25 - Ungewissheit
POV Tiano
Umhüllt von der Dunkelheit kämpfte ich mich mit ihrem leblosen Körper durch die Wellen Richtung Yacht.
Ich dachte in diesem Moment weder an Escobars Leute noch daran was mit uns geschieht, wenn sie uns kriegen würden.
Alles worauf ich jetzt fokussiert war, war Gio - denn sie durfte nicht sterben. Ich hatte es ihr versprochen.
Wir werden beide lebend hier herauskommen.
Am Heck angekommen, vergewisserte ich mich trotz alledem kurz, ob Escobars Handlanger noch da waren. Aber alles schien ruhig.
Mit Gio im Arm hangelte ich mich die Leiter nach oben und legte sie auf das Deck.
Sofort tastete ich nach ihrer Halsschlagader - doch da war kein Puls mehr.
So schnell ich konnte, befreite ich sie von der Rettungsweste und begann augenblicklich mit der Mund zu Mund Beatmung.
„Por favor meu Amor! Du darfst mich jetzt nicht im Stich lassen", flehte ich, während ich dreißig Mal ihren Brustkorb nach unten drückte um anschließend ein weiteres Mal Sauerstoff in ihre Lungen zu blasen.
Ich weiß nicht, wie oft ich das wiederholte. Aber ich konnte und wollte sie nicht gehen lassen.
„Bitte, tu mir das nicht an, Gio! Ich hab nicht umsonst alles für dich aufgegeben!", schrie ich sie wütend an, und wischte mir mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, während ich verzweifelt um ihr Leben kämpfte.
Doch als sie auch nach gefühlt dreißig Minuten immer noch leblos vor mir lag, nahm ich erschöpft ihren Kopf ein letztes Mal zwischen meine Hände - und gab ihr schweren Herzens - statt Sauerstoff einen sanften Kuss, während meine Tränen auf ihre Wangen tropften
„Es tut mir so leid", hauchte ich mit geschlossenen Augen an ihren Lippen und verlor mich im selben Moment in einem lähmenden Gefühl aus Hilflosigkeit gemischt mit Wut und Trauer - sodass ich nichts mehr um mich herum wahrnahm.
Mit dem Kopf auf ihrer Brust liegend, fiel mir plötzlich eine Pistole wenige Zentimeter neben mir auf.
Wie in einem Rausch griff ich nach ihr und hielt sie mir an die Schläfe.
All das spielte sich innerhalb von Sekunden ab und kam mir doch vor wie eine Ewigkeit.
Dann schloss ich meine Lider und drückte ab.
Doch nichts passierte.
Mit zittrigen Händen ließ ich wie in Trance den Arm mit der Pistole wieder sinken und atmete einmal tief durch ... als ...
Gio plötzlich anfing zu husten und nach Luft schnappte.
Geistesgegenwärtig nahm ich ihren Kopf zwischen meine Hände und hob sie an.
"Oh meu deus você está vivo (Oh mein Gott du lebst)", brachte ich erleichtert über meine Lippen, während ich sie anschließend in meine Arme schloss.
Dann löste ich mich wieder von ihr um sie eingehend zu betrachten. Ich konnte es immer noch nicht glauben.
"Was ist passiert?", flüsterte sie sichtlich geschwächte, während sie mich mit starrem Blick ansah.
"Alles wird gut", erwiderte ich mit einem sanften Lächeln und konnte nicht aufhören sie anzusehen.
"Tiano?", hauchte sie und hob ihre Hand um sie auf meine Wange zu legen, während sie mich mit immer noch leerem Blick anschaute.
"Ja! Ich bin Tiano", erwiderte ich leise und legte meine Hand über ihre.
Ich weiß nicht wen sie in diesem Moment in mir sah, aber ich war so unheimlich froh, dass sie lebte, daher vergass ich vollkommen, dass sie mich nun zum ersten Mal in Ruhe - ohne Tuch vor der Nase und ohne Kapuze betrachten konnte.
Sie sagte kein Wort, sondern schaut mich einfach nur an und ich konnte sehen, wie ihre Gedanken arbeiteten.
"Sind wir allein?", fragte sie nach einer Weile und zog ihre Hand unter meiner hervor.
Nach und nach schien sie sich an alles zu erinnern und versuchte aufzustehen.
"Ja, das sind wir", gab ich ihr schweren Herzens zu verstehen, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was mit dem zweiten Security passiert war.
"Du solltest dich ausruhen", legte ich ihr nahe, während ich ihr auf half.
Dann nahm ich sie ohne Vorwarnung einfach in meine Arme und trug sie nach oben auf das Sonnendeck.
Wortlos ließ sie es über sich ergehen und schmiegte sich an mich - aber ich wusste, dass das letzte Wort in Bezug auf meine Identität noch nicht gesprochen war.
Doch für diese eine Nacht ging ihre Gesundheit einfach vor, daher vermied ich alles was sie aufregen konnte.
Ich setzte sie auf das Daybed und half ihr dabei ihre nassen Sachen auszuziehen. Dann wickelte ich sie in eine Decke und besorgte ihr etwas zu trinken.
Als ich wieder nach oben kam hatte sie ihre Augen geschlossen, sodass ich erschrocken sofort nachschaute, ob sie noch atmete.
Dann zog ich mich ebenfalls bis auf meine Unterhose aus und legte mich neben sie.
Sanft strich ich ihre Haare aus dem Gesicht, sodass sie kurz aufseufzte und sich im Halbschlaf an mich heran kuschelte.
Mit einem Arm unter dem Kopf verschränkt starrte ich in den schwarzen Himmel und betrachtete nachdenklich die unzähligen Sterne, während die Wellen uns sanft schaukelten.
Die Stille wirkte fast erdrückend auf mich, daher konzentrierte ich mich auf das Rauschen des Ozeans.
Ich hatte keine Ahnung wo genau wir uns befanden, denn die Yacht trieb nun schon seid Stunden auf dem offenen Meer.
Tausend Dinge gingen mir durch den Kopf und ich machte die gesamte Nacht kein Auge zu.
Immer wieder betrachtete ich Gio, wie sie beängstigend ruhig neben mir schlief, sodass ich in regelmäßigen Abständen ihren Atem und Puls kontrollierte.
Dann dachte ich zum ersten Mal, seitdem ich in Kolumbien ankam, wieder an meine Familie.
Keiner von ihnen wusste wo ich war und wie ich meinen Vater kannte, hatte er wahrscheinlich bereits die ganze Armee von Brasilien mobilisiert um mich suchen zu lassen - denn selbst über mein Handy konnte er mich nicht mehr ausfindig machen, da dieses jetzt irgendwo auf dem Grund des Ozeans lag.
Und Veronique - das Thema hatte sich mittlerweile von selbst erledigt - da war ich mir ziemlich sicher - denn ihre Eifersucht war grenzenlos und sie hasste es wenn sie mich nicht erreichen konnte.
Wahrscheinlich war sie gerade dabei das Strandhaus in Schutt und Asche zu legen.
Aber das war mir egal. Denn ich hatte alles was ich wollte und was ich brauchte hier bei mir.
"Niemand kann sich mehr zwischen uns stellen. Ich werde immer um dich kämpfen", sagte ich leise, während ich sie vorsichtig näher an mich heranzog und ihr einen Kuss auf die Haare gab.
Irgendwann verblassten die Sterne am Himmel und die Dämmerung setzte ein.
Als die ersten Sonnenstrahlen das noch ruhige Meer zum Glitzern brachten, stand ich auf um mir von hier oben einen Überblick zu verschaffen.
Doch egal in welche Richtung ich sah - es gab nur Wasser.
Ich wusste eine Yacht zu steuern und ich kannte die Gewässer vor Rio in und auswendig. Aber hier im Pazifik war ich vollkommen verloren.
Verzweifelt raufte ich mir die Haare, während ich nur in Shorts bekleidet die Leiter nach unten stieg um zum Steuerstand zu gelangen.
Ich brauchte dringend irgendeinen Plan - denn Escobars Leute konnten jederzeit wieder hier auftauchen.
Als ich das innere des Schiffes betrat, fand ich den zweiten Security Mann.
Gefesselt und geknebelt saß er auf einem Stuhl. Das bunte Hawaiihemd zerrissen und voller Blut, das Gesicht kaum mehr erkennbar.
Offensichtlich hatte man ihn gefoltert um Informationen über Gio und mich herauszubekommen.
Bei dem Anblick schloss ich für einige Sekunde meine Augen.
Ich spürte, wie sich jeder einzelne Muskel in meinem Körper anspannte vor Zorn und wie das Adrenalin nur so durch meine Adern rauschte.
Vollkommen neben mir stehend, griff ich nach einem hier herumliegenden Baseballschläger und schlug diesen Raum kurz und klein, während ich meine ganze Wut heraus schrie.
Dann atmete ich einmal tief durch und begann, jetzt etwas ruhiger, die Fesseln von seinen Handgelenken zu lösen.
Anschließend zog ich ihn unter den Armen nach draußen aufs Deck.
"Was hast du vor?", hörte ich plötzlich eine schockierte Stimme hinter meinem Rücken, als ich gerade dabei war seine Leiche über Bord zu werfen.
"Er kann nicht hier bleiben", erklärte ich ihr ohne sie anzusehen - legte ihn aber trotzdem vorerst erneut auf dem Boden ab.
"Ich weiß", gab sie sich einsichtig und schritt langsam auf die Leiche zu.
"Lass uns vorher ein Gebet sprechen", meinte sie vollkommen empathielos ohne den Blick von ihm zu wenden und ich wünschte ich wäre schneller gewesen, nur um ihr den Anblick zu ersparen.
Mit gesenktem Kopf standen wir vor dem Unbekannten - dessen starrer Blick in den blauen Himmel gerichtet war - und erwiesen ihm die letzte Ehre, während die Sonne hinter uns aufging und das Boot in den immer stärker werdenden Wellen schwankte.
Dann griff ich erneut unter seine Arme, zog ihn über die Reling und ließ ihn endgültig ins Meer fallen.
Ich schaute ihm noch einige Sekunden nach bis er schließlich unterging. Dann wandte ich mich Gio zu.
Doch kaum hatte ich mich zu ihr umgedreht spürte ich einen Schlag im Gesicht.
"Fuck! Was sollte das? Denkst du etwa ich habe ihn getötet?", schaute ich sie schockiert an, während ich mir mit einer Hand über die Wange fasste.
"Nein. Das war dafür, dass du mich angelogen hast", zischte sie und kniff ihre Augen dabei zu Schlitzen zusammen.
"Ich habe dich nicht angelogen. Nur meine Identität verschwiegen. Und das auch nur um dich zu schützen", versuchte ich ihr zu erklären.
"Um mich zu schützen?", wiederholte sie boshaft meine Worte.
"Das ich nicht Lache", schüttelte sie voller Verachtung den Kopf.
Warum musstest du dich einmischen? Wozu? Jesús hätte sich irgendwann wieder beruhigt. Aber jetzt. Sieh dir an, was du angerichtet hast. Wegen uns sterben unschuldige Menschen. Und wofür? Dafür, dass du mich dann wieder gehen lässt? Denn zu deiner Erinnerung. Du bist verlobt. Du wirst in zwei Wochen heiraten. Wie hast du dir das vorgestellt? Wolltest du ein Doppeleben führen?", ihre Stimme wurde immer lauter und sie immer aufgebrachter, sodass ich mir erneut Sorgen um ihre Gesundheit machte.
"Du solltest dich jetzt nicht aufregen - lass uns ein anderes Mal darüber reden, okay", versuchte ich sie zu beschwichtigen und ging einen Schritt auf sie zu. Doch sie hob augenblicklich abwehrend ihre Hände und wich mir aus.
"Ich werde mich von Vero trennen sobald wir zurück sind. Das war der Plan. Ich möchte weder mit ihr noch mit meinem Vater irgendetwas zu tun haben", erklärte ich ihr daraufhin und hoffte, dass sie mir das glaubte.
"Du kannst dich doch nicht so kurz vor der Hochzeit von ihr trennen. Weißt du überhaupt, was du ihr da antust? Du wirst ihr das Herz brechen. Was für ein kalter Mensch bist du?" fuhr sie mich daraufhin an und ich verstand die Welt nicht mehr.
"Seit wann interessierst du dich für Veronique del Castillo? Hast du mir nicht gestern noch erklärt, dass du sie nicht ausstehen kannst? Also warum regst du dich jetzt darüber auf?", konterte ich daraufhin und brachte sie mit dieser Aussage ins straucheln.
"Weil .... einfach so... weil es moralisch nicht in Ordnung ist", stotterte sie und ich wusste, der Punkt an mich ging - schon allein, da sie meinem Blick auswich.
"Und deine Familie? Sie werden das niemals akzeptieren", redete sie weiter, aber nun deutlich ruhiger.
"Lass das mal meine Sorge sein."
"Nein. Das kann ich nicht. Du wirst dein Leben ruinieren, wegen mir."
"Das ist gar nicht möglich. Also hör auf dir Gedanken darüber zu machen", bat ich sie und näherte mich ihr erneut, was sie abermals abblockte.
"Jesús wird uns niemals in Ruhe lassen. Wollen wir ein Leben lang auf der Flucht vor ihm sein? Ständig in Angst leben?"
"Vergiss diesen Typen endlich. Er heißt zwar Jesús, aber er ist auch nicht Gott", wurde ich nun etwas lauter.
"Du hast keine Ahnung. Aber ich weiß, dass du und ich - niemals zusammen glücklich werden können", meinte sie daraufhin kühl und wandte sich nun endgültig von mir ab und verschwand auf der anderen Seite der Yacht.
Nachdenklich schaute ich ihr nach bevor ich mich über die Reling lehnte und in die Ferne sah.
Vielleichte hatte Gio Recht und ich habe mich in etwas verrannt, was keine Zukunft hatte.
Niedergeschlagen fuhr ich mir mit einer Hand durch meine Locken, als ich plötzlich am Horizont etwas auf uns zukommen sah.
Und zum zweiten Mal an diesem Tag begann ich zu beten.
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Wer oder was könnte das sein? 😳
Was denkt ihr über Tianos Verhalten Vero gegenüber?
Und war Gios Reaktion zu übertrieben?
Oder hat sie Recht?
Sollten sie besser aufgeben um nicht noch mehr Menschen in Gefahr zu bringen? Oder sollten sie um ihre Liebe kämpfen?
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