43 - Entscheidungen


POV Gio

Vor dem Krankenhaus angekommen, fühlte ich mich immer noch nicht besser, sodass Jesús mich in die Notaufnahme tragen musste.

Dort eingetroffen, strömte mir direkt die kalte Luft der Klimaanlage entgegen und ich konnte zum ersten Mal wieder richtig atmen.

"Gibt es hier irgendwo einen Arzt?", rief er den langen Gang entlang, denn außer ein paar wartenden Patienten war weit und breit niemand zu sehen.

"Boa noite, Senhor. Was ist passiert?", kam Sekunden später eine Krankenschwester angelaufen.

"Wenn ich das wüsste, wäre ich wahrscheinlich nicht hier", fuhr er sie direkt an.

"Am besten legen Sie sie hier auf eine der Tragen, damit wir die Anmeldeformulare ausfüllen können", meinte sie und ich konnte ihre Angst in der Stimme dabei hören.

Es war sicher ein befremdlicher Anblick, so ein großer tätowierter Typ mit einem Mädchen wie mir auf dem Arm. Wahrscheinlich malte sie sich gerade die schlimmsten Dinge aus.

Womit sie leider Recht hätte.

Das grelle Licht der Neonlampen blendete mich trotz geschlossener Lider, sodass ich mir einen Arm über die Augen legen musste.

Hier zu ruhen tat unheimlich gut und ich spürte, wie die Müdigkeit mich überwältigte. Doch Jesús laute Stimme, wie er mit der Frau diskutierte,  holte mich immer wieder zurück aus meiner Trance.

"Der Arzt kommt in fünfzehn Minuten. Aber ich werde ihr schon mal einen Zugang für die Kochsalzlösung legen", hörte ich sie neben mir sagen.

Anschließend zog sie einen Vorhang zu und wenige Minuten später steckte eine Nadel in meinem Arm, welche die kühle Flüssigkeit in meinen Körper tropfen ließ.

Es dauerte nicht lange, da erweckte mich diese wieder zum Leben und ich fühlte mich wesentlich besser.

Als ich meine Augen öffnete, saß Jesús auf einem Stuhl an der Seite und tippte genervt etwas in sein Handy.

"Du kannst gern wieder in den Club zurück", presste ich aus meiner trockenen Kehle hervor.

"Netter Versuch, Princesa", erwiderte er mit einem schiefen Lächeln und erinnerte mich so daran, dass ich ja seine Gefangene war.

Der Arzt betrat wenige Sekunden später dieses provisorische Zimmer. „Bom noite."

"Ich bin Doktor Mendes. Wie ich sehe, geht es ihnen schon wieder etwas besser, Senhora ... Montoya Cruz", las er von seinem Papier ab und kam dann zu mir ans Bett.

"Können sie aufstehen?" Er betrachtete mich und ich nickte, bevor ich mich langsam aufsetzte.

"Ist ihnen immer noch schwindelig?"

"Etwas", krächzte ich, während ich mich mit beiden Händen am Bettrand festhielt.

"Haben sie heute genug getrunken? Die Temperaturen sind nämlich nicht gerade sehr menschenfreundlich", erkundigte er sich weiter und hob währenddessen mein Kinn ein wenig an um mir mit einer kleinen Lampe in die Augen zu leuchten.

"Ist etwas vorgefallen in letzter Zeit? Sind Sie vielleicht gestürzt? Haben Sie sich irgendwo den Kopf angeschlagen?", fuhr er mit seinen Fragen fort und ich warf einen kurzen Blick zu Jesús, welcher recht angespannt auf seinem Platz saß und jede Bewegung -  sowie jedes Wort von mir genauestens beobachtete.

"Nein", log ich daraufhin, denn ich konnte ihm jetzt schlecht erzählen, dass ich mehrfach vergewaltigt, geschlagen, misshandelt und fast tot war.

"Woher haben Sie die Narbe auf der Wange?", meinte er daraufhin, während er sie eingehend betrachtete.

"Das war meine Katze", erwiderte ich zögerlich und wich seinem forschendem Blick in diesem Moment aus.

"Können sie uns nicht einfach ein paar Tabletten geben?", mischte sich Jesús nun ein und erhob sich von seinem Stuhl.

"Senhor, würden Sie mich bitte meine Arbeit machen lassen. Ich kann nicht einfach irgendwelche Medikamente verschreiben ohne eine genauste vorherige Anamnese", entgegnete er professionell und gefasst.

Wahrscheinlich tauchten in der Notaufnahme um diese Uhrzeit des öfteren Gestalten wie Jesús auf.

Nur das er offensichtlich nicht wusste, wer hier wirklich vor ihm stand und wie gefährlich er war.

Mein Herz hämmerte unaufhörlich gegen meinen Brustkorb, denn ich hatte Angst, dass Jesús jeden Moment seine Waffe ziehen könnte.

"Blut wurde Ihnen bereits entnommen, ich werde  daher die Kanüle jetzt wieder entfernen und dann gehen wir in meinen Untersuchungsraum. Ich muss noch ein paar Tests mit Ihnen machen."

"Haben Sie schon eine Vermutung, was es sein könnte?", fragte ich verunsichert, denn sein nachdenklicher Blick, während er mir die Nadel aus der Vene zog, beunruhigte mich.

"Es käme einiges in Frage, daher möchte ich Sie noch etwas genauer untersuchen. Folgen Sie mir bitte", erklärte er, während er mir beim Aufstehen half.

Dann liefen wir Doktor Mendes durch das Krankenhaus hinterher - bis in die zweite Etage.

"Würden Sie bitte hier draußen Platz nehmen, Senhor. Ich möchte ihre Frau gern allein sprechen", meinte er kühl an Jesús gewandt.

An dessen Mimik  konnte ich allerdings erkennen, dass er absolut nicht einverstanden damit war und er warf mir einen warnenden Blick zu, bevor er stillschweigend einwilligte.

"Setzen Sie sich bitte",  sagte der Arzt, nachdem er die Tür hinter mir geschlossen hatte.

Er musterte mich einige Sekunden skeptisch, als er auf seinem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches platz genommen hatte.

"Ich werde noch einige Dinge nachsehen, dann können Sie heute wahrscheinlich wieder nach Hause", erklärte er mir anschließend.

"Also ist es nichts ernstes?", schlussfolgerte ich daraus.

"Ich denke, nein", kam er dann um mich herum und legte mir eine Manschette um den Oberarm.

Nervös ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, während er die Luft aufpumpte bis ich meine eigenen Herzschlag spüren konnte.

"Ihr Blutdruck ist normal. Der Puls ein wenig zu hoch, aber alles noch in Maßen", erklärte er sachlich.

"Würden Sie sich bitte dort drüben hinlegen. Ich möchte ihren Bauch noch kurz abtasten."

Zögerlich folgte ich seiner Anweisung und zog mein Kleid nach oben, bevor ich mich niederließ.

"Nicht erschrecken, meine Hände sind etwas kalt", meinte er und lächelte zum ersten Mal in der gesamten Zeit, die er bei mir war.

Dann spürte ich seine Hände auf meiner Haut und zuckte trotz Vorwarnung kurz zusammen. Vorsichtig drückte er um meinen Nabel herum bis an die Seiten.

"Tut irgendetwas weh?", erkundigte er sich mehrmals, was ich allerdings alles mit nein beantworten konnte. Doch sein misstrauischer Blick blieb.

Als er fertig war, zog ich mein Kleid wieder nach unten und setzte mich auf, während er zu seinem Schreibtisch zurück ging.

"Arbeiten Sie für ihn?", kam dann völlig unerwartet aus seinem Mund, sodass mir der Atem stockte und ich sah ihn erschrocken an.

"Sie wissen, dass ich unter der gesetzlichen  Schweigepflicht stehe. Sie können mir also alles erzählen", sah er mir eindringlich in die Augen und ich spürte, wie sich Tränen in ihnen bildeten.

"Ist er Ihr Zuhälter? Tut er Ihnen weh?", forschte er mit ruhiger Stimme weiter nach und ich war plötzlich vollkommen überfordert mit dieser Situation - wissend das Jesús vor der Tür saß und die Hilfe trotzdem zum Greifen nah war.

In der anschließenden Stille, konnte ich meinen eigenen Atem hören und die Gedanken wirbelten nur so in meinem Kopf herum, dass mir beinahe wieder schwindelig wurde.

"Ich kann die Polizei verständigen, wenn Sie das möchten", bat er mir an.

"Nein. Keine Polizei. Mir geht es gut", unterbrach ich seine Worte und versuchte irgendwie gefasst zu klingen.

"Wie Sie meinen. Dann bräuchte ich jetzt noch eine Urinprobe von Ihnen", fuhr er mit seiner Anamnese fort und reichte mir einen kleinen Plastikbecher.

"Die Toiletten finden Sie hier gegenüber."

Als ich das Zimmer verließ, war von Jesús weit und breit nichts zu sehen und ich spielte für einen kurzen Moment mit dem Gedanken zu fliehen - doch diesen verwarf ich sofort wieder und begab mich niedergeschlagen ins Bad.

.......

Zehn Minuten später lief ich angespannt den Gang auf und ab - immer noch in der Ungewissheit, was ich nun hatte.

Die Stille in dieser sterilen Umgebung erdrückte mich und das grelle Licht bereitete mir Kopfschmerzen.

Erneut kam mir in den Sinn abzuhauen. Jesús befand sich wahrscheinlich draußen am Wagen und das Krankenhaus war riesig. Ich könnte mich hier überall verstecken und dann am Tag unbemerkt in der Menschenmenge verschwinden und mit einem Taxi anschließend die Stadt verlassen.

Nervös kaute ich auf meinem Fingernagel herum. Vielleicht sollte ich doch besser erst auf das Ergebnis meiner Untersuchung warten.

Hin und hergerissen von meinen eigenen Gedanken begann ich die Fotos an den Wänden zu betrachten um mich abzulenken.

"Senhora Montoya Cruz. Ihre Resultate sind jetzt da", erklang nach einer gefühlten Ewigkeit die Stimme von Doktor Mendes.

Wieder saß ich ihm gegenüber und knetete aufgewühlt meine Finger, welche auf meinem Schoß lagen, während ich  versuchte anhand seines Blickes zu erkennen, was mich gleich erwarten könnte.

"Wir haben einen erhöhten HCG Wert gefunden. Sie sind schwanger, Miss", meinte er dann mit monotoner Stimme - und seine Worte drangen nur langsam zu mir durch.

"Senhora? Haben Sie mich verstanden?", erkundigte er sich, da ich ihn einige Sekunden regungslos anstarrte.

Nickend gab ich ihm dann zu verstehen, dass die Information bei mir angekommen ist.

"Wissen Sie wer der Vater ist?", hakte er vorsichtig nach.

"Ja", erwiderte ich mit brüchiger Stimme, während mir Tränen der Freude über die Wangen liefen. Doch gleichzeitig machte mir diese Neuigkeit unheimliche Angst. 

"Ist es der Mann da draußen?", erkundigte er sich und die Sorge stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.

"Nein", schüttelte ich wie in Trance meinen Kopf, während ich mit meinen Gedanken in diesem Moment überall war - nur nicht hier.

"Normalerweise mache ich so etwas nicht. Aber wenn Sie möchten, kann ich Ihnen eine Abtreibungspille geben. Sie sind noch ganz am Anfang der Schwangerschaft", bot er mir an, während er mich intensiv betrachtete.

Seine Worte holten mich für einen kurzen Moment wieder in die Realität zurück und ich sah ihn mit großen Augen an. Vermutlich dachte er, dass das Kind von einem meiner Kunden war und ich wusste sein Angebot sehr zu schätzen. Nicht jeder Arzt in Brasilien hätte das getan.

"Vielen Dank, aber ich möchte es behalten", gab ich ihm dann zu verstehen und ein verträumtes Lächeln legte sich auf meine Lippen.

Dieses Baby war nur noch ein weiterer Grund zum Kämpfen.

"Wie Sie wünschen. Dann sollten Sie ab jetzt regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen gehen, sich gesund ernähren und vor allem - ruhen Sie sich aus, Miss. Die Übelkeit sollte spätestens nach dem dritten Monat vorüber sein. Bis dahin gebe ich ihnen ein pflanzliches Medikament, was Ihnen helfen sollte", erklärte er mir routiniert und holte eine Packung Tabletten aus einem seiner Schränke.

Es fühlte sich immer noch alles wie ein Traum an, als ich nach der Schachtel griff.

"Haben Sie noch irgendwelche Fragen?"

"Nein. Aber ich würde Sie bitten, dem Mann der mit mir hier ist nichts davon zu erzählen", bat ich ihn, als wir anschließend an der Tür standen und er mir die Hand reichte.

"Selbstverständlich. Ich wünsche Ihnen alles gute, Senhora", meinte er daraufhin mitfühlend.

"Muito obrigado."

Als ich das Zimmer verließ, war von Jesús immer noch nichts  zu sehen, was mich sehr verwunderte, ließ er mich doch sonst nicht eine Sekunde aus den Augen.

Irritiert was ich nun machen sollte, lief ich den Gang entlang, als ich plötzlich Stimmen hörte.

Die Neugierde ließ meine Füße in deren Richtung bewegen, vielleicht tat ich es aber auch um mich endgültig von meinem waghalsigen Vorhaben -  zu fliehen - abzubringen.

Und dann setzte mein Herz mehrere Schläge aus, als ich rechts den langen Flur entlang sah.

"Tiano?", murmelte ich und blieb einige Sekunden wie gelähmt im Gang stehen.

"Wie lange muss sie noch im Krankenhaus bleiben?", erkannte ich eindeutig seine Stimme.

"Das kann ich Ihnen noch nicht genau sagen, Senhor de Loreto. Wir müssen erst noch einige Ergebnisse abwarten."

"Tiano", brachte ich erneut leise über meine bebenden Lippen und Tränen der Freude rollten über meine Wangen.

Doch als ich gerade zu ihm rennen wollte, kam eine Frau in einem weißen Krankenhaushemd aus dem Zimmer  und ich stoppte abrupt noch bevor mich einer von ihnen wahrnahm.

"Mozão, kannst du mich bitte nach Hause bringen, ich halte es hier nicht länger aus?", jammerte sie und schmiegte sich in seine Arme.

Ohne diese Frau genau erkannt zu haben, wusste ich, dass das Veronique war.

Plötzlich zog es mir vollkommen den Boden unter den Füßen weg und ich musste mich mit einer Hand an der Wand abstützen.

Schwer amtend ging ich in die Knie und alles um mich herum begann sich zu bewegen.

"Veronique, du hast doch gehört, was der Arzt gesagt hat und ich denke auch, dass es besser ist, wenn du noch eine Nacht hier bleibst", redete er besorgt auf sie ein, während er sie in seinen Armen hielt.

Der Anblick der beiden - so vertraut - war wie ein Stich ins Herz. Ich wollte einfach nicht glauben, was ich da sah.

Und dann erinnerte ich mich wieder an den Zettel von diesem Mädchen aus der Bar. Ich konnte nicht lesen was darin stand, aber jetzt war ich mir sicher, dass mir Tiano mit dieser Nachricht mitteilen wollte, dass er sich doch für Veronique entschieden hatte.

Denn eindeutiger konnte diese Situation nicht sein.

Der Anblick tat so unheimlich weh, dass mir nun unkontrolliert die Tränen über die Wangen liefen und ich mir die Hand vor den Mund halten musste, damit sie mein Schluchzen nicht hören konnten.

"Senhora Montoya Cruz?", nahm ich die Stimme von Doktor Mendes leise im Hintergrund wahr, während ich mit zitternden Körper Tiano dabei beobachtete, wie er Veronique sanft über den Rücken strich.

"Ich habe dir versprochen, dass ich bei dir bleibe. Und jetzt leg dich bitte wieder hin. Ich geh mir noch einen Kaffee holen, okay."

Seine sanften Worte hallten wie ein Echo durch die Stille und bohrten sich in mein Herz.

"Senhora Montoya Cruz? Alles in Ordnung bei Ihnen?", kam der  Arzt erneut auf mich zu, da ich mich nicht bewegen konnte.

"Wollen Sie doch lieber eine Nacht hier bleiben?", bat er mir an, während er mich stützte.

"Nein, es geht gleich wieder", erklärte ich ihm und versuchte mich irgendwie zusammen zu reißen.

"Wie Sie meinen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?", fragte er abermals besorgt, während ich unter Tränen Tiano nach sah, wie er den Gang entlang lief.

"Ja", schaute ich ihn wie versteinert an.

„Ich hätte doch gern die Abtreibungspille", kam es voller Überzeugung  aus meinem Mund, während im selben Moment mein Herz in tausend Stücke zerbrach - und ich dabei zusah, wie Tiano vor meinen Augen irgendwo in dem riesigen Krankenhaus verschwand.

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