33 - Pläne
POV Tiano
Mit jedem Schritt mit dem ich mich von diesem Grundstück entfernte, hoben sich meine Mundwinkel ein Stückchen mehr.
Meinem Vater endlich die Meinung gesagt zu haben, war das beste was ich je gemacht habe.
Wenn ich gewusst hätte wie befreiend sich das anfühlt, hätte ich es schon viel früher getan.
Aber wie sagt man so schön? Besser spät, als nie.
Über die Kohle machte ich mir keine Sorgen. Denn ich war mir sicher, dass ich mit Gio auch ohne Millionen auf dem Konto glücklich werden würde.
Außerdem gab es ja noch die Rennen. Die hatte ich eh schon vermisst.
Und dann gab es da noch das Angebot von Gilberto Rodríguez Orejuela. Diego meinte, dass sein Bruder expandieren möchte und sie suchten nach jemandem, der das Cali Kartell in Brasilien anführt.
Ich hatte weder Gio noch João davon erzählt - da ich es bisher nicht in Erwägung gezogen hatte.
Doch nur schon alleine um meinem Vater die Stirn zu bieten, war es eine Überlegung wert.
Die Sonne hing bereits tief über den Dächern der Villen, als ich endlich meinen Wagen erreichte.
Tief einatmend kniff ich mir mit geschlossenen Augen in die Nasenwurzel und lehnte mich im Sitz zurück.
Erst als ich die andere Hand ans Lenkrad legen wollte, fiel mir auf, dass ich immer noch das Ultraschallbild zwischen den Fingern hielt.
Erneut betrachtete ich das kleine Wesen auf dem Foto und mein Herz begann automatisch gegen meinen Brustkorb zu schlagen.
Meine Gefühle in diesem Moment konnte ich gar nicht in Worte fassen - denn so etwas hatte ich noch nie gespürt.
Ich kannte ihn oder sie noch nicht, aber ich fühlte jetzt schon eine bedingungslose Liebe.
Und Angst.
Angst, dass ich als Vater versagen werde! Das ihm oder ihr etwas zustoßen könnte. Das er oder sie mir Vorwürfe macht, weil ich die Familie verlassen habe.
Je länger ich das Bild betrachtete, desto mehr Gedanken und Zweifel schwirrten durch meinen Kopf.
Ich musste dringend mein Leben neu ordnen - um meinem Kind ein gutes und sicheres zu Hause zu schaffen.
Denn das hätte ich ihm in diesem Moment nicht bieten können.
Und ich brauchte einen guten Anwalt. Denn ich wusste, dass Veronique ihre Worte in die Tat umsetzen würde - und mein Vater wird ihr den besten Anwalt der Stadt besorgen.
Ich brauchte also doch Kohle.
Doch was würde Gio davon halten, wenn ich das Cali Kartell in Brasilien anführe? Ich hatte ihr ein normales Leben versprochen und würde sie so wieder in die Abgründe ziehen.
Grübelnd faltete ich das Foto zusammen und steckte es in meine Hosentasche. Dann startet ich den Motor und verließ ein für alle mal diese Gegend.
Meine Scheinwerfer erhellten die sonst so leere und dunkle Straße. Die Gegend in der meine Familie lebte, war der totale Kontrast zur Copacabana.
Die wenigen Villen die hier standen, schienen unbewohnt, denn man sah nie Personen auf der Straße, außer ein paar bewaffneten Securities.
Ich verließ das Viertel über die einzige Zufahrtsstraße die es gab und machte direkt an der Tankstelle an der Ecke einen Stopp.
Es war eine kleine Tankstelle und ich kannte den Besitzer. Er wusste wer ich war und behandelte mich trotzdem wie jeden anderen. Ein Grund, warum ich bei ihm tankte und hin und wieder einkaufte.
„Olá, Tiano! Como vai? Lange her das du hier warst", begrüßte mich der kleine Mann mit dem bunten Hemd, nachdem ich das Seitenfenster herunterließ.
„Olá, Pedro! Tudo bem? Ich hatte einige geschäftliche Dinge im Ausland zu erledigen. Aber freut mich dich wiederzusehen. Wie geht es Matilda und den Kindern?", erkundigte ich mich, während er meinen Wagen voll tankte.
„Alles wie immer. Sie sind gerade in São Paulo bei meiner Schwester. Und du, fleißig wie dein Vater. Wirst mal ein guter Politiker, mein Junge", lobte er mich, woraufhin ich ihm mit einem aufgesetzten Lächeln zunickte.
„Sag mal, verkaufst du eigentlich auch Prepaid Handys?", erkundigte ich mich, als er gerade den Tankdeckel zuschraubte.
„Ja, natürlich. Was möchtest du für eins, ich hab mehrere zur Auswahl?"
„Egal, bring mir irgendeins, was den besten Empfang hat - auch außerhalb von Rio", erwiderte ich und holte anschließend meine Kreditkarte heraus.
Dann verschwand Pedro in seinem kleinen Laden und kam wenige Sekunden später mit einem neu verpackten Handy und dem Kartenlesegerät wieder heraus.
„So das macht dann 664,32 Real", meinte er und ich gab ihm meine Karte.
„Könntest du mir noch ne Schachtel Marlboro bringen?", bat ich ihn, denn ich brauchte jetzt etwas, was mich beruhigte.
„Natürlich. Algo mais?", musterte er mich besorgt, denn ich konnte meine Maske nicht mehr länger aufrecht erhalten.
„Não, das ist alles, obrigado", bedankte ich mich, als ich plötzlich einen Scheinwerfer im Seitenspiegel bemerkte.
Bei genauerem Hinsehen erkannte ich Pereiras Wagen. Dieser Wichser hatte mir gerade noch gefehlt.
„Na, wen haben wir denn hier? Den Prostituierten Retter von Rio", rief er bereits von Weitem, während er auf mich zu kam.
Seufzend rollte ich mit den Augen. Eigentlich hatte ich keinen Bock mich mit diesem Bastard abzugeben. Doch ich konnte jetzt auch nicht einfach abhauen.
„Was willst du Pereira?", raunte ich und stieg aus dem Auto.
„Dem Sohn meines besten Freundes Guten Abend sagen, oder ist das nicht mehr erwünscht?", grinste er mich dreckig an und ich ballte bereits jetzt schon die Hände zu Fäusten.
„Gut, war's das dann?", erwiderte ich genervt und griff nach der Tür.
„Wo hast du gesteckt? Dein Vater hat die halbe Welt verrückt gemacht wegen dir. Warst du mit deiner kleinen Nutte unterwegs, oder warum hast du ihm nichts gesagt?", redete er hinter meinem Rücken weiter und ich atmete mit geschlossenen Augen tief ein, bevor ich mich erneut zu ihm wandte.
„Ich weiß nicht was dich das angeht", versuchte ich irgendwie freundlich zu bleiben, obwohl es mir in den Händen juckte.
Pedro beobachte uns die ganze Zeit durch das Fenster. Ich wusste, dass er absichtlich mit meinen Zigaretten wartete. Er war zurückhaltend und diskret. Ein Grund warum viele berühmte und bekannte Leute zu ihm kamen.
„Warum tust du dir das an, Tiano? Ich meine, du hast eine Frau und zwar eine Frau die Ehre hat und keine die schon von hunderten Typen gefickt wurde. Hast du dir mal überlegt, wie viele Schwänze die bereits in ihrem Mund hatte?", meinte er und in dem Moment hätte ich ihm am liebsten in seine hässlich, grinsende Visage geboxt.
„Halt dein verficktes Maul, Pereira", knurrte ich mit gedämpfter Stimme nah an seinem Gesicht, während ich aus dem Augenwinkel Pedro hin und wieder beobachtete, welcher immer noch in seinem Laden stand und jetzt irgendetwas zu machen schien.
„Du ruinierst deine ganze Familie, wenn das herauskommt", versuchte er mir etwas zu erklären, was mir längst bewusst war.
„Das ist mir scheißegal. Trotzdem wirst du deine Fresse halten, verstanden", drohte ich ihm, während ich ihn mit zusammengekniffenen Augen fixierte.
„Echt schade um dich. Du wärst ein ziemlich guter Politiker geworden. Hättest für Ordnung in der Stadt sorgen können, so wie ich es tue. Aber leider hast du dir von der kleinen Hure den Kopf verdrehen lassen."
„Nenn sie noch einmal so und mir ist egal, ob Pedro uns beobachtet", raunte ich, während meine Kiefer mahlten.
„Ay Tiano. Ich weiß, wir beide werden keine Freunde mehr, aber du bist der Sohn von Salvatore und Soraya, daher lass dir was gesagt sein. Du denkst vielleicht die Kleine gehört dir jetzt und ihr könnt in Ruhe zusammen leben. Aber du kennst Jesús nicht. Der Typ ist ein Psychopath, der wird euch bis in eure Träume verfolgen", meinte er und seine Gesichtszüge verfinsterten sich von einer Sekunde zur anderen, während er mir mit seinem Zeigefinger auf die Brust tippte.
„Das lass mal meine Sorge sein", erwiderte ich und schob seine Hand von mir.
„Und falls du auf die Idee kommen solltest meiner Familie oder irgendwem anderes von Gio zu erzählen - dann lass du dir gesagt sein, dass ich ein ziemlich interessantes Video von dieser einen Nacht im Wald habe. Was passiert, wenn das an die Öffentlichkeit gerät, muss ich dir ja nicht erklären", grinste ich ihn nun höhnisch an.
Pereira wusste, dass ich ihn mit meinem Wissen in der Hand hatte und versuchte seine Angst mit Überheblichkeit zu überspielen.
Doch ich hatte ihn längst durchschaut.
„Was willst du wirklich von mir, Tiano?"
„Wie gesagt, einfach das du dein Maul hältst. Und das du mich in Zukunft darüber informierst, was dieser Jesús plant. Als sein Komplize solltest du ja an solche Informationen rankommen", erwiderte ich und zog eine Augenbraue nach oben.
„Ich arbeite nicht mit ihm zusammen. Das war eine einmalige Sache", versuchte er mir weiß zu machen, aber ich glaubte ihm kein Wort.
„Das ist mir scheißegal. Dann lass dir was einfallen. Wäre doch ziemlich schade, wenn mein Vater das von Jesús und dir erfahren würde. Wo er doch schon seit Jahrzehnten versucht diesen Typ dranzukriegen", grinste ich hämisch.
„Fühlt sich gut an, wenn man Macht hat, oder? Wie gesagt, wärst ein verdammt guter Politiker geworden, wahrscheinlich ein besserer als dein Vater", klopfte er mir auf die Schulter, bevor er zu seinem Wagen zurücklief.
„Aber weißt du was, Tiano. Ich kann dich ein bisschen verstehen", wandte er sich wenige Meter später erneut an mich, während er sich über die Stirn rieb.
„Deine Kleine kann echt gut Schwänze lutschen."
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, setzte mein Verstand für einige Sekunden aus. Ich stürmte auf ihn zu und boxte ihm derart heftig ins Gesicht, sodass er gegen seinen Wagen flog.
„Ich hab gesagt, rede nie wieder so über Gio", presste ich zwischen den Zähnen hindurch, während ich ihn beobachtete, wie er sich schmerzverzerrt die Nase hielt, aus der Blut tropfte.
„Senhor Pereira. Alles in Ordnung? Soll ich einen Arzt rufen?", kam Pedro zu uns gerannt und half Ihm wieder auf die Beine.
„Was ist bloß in dich gefahren, Tiano?", sah er schockiert zu mir auf und ich bereute in dem Moment, dass ich mich hab so provozieren lassen.
„Schon gut, Pedro. Das war nur ein kleines Missverständnis", log er ihn an, während er ein Taschentuch aus seiner Hose fischte, um das Blut zu stoppen.
Dann reichte mir Pedro mit enttäuschtem Gesichtsausdruck die Zigarettenschachtel, was bedeutete , das ich hier verschwinden sollte.
„Tut mir leid, Pedro", entschuldigte ich mich und drückte ihm zwanzig Real in die Hand, bevor ich in meinen Wagen stieg und den Platz verließ.
Nachdenklich fuhr ich anschließend durch die Straßen von Rio. Im Zentrum waren noch viele Touristen unterwegs, was mich für einen kurzen Moment von meinen Gedanken ablenkte.
Als ich das Ende der Stadt erreichte, bemerkte ich plötzlich einen Wagen dicht hinter mir.
Wahrscheinlich bildete ich mir nur was ein. Aber ich konnte kein Risiko eingehen, dass mich jemand bis zu Joãos Onkel verfolgte - daher bog ich in die nächste Seitenstraße ab.
Doch er blieb hinter mir. Vielleicht Zufall, redete ich mir ein und bog in eine weitere Straße ab.
Als er dann immer noch hinter mir war, öffnete ich das Handschubfach und griff nach der Waffe.
Vorsichtig legte ich sie auf meinen Schoß um die Gangschaltung ein weiteres Mal zu betätigen, damit ich in eine weitere Straße abbiegen konnte.
Dann verschwand das Auto hinter mir und ich atmete erleichtert auf.
Doch ich blieb weiterhin wachsam und hielt wenige Meter später am Straßenrand an.
Nervös sah ich mich um, bevor ich mir eine Zigarette anzündete und begann das neue Handy auszupacken.
Nachdem ich die SIM Karte eingelegt hatte und es funktionstüchtig war, fischte ich eine Visitenkarte aus meiner Hosentasche.
„Olá, Gilberto, hier ist Tiano. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dein Angebot annehme. Ich werde das Cali Kartell in Brasilien anführen", gab ich ihm mit monotoner Stimme zu verstehen und nahm anschließend einen weiteren tiefen Zug von meiner Zigarette.
„Das freut mich zu hören. Alle weiteren Anweisungen bekommst du morgen", faste er sich kurz und legte auf.
Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich im Sitz zurück.
Ich hatte keine Ahnung, ob diese Entscheidung richtig war. Aber was hatte ich für eine Wahl? Ich brauchte das Geld und den Schutz - für Gio und für mein Kind.
Erneut nahm ich einen tiefen Zug, als es plötzlich an die Scheibe klopfte.
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