, während er einer Frau das Wechselgeld auf die Theke legte.

Ricardo war schon immer der Sonnenschein in diesem Club und ständig gut gelaunt.

Nach und nach füllte sich die Disko. Trotzdem fühlte ich mich allein mit meinen Gedanken.

Vollkommen abwesend  saß ich an der Seite auf einem Barhocker und spielte mit der Tablette in meiner  Hand.

Warum fiel es mir so schwer diese zu schlucken? Ich befand mich noch ganz am Anfang der Schwangerschaft und das Baby existierte praktisch noch nicht.

"Drogen sind auch keine Lösung", hörte ich plötzlich eine Stimme neben mir und wandte mich erschrocken zu ihr.

„Das ist eine Schmerztablette", verteidigte ich mich ohne sie wirklich anzusehen.

"Hast du eine Nachricht für mich?", meinte sie dann und erst jetzt erkannte ich sie.

"Was für eine Nachricht?", erwiderte ich irritiert, denn ich hatte keine Ahnung wovon sie sprach.

"Der Zettel den ich dir gestern gegeben habe", sah sie mich fragend an und schien irgendwie nervös.

Doch ich verstand nicht ganz, was sie von mir wollte.

"Hey, du da", rief Calixto, der wie aus dem Nichts hinter uns stand.

"Lass sie in Ruhe und mach dich an die Arbeit. Die Kohle kommt nicht von alleine", knurrte er dieses Mädchen an, woraufhin sie sich gehorsam vom Hocker erhob, nachdem sie mir einen vielsagenden Blick zugeworfen hatte.

"Und du, kannst dich auch ein bisschen nützlich machen", zischte er, während er mich von oben herab ansah, bevor er zwischen den Leuten verschwand.

Eigentlich dachte ich, dass ich hier unten auf andere Gedanken kommen würde. Aber in meinem Kopf kreisten schon seit Stunden immer wieder dieselben Bilder und dieselben Worte, dass ich sogar dieses merkwürdige Mädchen ignorierte.

Daher entschloss ich ein paar Minuten vor die Tür zu gehen, in der Hoffnung, dass dieser Idiot Calixto mich nicht bemerkte.

Mit meinem Wasser in der Hand schlängelte ich mich durch die Menge und ging direkt zu dem ruhigeren Hinterausgang, welcher nur für das Personal vorgesehen war.

Es war mittlerweile wieder dunkel und ich konnte nicht glauben, wie schnell die Zeit verging - Zeit die ich nicht hatte.

Wieder betrachtete ich die Tablette in meiner Hand.

Ich musste es tun. Ich hatte keine andere Wahl. 

Und dann schloss ich meine von Tränen gefüllten Augen und atmete einmal tief durch, bevor ich sie mir auf die Zunge legte.

"Gio? Was tust du da?", flüsterte eine mir nur allzu bekannte Stimme, als ich die Tablette gerade herunter geschluckt hatte.

Langsam öffnete ich meine Lider, während ich meinen Herzschlag bis in die Fingerspitzen spüren konnte.

Das musste ein Traum sein.

========

Wer ist das wohl? 👀

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