12 - Wiedersehen

Mein Zeitgefühl hatte mich vollkommen verlassen, als ich langsam die Lider öffnete und minutenlang regungslos an die ehemals weiße Decke starrte.

Und dann kamen sie wieder - die Erinnerungen an vergangene Nacht und ein Lächeln legte sich auf meine Lippen.

Ich hatte mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt, wie in diesen Stunden an seiner Seite.

Doch schnell legte sich ein trüber Schleier über diese Gedanken, und mir wurde schlagartig klar, dass ich ihn weder richtig kannte, noch dass ich ihn irgendwann wiedersehen werde.

Denn nach dem Fiasko gestern, wird mich Jesús wohl nie wieder bei einem Rennen dabei haben wollen.

Und wo sollte ich ihm sonst wieder begegnen?

Schwermütig drehte ich meinen Kopf zur Seite. Da lag meine Realität - denn letztendlich war ich eine Prostituierte genau wie Triana.

Und wer wollte schon mit einer Nutte zusammen sein?

Sie schlief immer noch tief und fest und ich betrachtete die unzähligen Blutergüsse in ihrem Gesicht. Was für ein mieses Schwein.

Ich hoffte inständig, dass Jesús meinte, dass Calixto ihn getötet hat, als er sagte, dass dieser ihn zum Schweigen gebracht hat. Denn so ein Bastart hatte es nicht verdient zu leben.

Sanft strich ich ihr die Haare aus dem Gesicht und gab ihr einen liebevollen Kuss auf die Stirn, bevor ich mich unbemerkt aus ihrem Schlafzimmer schlich.

Während ich mich anzog, hörte ich eine der vielen Sprachnachrichten ab, welche mir Jesús geschickt hatte. Zu meiner Überraschung klang er nicht sauer, sondern eher besorgt. Also machte ich mich auf den Weg in den Club.

Draußen vor der Tür herrschte wie immer das pure Leben. Alle schienen irgendwie fröhlich, als wäre das Leben eine Leichtigkeit. Und vielleicht war deren Leben auch wirklich aus rosa Zuckerwatte gemacht.

Doch ich lebte in einer Parallelwelt. Eine Welt in der es nur schwarz und weiß gab - eine Welt, die diese Leute nur aus Filmen kannten.

Das dritte Taxi hielt endlich an und brachte mich an die Copacabana. Die Sonne hing bereits tief über dem Ozean und die Luft schmeckte nach Salz. Überall roch es nach Sonnencreme und süßen Cocktails.

Ich lief noch einige Meter zwischen den vielen Touristen die Strandpromenade entlang und tauchte dann in die Unterwelt ab.

Um diese Uhrzeit war es wie immer noch ruhig. Leise Musik spielte aus den Boxen, während einige wenige Gäste an der Bar saßen und ihre ersten Caipirinhas tranken und rauchten.

Ein paar Mädchen bereiteten sich für die heutige Nacht vor und studierten neue Choreografien an den Pole Stangen ein.

Alles musst perfekt sein und jeder hatte zu funktionieren, sonst saß man schneller vor der Tür als man gucken konnte.

So war Jesús - ein Perfektionist, der immer alles unter Kontrolle haben musste. Er war impulsiv und gewalttätig - aber bei seinem Job hatte er keine andere Wahl.

Doch wenn man tat, was er verlangte, dann konnte man immer auf ihn zählen.

Und dann gab es noch seine liebevolle Seite.

Aber die kannte nur ich.

Auf der Treppe kam mir Carlos entgegen. Wie immer sagte er kein Wort und so begrüßten wir uns mit einem kleinen Lächeln - was für ihn nicht selbstverständlich war.

Die beiden Bodyguards vor der Tür, bewaffnet bis an die Zähne, musterten mich kurz, bevor sie sich weiter unterhielten.

Jesús war gerade dabei Scheine zu zählen, als ich das Büro betrat. Wahrscheinlich handelte es sich um den Gewinn von gestern, oder aus einem seiner anderen Geschäfte - wer wusste das schon so genau bei dem vielen Geld, welches immer und überall herumlag.

"Bom dia, princesa", meinte er monoton, während er weiterhin mit dem Rücken zu mir stand und das Geld in einer schwarzen Tasche verstaute. Manchmal fragte ich mich, ob er Augen am Hinterkopf hat.

Dann stellte er sie auf dem Schreibtisch ab und wandte sich mir zu.

Seine Mimik konnte ich nicht deuten, als er langsam auf mich zu kam.

"Geht es dir gut?", fragte er mit sanfter Stimme und hob mein Kinn an um mir in die Augen zu schauen.

Ich nickte nur, denn sein durchbohrender Blick schüchterte mich ein.

"Ich hab dich die ganze Nacht suchen lassen. Wo warst du?", begann er mich auszufragen, während ich meine verschränkten Arme langsam sinken ließ.

Seine ruhige Art gefiel mir gar nicht. Doch ich versuchte mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen.

"Ich habe mich in einer alten Hütte versteckt und dann bin ich mit einem Taxi zu Triana gefahren", erklärte ich ihm mit zittriger Stimme.

Doch er sagte nichts dazu, sondern fixierte mich mit seinen Augen, als wolle er in meine Gedanken eindringen.

"Okay", erwiderte er nach quälenden Sekunden nickend.

"Ich weiß, dass du mich niemals anlügen würdest."

Zärtlich strich er mit dem Daumen über meine Unterlippe und mein Körper begann zu beben.

"Du weißt, dass mir das leid tut", redete er monoton weiter und ich schloss meine Lider, als er mit dem Zeigefinger über die Rötung auf meiner Wange entlangfuhr.

Ich fühlte meinen Herzschlag bis in die Fingerspitzen und mein Atem ging stoßweise, während er fürsorglich meine Haare aus dem Gesicht strich.

Dann spürte ich seinen warmen Atem auf meiner Haut und wenige Sekunden später seine Lippen auf den meinen.

Gefühlvoll aber fordernd schob er seine Zunge in meinen Mund, während er mein Gesicht zwischen seine Hände nahm.

Schon allein diese Berührung reichte aus um mich in seinen Bann zu ziehen und mein Körper lechzte nach mehr, obwohl mein Verstand mich warnte.

Mit festem, leidenschaftlichen Griff in meine Haare, zog er meinen Kopf nach hinten um anschließend eine feuchte Spur auf der Haut meines Halses zu hinterlassen.

Ein leises Seufzen kam aus meiner Kehle, als seine Küsse immer wilder und gieriger wurden und seine Hand an der Innenseite meines Oberschenkels entlang streifte

"Ich habe einen Auftrag für dich", flüsterte er an meinem Mund und holte mich damit aus meiner Extase.

"Dein Kleid liegt im Nebenzimmer", fügte er augenblicklich hinzu.

Seine Gesichtszüge veränderten sich schlagartig und seine Pupillen weiteten sich, so das von dem Weiß kaum mehr was zu sehen war, als sich sein Blick in mich bohrte.

Nach all den Monaten fiel es mir immer schwerer ihn zu verstehen.

Wie konnte ein Mensch nur so sein?

Niedergeschlagen ließ ich mein Arme, welche eben noch auf seiner Brust lagen, sinken.

"Sieh mich nicht so an, Gio. Du hast dich für diesen Job entschieden. Ich helfe dir bloß dabei", machte er mir abermals meine Misere deutlich und wischte mir sanft mit dem Daumen eine Träne von der Wange.

Mit einem beklommenen Gefühl begab ich mich dann ins Hinterzimmer um mich für den nächsten Kunden fertig zu machen.

"Vermassel es diesmal nicht", rief er mir mit gefestigter Stimme hinterher, als ich bereits die Türklinke in der Hand hatte.

Doch ansehen konnte er mich dabei nicht! Stattdessen wandte er mir den Rücken zu, und die Kälte die ihn in diesem Moment umgab erfüllte den ganzen Raum.

Draußen hatte bereits die Dämmerung eingesetzt, als ich die schwarze Strechlimousine auf der anderen Straßenseite entdeckte und mein Puls beschleunigte sich im selben Moment.

Es ist nicht das erste Mal das ich mit so einem Wagen abgeholt wurde, aber dieses Mal hatte ich keine Ahnung was mich erwartete.

Der Chauffeur begleitete mich zum hinteren Teil und ich bedankte mich höflich bei ihm, als er mir die Tür aufhielt.

Ich warf ihm einen letzten kurzen Blick zu, dann stieg ich ein.

"Boa noite, gathina. So schnell sieht man sich also wieder", grinste mich dieser Typ an und mit aufgerissenen Augen griff ich reflexartig zur Tür.

Doch ich hörte nur noch ein klicken der Verriegelung.

Dann zogen die Lichter der Strandpromenade an mir vorbei...

Fuck!

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Was denkt ihr über Gios Beziehung zu Jesús?

Und wer ist dieser Typ in der Limo? 😱

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