42 - Zusammenbruch


POV Gio

Nachdem ich Jesús förmlich anflehte, mich irgendetwas machen zu lassen, hat er es sich einen Tag später noch einmal überlegt und sich dafür entschieden.

Und so saß ich nun auf dem Beifahrersitz in seinem Wagen und schaute wehmütig aus dem Fenster, als wir durch die belebten Straßen von Rio fuhren.

Es war bereits spät am Abend und überall brannten die bunten Lichter der Reklametafeln.

Aus den Bars und Clubs drang die unterschiedlichste Musik und die Menschen liefen fröhlich durch die Stadt.

Die Freiheit war zum Greifen nah und doch irgendwie soweit weg.

Ich dachte ich würde mich besser fühlen, wenn ich aus dem Gefängnis heraus bin. Doch der Blick durch das Seitenfenster verdeutlichte noch einmal mehr, das es für mich eben nicht anders war, als in der Villa.

Ich war eine Gefangene in der Unterwelt. Eine Welt aus der ich nie mehr herauskommen würde - hatte mir Jesus prophezeit. Mittlerweile glaubte ich es selbst.

Wie immer stellte er seinen Wagen auf dem Parkplatz hinter dem Club ab. Dann folgte ich ihm wie schon viele Male zuvor die Treppenstufen hinauf in sein Büro, vor dem wie gewohnt die schwer bewaffneten Security standen.

Ich warf ihnen einen flüchtigen Blick zu, bevor ich Jesús in den Raum folgte.

Alles lief routiniert ab, als wäre ich nie weg gewesen. Und die Bilder von Tiano verblassten immer mehr.

Es roch wie immer nach Alkohol und Zigaretten, aber auch nach Waffen und Drogen, welche ich dann auf einem Tisch an der Seite entdeckte. Ein Anblick, der mir immer noch Unbehagen bereitete. 

„Du willst also an der Bar arbeiten?", kam er auf mich zu, nachdem er die schwarze Tasche mit dem Geld in einem Safe verstaut hatte.

„Hast du das schon mal gemacht?"

Mit einer Hand strich er mir eine Strähne hinter das Ohr und mein Atem ging schwer, als er nah vor mir stand, sodass ich zu ihm herauf sehen musste.

"Ich habe Ricardo schon ein paar Mal geholfen, wenn viele Gäste da waren und ich gerade nichts zu tun hatte", erklärte ich ihm verunsichert.

Nickend betrachtete er mich eine Weile und sein finsterer Blick ließ mich erstarren, sodass ich mich nicht wehren konnte, als sich anschließend seine Lippen auf meine legten.

Mein Herz begann zu rasen, als er mich an sich zog und ich schloss meine Augen, damit er die Feuchtigkeit, die sich in ihnen bildete nicht bemerkte.

Die ganzen letzten Tage hatte er mich zum Glück nicht einmal angefasst.

Und in dem Moment als er seine Zunge in mich schob, nahm er mir die letzten schönen Erinnerungen an Tiano.

Mit seinem Oberkörper presste er mich gegen die Wand und ignorierte die Tränen, welche mir nun doch über die Wangen liefen, während er seine Hand zwischen meine Beine gleiten ließ.

"Bereit wie immer", raunte er an meinem Ohr und ich hasste meinen Körper für seine Reaktion.

Dann spürte ich seine warme Zunge, wie sie eine feuchte Spur auf der Haut meines Halses hinterließ und mein ganzer Körper verkrampfte sich bei dem Gedanken daran, was gleich passieren würde.

Plötzlich ging die Tür auf und ich atmete erleichtert auf, als Calixto herein kam. Ich war noch nie so froh diesen Psycho zu sehen, wie in diesem Augenblick.

"Ich hoffe, es ist wichtig", knurrte Jesús genervt ohne dabei von mir abzulassen.

"Escobar und seine Leute sind gerade gekommen. Sie warten im VIP-Bereich  auf dich", erklärte er ihm und verschwand wieder.

"Ich bring dich jetzt an die Bar. Aber versuchst du noch einmal zu fliehen - werde ich dich persönlich erschießen", hauchte er an meinem Mund und sein düsterer Blick frass sich förmlich in mich hinein.

Seine Besessenheit von mir wurde mit jedem Wort und mit jeder seiner Handlungen immer deutlicher.

Weiterhin  wie zu Eis erstarrt, nickte ich nur. Dann folgte ich ihm nach unten in den Club, welcher mittlerweile brechend voll war.

Hinter der Bar begrüßte mich Ricardo mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor er weiter Cocktails mixte und Bestellungen entgegen nahm.

Ich fühlte mich schwach und absolut nicht in der Lage hier zu arbeiten, aber ich musste unbedingt aus der Villa raus. Und das war meine einzige Möglichkeit, also atmete ich einmal tief durch und begann dann den ersten Caipirinha zu machen.

Die Stunden vergingen und um mich herum begann alles zu schwanken. Doch ich wollte nicht wieder zurück in sein Haus, also trank ich so viel Wasser wie ich nur konnte, in der Hoffnung mein Zustand würde sich verbessern.

"Hey, Bedingung", machte ein Mädchen auf sich aufmerksam und ich lief zu ihr herüber.

Sie saß an der Seite auf einem Barhocker, sodass ich mich etwas über die Theke lehnen musste um die Dunkelhaarige zu verstehen. 

"Kann ich einen Wodka haben", versuchte sie die laute Musik zu übertönen, woraufhin ich ihr zunickte.

Mit letzter Kraft ging ich zu den Regalen und hielt mich dort einige Sekunden am Holz fest, bevor ich nach einem Glas tastete. Anschließend gab ich ein paar Eiswürfel hinein und schüttete den Wodka dazu.

Mein Magen rebellierte und der Schwindel wollte einfach nicht aufhören. Mit zittrigen Beinen ging ich zu ihr zurück und stellte das Glas auf den Tisch.

Sie betrachtete mich einige Sekunden, bevor sie mir einen Schein entgegen hielt. Als ich diesen nehmen wollte, griff sie plötzlich nach meinem Handgelenk. Erschrocken darüber, sah ich dieses Mädchen mit großen Augen an.

Dann drückte sie mir das Geld in die Hand und schloss diese mit ihrer, während sie mir tief in die Augen sah und lächelte.

Ich hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte, geschweige denn wer dieses Mädchen war. Aber so wie sie aussah, arbeitete sie wahrscheinlich ebenfalls für Jesùs - was das Ganze noch merkwürdiger machte.

Wortlos verschwand sie in der Menge, ohne den Wodka auch nur ansatzweise angerührt zu haben.

Irritiert über die Situation ging ich zur Kasse um das Geld hineinzulegen, als ich plötzlich diesen Zettel in meiner Hand bemerkte.

Was ging hier bloß vor?

Nervös sah ich mich mit den Augen um, bevor ich mit dem Stück Papier unauffällig in eine geschützte Ecke lief.

Mein Herz raste, als ich die Nachricht mit zittrigen Fingern entfaltete - und meine Hoffnung stieg ins unermessliche, dass diese von Tiano war.

Doch alles was ich lesen konnte, waren die Worte "Você e eu", dann verschwammen die restlichen Buchstaben vor meinen Augen und ich spürte, wie meine Beine nachgaben.

Die Musik war nur noch in weiter Entfernung zu hören  und die grellen Lichter fühlten sich wie Blitze  an -  anschließend wurde alles schwarz.

..............

"Gio! Hey! Mach die Augen auf!", hörte ich Jesús Stimme, doch öffnen konnte ich sie nicht.

"Ich denke, sie sollte in ein Krankenhaus."

"Denken tu ich hier. Mach du dich wieder an deine Arbeit. Die Bar läuft nicht von alleine", fauchte er Ricardo an. Dann fiel eine Tür ins Schloss und es herrschte absolute Stille. Nur die dumpfen Bässe des Clubs waren zu spüren.

"Gio! Wach auf!", schlug er mich leicht auf die Wange, sodass ich langsam wieder zu mir kam.

"Was ist passiert?", war das erste was ich nuschelte.

"Das würde ich gern von dir wissen. Du bist hinter der Bar ohnmächtig geworden", erklärte er mir, während er mir auf half und ein Glas Wasser reichte.

"Hier trink", befahl er mit gefestigter Stimme. Doch nur der bloße Anblick von dem Wasser, ließ mich würgen.

"Fuck, man. Ich fahr dich jetzt ins Krankenhaus. Aber kein Wort zu irgendwem dort. Hast du mich verstanden?"

Ich nickte nur mit der Hand vorm Mund und versuchte dann ganz langsam aufzustehen. Meine Beine fühlten sich immer noch schwach an und kalter Schweiß bildete sich auf meiner Haut.

Doch noch bevor ich ein weiters Mal zusammenbrechen konnte, nahm mich Jesús in seine Arme und trug mich zum Wagen.

"Am besten fahren wir ins Hospital Samaritano, die haben die ganze Nacht geöffnet."

Seine Stimme nahm ich nur leise wahr, genauso wie das brummende Geräusch des Wagens. Er klang ungewohnt fürsorglich, dabei hätte er mich doch auch ganz einfach sterben lassen können - denn so fühlte ich mich in diesem Moment.

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POV Tiano

Gedankenverloren lief ich über die Plantage von Onkel Benício.

Der Plan von Diego und seinen Männern war perfekt. Jetzt musste ich nur noch auf die Nachricht von Gio warten.

Hoffentlich konnte diese Sheryl ihr den Zettel geben.

Geduld war nicht gerade meine Stärke, daher öffnete ich heute schon die zweite Schachtel Zigaretten - als plötzlich mein Handy klingelte.

"Olá", brummte ich, während ich um die Ecke der Finca ging um genau auf der Bank platz zu nehmen, auf der ich in der Hochzeitsnacht mit Gio saß.

"Tiano? Hier spricht deine Mutter."

Bei diesen Worten atmete ich schwer ein. Woher zum Teufel hatte sie meine Telefonnummer?

"Was möchtest du?", versuchte ich höflich zu bleiben.

"Erst einmal will ich das du weißt, dass ich anders denke als dein Vater. Aber trotzdem hoffe ich, dass du dich für das Richtige entscheidest. Veronique ist eine gute Frau, sie passt perfekt in unsere Familie und sie erwartet ein Kind von dir. Tu ihr das bitte nicht an, Tiano. Du wirst es irgendwann bereuen. Aber dann wird es zu spät sein, mein Sohn", erklärte sie mir etwas, was im Moment so gar nicht in meinen Kopf passte.

"Okay. Fertig?", klang ich nun deutlich aggressiver  und rieb mir genervt die Stirn.

"Nein", erwiderte sie sofort und die strenge in ihrer Stimme war deutlich spürbar.

"Veronique ist im Krankenhaus."

Mit dieser Aussage hatte ich absolut nicht gerechnet und sie riss mir für einen Moment den Boden unter den Füßen weg.

"Ist was mit dem Baby?", erkundigte ich mich sofort und sprang auf.

"Dem Baby geht es gut. Aber es gibt wohl Komplikationen. Ich weiß, du und Veronique seid bei eurem letzten Aufeinandertreffen nicht im Guten auseinandergegangen. Trotzdem denke ich, du solltest jetzt bei ihr sein."

Kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, legte ich auf und lief so schnell ich konnte zu meinem Wagen.

"Ich muss nach Rio ins Krankenhaus", lies ich João wissen, welcher mir entgegen kam.

"Ich weiß", erwiderte er nur und mir war klar, dass er die Nummer meiner Mutter gegeben hatte. Was mich echt sauer machte. Aber für Diskussionen hatte ich jetzt keine Zeit.

Dann fuhr ich so schnell ich konnte zum Hospital Samaritano.

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