1 - Prolog

Hastig stieg ich die Stufen der Steintreppen nach oben. Ich hasste es jede Nacht durch die engen Gassen der Favelas laufen zu müssen, aber ich hatte keine andere Wahl. Nachdem mein Vater plötzlich über Nacht verschwunden war, war ich nun diejenige, die das Geld verdienen musste, denn meine Mutter war schwer krank und Danilo, mein jüngerer Bruder war mit 7 Jahren noch zu klein. Wobei hier in den Favelas das Alter keine Rolle spielte und auch Kinder Drogen verkauften um ihre Familien zu unterstützen. Aber ich wollte das nicht, denn Kinder arbeiteten hier nicht nur, sondern wurden auch kaltblütig ermordet.

Auch wenn ich jede einzelne Familie kannte an dessen Hütte ich jede Nacht vorbei lief, so spürte ich trotz alledem die Angst in meinen Knochen. Zu viel habe ich schon gesehen - das wünsche ich keinem. Aber so ist es nun mal, wenn man in den Favelas aufwächst. Nur die wenigsten hatten die Chance aus dieser Hölle heraus zu kommen, und wenn, dann funktionierte das nur über illegale Wege, denn anders kam man hier nicht zu Geld.

Ich putzte seid einem Jahr für eine Familie in La Barra da Tijuca, das ist im Westen von Rio de Janeiro und nur den reichen und berühmten Leuten vorgesehen. Auch wenn ich nicht viel verdiente, war ich trotzdem stolz darauf eine normale, legale Arbeit zu besitzen mit der ich uns Essen kaufen und die Miete bezahlen konnte.

"Olá Gio! Wie geht es Juanita? Hab gehört, dass sich ihr Zustand wieder verschlechtert hat"

"Boa tarde, Doña Carmen. Ja, es geht ihr seid ein paar Tagen nicht so gut, aber Don Alberto hat heute nach ihr gesehen. Ich fahre morgen früh in die Stadt und besorge einige Medikamente", beruhigte ich sie, auch wenn das für mich bedeutete, dass ich diesen Monat die Miete nicht ganz bezahlen konnte.

"Bestell deiner Mama schöne Grüße und sag ihr, dass ich sie bald besuchen komme, wenn es ihr besser geht."

"Obrigada (Danke), Doña Carmen", verabschiedete ich mich und bog um die nächste Ecke.

Wir wohnten in einem ruhigeren Viertel, trotzdem konnte man die Musik aus den Hütten hören und hin und wieder Schüsse, aber das kam so häufig vor, dass ich noch nicht einmal zusammen zuckte, sondern einfach nur zügig weiterlief ohne mich umzusehen.

Der Geruch von gegrilltem Fleisch wehte durch die Gassen und ich spürte meinen Magen knurren. Zum Glück war es nicht mehr allzu weit, dann würde ich für Danilo und meine Mama kochen um wie jeden Abend mit ihnen gemeinsam zu essen.

Als ich gerade um die nächste Ecke bog, sah ich zwei fremde Typen auf den Stufen sitzen. Sie waren ungefähr zwanzig, der eine vielleicht sogar in meinem Alter - siebzehn - das konnte ich im Dunkeln nicht genau erkennen. Ich hatte sie noch nie hier gesehen und mein Herz begann zu rasen. Fremde bedeuteten nie etwas Gutes. Ich versuchte ihnen nicht in die Augen zu schauen, sondern einfach nur schnell an ihnen vorbei zu laufen.

Doch so einfach war das nicht.

"Olá linda!" meinte der Ältere der beiden als ich wenige Meter vor ihnen war und stand auf.

Ich richtete meinen Blick auf den Boden und ignorierte ihn, während ich zögerlich weiterlief. Doch er hielt mich an meinem Handgelenk fest.

"Wohin so schnell, princesa? Bleib doch ein bisschen bei uns"

Jetzt stand auch der mit dem Cap auf und beide umgarnten mich, sodass es mir eiskalt den Rücken herunterlief .

"Lasst mich in Ruhe, ich muss nach Hause, meine Familie wartet auf mich", erklärte ich mit kräftiger Stimme um mir meine Angst nicht anmerken zu lassen, denn wer Angst zeigte, hatte schon verloren. Das war ein Gesetz.

Dann zog ich mit einem Ruck meinen Arm aus seinem Griff und sah ihm fest in die Augen.

"Ich sagte, lasst mich in Ruhe, okay", zischte ich den Nachwuchsgangster an. Dann drängelte ich mich an dem anderen vorbei und lief weiter.

Ich hörte sie hinter mir lachen, dann ihre Schritte und geistesgegenwärtig begann ich zu rennen. Ohne nach hinten zu sehen sprintete ich so schnell ich konnte den Berg hinauf und versuchte sie abzuhängen, indem ich durch die kleinen Gassen huschte, in der Hoffnung sie kannten sich hier nicht aus.

Doch leider schienen sie nicht ganz so fremd zu sein, denn plötzlich sah ich einen von ihnen vor mir und als ich mich umdrehte kam auch der andere von hinten auf mich zu gelaufen. Panisch sah ich hin und her. Nirgends konnte ich mehr hin und die Hütten um mich herum standen allesamt leer.

"Jetzt sitzt das kleine Häschen in der Falle", kam er grinsend auf mich zu gelaufen und mein Herz pochte wie ein Stein gegen meine Brust. Mein Atem ging stoßweise, obwohl ich eigentlich eine sehr gute Kondition hatte, doch die Angst beherrschte nun meinen Körper und ich begann innerlich zu beten.

"Was wollt ihr von mir? Ich habe kein Geld bei mir, auch keine Drogen, aber ich weiß, wo ihr welche bekommen könnt. Gutes Zeug und nicht teuer", redete ich einfach drauf los.

"Wer sagt denn das wir Drogen wollen", schnaubte der jüngere der beiden verächtlich und stand jetzt nah hinter mir, sodass ich seinen Atem auf meinen nackten Schultern spüren konnte.

"Was wollt ihr dann?" brachte ich mit zittriger Stimme über meine Lippen und versuchte dem Blick des Älteren auszuweichen, doch dieser umfasste mit einer Hand mein Kinn und richtete meinen Kopf nach oben.

"Warum so ängstlich, princesa?", hauchte er an meinen Lippen und mein Magen begann sich bei dem Geruch von Alkohol und kaltem Tabak zu drehen.

"Seh ich aus als müsste man Angst vor mir haben?", wandte er sich dem anderen Typen mit gerunzelter Stirn zu. Doch dieser lachte nur dreckig, während er immer noch hinter mir stand, was mich unheimlich nervös machte, denn ich wusste nicht was er tat.

"So schöne weiche Haut, wie Karamell", redete er dann mit ruhiger Stimme weiter, während er mit seinen Fingern über meinen Arm strich.

"Und so tolle dunkelbraune Locken", er wickelte sich eine Strähne um seinen Finger um anschließend mit geschlossenen Augen an ihnen zu riechen und ich hielt vor lauter Ekel die Luft an.

"Was würde ich jetzt gern alles mit dir anstellen", dann zückte er ein Messer aus seiner Hosentasche und ließ die Spitze über meine Wangen gleiten. Ich schloss meine Augen und dachte nur noch an meine Mama und Danilo.

Was würden sie bloß ohne mich tun?

Völlig unerwartet packte er mich am Hals und schob mich in eine Ecke zwischen zwei Hütten, während der andere auf der Treppe stehen blieb und sich einen Joint anzündete. Ich konnte den süßlichen Geruch riechen, welcher nach wenigen Sekunden zu mir herüber wehte.

"So ist brav. Wenn du schön mitmachst, kannst du gleich wieder zu deiner Familie", hauchte er an meinem Mund und presste dann seine Lippen hart auf meine.

Innerlich sträubte sich alles dagegen, doch ich wusste, dass ich nur dann eine Chance habe hier lebend herauszukommen, wenn ich es einfach über mich ergehen lassen würde.

Tränen quollen aus meinen Augen, als er begann seine Hose zu öffnen, während sein Griff an meinem Hals immer fester wurde und sich seine Zunge in meinen Mund drängte. Ich bekam kaum noch Luft und wartete nur darauf gleich ohnmächtig zu werden, als ich plötzlich Stimmen wahrnahm.

War das vielleicht meine Rettung?

"Wer bist du und was suchst du in meinem Viertel?" hörte ich eine tiefe männliche Stimme.

"Ich habe nichts getan", rechtfertigte sich der Junge augenblicklich und ich wusste, dass der Gegenüber einer der Jefes sein musste. Ich kannte sie nicht, aber ich wusste, dass jedes Viertel von jemandem regiert wurde, denn in den Favelas herrschte ein eigenes System und das hatte die Regierung der Politik schon lange nicht mehr unter Kontrolle. Sie versuchte zwar hin und wieder mit Spezialeinheiten die Barrios zu stürmen und es wurden schon viele Jefes getötet, aber der Nachwuchs stand bereits in den Startlöchern und so ist es schier unmöglich für die Regierung jemals die Favelas kontrollieren zu können.

"Halt schön deine Klappe" flüsterte mir der widerliche Typ ins Ohr, während er mir erneut das Messer an die Kehle hielt und mich weiter gegen die Mauer drängte.

"Bist du alleine hier?" hörte ich eine weitere Person mit rauer Stimme sagen und mir war klar, dass das jetzt meine einzige Chance war, zu entkommen. Ich musste ihm irgendwie das Messer aus der Hand schlagen und zu ihnen rennen.

"Ja, ich wollte mich nur ein bisschen umsehen. Meine Familie ist auf der Suche nach einem neuen Haus", log er die Typen an. Vielleicht war es aber auch die Wahrheit und ich war nur zur falschen Zeit am falschen Ort.

Dann nahm ich all meinen Mut zusammen, und in einem unkonzentrierten Moment von ihm griff ich nach seiner Hand und drückte sie mitsamt dem Messer von mir weg. Anschließend verpasste ich ihm mit den Ellenbogen einen Schlag in den Magen und türmte.

"Bitte helft mir!", rief ich mit heißerer Stimme und rieb meinen Hals, weil es sich immer noch anfühlte, als hätte ich die Hand dieses Typen darum.

An die darauffolgenden Sekunden kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, wie ich auf einer Stufe der Treppe weinend zusammen brach.

Ich hörte wie diese zwei Typen diskutierten, wie sie sich versuchten herauszureden und schließlich um ihr Leben bettelten. Doch ein Leben war in den Favelas nichts wert.

"Haben sie dir etwas angetan?", fragte mich einer der Männer und hockte sich vor mich. Ich sah ihn mit verschwommenen Augen an, spürte das Metall seiner Pistole an meinem Bein, als er dieses sanft mit der Hand berührte.

"Einer der beiden wollte mich vergewaltigen", schluchzte ich und warf einen wütenden Blick in dessen Richtung.

"Und so etwas dulde ich nicht in meinem Viertel", erwiderte er mit ruhiger Stimme und stand auf.

"Habt ihr gehört, ihr kleinen Wichser! Vergewaltigungen dulde ich nicht in M-e-i-n-e-m Viertel", rief er jetzt lauter und tippte den Älteren der beiden mit der Waffe auf die Brust.

"Das war nur ein Spaß. I-ch hätte das nie getan. W-ir wollten ihr nur ein bisschen Angst machen. I-ch habe selber drei Schwestern", fing er an zu stottern.

"Ach ja und warum ist deine Hose auf? Was mach ich jetzt bloß mit euch? Der eine ein Lügner, der andere ein Vergewaltiger", redete er mit monotoner Stimme weiter, während er mit der Pistole in der Hand um sie herum lief und sie genauer betrachtete.

"Wer garantiert mir, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt? Kannst du mir das garantieren, Cousin?", doch dieser schüttelte nur lachend den Kopf, während er sich mit dem Lauf seiner Pistole über die Schläfe kratzte.

Dann kam er wieder zu mir und hielt mir seine Hand hin. Einige Sekunden starrte ich auf das Tattoo, welches seine Knöchel zierte - Jesús - stand in großen schwarzen Buchstaben auf seinen Fingern und die vielen Goldringe stachen mir ebenfalls sofort ins Auge. Dann richtete ich meinen Blick langsam nach oben und sah ihn nun zum ersten Mal richtig an. Mir fiel sofort das Tränen Tattoo unter seinem rechten Auge auf. Er erschien mir riesig und sein muskulöser Körper war mit vielen weiteren Tattoos bedeckt. Zwischen den vielen Goldketten befand sich ein auffällig großes Kreuz. Seine schwarzen Haare hatte er mit Gel nach hinten gestrichen und mit nur einem weißen Unterhemd und einer schwarzen Shorts bekleidet sah er aus, als käme er gerade vom Strand.

"Wie heißt du, Kleine?"

"Gio", antwortete ich mit zittriger Stimme.

"Ich bin Jesús. Man nennt mich auch el jefe", erklärte er mit Blick in Richtung der beiden Typen, welche sich mittlerweile vor Angst in die Hose machten.

"Komm mit, Gio. Ich bring dich nach Hause", erwiderte er mit sanfter Stimme und obwohl ich auch bei ihm ein flaues Gefühl im Magen hatte, war ich doch froh, dass er mich gerettet hat.

Zumindest in dieser Nacht.

"Kümmere du dich um die Zwei, Calixto", befahl er seinem Cousin und dessen irrer Blick dabei, ließ nichts gutes erahnen. Er war zwar etwas kleiner und nicht so breit gebaut, aber trotzdem genauso muskulös. Mit seinem bunten Hawaiihemd, der blauen Sonnenbrille und der weißen Shorts sah er aus wie ein typischer Tourist. Aber seine Gang Tattoos machten deutlich wie gefährlich er war und seine dreckige Lache hinterließ bei mir eine unangenehme Gänsehaut.

Ich folgte Jesús die Treppenstufen nach unten und wagte es nicht mich noch einmal umzudrehen.

Dann hörte ich nur noch zwei Schüsse. Und zum ersten Mal in meinem Leben zuckte ich dabei zusammen.

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Ich hoffe euch hat das erste Kapitel gefallen.

Falls ihr schwache Nerven habt oder unter 18 seid, könnt ihr die Kapitel mit der Triggerwarnung gern überspringen, ihr werdet die Handlung weiterhin verstehen. Wobei bei der zweiten TW solltet ihr das Ende eventuell doch lesen!

Über Feedback würde ich mich sehr freuen, aber seid bitte nicht zu hart, denn das ist meine erste Mafia Story ☺️

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